Kopten: 'Besiege das Böse durch das Gute'

18. Jänner 2011 in Weltkirche


Bewegende Gedenkfeier für die Opfer des Anschlags von Alexandria – Die koptische Kirche ist eine Märtyrerkirche. Von Michael Hesemann


Düsseldorf (kath.net) Die koptische Marienkirche in Düsseldorf-Grafenberg war bis auf den letzten Platz gefüllt. Vertreter fast aller christlichen Konfessionen – Katholiken, Protestanten und Orthodoxe, Syrer und Armenier - waren gekommen, um gemeinsam mit dem Oberhaupt der rund sechstausend Kopten in Deutschland, Bischof Damian, der 23 Opfer des Terroranschlags von Alexandria in der Neujahrsnacht zu gedenken. Sie wurden Zeugen tiefer Trauer, genuin christlicher Feindesliebe und eines verzweifelten Rufes nach Gerechtigkeit, der bislang in Europa auf eher taube Ohren stieß.

Die koptische Kirche ist eine Märtyrerkirche. Als einzige christliche Konfession geht ihr Kalender nicht auf Christi Geburt zurück, sondern auf das „Jahr der Märtyrer“, 284 n.Chr.; damals begann im Römischen Reich die Herrschaft des Diokletian, der die blutigste Christenverfolgung der Geschichte befahl. Noch heute verwahrt fast jede koptische Kirche stolz Reliquien mindestens eines der zahlreichen Märtyrer dieser Zeit. Nur 430 Jahre später begann mit der Invasion erst der Perser, dann der muslimischen Arabern eine neue „Ära der Märtyrer“, die bis auf den heutigen Tag andauert. Nur weil die Ägyptenkorrespondenten der großen Presseagenturen in der Regel von „lokalen Konflikten“ oder Einzeltaten von „Geisteskranken“ schreiben, erschien die Bluttat von Alexandria den Menschen im Westen zunächst als singulär.

Doch als nur elf Tage später ein bewaffneter Polizist in einem Zug in Oberägypten erst die Abteile nach Christen absuchte, laut „Allahu akbar“ („Allah ist groߓ) rief und dann das Feuer auf eine christliche Familie eröffnete, erwies sich das Gerede von der Einzeltat endgültig als haltloser Beschwichtigungsversuch, als amtliche Fata Morgana. Doch auch wenn es so scheint, als würde sich ihre Lage jetzt dramatisch zuspitzen, gehören blutige Übergriffe ebenso wie die tägliche Diskriminierung schon lange zum traurigen Alltag der ägyptischen Christen.

Der Fehler, so zeigte Bischof Damian in seiner bewegenden Ansprache in Düsseldorf auf, liegt nämlich schon im System. Paragraf 2 der ägyptischen Verfassung erklärt die islamische Gesetzgebung, die Scharia, zur Rechtsgrundlage ihres Staates. Nach der Scharia haben Nichtmuslime den Status von Bürgern zweiter Klasse. Wer einen Nichtmuslim tötet, darf laut Scharia nicht verurteilt werden. So mussten die Kopten erleben, dass der weitaus größte Teil ihrer Mörder unbestraft blieb. Oft genug wurden sogar die Angehörigen der Opfer verhaftet und unter Folter gezwungen, ihre Aussagen zurückzuziehen. In diesem Sinne ist das gerade verkündete Todesurteil für den Attentäter, der vor einem Jahr in Nag Hammadi am koptischen Weihnachtsfest sieben Menschen ermordete, nur als Beschwichtigungsmaßnahme für das Ausland zu erklären – ein Zugeständnis, das die Kopten nie wollten, da sie die Todesstrafe ablehnen. Dabei dient es nur dem Ziel, von den eigentlichen Schuldigen abzulenken.

Diese nämlich, so Bischof Damian, sind nicht die Attentäter, sondern jene, die sie aufhetzen. Noch immer leben in Ägypten zahlreiche Analphabeten, die ihre einzige religiöse Bildung durch die Freitagspredigten ihrer Imane in den Moscheen empfangen. Dort aber wird regelmäßig zum Hass auf und zur Gewalt gegen Christen aufgerufen. So war es auch in Alexandria. Wie der Menschenrechtler Professor Fouad Ibrahim auf der Gedenkfeier erklärte, haben vor dem Anschlag 13 Wochen lang muslimische Fundamentalisten nach dem Freitagsgebet in der Stadtmoschee große Demonstrationen abgehalten und öffentlich zum Mord an Christen und dem koptischen Papst Shenouda III. aufgerufen. Die Polizei und die Behörden ließen sie gewähren – und wunderten sich, als einer der Aufgehetzten dann in die Tat umsetzte, was seine Imane zur religiösen Pflicht erklärt hatten. „Durch staatliche Medien und Schulen wird die Bevölkerung systematisch gegen die Christen aufgehetzt“, weiß Prof. Ibrahim, der an der Universität Bayreuth lehrte. Eine Gehirnwäsche mit tragischen Folgen; über 300 Ägypter wurden in den letzten 30 Jahren ermordet, nur weil sie Christen waren. Die Regierung aber sah tatenlos zu.

So berichtete der koptische Pfarrer von Düsseldorf, Boulos Shehata, von erschreckenden Szenen, die sich nach dem Attentat von Alexandria abspielten, etwa von Jubelrufen in der benachbarten Moschee. Oder von Polizisten, die Kopten verhöhnten, die in den Trümmern nach den blutigen Überresten ihrer Angehörigen suchten: „Ihr braucht die Fleischfetzen nicht zu sammeln. Das sind Hunde. Lass sie den Hunden als Futter!“ Aber auch von der Reaktion Muhammad El Tayebs, des Großscheichs der El-Azhar-Moschee und -Universität, der bedeutendsten Hochschule der islamischen Welt, auf die Kondolenzerklärung Benedikts XVI.: Er verbat sich das Mitgefühl des Papstes für die Opfer und ihre Angehörigen als „Einmischung in die Angelegenheiten Anderer“. Dabei, so Bischof Damian, wäre es doch gerade die Aufgabe einer so berühmten Islam-Hochschule, „den Geist des Fanatismus zu bekämpfen und die bedrohlichen Hasspredigten der Imane in den Moscheen zu kontrollieren.“

Ähnlich erging es dem Unionsfraktionschef Volker Kauder, der gleich nach dem Attentat von Alexandria nach Ägypten reiste, um den Kopten seine Solidarität auszudrücken. Sogleich griff ein ägyptischer Regierungssprecher den deutschen Politiker wegen seiner angeblichen „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ägyptens“ scharf an. Dabei haben die Vereinten Nationen bereits im September 2005 beschlossen, dass die Weltgemeinschaft gefordert ist und intervenieren muss, wenn ein Staat nicht mehr in der Lage ist, Teile seiner Bevölkerung effizient zu schützen. Ist es übertrieben, wenn der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy bereits von einem „besonders perversen Säuberungsplan, einer religiösen Säuberung“ spricht? Soll Ägypten, soll der ganze Nahe Osten „christenrein“ gemacht werden, wie einige der Redner in Düsseldorf fürchteten? Dann ist es umso skandalöser, dass der Westen bislang tatenlos zusah und Ägypten immense Summen an Entwicklungshilfegeldern zukommen ließ, ohne sie mit der Forderung nach der Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte in diesem Land zu verknüpfen.

„Wir Kopten sind die Urbevölkerung Ägyptens. Alles, was wir möchten, ist, mit allen ihren Mitbürgern gleichberechtigt und in Frieden (zu) leben“ lautet die mehr als moderate Forderung der koptischen Kirche. Das bedeutet ein Ende jeder Form der Diskriminierung: gleiches Recht für alle, gleich, welcher Religion sie angehören – eine Selbstverständlichkeit im 21. Jahrhundert, müsste man denken, doch eben nicht in Ägypten. Einem Land, in dem die Kopten zwischen 10 und 15 % der Bevölkerung ausmachen, aber gerade einmal 1 % der Abgeordneten im Parlament stellen dürfen. Wo ihnen der Zugang zu staatlichen Schlüsselfunktionen verwehrt ist. Wo, staatlich sanktioniert, in Schulbüchern und Massenmedien gegen sie gehetzt wird. Wo noch immer „Apartheid“ herrscht, nur nicht unter rassistischen, sondern unter religiösen Vorzeichen.

„Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute“ (Röm 12,21) – das Pauluszitat, das die evangelischen Christen Deutschlands zu ihrer Jahreslosung 2011 gemacht haben, war auch das Motto der Gedenkfeier in Düsseldorf. Kein einziges Mal war en Hass oder Wut auf die Täter zu spüren, dafür umso öfter der Geist von Vergebung und Feindesliebe. Ein tiefes Gottvertrauen zeichnet diese Kirche der Märtyrer aus, eine Gewissheit, dass auch „die Mächte der Unterwelt sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18) können und die Hoffnung, dass letztendlich die Liebe über das Unrecht siegt. Doch auch die Dankbarkeit dafür, dass ihre Glaubensbrüder in Europa endlich ihre Nöte wahrnehmen und den Kopten zeigen, dass sie nicht alleine sind in ihrem Verlangen nach Religionsfreiheit und Sicherheit, nach Toleranz und Respekt in einem Land, das ihre Heimat ist und das sie durch ihre Kultur und Spiritualität so immens bereichern.

kathTube: Interview mit Bischof Damian:



Foto: Der koptische Bischof Anba Damian in Düsseldorf © Michael Hesemann


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