Keuschheit: Liebe, die sich am Geliebten orientiert

26. Jänner 2011 in Spirituelles


Über die verkannte Tugend der Keuschheit als 'caritas ordinata' referierte der Bibelwissenschaftler Klaus Berger auf der Paderborner Montagsakademie: Das Ziel vor Augen, sich nicht von seinen Launen abhängig zu machen.


Paderborn (kath.net/ThF Paderborn) Zum Thema "Keuschheit - eine verkannte Tugend neu entdecken" sprach der Heidelberger Exeget und Erfolgsautor Professor Klaus Berger im Rahmen der Montagsakademie der Theologischen Fakultät Paderborn. Zahlreiche Gäste lauschten im Auditorium Maximum. Konrad Schmidt, Leiter der Montagsakademie-Reihe, begrüßte den prominenten Referenten.

Die Aufforderung zur Keuschheit gehe auf Jesus selbst zurück, stellte Berger zur Einführung fest. Er verwies dabei auf einen Vers aus dem Matthäusevangelium (Mt 5,28 „Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen“) Insgesamt gebe es auffallend viele überlieferte Worte Jesu zur Keuschheit.

Das heute oftmals als veraltet angesehene Wort „keusch“ komme in seiner ursprünglichen Bedeutung vom lateinischen Wort „conscius“, das heißt: „bewußt“. Keusch sein würde demnach so viel bedeuten, wie „bewusst“ oder - in einem weiteren Sinne - „selbstbewusst“ leben.

„Die alttestamentlichen Beispiele der 'keuschen Susanna' und des 'keuschen Josef' stellen uns Menschen vor, die in und mit ihrer ganzen Persönlichkeit bewußt im Sinne von keusch gelebt haben.“ Von der biblischen Grundlegung ausgehend, entfaltete Berger das Thema anhand unterschiedlicher Deutungen von Keuschheit. Der Jesuit Karl Rahner etwa habe sie als „geordnetes Verhalten“ gegenüber dem Geschlechtlichen verstanden, das heißt als eine „Ordnung der Sexualität“. Da jedoch das Wort „Ordnung“ manchmal missverständlich und teilweise negativ konnotiert sei, verwies Berger auf einen anderen Ausdruck, der aus der Spiritualität der mittelalterlichen Zisterzienser stamme.

Berger persönlich, selbst Familiar des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz in Österreich, favorisiere den Begriff der „Caritas ordinata“. Die „Caritas ordinata“ ist nach Berger jene Liebe, die sich am Geliebten orientiert und dabei „sich selbst bewußt ist, woraus sich eine Tugend der Keuschheit begründen läßt“.

Im Gegensatz zum Neuen Testament, das Leidenschaften und Begierden vornehmlich negativ sehe, hätten beispielsweise Irenäus von Lyon und Thomas von Aquin das Gute dieser Kräfte im Menschen gesehen und herausgestellt. „Leidenschaft, und Begierde stehen damit nicht im Gegensatz zur Keuschheit, sondern könne dazu helfen, diese zu leben“, so Professor Berger. Ferner könnte die Keuschheit mit Martin Luther mit den drei Begriffen „klug“, „heilig“ und „beherrscht“ umfasst werden.

Klug bedeute dabei im Sinne der Weisheit zu leben, die nach Jesus Sirach 24,18 „die Mutter der schönen Liebe, der Gottesfurcht, der Erkenntnis und der frommen Hoffnung“ ist. Klugheit und Weisheit würden sich damit als schöne Liebe, als Ehre und Achtsamkeit erweisen.

Heilig: In 1. Thess erinnere Paulus die frühen Christen daran, dass sie von Gott in die Heiligkeit berufen sind. Aus dem Bewusstsein dieser Heiligkeit forme sich nach Berger ein Selbstbewusstsein, das Konsequenzen für die Keuschheit habe, wenn man um seinen Wert und um den Wert der Schöpfung wisse. „Die Keuschheit ist eine Tugend, die aus einem von der Heiligkeit genährten Selbstbewusstsein stammt!“

Selbstbeherrscht seien nach einem Hinweis des Apostels Paulus die Sportler in der Arena, die auf ein Ziel zulaufen und sich nicht von ihren spontanen Effekten und Entscheidungen abhängig machen würden. Demnach meine Keuschheit auch, das Ziel vor Augen, sich nicht von seinen Launen abhängig zu machen.

Berger unterstrich die Hochschätzung der Keuschheit im Christentum. Diese sei eine Folge, die aus der direkten Funktion und dem Handeln des Glaubens herrührt: Im Hinblick auf die Treue Gottes zu den Menschen spiele das Verhalten des Menschen eine wichtige Rolle, in dem sich ja auch das Wirken und Handeln Gottes widerspiegeln solle. Beide Lebensformen, Zölibat und Ehe, fordern Treue und Keuschheit.

Die Keuschheit als „Caritas ordinata“, als „Ordnung der Liebe“, sei auf das alttestamentliche Hohelied der Liebe zurückzuführen, in dem insbesondere von der Sehnsucht und Liebe als bewegende Kräfte gesprochen wird. „Es geht um die Sehnsucht des Menschen nach seinem Gott, aber auch um die Liebe als die Weise, wie Gott in der Gegenwart handelt und seinem Volk entgegenkommt.“

Die „Caritas ordinata“ sei daher ein Achten auf die Sehnsucht des Herzens, die zur Spiritualität werden könne. „Die Sehnsucht nach Liebe“ so der Heidelberger Exeget, „kann nicht selbst gestillt werden. Die Sehnsucht verlangt nach Gott, der sie stillt und der sich selbst nach den Menschen sehnt.“

In der engagierten Diskussionsrunde wurde unterstrichen, dass Liebe das ist, was man weitergibt, weil man es selbst zuvor (von Gott) empfangen hat. Die Montagsakademie-Reihe setzt sich fort am Montag, 31. Januar 2011. Es referiert Schwester Dr. Katharina Kluitmann OSF, Münster, zu dem Thema „Darüber spricht man (nicht)!“ Begleitung auf dem Weg zum zölibatären Leben.





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