Die 'Chuzpe' der deutschen Theologen

3. März 2011 in Aktuelles


'Vermuten diese Theologen etwa, dass sie und ihre Lehrer keine Verantwortung für diese Lähmung und Resignation trügen, welche sie im deutschen Katholizismus monieren?' - Ein Kommentar von George Weigel


Denver (kath.net/pl) George Weigel, der bekannte katholischer Schriftsteller und Biograf von Johannes Paul II, hat im „Denver Catholic Register“, dem offiziellen Publikationsorgan der Erzdiözese Denver, einen Kommentar zum Memorandum „Kirche 2011. Ein notwendiger Aufbruch“ veröffentlicht. Kath.net hat den Text exklusiv in die deutsche Sprache übersetzt:

In seinem Buch „Jiddisch. Eine kleine Enzyklopädie“ definiert Leo Rosten „Chuzpe“ als „Anmaßung und Arroganz, wie sie in keiner anderen Sprache klarer benannt werden“, und fährt dann fort: „Das klassische Beispiel für Chuzpe ist die Geschichte des Mannes, der Vater und Mutter erschlägt und dann um mildernde Umstände bittet, weil er ja Vollwaise ist. Ein Chuzpenik wiederum wäre der Mann, der laut um Hilfe ruft, während er Sie verprügelt.“

Man würde sich wünschen, dass Leo Rosten lang genug gelebt hätte, um deutsche katholische Theologen des frühen 21. Jahrhunderts zu erleben.

Im Hinblick auf den bevorstehenden Heimatbesuch von Papst Benedikt XVI. haben mehr als 200 deutsche Theologen – Männer und Frauen, welche sich theologische Doktorgrade erworben haben und welche an deutschen Universitäten lehren – ein Manifest herausgebracht: „Kirche 2011. Ein notwendiger Aufbruch“. Das Manifest gibt nicht das Ziel an, wohin die Kirche aufbrechen soll, doch der Terminus ad quem wird beim sorgfältigen Lesen des Dokuments einigermaßen klar: Der Katholizismus soll sich in eine weitere liberal-protestantische Sekte verwandeln, indem er praktisch in jedem Streitpunkt zwischen dem klassischen Christentum und der Alltagskultur des postmodernen Westens nachgibt.

Es ist vielleicht keine Überraschung, deutsche katholische Theologen zu entdecken, welche die Weihe von verheirateten Männern und Frauen zum priesterlichen Dienstamt offen, die gleichgeschlechtliche „Ehe“ verdeckt und die volle Kommunionzulassung für jene, welche in irregulären Ehen leben, subtil doch unmissverständlich unterstützen. Diese Anliegen werden seit Jahren gefördert.

Massenhaft wichen deutsche Theologen von der Lehre von Veritatis splendor (1993) über die Natur moralischer Handlungen und von der Lehre von Ordinatio sacerdotalis (1994) über die fehlende Vollmacht der Kirche, Frauen zu den Heiligen Weihen zuzulassen, ab. Besonders verblüffend war bei diesem neuen Manifest jedoch sein Versuch, ernsthafte Probleme mittels Versuch- und-Irrtum-Lösungen anzusprechen. Dies zeugt von einem bemerkenswerten Mangel an intellektueller Kreativität und historischer Einsicht.

So erklärt man uns, dass die deutschen Missbrauchsfälle, welche 2010 ans Licht kamen, „die katholische Kirche in Deutschland in eine beispiellose Krise gestürzt“ hätten. Ist dies wirklich so? Eigentlich hatte ich die deutschen Klagen über die allgegenwärtigen Hinweise auf die nationalsozialistische Zeit, wann immer irgendwas Deutsches diskutiert worden war, verstanden und nachvollzogen. Doch war die Krise 2010 tatsächlich größer als jene, in welcher sich der deutsche Katholizismus in den Jahren zwischen Hitlers Machtergreifung 1933 und der Niederlage Nazideutschlands 1945 befand?
(Stellen sich heutigen Katholiken Gewissensfragen, welche größer sind als jene, denen sich Graf Claus von Stauffenberg oder Sophie Scholl stellten?)

Des Weiteren: Worum geht es bei der Glaubenskrise, welche die deutschen Kirchen in den letzten beiden Generationen geleert hat, sodass der wöchentliche Messbesuch in städtischen Gebieten bei 5-10 Prozent taumelt?

Beachtenswert ist bei dem Manifest außerdem sein Versäumnis, akademische Gewissensfragen zu untersuchen, eine Übung, welche möglicherweise zu ausgewogeneren Urteilen über die Verantwortlichkeit für die gegenwärtige Situation geführt hätte. Vermuten diese Theologen etwa, dass sie und ihre Lehrer keine Verantwortung für diese „Lähmung und Resignation“ trügen, welche sie im deutschen Katholizismus monieren?

Hat die Tendenz deutscher Theologie, die Bibel eher als ein Präparat zu behandeln, das man seziert, denn als ein Geschenk, welches mit dem vollen Spektrum der Interpretationswerkzeuge (einschließlich dem Blick des Glaubens) studiert wird, etwa nichts zu tun mit der heutigen Glaubenskrise in einem Land, in welchem sogar die Sprache durch Luthers Bibelübersetzung geformt wurde? Hat die bizarre Vorstellung der Theologen, dass „Gewissensfreiheit“ jämmerliche Kapitulation vor sämtlichen Fragen der sexuellen Revolution bedeute, nichts zu tun mit den Versäumnissen der Kirche, eine hedonistische Kultur umzuwandeln?

Nur wenige dieser Akademiker haben irgendeine ernstzunehmende oder durchgetragene Verbindung zum liturgischen oder pastoralen Leben der Kirche; trotzdem vermuten sie, dass sie eine privilegierte Position innehätten, von welcher aus sie verstehen könnten, was mit dem deutschen Katholizismus passiert ist und wie seine genuinen Probleme am besten angegangen werden können. Warum?

Auf der Suche nach einer aufrüttelnden Schlussbemerkung für ihren Ruf auf die kirchlichen Barrikaden raten die deutschen Theologen ihren Mitkatholiken, „mit Mut in die Zukunft zu blicken und – auf Jesu Wort hin – wie Petrus übers Wasser zu gehen: ‚Warum habt ihr solche Angst? Ist euer Glaube so klein?‘“

Eine Frage an die Professoren:
Würde bitte ein jeder von Ihnen, der glaubt, dass Petrus auf dem Wasser gegangen ist, die Hand heben?

Übersetzung durch Petra Lorleberg

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