Johannes Paul II., der wunderbare Verwandler der Welt

2. Mai 2011 in Chronik


Die Größe dieses Pontifikates und die Heiligkeit des Menschen, der dahinter stand: „Ein Mann wie er war in den Geschichtsbüchern der Moderne nicht mehr vorgesehen“. Von Paul Badde / Die Welt


Rom (kath.net/DieWelt)
Als im Jahr 1250 der Staufer Friedrich II. als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in Italien starb, notierte im fernen England der Benediktinermönch Matthäus Paris, dieser rätselhafte Herrscher sei ein „stupor mundi et immutator mirabilis“ gewesen: ein Staunen der Welt und ihr wunderbarer Verwandler.

Präziser lässt sich heute vielleicht auch Johannes Paul II. kaum bezeichnen. Er hat die Welt verwandelt. Er war ein Staunen der Welt. Als er am 16.Oktober 1978 die Weltbühne betrat, war er eine unglaubliche Überraschung, die plötzlich „aus einem fernen Land“ über dem Petersplatz erschien. Ein Mann wie er war in den Geschichtsbüchern der Moderne nicht mehr vorgesehen.

Er war ein Großer, hieß es an seinem Ende. Dennoch war auch dies nur einer der vielen Ehrentitel, die Chronisten und Biografen dem neuen Seligen nach dessen Tod vor sechs Jahren hinterherriefen. Das Jahrhundert Lenins, Stalins, Hitlers oder Maos hatte er als eine Gestalt von einem anderen Stern bereichert, als ein Mann vom Himmel.

Die Papstwahl Wojtylas erschütterte den Ostblock

Selige wie Heilige sind keine Helden. Es sind Menschen, von denen die katholische Kirche nach eingehender Prüfung mit ihrem Lehranspruch behauptet, dass sie sicher „bei Gott“ sind und leben, wo sie als verlässliche Freunde und Fürsprecher angerufen werden können – über die Schranke des Todes hinweg.

Selig- und Heiligkeitssprechungen sind darum auch keine einseitigen Akte. Das skrupulöse Untersuchungsverfahren kann hundertmal den „heroischen Tugendgrad“ eines Kandidaten anerkannt haben; es bleibt nutzlos, wenn dieses Urteil nicht durch ein völlig unerklärliches Wunder bestätigt wird, das keiner herbeizaubern kann.

So ist es jetzt bei Johannes Paul II. geschehen. Das ist aufreizend – und selbstverständlich muss kein Hindu diese Sicht teilen oder ein protestantischer Christ oder ein Agnostiker. Nüchtern anerkennen wird aber jeder Historiker, dass die Papstwahl Karol Wojtylas den Sowjetblock in den Grundfesten erschütterte.

Von Breslau bis Wladiwostok machte seine Wahl die Sehnsucht nach Freiheit so unwiderstehlich, wie wir es heute – ganz anders – von Damaskus bis Casablanca beobachten können. Nach seiner Wahl im Herbst 1978 schien plötzlich alles möglich. An dem Tag kam wieder Bewegung in die Geschichte. Blöcke zerbröselten, der Eiserne Vorhang, Tausende Kilometer lang, fing zu rosten an.

Krieg war mit ihm nicht zu machen

Als Johannes Paul II. 19 Jahre später zusammen mit Helmut Kohl durch das wieder geöffnete Brandenburger Tor schritt, war eine Epoche zu Ende. Michael Gorbatschow, geschulter Atheist, sah ihn schon zuvor als den wahren Befreier Deutschlands, also jener Nation, die Wojtylas geliebtes Polen 50 Jahre zuvor so brutal vergewaltigt hatte.

Aber erst, als die Kardinäle nach dem Tod des Polen in Rom ausgerechnet einen Deutschen zum Nachfolger wählten, war der Weltbürgerkrieg des 20. Jahrhunderts endgültig vorbei. Auch diese neue Wahl war von ihm vorbereitet worden.

Er hatte Angst, seine Wahl anzunehmen, sagte er, als er vor 33 Jahren auf der Loggia von Sankt Peter vor die Welt hintrat. Doch im Jahr 2000, als der 80-jährige Pontifex ins Heilige Land aufbrach, hieß es in einem Leitartikel des „Jerusalem Report“: „In 2000 Jahren hat wahrhaftig kein Mensch mehr für die Aussöhnung zwischen Christen und Juden getan als dieser polnische Papst.“

Wenige Wochen zuvor hatte er (gegen große Widerstände aus der Kurie) öffentlich die Schuld und alle Vergehen, die Glieder der Kirche im Laufe der Geschichte auf sich geladen hatten, anerkannt und als ihr vornehmster Vertreter feierlich um Verzeihen und Vergebung gebeten. Er kämpfte gegen „die Kultur des Todes“ und für eine Aussöhnung der Völker und Respekt der Religionen untereinander. Krieg war mit ihm nicht zu machen.

„Ich habe Angst gehabt, die Wahl anzunehmen“

All dies heißt nun nicht, dass er keine Gegner hatte. Und mehr noch: dass er keine Fehler machte. Dass es unter ihm nicht zu großen Fehlentwicklungen und dramatischen Unterlassungen kam. Dies gegen seine Seligsprechung ins Feld zu führen, geht jedoch von einem falschen Papstbild und einem noch fragwürdigeren Menschenbild aus.

Päpste sind keine Tyrannen, Diktatoren oder Alleinherrscher. Sie haben nichts im Griff. Die Dinge gehorchen nicht einfach ihrem Befehl. Ihr Spielraum ist minimal, das ist so bei Benedikt XVI., und das war so bei Johannes Paul II., der diesen Spielraum jedoch ganz und gar genutzt hat. Dabei wären wir endlich bei dem, was ihn zu einem Heiligen gemacht hat, der nun als Seliger angesprochen werden darf.

Denn diese Aussage ist ja eigentlich schon alles bei einer Seligsprechung. Heilige werden nicht vergöttert. Sie sind Gesprächspartner im Himmel. Das Wort „heilig“ stammt von „heil“ ab – was ursprünglich „ganz“ heißt, wie es fast nur noch die Kinder wissen. Diese Begriffe bleiben aber immer noch so verwandt wie die beiden Wörter „holy“ und „whole“ im Englischen.

Was Karol Wojtyla zu einem Heiligen machte, war aber vor allem seine Ganzhingabe an die Aufgaben, die ihm in der Nachfolge des Apostels Petrus übertragen wurden. „Ich habe Angst gehabt, die Wahl anzunehmen“, sagte er zu Beginn, „aber ich habe sie angenommen im Geist des Gehorsams unserem Herrn Jesus Christus gegenüber – und in dem totalen Vertrauen gegenüber seiner Mutter, der allerseligsten Jungfrau.“

Himmel und Erde nahm er als eine Schöpfung wahr

In diesem Vertrauen hatte er schon zuvor das Motto TOTUS TUUS als seinen Wappenspruch gewählt: Ganz Dein! Dieses „ganz“ hat ihn zu einem Seligen gemacht, unsere Welt umgestaltet und ihn zu einem Menschen ohne Doppelleben gemacht, obwohl es paradoxerweise oft anders aussah.

Denn wenn er sich zu seinen Lebzeiten täglich – und zwar zu jeder Zeit, an jedem Ort, zu jeder Gelegenheit – in das Gebet stürzte wie ein Tiefseetaucher in den Ozean, sah jeder, dass er nicht ganz nur zu uns zu gehören schien, sondern auch zu einem Raum, den wir kaum je betreten: den Raum des Heiligen.

In diesen Raum ging er schon als Lebender ein und aus. Für ihn waren diese beiden Räume eine Welt. Himmel und Erde nahm er als eine Schöpfung wahr. Das irdische und das ewige Leben begriff er als eine einzige Existenz. Mit dieser Radikalität brachte er die Mauern im Herzen Europas zum Einsturz, als seliges Staunen der Welt.


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