Zollitsch: Kirche muss sich in heutigem Hochschuldiskurs einbringen

11. Mai 2011 in Deutschland


Erzbischof Robert Zollitsch: „In bedrohlicher Weise neigen die ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Systeme dazu, sich so zu verselbständigen, dass sie kaum noch gesteuert werden können.“ – Die Person ist in Gefahr, Manipulationsobjekt zu we


Freiburg (kath.net/pef) Die Kirche muss und will sich an dem auf Hochschulen geführten Diskurs über die zentralen Fragen von heute beteiligen. Das betonte Erzbischof Robert Zollitsch. „Die Kirche darf sich nicht auf sich selbst zurückziehen! Wir müssen und wollen uns an der allgemeinen Diskussion unseres menschlichen Selbstverständnisses und der uns aufgegebenen ethischen Herausforderungen beteiligen“, erklärte der Erzbischof von Freiburg am Dienstagabend bei einem akademischen Festakt des Hochschulforums Heidelberg in der Alten Aula der Universität.

Zollitsch sagte wörtlich: „Denn Kirche ist – um Gottes Willen – für die Menschen da!“ Dazu dienten unter anderem die theologischen Fakultäten, „die ganz sicher nicht nur eine innerkirchliche Funktion haben, sondern auch das Gespräch der Kirche mit der wissenschaftlichen Welt fördern sollen und die christliche Perspektive in die interdisziplinären Gespräche einzubringen haben“.

An diesen Diskursen beteilige sich die Kirche keineswegs nur in lehramtlicher Funktion: „Vielmehr will die Kirche vorurteilsfrei die Argumentationen der Wissenschaftler hören und verstehen sowie auch ihrerseits an der akademischen Diskussion im Modus der vernünftigen Argumentation partizipieren.“

Dass dies in der späten Moderne, die den ideologischen Säkularismus weitgehend abgelegt habe, wieder verstärkt möglich sei, gehöre zu den erfreulichen Zeichen unserer Zeit.

„Durchökonomisierung unseres Lebens in kaum noch steuerbaren Systemen“

Zu den „selbstproduzierten Gefahren der Moderne“, die der Kirche besondere Sorgen machen, gehört nach den Worten von Erzbischof Robert Zollitsch die „Gefährdung der Person“. Die in den vergangenen Jahrzehnten freigesetzte Eigenlogik der einzelnen Rationalitätssphären habe zu einer fast alles erfassenden „Durchökonomisierung unseres Lebens“ geführt, sagte der Erzbischof von Freiburg beim Festakt des Hochschulforums. Vieles stehe „unter dem Systemimperativ: Es muss sich rechnen und lohnen!“

Der wissenschaftlich-technische Fortschritt, die zweifellos auch erheblich mehr an Humanität hervorgebracht habe, könne dazu führen, „auch den Menschen zu vergegenständlichen und wie ein beliebiges Objekt, bisweilen sogar Manipulationsobjekt, zu behandeln“, warnte Zollitsch.

Der Erzbischof sagte mit Blick auf Politik, Wirtschaft und Wissenschaft: „In bedrohlicher Weise neigen die ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Systeme dazu, sich so zu verselbständigen, dass sie kaum noch gesteuert werden können.“

Umso mehr seien wir um der Menschlichkeit willen gezwungen, „uns von diesen Systemlogiken immer wieder zu distanzieren und uns grundsätzlich zu fragen: Wie soll die Welt aussehen, in der wir leben wollen?“

Der Kirche ging und geht es in ihrer Auseinandersetzung mit der Moderne nach der Ansicht von Erzbischof Zollitsch „um eine zukunftsweisende Bewältigung der Herausforderungen, mit der die Moderne zu ringen hat.

Die Welt von heute sei „nicht einfachhin das Reich der Vernunft, der Freiheit und der Wohlfahrt aller“. Deshalb dürfe die Beschäftigung der Kirche mit der Moderne nicht lediglich als „Ausdruck einer narzisstischen Kränkung oder gar als Versuch formaler Macht- und Privilegiensicherung“ gewertet werden.

Von der Romantik bis zur aktuellen philosophischen Diskussion werde die Moderne einer teilweise geradezu beißenden Kritik unterzogen. Eine der sachlich bedeutendsten und ausgewogensten Analysen stamme von Jürgen Habermas, der ein entschiedener Vertreter des modernen Ausdifferenzierungsprogramms sei und dennoch von „Entgleisungen“ und „Pathologien“ der Moderne spreche. Seine Kritik verstehe Habermas gerade als den Versuch, „die Moderne vor ihren Selbstgefährdungen zu schützen.“

Auch die Kirche teilt nach den Worten Zollitschs die Sorge vieler Intellektueller, „dass die Moderne in Gefahr steht, ihre großen Errungenschaften, die in unserem Grundgesetz paradigmatisch ihren Niederschlag gefunden haben, selber wieder zu unterminieren.“

Zukunft wird geprägt durch Lehrende und Lernende

Man könne auch von der Kirche lernen, denn sie biete innerhalb des gemeinsamen Gespräches die Erkenntnisse ihrer großen Weisheitstradition, ihr Wissen um den Menschen, um dessen Größe und Schwäche, sagte Erzbischof Zollitsch:

„Wir wollen gemeinsam die Herausforderungen der Moderne angehen, damit die Kernidee der Aufklärung, nämlich die selbstbestimmte und allseits in ihrer Würde geachtete Person, nicht allmählich erodiert und wir nicht gerade das verlieren, was uns so zentral bedeutsam ist.“

Erzbischof Zollitsch dankte der Universität Heidelberg für ihre Anstrengungen bei der Ausbildung junger Menschen: „Die Zukunft unseres Landes, die Zukunft unserer Gesellschaft wird wesentlich von denjenigen geprägt, die gestern, heute und auch künftig an unseren Hochschulen lehren und lernen.

Und zum wissenschaftlichen Arbeiten gehören nicht nur Faktenwissen und Methodenkenntnis, sondern auch die Reflexion über die Frage des „Wozu?“, über Sinn, Sein und Sollen von Wissenschaft und Forschung.“ Die Aufgabe der Wissenschaft bleibe es, den Dingen auf den Grund zu gehen, ohne das Ganze der Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren.


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