12. Mai 2011 in Chronik
In Christus verbunden: Oscar Romero und Johannes Paul II. - Ein Beitrag von Bischof Gerhard Ludwig Müller für "Christ und Welt" / Die Zeit
Regensburg (kath.net) Bischof Gerhard Ludwig Müller vom Bistum Regensburg hat in einem Beitrag zur Kritik von liberalen Stimmen an der Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. Stellung bezogen, kath.net hat bereits berichtet
KATH.NET dokumentiert die vom Bistum Regensburg veröffentlichte vollständige Stellungnahme von Bischof Gerhard Ludwig Müller für "Christ und Welt"/Die Zeit:
Auf dem Trittbrett der Seligsprechungsfeier wurden via Internet Unterschriften gegen Johannes Paul II. gesammelt. Ein Ökumenischer Aufruf zum 1. Mai 2011 mahnt: Gedenkt des Märtyrers San Oscar Romero durch die Armen dieser Erde. Im Kontext weiterer Manifeste, empörter Stellungnahmen und schriller Kommentare erscheinen Erzbischof Romero und Papst Johannes Paul II. als die Exponenten von zwei absolut verschiedenen Kirchen. Eine davon muss überwunden werden, damit am Ende die wahre Kirche im Sinne Jesu zurückbleibt, die sich selbstredend mit der Kirche der Unterzeichner deckt.
In diesem Welt-Bild stehen die Guten und die Bösen klar abgegrenzt gegenüber. Auf der einen Seite sind es die Reichen und Mächtigen, die von den USA, der CIA, den multinationalen Konzernen geführt werden. Zu ihnen gehören, zumindest als Komplizen im Kampf gegen die Guten, die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI., mächtige römische Kardinäle und konservativreaktionäre Kreise, während für die Guten Erzbischof Romero als Lichtgestalt reklamiert wird. Er steht für die Armen und Rechtlosen, die Geschundenen und Ermordeten in Lateinamerika, dessen Kampf von linksprogressiven TheologInnen und ChristInnen auch ohne Mitgliedschaft in den vom Weg Jesu abgewichenen Amtskirchen unterstützt wird. Johannes Paul II. habe mit seinem engen polnischen Horizont und seiner antikommunistischen Fixierung die Armen verraten (Heiner Geißler) und in seinem Kampf gegen die Befreiungstheologie den diktatorischen Regimes auch noch einen Rechtfertigungsgrund für die brutale Ausbeutung und Entrechtung der Armen geliefert.
Er habe sich gefühllos gezeigt - so der Ökumenische Aufruf - als man ihm Fotos und Dokumente eines ermordeten indigenen Priesters zeigte und stattdessen zur Harmonie mit der die Christen verfolgenden Regierung von Salvador gemahnt. Johannes Paul II. ein Papst der Reichen auf Seiten finsterer Gewalthaber; Oscar Romero dagegen ein Bischof der Armen; Benedikt XVI. ein Schreibtischtheologe, der die Botschaft Jesu durch eine Spiritualisierung verdirbt, auf der anderen Seite weltläufige Theologen und selbstlose Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit - so die Selbststilisierung der Ökumenischen Aufrufer. Geißler weiß dazu noch, Gott sei dank, über eine geheime Informationsquelle genau, was Jesus heute sagen würde und vor allem, dass Jesus ihn und nicht den vergeistigten Joseph Ratzinger bestätigen würde.
Revolutionär contra Gottessohn?
Was ist denn unter all der revolutionären und oft nur hysterischen Kampfrhetorik die Wurzel dieses dualistischen Weltbildes mit einer nicht zu übersehenden manichäischen Ausprägung, dass in allem und in allen ein Antagonismus zwischen dem Reich des Guten und dem Reich des Bösen erscheint?
Der Zwiespalt, der in der Gegenüberstellung der Kirche von oben und der Kirche von unten liegt, nimmt von einer defizienten Christologie den Ausgang. Jesus wird gedeutet nach dem Muster des Revolutionärs, der im Einsatz für die Armen und Entrechteten zum Märtyrer wird, während der Glaube an die Gottheit Christi im Interesse der etablierten Machtverhältnisse liege. Orthodoxie und Orthopraxis seien nicht zu vereinen. Entweder man glaube im Sinne der Kirche an Jesus als den menschgewordenen Sohn Gottes und Erlöser von Sünde und Tod oder man folge dem menschlichen Jesus nach, der für gerechte gesellschaftliche Verhältnisse gekämpft habe und auch in seinem Scheitern noch Vorbild ist im Kampf für eine bessere Welt.
Gottes Reich und Welt
Das biblische Zeugnis und der Christusglaube der Kirche kennen jedoch nicht den Gegensatz einer Christologie von oben und unten, zwischen Gottheit und Menschheit Jesu Christi und folglich einer hierarchisch-sakramentalen Kirche im Gegensatz zu einer Kirche des Volkes (der Laien). Auch hat die christliche Gesamtauffassung von Welt, Geschichte und Gesellschaft nichts gemein mit einem manichäischen Dualismus.
Im Philipper-Hymnus, den Paulus in der Jerusalemer Urkirche schon vorfindet, ist Christus Jesus das Vorbild für unsere Gesinnung und unser Handeln. ER war in der Gottgleichgestalt und hat die Menschengleichgestalt angenommen und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz und darum hat ihn Gott als Mittler der universalen Gottesherrschaft erhöht: Er ist der Herr, zur Ehre Gottes, des Vaters (vgl. Phil 2,6-11).
In Christus Jesus gehören die Gemeinschaft mit Gott auch über den Tod und das Ende der Geschichte hinaus wie auch die aktive Mitarbeit am Aufbau des Reiches Gottes mit der Gestaltung der Gesellschaft nach den Prinzipien der Personwürde, der Solidarität, der Freiheit und Gerechtigkeit für alle ungetrennt und unvermischt zusammen. Wenn in der Befreiungstheologie einzelne Erkenntnisse der marxistischen Gesellschaftsanalyse in Betracht gezogen wurden, dann war sie dennoch immer christliche Theologie, wenn die Anthropologie auf Gott bezogen war und ihr Ansatz beim biblischen Schöpfung- und Erlösungsglauben getragen blieb von der Einheit Christi als wahrer Gott und wahrer Mensch. Deshalb ist auch die Orthodoxie im Sinn der katholischen Überlieferung die Voraussetzung einer echten Theologie der Befreiung als christliche Gesellschaftskritik und auch prophetischer Protest gegen Armut, Gewalt, Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Das kirchliche Lehramt hat von seinem Recht und seiner Pflicht Gebrauch gemacht, einige Aspekte der sich entwickelnden Befreiungstheologie zu kritisieren und zu korrigieren. Von einer Ablehnung als ganzer kann keine Rede sein. Die Treue zum Lehramt und die Zustimmung zu einer Befreiungstheologie fügen sich spannungsfrei in eine Synthese der Trias Sehen-Urteilen-Handeln.
Der Christ bekennt Jesus als seinen Herrn und Gott und wird vom auferstandenen Herrn der Kirche immer eingeladen, den Finger in die Wunden der Menschheit zu legen, die auch die Wunden sind am Leib Christi (vgl. Joh 20,27), durch die wir alle geheilt sind.
Zwei Vorbilder für die eine Kirche
Wenn eine Begegnung Johannes Pauls II. und Oscar Romeros, die beide durch das Sakrament der Bischofsweihe in der apostolisch-prophetischen Sendung der Kirche verbunden waren, auch von Missverständnissen geprägt gewesen sein mag, haben sie in der Verfolgung, im Leiden und im Sterben doch Zeugnis abgelegt von dem einen Herrn, der die Einheit seiner Kirche begründet. Sie zu Symbolen eines zerstörerischen Antagonismus zu machen, wäre eine verhängnisvolle Instrumentalisierung dieser heiligen Zeugen Jesu Christi und eine Lähmung der Kirche in ihrem Dienst für die Einheit der Menschen in Christus. Mit welchem Recht nimmt man das Lebenszeugnis von zwei großen Dienern Gottes in Anspruch, um das Unkraut von Misstrauen und Zwietracht in den Acker der Kirche zu säen? In ihrer Unterschiedlichkeit liegen die Chance und die Kraft zur Einheit. Alles wird zunichte gemacht, wenn man sie zu Gegenspielern konstruiert.
Wer die bewegenden Predigten des Dieners Gottes Oscar Romero liest, findet, im Hinblick auf den laufenden Seligsprechungsprozess, keinen einzigen Hinweis auf eine Differenz zur katholischen Glaubenslehre. Erzbischof Romero ist wirklich die Stimme derer ohne Stimme geworden und damit ein Fürsprecher der Armen und ein Vorbild für jeden Bischof als Anwalt und Vater der Armen, Heimatlosen und aller Notleidenden - wie er bei der Weiheliturgie verspricht.
Wer sich an ihm orientiert, hat den dualistischen Gegensatz eines Vorbild-Jesus und eines Jesus als Sohn des Vaters, einer Kirche von oben und unten, von traditionalistischer und progressiver Option, von Erlösung im Jenseits und innerweltlicher Heilslehre hinter sich gelassen.
Selig- und Heiligsprechung hat sowohl mit der Verehrung des Volkes zu tun wie auch mit dem amtlichen Verfahren. Denn die kirchliche Autorität trägt Verantwortung für die Liturgie, weil nach katholischem Verständnis die Heiligenverehrung der Verherrlichung Gottes in seinen Heiligen dient und nicht mit einer Art weltlicher Heldenverehrung zu verwechseln ist.
Wir sollen nicht um die Heiligen, die Gott seiner Kirche schenkt, streiten, sondern von ihnen lernen und so zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen und Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen (Eph 4,13). Auf verschiedene Weise haben Johannes Paul II. und Oscar Romero dem Reich Gottes gedient. Sie verpflichten uns auf die Einheit in Christus und die Einigkeit in seiner Kirche.
Die Worte seiner letzten Predigt, bis ihn die Kugeln feiger Mörder vor dem Altar - im Angesicht Gottes - niederstreckten und er in Wahrheit durch seinen Tod Gott verherrlichte, (vgl. Joh 21, 19) sind sein Vermächtnis an uns: Diese Hl. Messe, also die Feier der Eucharistie ist notwendig ein Akt des Glaubens. Mit dem christlichen Glauben wissen wir, dass sich in diesem Moment die Hostie aus Weizen in den Leib des Herrn verwandelt, der sich für die Erlösung der Welt zum Opfer angeboten hat, und dass in diesem Kelch sich der Wein in das Blut verwandelt, das der Preis für die Errettung war. Dass dieser geopferte Leib und dieses geopferte Fleisch für die Menschen uns auch befähigt, unser Fleisch und unser Blut dem Leiden und dem Schmerz zu überlassen, wie Christus: nicht für sich selbst, sondern um unserem Volk eine Vorstellung von Gerechtigkeit und Frieden zu geben. Vereinen wir uns also jetzt innerlich im Glauben und in der Hoffnung im Gebet für Frau Sarita und für uns.
+ Gerhard Ludwig Müller
Bischof von Regensburg
© 2011 www.kath.net