Der Missbrauchsskandal: ein nunmehr ‚historisches Problem’ der Kirche

19. Mai 2011 in Aktuelles


Die Reform Benedikts XVI. greift: eine neue wissenschaftliche Studie des ‚John Jay College of Criminal Justice’. Eindeutiger Rückgang der Fälle sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Am 18. Mai wurde in den Vereinigten Staaten von Amerika eine neue wissenschaftliche Studie des „John Jay College of Criminal Justice“ (New York) veröffentlicht, die von der amerikanischen Bischofskonferenz in Auftrag gegeben worden war. Die Studie mit dem Titel „The Causes and Context of Sexual Abuse of Minors by Catholic Priests in the United States, 1950-2010“ bestätigt die Wirksamkeit der Reform Benedikts XVI. im Bereich der Problematik des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Mitglieder des Klerus und stellt einen eindeutigen Rückgang der Fälle fest.

Bereits im Jahr 2004 veröffentlichte das „John Jay College“ einen Bericht über sexuellen Missbrauch und Klerus. Der Bericht analysierte die zwischen 1950 und 2002 in den verschiedenen Diözesen gegen Kleriker vorgebrachten Anzeigen wegen Missbrauchs und hatte festgestellt, dass der Großteil der Opfer, 81 Prozent, männlichen Geschlechts war. Die Studie des „John Jay College“ erklärte weiter, dass die Pädophilie, das heißt ein Hingezogensein zu Kindern in vorpubertärem Alter, das als psychiatrische Krankheit definiert wird, nur einen kleinen Teil des Problems der sexuellen Missbräuche ausmachte. Die Opfer waren zum Großteil Heranwachsende, die nicht mehr im vorpubertären Alter waren.

Die jetzt veröffentlichte und maßgebende Studie, die etwa 1,26 Millionen Euro gekostet hat, ergänzt nach sieben Jahren den vorliegenden Bericht und erlaubt neben der Analyse der Ursachen des Phänomens des sexuellen Missbrauch durch Kleriker einen Blick auf die positive Entwicklung der Problematik, die vor allem dem entschlossenen Eingreifen Benedikts XVI. zu verdanken ist.

Als weiteres Ergebnis der Studie ist festzuhalten, dass der in den Medien gerne mit dem Verbrechen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in einem Atemzug genannte Zölibat nichts mit dem Phänomen zu tun hat („Given the continuous requirement of priestly celibacy over time, it is not clear why the commitment to or state of celibate chastity should be seen as a cause for the steady rise in incidence of sexual abuse between 1950 and 1980“). Vielmehr wird der besondere kulturelle Druck betont, dem Priester in den 60er und 70er Jahren im Zuge der sexuellen Revolutionen ausgesetzt gewesen sind. Die Kosten für die Studie trug zu 50 Prozent die amerikanische Bischofskonferenz. An der Studie war auch das US-Justizministerium beteiligt.

Unmittelbar nach dem Beginn seines Pontifikats musste sich Benedikt XVI. mit dem schweren Erbe des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker befassen. Nachdem sich Joseph Ratzinger als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends mir dem Missbrauchsskandal in der US-Kirche auseinandergesetzt hatte, brach dann 2008/2009 dasselbe Problem mit ganzer Wucht in der Kirche Irlands aus. Der „deutsche Missbrauchsskandal“, der im Januar 2010 von Berlin aus ins Rollen gebracht wurde, folgte.

2010 richtete der Papst einen gleichzeitig eindeutigen und in die Zukunft weisenden Hirtenbrief an die Kirche von Irland. Sehr harte Worte waren Priestern vorbehalten, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht, den Opfern schweren Schaden zugefügt und das Priestertum entehrt haben: „Ihr habt das Vertrauen, das von unschuldigen jungen Menschen und ihren Familien in Euch gesetzt wurde, missbraucht, und Ihr müsst Euch vor dem allmächtigen Gott und vor den zuständigen Gerichten dafür verantworten“. Benedikt XVI. ermahnt sie, Verantwortung für die begangenen Sünden zu übernehmen und demütig die eigene Schuld an- zuerkennen: „Stellt Euch den Forderungen der Rechtsprechung, aber zweifelt nicht an der Barmherzigkeit Gottes.“

Der Papst erkannte schließlich die Verantwortung der Bischöfe sowie deren „Versagen in der Leitung“ an, was deren Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit untergraben hat: „Es kann nicht geleugnet werden, dass einige von Euch und von Euren Vorgängern bei der Anwendung der seit Langem bestehenden Vorschriften des Kirchenrechts zu sexuellem Missbrauch von Kindern bisweilen furchtbar ver- sagt haben. Schwere Fehler sind bei der Aufarbeitung von Vorwürfen gemacht worden.“ Der Papst forderte sie auf, „neben der vollständigen Umsetzung der Normen des Kirchenrechts im Umgang mit Fällen von Kindesmissbrauch weiter mit den staatlichen Behörden in ihrem Zuständigkeitsbereich zusammenzuarbeiten.

Der jetzt veröffentlichte Bericht des „John Jay College“ bestätigt die Linie des Papstes. Im Jahr 2010 hat es in den Vereinigten Staaten 30 Anzeigen gegen Priester gegeben, von denen die kirchlichen Autoritäten in Kenntnis gesetzt wurden. Diese hatten sich umgehend an die staatlichen Behörden gewandt. Von den 30 Anzeigen erachtete die Staatsanwaltschaft 8 als glaubwürdig, 7 wurden als Falschanzeigen erkannt. Bei 12 Anzeigen handelte es sich um Missbrauch psychologischer Natur. Bei 3 Anzeigen steht ein Ergebnis noch aus.

In den Vereinigten Staaten gibt es insgesamt 38.000 Diözesan- und Ordenspriester. Die Sensibilisierungskampagne der amerikanischen Bischöfe war umfassend und betraf die gesamte Struktur der amerikanischen Kirche mit ihren 300.000 Angestellten, 160.000 Erziehern, 6.000 Priesteramtskandidaten und rund 15.000 Diakonen. 23 Diözesen hatten sich an dem „Auditing“ beteiligt, durch das der Bericht des „John Jay College“ möglich wurde. Nur 7 Diözesen hatten sich geweigert, mit den Forschern ins Gespräch zu kommen.

Im Jahr 2010 haben sich 683 Missbrauchsopfer zu Wort gemeldet. Bei 653 handelt es sich um Fälle, die erst nach vielen Jahrzehnten gemeldet wurden. Aus dem Bericht geht hervor, dass vor allem die 70er Jahre ein kritisches Jahrzehnt gewesen sind. Insgesamt kommt der Bericht zum Schluss: „The phenomenon of delayed reporting, together with a convergence of incidents at a particular time period, makes the sexual abuse ‚crisis’ a historical problem. This is not to suggest that abuse incidents have not happened recently and will not happen again in the future; however, the crisis, which involved a high number of sexual abuse incidents peaking at a particular point in time, has passed“.

Das Phänomen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen ist somit innerhalb der Kirche ein „historisches Problem“. Der Großteil der Kleriker, die sich an Minderjährigen vergangen haben (70 Prozent) wurde vor 1970 geweiht und erhielt seine Seminarausbildung in den 40er und 50er Jahren. Doch: „Incidents of sexual abuse do still exist and will persist to some degree in the Catholic Church, just as they will in any organization, family, or in the general society“. Und genau dem muss entgegengewirkt werden. Für die Kirche hat Benedikt XVI. eindeutige gesetzliche Vorgaben geleistet, die notwendig im Boden der geistlichen Erneuerung wurzeln.

Die Studie des „John Jay College“ macht eines deutlich: Der Missbrauch, der mit dem Missbrauchsskandal vor allem auf der Ebene einer einseitigen und falschen Darstellung in den Massenmedien getrieben wurde, darf nicht dazu führen, dass die tiefer gehenden Wurzeln der historischen Häufigkeit dieser Verbrechen vergessen oder deren Analyse einer Ideologie geopfert werden. Die Revolutionen infolge der „sexuellen Befreiung“ und der sogenannten 68er-Ereignisse treten immer deutlicher in ihrer Relevanz für das Auftreten von auch verbrecherischen Missständen hervor.


Der Bericht des „John Jay College of Criminal Justice“:

The Causes and Context of Sexual Abuse of Minors by Catholic Priests in the United States, 1950-2010. A Report Presented to the United States Conference of Catholic Bishops by the John Jay College Research Team



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