20. Juni 2011 in Österreich
Christlich-muslimischer Dialog in Wien geglückt. Selbstbewusster Auftritt katholischer Intellektueller in der Moschee von muslimischer Seite mit Freude aufgenommen. Kath.net-Bericht von Victoria Fender kathTube-Exklusiv: Reden als Audios
Wien (kath.net) Am vergangenen Samstag veranstaltete das Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie (RPP) erstmals eine interdisziplinäre Fachtagung in einer Moschee, nämlich zum Thema "Das Unbehagen mit der Religion - Islamophobie und verwandte Phänomene". Die Sigmund-Freud-Universität und das Institut für interkulturelle Islamforschung waren Mitveranstalter. Erstmals in Österreich wurde dabei das Phänomen der Islamophobie und der Religionsfeindlichkeit aus psychologisch-wissenschaftlicher Sicht untersucht. Die Tagung fand im Islamischen Zentrum Wien statt und gab 160 Kongressbesuchern die Gelegenheit, mit dieser Kultur in Berührung und interreligiös ins Gespräch zu kommen.
Vordenker und Experten aus Religion, Psychologie und Psychiatrie kamen zusammen, um gemeinsam über Religion, historische und gesellschaftliche Entwicklungen, sowie Fanatismus als soziales und medizinisches Phänomen nachzudenken und zu diskutieren. Religion spielt eine wichtige Rolle in allen Fragen der Integration, und es ist eine Aufgabe der Wissenschaft, durch Aufklärung und Information irrationale Ängste abzubauen, die sich durch alle Schichten der Gesellschaft ziehen.
Fuat Sanac, der künftige Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, und der Journalist Stefan Beig führten als Moderatoren durch die Fachtagung, die mit namhaften und hochkarätigen Referenten besetzt war: Der Psychoanalytiker und Rektor der Sigmund Freud Privatuniversität, Alfred Pritz, thematisierte den Islam als Kulturträger in Europa. 11 von 27 EU-Ländern haben nach seiner Darstellung eine jahrhundertealte Tradition mit dem Islam. Stephan Baier, Korrespondent der katholischen Zeitung Die Tagespost und Nahost-Experte, thematisierte das Phänomen der sogenannten Islamophobie. Der Hauptgrund für den muslimischen Widerstand gegen die Verwestlichung der eigenen Familien und Gesellschaften sei die Abwesenheit Gottes aus dem öffentlichen Leben. Für einen gläubigen Muslim sei die Vorstellung eines von Gott freien, also gottlosen Raumes reine Blasphemie. Gleichzeitig sprach sich Baier für den offenen Dialog, gerade über die schwierigen Fragen des Verhältnisses von Toleranz und Gewalt, Politik und Religion, Vernunft und Glaube aus. Wer jeden Hinweis auf wunde Punkte tabuisiere, fördere nicht Respekt, sondern die beidseitige Sprachlosigkeit, und damit die Angst. Der Islamwissenschaftler Elsayed Elshahed widmete sich der Frage, wie viel Gott die säkulare Gesellschaft verträgt. Bei diesem Thema müsse auch an die großen philosophischen und ideologischen religionsfeindlichen Wellen erinnert werden, von denen Europa im Gegensatz zu Amerika weiterhin auf weite Strecken geprägt sei.
Die Angst sei eine Grundbefindlichkeit des Menschen seit jeher und sei durch die polytheistischen Göttermythen verstärkt worden, stellte die Dresdener Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz fest. Auch die griechische Mythologie sei voll Angst vor der Willkür der Götter gewesen. Das Christentum jedoch überwinde diese Angst durch das Vertrauen auf die Gerechtigkeit und auf die Barmherzigkeit Gottes. Der Psychiater Walter Pieringer von der Medizinischen Universität Graz sprach über die Psychodynamik des religiösen Fanatismus. Dieser sei der rücksichtslose Kampf für eine vermeintlich heilige Sache, dessen Kern die totale Identifikation mit einer Überzeugung und einem Ideal religiösen oder philosophischen Inhalts ist.
Der Gründer und Leiter des RPP-Institutes, der Wiener Neurologe und Psychiater Raphael M. Bonelli, erklärte, was im pathologisch antireligiösen Menschen vorgeht. Warum begegnet dieser den Gläubigen mit Aggression? Es sei immer ein Schmerz, eine Kränkung, welche Aggression auslöst. Laut Bonelli existieren drei Kränkungen des modernen Menschen, die Anlass für die Abneigungen gegenüber religiösen Menschen sind: Die erste Kränkung bestehe darin, dass Gott nicht tot ist, wie Friedrich Nietzsche vor 150 Jahren verkündet habe, denn immer mehr oft junge Menschen unterwerfen sich einem transzendenten Prinzip und richten ihr Leben nach den Geboten Gottes und den Regeln ihrer Religion aus. Die zweite Kränkung bestehe in der eigenen Schuldhaftigkeit. Trotz der boomenden alternativen Ethikangebote, die letztlich farblos, inhaltsleer, beliebig seien, existierten weiterhin moralische Instanzen, die uns Sünde und Schuld vor Augen führen. Zuletzt, als dritte Kränkung, existiere die Eifersucht des antireligiösen Menschen auf den Gläubigen, der bei Gott Liebe, Sicherheit und Geborgenheit findet. Es seien besonders drei Gruppen, die bei antireligiösen Menschen anecken: gottesfürchtige Muslime, bibelfeste Evangelikale und romtreue Katholiken, denn ihre Lehre ist verbindlich und nicht manipulierbar.
Wie die anderen katholischen Referenten, so vertrat der Altabt von Heiligenkreuz, Gregor Henckel Donnersmarck, überzeugt seinen Glauben und setzte sich nachdrücklich für die Religionsfreiheit ein: Er begrüße jedes Minarett in Österreich, doch das Recht auf freie Religionsausübung müsse auch den Christen in Vorderen Orient, in Saudi-Arabien oder in Pakistan eingeräumt werden. Der Islam sei ein wichtiger Dialogpartner der Kirche, denn gemeinsam sollten sich gläubige Christen und Muslime gegen den diktatorischen, atheistischen Relativismus stellen, der sich in Europa breit mache. Hier bestünde eine Bundesgenossenschaft zwischen den monotheistischen Weltreligionen. Der Gastgeber, Elsayed Elshahed, war von den Ausführungen des Altabts so beeindruckt, dass er in der Wiener Moschee sagte: Betrachten Sie dieses Haus als Ihr Haus!
Den Ehrenschutz für diese interdisziplinäre wie interreligiöse Fachtagung hatten Kardinal Christoph Schönborn, der evangelische Bischof Michael Bünker, IGGIÖ-Präsident Anas Schakfeh und Bürgermeister Michael Häupl übernommen; die Ärztekammer für Wien war Kooperationspartner.
kathTube-Exklusiv: Rede von Alt-Abt Gregor
kathTube-Exklusiv: Rede von Raphael Bonelli
kathTube-Exklusiv: Rede von Stephan Baier
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