Ein überzeugter Europäer und Christ

6. Juli 2011 in Deutschland


Europa hat mit dem Tod Ottos von Habsburg einen großen Europäer verloren. Ein Nachruf des evangelischen Theologen Dr. Jürgen Henkel.


Wien (kath.net/idea) Die Liste seiner Vornamen und Titel ist lang, obwohl Otto von Habsburg nie zum gekrönten Monarchen wurde, wie es ihm eigentlich in die Wiege gelegt war. Im Alter von 98 Jahren ist am Montag der älteste Sohn des letzten Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn, Karl I., friedlich entschlafen. Mit Otto von Habsburg verlässt ein überzeugter Europäer und Katholik die Bühne, der wie kein anderer die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert verkörperte.

Indirekt am Mauerfall beteiligt

Auch für die deutsche Geschichte hat Otto von Habsburg an einem entscheidenden Moment prägend mitgewirkt: Das von der „Paneuropa-Union“ im August 1989 am ungarischen Grenzort Sopron veranstaltete „Paneuropäische Picknick“ wirkte als Ventil für Hunderte dort auf die Ausreise harrender DDR-Staatsbürger, die daraufhin nach Österreich und Deutschland ausreisen konnten. Otto von Habsburg war Schirmherr der Veranstaltung.

Sein Großvater: der „ewige Kaiser“ Franz Joseph

Am 20. November 1912 wurde Otto von Habsburg als Sohn von Erzherzog Karl und Prinzessin Zita von Bourbon-Parma in der Villa Wartholz bei Reichenau an der Rax (Niederösterreich) geboren. Es waren die letzten Jahre des greisen „ewigen Kaisers“ Franz Joseph, der bei seinem Tod 1916 auf sage und schreibe 68 Jahre als Kaiser von Österreich und Oberhaupt des Hauses Habsburg zurückblicken konnte. Wie für andere europäische Monarchien bedeutete der Erste Weltkrieg auch für die Habsburger sowie das Kaiser- und Königreich Österreich-Ungarn eine tiefe Zäsur. Als Ottos Vater 1916 den Thron besteigt, stand die Habsburger Monarchie im Abendrot ihrer Geschichte.

Jugendjahre im Exil

Die Donau-Monarchie und das Habsburger Reich brachen 1918 in sich zusammen. Wiener Schriftsteller wie Joseph Roth, Stefan Zweig und Arthur Schnitzler schufen bis heute unvergängliche literarische Zeugnisse dieser Übergangszeit des ausgehenden Habsburger Reiches. Neue gesellschaftliche und politisch-intellektuelle Strömungen kämpften mit Walzerklängen und Kaffeehäusern um die kulturelle Lufthoheit in Wien. Die Kaiserfamilie muss ins Exil. Otto von Habsburg lebt anschließend in der Schweiz und in Madeira, in Spanien und in Belgien.

Freiheitskampf für Österreich in den USA

1940 muss die Familie – nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich und den deutschen Überfall auf Belgien – vor den Nationalsozialisten in die USA fliehen. Dort kämpfte Otto von Habsburg für ein unabhängiges Österreich. Doch er konnte auch nach dem Zweiten Weltkrieg wegen des Landesverweises (Verbannung) der Habsburger zunächst nicht nach Österreich zurückkehren. 1951 heiratete von Habsburg die deutsche Prinzessin Regina von Sachsen-Meiningen. Sie ließen sich in Pöcking am Starnberger See nieder, wo sie bis zuletzt wohnten. Erst 1966 konnte Otto von Habsburg wieder in Österreich einreisen.

Fleißiger Politiker und hartnäckiger Verfechter von Meinungsfreiheit

1978 nahm er die deutsche Staatsbürgerschaft an und zog 1979 für die CSU in das erstmals gewählte Europäische Parlament ein. Der Einsatz für die Menschen- und Minderheitenrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker wurden zum wichtigsten politischen Credo Ottos von Habsburg.

Er scheute sich nicht, lange vor 1989 die grundsätzliche Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker jenseits des „Eisernen Vorhangs“ zu stellen. Mit seiner Kritik an der Unterdrückung der Meinungs- und Religionsfreiheit in den kommunistischen Ländern verbunden mit der Forderung nach Freiheit für die Völker Ost- und Südosteuropas machte er sich in manchen politischen und intellektuellen Kreisen sehr unbeliebt. Vielen Intellektuellen, Künstlern und Publizisten in Deutschland und Westeuropa warf er regelmäßig eine naive Sicht auf den Kommunismus und die Lage der Menschenrechte in Osteuropa vor.

Gegen die Wiedereinführung der Monarchie

Sein persönliches Engagement als Europaparlamentarier und Präsident der „Paneuropa-Union“ wirkte motivierend auf die politischen und kirchlichen Oppositionsbewegungen in Ost- und Südosteuropa, auch wenn er nie die mediale Breitenwirkung etwa von Papst Johannes Paul II. erreichte, mit dem ihn die tiefe Ablehnung des Kommunismus als politischem System verband.

Unmittelbar nach der Wende von 1989 gab es in Ungarn sogar ernsthafte Bestrebungen, die Monarchie wieder einzuführen und Otto von Habsburg zum König zu machen. Er lehnte dies ab, genau wie den Vorschlag, als Staatspräsident zu kandidieren. Im Nachhinein erwies sich dies als weise Entscheidung: An den postrevolutionären Wirren und Problemen nach 1989 sowie alten Seilschaften in den Transformationsstaaten sind fast alle Wendepolitiker gescheitert.

Einsatz für die Osterweiterung der Europäischen Union

Otto von Habsburg konnte als Europaabgeordneter mehr für die Länder des ehemaligen Ostblocks erreichen, als wenn er ein nationales politisches Amt in Ungarn übernommen hätte. Er wirkte bis 1999 im Europaparlament, wo er sich für eine rasche Osterweiterung einsetzte. Sein großes Engagement galt der EU-Integration von Ungarn, Slowenien und zuletzt Kroatien. Auch nach seiner Zeit als Abgeordneter war er stets ein gefragter Redner und Autor, bis zuletzt auch als Ehrenpräsident der „Paneuropa-Union“.

Europa immer als christliche Wertegemeinschaft verstanden

Zu einer denkwürdigen Begegnung wurde 2005 das Treffen mit dem 5. Patriarchen der Rumänischen Orthodoxen Kirche, Teoctist I. Arăpașu, in Bukarest: Nicht nur freute sich der damals 90-jährige Patriarch, jemanden zu empfangen, der noch einen Tick älter war als er selbst. Vor allem machten die beiden Persönlichkeiten nationen- und kirchenübergreifend ihre tiefe Überzeugung deutlich, dass die Europäische Union nicht nur als Wirtschafts- und Freihandelszone, sondern in erster Linie als Wertegemeinschaft auf der Basis des Christentums zu verstehen sei. Entsprechend setzte sich Otto von Habsburg stets auch für einen Gottesbezug in der EU-Verfassung ein.

Liebenswürdig und bescheiden

Im persönlichen Umgang zeigte sich der letzte große Habsburger der europäischen Geschichte von einer bemerkenswerten Liebenswürdigkeit und unprätentiösen Souveränität. Sein perfekter Stil und Auftritt korrespondierte stets mit persönlicher Bescheidenheit und gelassener, beinahe legerer grundgütiger Herzlichkeit. Europa hat mit dem Tod Ottos von Habsburg einen großen Europäer verloren.


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