6. Juli 2011 in Interview
Der Kampf um die Seele Europas ist der Kampf um den Gottesbezug in der Verfassung. Ein Kirche in Not-Interview mit Otto von Habsburg aus dem Jahr 2007.
München (kath.net/Kirche in Not) Der Kampf um die Seele Europas ist der Kampf um den Gottesbezug in der Verfassung. Wenn die Menschenrechte, die eines der wesentlichen Elemente Europas sind, einen Sinn und einen Inhalt haben sollen, muss es logischerweise einen Gott geben. Denn das Menschenrecht fußt schließlich auf dem Gedanken, dass der Mensch als von Gott erschaffenes Wesen eigene Rechte hat.
Zum Tod des langjährigen Europa-Parlamentariers Otto von Habsburg veröffentlicht das weltweite katholische Hilfswerk "Kirche in Not" ein Interview mit ihm aus dem Jahr 2007, in dem der Sohn des selig gesprochenen letzten österreichischen Kaisers Karl I. über die christliche Geschichte und Sendung Europas spricht, die katholische Nähe zu multinationalen Staatsgebilden und die Notwendigkeit, den Glauben zu verteidigen. Das Interview führte Michael Ragg.
Herr von Habsburg, es gibt trotz aller Erfolge eine gewisse Europamüdigkeit. Ist der Europagedanke heute noch wichtig?
Europa ist für uns an erster Stelle wegen der Sicherheit wichtig. Wir wurden im 20. Jahrhundert mit zwei Weltkriegen und zwei großen totalitären Diktaturen konfrontiert. Die Geschichte lehrt uns, dass nur ein Bündnis der europäischen Länder für den Frieden sorgen kann.
Im Habsburger-Reich, also in Österreich-Ungarn, hatten wir verschiedene Nationalitäten und Kulturen. Über viele Jahre hinweg hat hier der Frieden trotz oder gerade wegen dieser Einheit gehalten. Schon hier konnten wir, bis ins 20. Jahrhundert hinein, feststellen, dass eine multinationale Zusammenarbeit sehr erfolgreich sein kann. Dieses Miteinander ist für das heutige Europa mehr denn je von großer Bedeutung.
Der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg hat die Völker weiter auseinander gebracht, nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen sie sich enger zusammen. Warum eigentlich?
Es gibt ein christliches Friedenskonzept und ein heidnisches Friedenskonzept. Das heidnische ist das "vae victis", das "Wehe den Besiegten" der Römer. Der Krieg ist nach dieser Auffassung dazu da, den Besiegten entweder ganz umzubringen oder aber soweit zu demütigen und zu besiegen, dass er nicht mehr auf die Beine kommt.
Der Wiener Kongress von 1815, nach den napoleonischen Kriegen, hat noch zu einem christlichen Friedensschluss geführt, weil man sogar den Besiegten hat mitverhandeln lassen. Damals hat man verstanden, dass ein Krieg nur dann sinnvoll beendet werden kann, wenn man ihn zu einem wirklichen Frieden führt. Es war dann tatsächlich ein ganzes Jahrhundert Friede, von kleineren regionalen Konflikten abgesehen.
Doch schon ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts hat das heidnische Konzept begonnen und zwar mit dem amerikanischen Bürgerkrieg, wo erstmals von der bedingungslosen Kapitulation gesprochen worden ist. Der Versailler Friede nach dem Ersten Weltkrieg war leider auch ein Stück weit von diesem Gedanken getragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man daraus schon einiges gelernt und die Besiegten an der Neuordnung beteiligt.
Das neu entstandene politische Europa hat Vorläufer wie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Was war das Wesentliche an diesem christlichen Reich?
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war eine Gemeinschaft, in der Menschen verschiedener Sprachen, Sitten und Gebräuche gelebt haben. Das Staats- und Kriegskonzept war ausgesprochen christlich und auch von Toleranz gegenüber Andersgläubigen geprägt. Kaiser Karl V. (1500-1558) hat stets von einem Orbis Europaeus Christianus, einem europäisch-christlichen Kreis, gesprochen. Dieser hat, das zeigt die Geschichte, zu allen möglichen Aussöhnungen unter den Völkern führen können.
Trotz der vielen Völker, die ihm angehörten, sprach man damals vom Heiligen Römischen Reich "Deutscher Nation" ...
Ja, aber das war ein ganz anderes Konzept der Nation als dieser enge Nationalismus eines Hitlers oder derer, die zu ihm geführt haben. Das war eine Lebensgemeinschaft, die oftmals verschiedene Sprachen hatte. In früherer Zeit hat man auch in Frankreich von den deutschsprachigen Untertanen des Königs gesprochen. Umgekehrt hat man bei den Deutschen selbstverständlich auch Französischsprachige hinein genommen. Diesen rassistischen Begriff von Nation, unter dem die Welt leidet, den hat es nicht gegeben.
Hat dieses Europa so etwas wie eine spezifische Sendung, einen Auftrag in der Geschichte?
Ein reiner Nationalstaat ist für gewöhnlich aggressiv. Eines der großen Geheimnisse des Heiligen Reiches ist gewesen, dass man selbstverständlich andere Sprachen und andere Religionen akzeptiert hat; die konnten gar keine Kriege gegeneinander führen.
Für mich ist das beste Beispiel die Schweiz. Warum hat die Schweiz eine Neutralität zustande gebracht? Weil sie aus drei Nationen zusammengesetzt ist: Italiener, Deutsche und Franzosen. Ein Kampf mit Ländern der gleichen Nationalität war unmöglich, hätte zu Problemen innerhalb der Schweiz geführt.
Wenn wir jetzt dieses Europa mit den verschiedenen Nationen bilden, werden wir in der Welt genau nach dem Modell der Schweiz eine Art Friedenszentrale werden. Das ist unsere große Aufgabe.
Papst Johannes Paul II. hat immer wieder davon gesprochen, Europa müsse auch eine Seele haben. Wie hat er das gemeint?
Der Kampf um die Seele Europas ist der Kampf um den Gottesbezug in der Verfassung. Wenn die Menschenrechte, die eines der wesentlichen Elemente Europas sind, einen Sinn und einen Inhalt haben sollen, muss es logischerweise einen Gott geben. Denn das Menschenrecht fußt schließlich auf dem Gedanken, dass der Mensch als von Gott erschaffenes Wesen eigene Rechte hat. Aus diesem Grund plädiere ich dafür, den Gottesbezug in die Europäische Verfassung einfließen zu lassen.
Es gibt in Europa großen Widerstand gegen alles, was mit Glaube und Christentum zu tun hat. Wir haben im Europa-Parlament einen Gebetsraum für alle Religionen. Bis wir eine katholische Messe erreicht haben, hat es über drei Jahre Kampf gebraucht.
Die Gegenseite ist heute aktiver denn je. Der Teufel ist immer dort in der Nähe, wo der liebe Gott ist - weil er der Widersacher Gottes ist. Die antichristlichen und antireligiösen Kräfte sind gut vorbereitet, was von unserer Seite nicht behauptet werden kann. Hier gibt es für die Christen noch viel zu tun.
Reicht es denn nicht, wenn man einfach die Menschenrechte in die Verfassung schreibt und sich an diese vernünftigen Grundsätze hält?
Es reicht eben nicht! Hinter all dem muss eine höhere Autorität stehen. Das war der Grund, warum früher Gott in allen Dokumenten erwähnt wurde, jene höhere Autorität, die die Kontinuität der ganzen Sache verbürgt. Wir brauchen einen Gottesbezug in der Europäischen Verfassung, wobei dieser von allen Monotheisten getragen werden sollte.
Wer an Gott glaubt, ist in dieser Frage unser Verbündeter. Auf anderen Gebieten mag es durchaus Differenzen zwischen den Religionen geben. Aber wenn wir die europaweite Perspektive sehen, müssen wir alle Kräfte sammeln und die Menschen vereinen, die an Gott glauben und für einen Gottesbezug in der Europäischen Verfassung eintreten.
Könnte es zu einer Re-Christianisierung oder zu einer Re-Vitalisierung des Christentums in Europa kommen?
Ich bin überzeugt, dass es dazu kommt. Ich sehe viele Zeichen, die das bestätigen. Wer, außer der katholischen Kirche, hätte weltweit solche Jugendtreffen zustande gebracht?
Wir leben in einer Zeit großer Veränderungen. Die Lebensbedingungen sind heutzutage ganz andere als früher. Die junge Generation hat das verstärkte Bedürfnis nach Halt, sie befindet sich auch wieder mehr auf der Suche nach Gott. Diese Chance gilt es zu nutzen.
Vor allem müssen junge, christliche Menschen in die Positionen kommen, wo Entscheidungen, auch für Europa, getroffen werden. Hier müssen sie für ihren Glauben eintreten, hier müssen sie ihren Glauben auch verteidigen.
In einer gewissen Weise müssen sie auch für den Glauben kämpfen. Ich glaube, dass das eine wunderbare Aufgabe gerade für jüngere Leute ist. Sie ist sicherlich nicht leicht, aber sie ist es wert, angepackt zu werden. Wir müssen jedoch unseren Beitrag dazu leisten und dürfen nicht tatenlos anderen das Feld überlassen.
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