Unterwegs nach Assisi: Ein Beitrag von Kurt Kardinal Koch

8. Juli 2011 in Aktuelles


Im Rahmen der Vorbereitung des Tages der Reflexion über Frieden und Gerechtigkeit am 27. Oktober erläutert der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen die Anliegen des Treffens ‚Assisi 2011’. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Am 7. Juli 2011 veröffentlichte die vatikanische Zeitung „L’Osservatore Romano“ einen Beitrag des Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kurt Kardinal Koch, anlässlich des interreligiösen Treffens in Assisi, das für den 27. Oktober 2011 geplant ist. Dabei handelt es sich dem Willen des Papstes gemäß um einen „Tag der Reflexion, des Dialogs und des Gebetes für den Frieden und die Gerechtigkeit in der Welt“, zu dem Vertreter der anderen Religionen sowie der Welt der Kultur und Wissenschaft eingeladen sind, die sich als nichtreligiös und nichtgläubig sehen.

Dies ist zum einen wichtig, da das Thema des Friedens und der Gerechtigkeit unterschiedslos alle Menschen angeht. Zum anderen soll auch hier, wie dies im Zusammenhang mit der vom Päpstlichen Rat für die Kultur organisierten Initiative des „Vorhofes der Heiden“ geschieht, die positive Rolle gesehen werden, die Nichtgläubige oder jene, die sich nur mühsam an die Religion annähern können, für das Selbstverständnis der Religionen spielen können.

Kardinal Koch betont in seiner Wortmeldung, dass die interreligiöse Situation unter anderem dazu geführt habe, dass die Religion, die im heutigen öffentlichen Mainstream nicht selten als gesellschaftlich irrelevanter oder sogar lästiger Faktor betrachtet und deshalb an den Rand des gesellschaftlichen Lebens abgedrängt zu werden pflegt, wieder zu einem Thema im öffentlichen Diskurs geworden sei: „In dieser Entwicklung darf man eine verheißungsvolle Erscheinung wahrnehmen, weil eine Gesellschaft, die dem Göttlichen gegenüber verschlossen ist, interreligiös nicht dialogfähig sein wird, wie Papst Benedikt XVI. in seiner berühmten Vorlesung in Regensburg im Jahre 2006 mit klaren Worten hervorgehoben hat: ‚Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen’“.


Kath.net veröffentlicht den Beitrag von Kardinal Koch im Wortlaut und dankt Seiner Eminenz für die Freundlichkeit, diese wichtige Wortmeldung einem größeren Publikum zugänglich zu machen.


Assisi 2011: Ökumenischer Weg und Dialog mit anderen religiösen Traditionen - Eine Pilgerreise im Zeichen der Wahrheit und des Friedens. Von Kurt Kardinal Koch

Einen „Tag der Reflexion, des Dialogs und des Gebetes für den Frieden und die Gerechtigkeit in der Welt” hat Papst Benedikt XVI. anlässlich des 25. Jahrestages des Ersten „Interreligiösen Treffens zum Gebet für den Frieden“ einberufen. Der 27. Oktober 2011 kann aber nicht einfach eine Wiederholung der unvergesslichen Initiative des Seligen Johannes Paul II. im Jahre 1986 sein, und zwar bereits aus dem entscheidenden Grund, dass in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren die Welt eine andere geworden ist. Das einschneidendste Ereignis in diesem Zeitraum ist zweifellos das Ende der kommunistischen Gewaltregimes im ehemaligen Osteuropa gewesen, das die äußere und innere Landkarte Europas maßgeblich verändert und das der damalige Kardinal Joseph Ratzinger als Sieg der Wahrheit des Geistes und der Religion bezeichnet hat: „Der Geist hat seine Kraft bewiesen; der Posaunenstoß der Freiheit war stärker als die Mauer, die sie in Grenzen halten wollte“ (Joseph Ratzinger, Wendezeit für Europa? Diagnosen und Prognosen zur Lage von Kirche und Welt, Einsiedeln 1991, S. 106) Das Ende des so genannten „Kalten Krieges“, über das Michail Gorbatschow geurteilt hat, es wäre ohne die Tatkraft des Seligen Johannes Paul II. nicht möglich gewesen, hat auch die ökumenische und interreligiöse Situation nicht unwesentlich verändert.

Ökumenische und interreligiöse Entwicklungen

Die große Wende in Europa im Jahre 1989 hat in der ökumenischen Landschaft dazu geführt, dass vor allem die Orthodoxen Kirchen stets deutlicher in den Vordergrund des gesamtchristlichen Bewusstseins getreten sind. Von ihrem Glaubensverständnis und ihrer ekklesiologischen Konzeption her stehen sie uns sehr nahe, auch wenn sie von ihrem historischen und kulturellen Hintergrund als entfernter als die aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften erscheinen mögen. Die Berücksichtigung der Stimme der Orthodoxie ist unabdingbar, um auch bei der Bewältigung der Probleme der westlichen Kirchenspaltung weitere Fortschritte erzielen zu können. Sie verhilft vor allem zu einer „Osterweiterung“ auch in der Ökumene, die für die gesellschaftliche Zukunft Europas von grundlegender Bedeutung ist. Denn die politische Einigung in Europa kann nur gelingen, wenn es auch zu weiteren Annäherungen zwischen Ost- und Westkirche kommt und wenn, wie der Selige Johannes Paul II. immer wieder betont hat, die Kirche in Ost und West wiederum mit zwei Lungen atmet.

In interreligiöser Hinsicht müssen in der heutigen Welt an erster Stelle starke Migrationsbewegungen festgestellt werden, die zu einer folgenreichen Durchmischung der Bevölkerung geführt haben. Diese Entwicklung bedeutet vor allem, dass andere Religionen den Menschen heute nicht mehr als fremdartige Phänomene erscheinen, sondern ihnen als Wirklichkeiten entgegenkommen, denen sie im Alltag begegnen, zumal sie in der alltäglichen Begegnung mit Bekennern anderer Religionen ein persönliches Gesicht erhalten haben. Dies trifft vor allem für den in sich freilich vielgestaltigen Islam zu, der eine in vielen europäischen Ländern wieder oder neu gegenwärtige und, zumal angesichts einer schrumpfenden und immer mehr überalternden angestammten Bevölkerung, sehr schnell anwachsende Religion darstellt. Der interreligiöse Dialog drängt sich von daher um eines gedeihlichen Zusammenlebens der Menschen in der heutigen Gesellschaft geradezu auf.

Die interreligiöse Situation hat auch dazu geführt, dass die Religion, die im heutigen öffentlichen Mainstream nicht selten als gesellschaftlich irrelevanter oder sogar lästiger Faktor betrachtet und deshalb an den Rand des gesellschaftlichen Lebens abgedrängt zu werden pflegt, wieder zu einem Thema im öffentlichen Diskurs geworden ist. In dieser Entwicklung darf man eine verheißungsvolle Erscheinung wahrnehmen, weil eine Gesellschaft, die dem Göttlichen gegenüber verschlossen ist, interreligiös nicht dialogfähig sein wird, wie Papst Benedikt XVI. in seiner berühmten Vorlesung in Regensburg im Jahre 2006 mit klaren Worten hervorgehoben hat: „Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen“.

Pilgerschaft in Frieden und Wahrheit

Diesen Anliegen ist das neue Treffen in Assisi am 27. Oktober 2011 verpflichtet. Es trägt vor allem der Tatsache Rechnung, dass die großen Friedenshoffnungen, die mit dem Sturz der kommunistischen Regimes im Jahre 1989 verbunden gewesen sind, durch die weitere Entwicklung massiv in Frage gestellt worden sind, da das dritte Jahrtausend schon bald mit schrecklichen Eskalationen der Gewalt und mit nicht enden wollenden Szenarien eines erbarmungslosen Terrorismus begonnen hat. In dieser Situation hält es Papst Benedikt XVI. für vordringlich, dass die verschiedenen christlichen Kirchen und Gemeinschaften und die Vertreter anderer Religionen erneut ein glaubwürdiges und engagiertes Zeugnis für Frieden und Gerechtigkeit in der heutigen Welt ablegen. Alle Beteiligten sind vor allem zur Selbstverpflichtung eingeladen, öffentlich zu bekunden und sich dafür einzusetzen, dass Glaube und Religion sich in keiner Weise mit Feindschaft und Gewalt vertragen, dass sich Glaube und Religion vielmehr auf Friede und Versöhnung reimen.

Für die christliche Ökumene muss sich diese Einsicht von selbst verstehen. Denn die Ökumenische Bewegung ist seit ihren Anfängen selbst eine Friedensbewegung, die dem Frieden zwischen den Christen und kirchlichen Gemeinschaften auf den Wegen der Reinigung des historischen Gedächtnisses, der Überwindung der Ursachen der vielfältigen Kirchenspaltungen, der Versöhnung alter Feindschaften und der wechselseitigen Anerkennung als Brüder und Schwestern Jesu Christi dienen will, um ihre Einheit in Christus wiederzufinden.

Auch wenn es im interreligiösen Dialog nicht um solche Einheit gehen kann, sondern um gegenseitige Achtung, Förderung des wechselseitigen Verstehens und solidarisches Zusammenwirken im Aufbau einer friedlichen und gerechten Welt, so steht und fällt auch der interreligiöse Dialog mit konkreten Gesten der Versöhnung, und zwar in der Überzeugung, dass Friede nur dort entstehen kann, wo nicht Hass und Gewalt, sondern gegenseitiges Verstehen und friedliche Zusammenarbeit den Weg in die Zukunft weisen und deshalb der Friede das gemeinsame Bestreben aller Religionen ist.

Von daher leuchtet auch der eigentliche Grund auf, dass Papst Benedikt XVI. das Treffen in Assisi unter das menschheitliche Leitwort der Pilgerschaft stellt, und zwar einer konkret benennbaren: „Pilger der Wahrheit, Pilger des Friedens“. Friede ist nur dort möglich, wo Menschen sich als authentische Gott-Sucher auf den Weg der Wahrheit machen. Denn der Friede liegt in der Wahrheit selbst, wie Papst Benedikt XVI. bereits in seiner ersten Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2006 hervorgehoben hat, „dass der Mensch, wo und wann immer er sich vom Glanz der Wahrheit erleuchten lässt, fast selbstverständlich den Weg des Friedens einschlägt“.

Reflexion, Dialog und Gebet

Die geschichtliche Erfahrung zeigt zur Genüge, dass die Leugnung der Wahrheit oder auch die Gleichgültigkeit ihr gegenüber bereits das Gift des Unfriedens in die menschlichen Beziehungen einspritzen und dass umgekehrt wirkliche Begegnung der Religionen gerade nicht durch Verzicht auf die Wahrheit, sondern nur durch ein vertieftes Eingehen in sie hinein möglich ist. Mit dieser grundlegenden Einsicht soll das Treffen in Assisi in erster Linie ein „Tag der Reflexion“ sein.

Reflexion auf den Frieden gelingt aber nicht in einer „splendid isolation“ der Einzelnen, sondern nur im gemeinsamen Zugehen auf seine Wahrheit. Das zweite Leitwort des Treffens in Assisi heißt deshalb: „Tag des Dialogs“. Da der Friede von seiner hebräischen Sprachwurzel her, in der „schalom“ in erster Linie ein Grußwort ist, ein Wort der Beziehung ist, kann sich seine Reflexion nur im Dialog vollziehen, im gemeinsamen Austausch glaubender Menschen darüber, wie sie in der Begegnung mit Gott der tiefsten Wurzel des Friedens ansichtig geworden sind und damit eine Wirklichkeit berührt haben, die anderen religiösen Menschen nicht unbekannt sein kann. Nur wenn interreligiöser Dialog nicht einfach ziellose Unterhaltung ist, sondern auf Wahrheitsfindung zielt, kann er zum gemeinsamen Zuhören auf den einen Logos Gottes werden, der uns den Frieden auch mitten in unseren Differenzen, Widersprüchen und selbst noch vorhandenen Trennungen offenbart.

Für glaubende Menschen versteht es sich schließlich von selbst, dass ein „Tag der Reflexion und des Dialogs“ auch ein „Tag des Gebetes“ für den Frieden sein muss. Denn das Gebet ist nicht nur die primäre Artikulation des Glaubens; im Gebet stoßen wir vielmehr auch auf den innersten Kern des Friedens, nämlich den Frieden des einzelnen Menschen mit Gott. Die Einkehr in den Frieden mit Gott, der die Quelle allen Friedens, ja selbst der Friede ist, ist der entscheidende Weg, auch den Frieden zwischen den Menschen, Nationen und Völkern zu finden. Es ist kein Zufall, dass Jesus die Zumutung der Feindesliebe mit der Aufforderung zum Gebet verbindet. Das Gebet erweist sich so als Intensivstation der Versöhnung. Nur der Weg zum inneren Frieden mit Gott erweist sich als Weg, auf dem auch äußere Taten des Friedens zwischen Menschen und Völkern möglich werden.

Versöhnung durch grenzenlose Liebe

Ein solcher „Tag des Gebetes“ darf natürlich keinen Anlass für ein synkretistisches Missverständnis geben. Vielmehr ist jede Religion eingeladen, jenes Gebet vor Gott zu tragen, das der jeweiligen Religion entspricht. Gemäß der Überzeugung des christlichen Glaubens kommt aller Friede, nach dem die Menschen sich heute so sehr sehnen, von Gott, der in Jesus Christus seine Urabsicht offenbart hat, die „Leben in Frieden“ heißt (1 Kor 7, 15). Von diesem Gottesfrieden sagt der Kolosserbrief, er sei „am Kreuz durch das Blut“ Jesu Christi gestiftet worden (1, 20). Da das Kreuz Jesu jeder Vergeltungsforderung absagt und alle in die Versöhnung ruft, ist es als der ständige und universale Yom Kippur über uns aufgerichtet, der keine andere „Vergeltung“ kennt als das Kreuz Jesu, wie Papst Benedikt XVI. dies sehr tief ausgesprochen hat: „Seine ‚Rache’ ist das Kreuz: das Nein zur Gewalt, die ‚Liebe bis zum Ende’“ (Predigt zur heiligen Messe in München, 10. September 2006).

Als Christen verletzten wir keineswegs den Respekt vor anderen Religionen, sondern wir fördern ihn, wenn wir uns, zumal in der heutigen Situation, in der Gewalt und Terror auch im Namen von Religion ausgeübt werden, zu dem Gott bekennen, der der Gewalt sein Leiden entgegengestellt und am Kreuz nicht mit Gewalt, sondern mit Liebe gesiegt hat. Das Kreuz Jesu steht deshalb dem interreligiösen Dialog keineswegs im Weg; es weist vielmehr den entscheidenden Weg, dass sich vor allem Juden und Christen, aber auch Muslime und Bekenner anderer Religionen, in einer tiefen inneren Versöhnung gegenseitig annehmen und so für die Welt zu einem Ferment des Friedens und der Gerechtigkeit werden sollten. Dass das Treffen von Assisi uns einen wesentlichen Schritt auf diesem Weg voranbringt, dies möge die Gebetsintention in der Vorbereitungszeit auf diese großartige Initiative von Papst Benedikt XVI. sein.



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