Hesemann: Die Kirche muss wieder katholischer werden!

13. September 2011 in Chronik


Der Historiker Michael Hesemann auf dem Kongress 'Freude am Glauben': Das Evangelium in seiner Reinheit und Klarheit ohne jede Relativierung zu vermitteln, darin liegt der Auftrag, darin liegt die Zukunft der Kirche.


Karlsruhe (kath.net) Wie wird eigentlich „jemand Priester, der nicht jeden Satz im Apostolischen Glaubensbekenntnis mit seinem Herzensblut unterschreiben könnte?“ Das fragte der Historiker Michael Hesemann am vergangenen Sonntag in seinem Vortrag beim Kongress „Freude am Glauben“ in Karlsruhe.

Der Historiker nannte es weiter „bezeichnend, dass es gerade deutsche Staatsbeamte mit dem Lehrfach katholische Theologie waren, aus deren Reihen die Forderungen des ‚Memorandums‘ laut wurden. Es ist eine bedauernswerte Tatsache, dass zumindest einige dieser Staatstheologen mehr zum Glaubensverlust beigetragen haben als zur Stärkung der Kirche“.


kath.net dokumentiert den Vortrag von Michael Hesemann „Aufbruch im 21. Jahrhundert“ auf dem Kongress „Freude am Glauben“ in Karlsruhe am 11. September 2011 in voller Länge:


Eminenzen, Exzellenzen, Hochwürdige Herren, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde!

Nur wenigen von Ihnen wird in diesem Augenblick wohl bewusst sein, dass sich im nächsten Jahr eines der großen Ereignisse der Weltgeschichte wie auch der Kirchengeschichte jährt – nicht weniger nämlich als der 1700. Jahrestag der Geburt des christlichen Europas!

Am 27. Oktober 312 siegte Konstantin der Große in der Schlacht am Ponte Milvio über den Christenverfolger Maxentius, der von Rom aus herrschte. Damit endete zumindest im Westen die Ära der Christenverfolgungen. Mit dem sogenannten Toleranzedikt von Mailand vom 13. Juni 313 wurde das Christentum offiziell im Osten wie im Westen des Reiches zur „religio licita“, zu einer legalen, vom Staat geschützten Religion: die „Mailänder Vereinbarung“ – wie man sie heute unter Historikern nennt - garantierte jedem römischen Bürger die freie Wahl seines Glaubens und seiner Religionsausübung. Alle in den Zeiten der Verfolgung beschlagnahmten Güter wurden den Christen nun zurückerstattet. Zwölf Jahre später, er hatte mittlerweile auch den Osten des Reiches unter seine Herrschaft gebracht, versammelte Konstantin der Große die christlichen Bischöfe zum Konzil von Nicäa, um das Bekenntnis dieses christlichen Glaubens verbindlich zu definieren.

Damit endete für die Kirche die Zeit der Verfolgung, die gerade unter Konstantins Vorgänger Diokletian mit zehntausenden von Märtyrern ihren blutigen Höhepunkt erreicht hatte, die Zeit im Untergrund. Sie wurde Teil der Gesellschaft. Schon vorher hatte sie ihre Anhänger aus allen Schichten der römischen Bevölkerung gewonnen, jetzt aber konnten Christen offen auftreten, ohne dass sie das Martyrium erwartete, konnten die Gesellschaft prägen und sie verändern. Mit Erfolg: Noch bevor das 4. Jahrhundert zuende ging, war das Christentum Staatsreligion im römischen Reich, war die Kirche stark genug, den Kaiser zu maßregeln – wie es Bischof Ambrosius von Mailand mit Kaiser Theodosius tat –, war das christliche Abendland geschaffen.

Nun kann man dem ersten christlichen Kaiser, der sich erst auf dem Sterbebett taufen ließ, gerne menschlich vorwerfen, was man will, und er war gewiss auch ein Machtmensch und kein lupenreiner Heiliger, auch wenn die Ostkirche ihn als einen solchen verehrt. Doch der Mann, der die Weichen hin zum Durchbruch des Christentums im Imperium Romanum stellte, war nun mal Konstantin der Große! Und das Ereignis, das ihn dorthin trieb, das die Wende in seinem Leben markierte, das fand in den Tagen vor der Schlacht an der Milvischen Brücke statt, irgendwann im Oktober des Jahres 312. Da nämlich hatte der Kaiser auf dem Marsch nach Rom eine Vision, wie uns sein Biograf und Zeitgenosse, Bischof Eusebius von Caesarea, überlieferte und sich dabei auf das persönliche Zeugnis des Kaisers berief. Laktanz, der Lehrer seiner Söhne, bestätigte die Vision zudem in seiner Konstantin-Biografie: Zuerst sah der Kaiser am Himmel das Zeichen des Kreuzes, dann, in der darauffolgenden Nacht, erschien ihm im Traum Christus, der ihm auftrug, dieses zu seiner Standarte zu machen und auf die Schilde seiner Soldaten malen zu lassen. „In hoc signo vinces“ – „In diesem Zeichen sollst du siegen!“ lautete das göttliche Versprechen, das dann mit dem Sieg über Maxentius auch wahr wurde.

Dabei ist von sekundärer Bedeutung, ob er tatsächlich das Kreuz oder das Christusmonogramm Chi-Rho zu seinem Feldzeichen machte, das immerhin auch einem liegenden Kreuz zu Füßen des stehenden „Rho“ gleicht, aber auch, nun lateinisch gelesen, an das Wort „PAX“=Frieden erinnert. Denn spätestens 13 Jahre später, als Konstantins Mutter Helena nach Jerusalem aufbrach und bei den Bauarbeiten zur Grabeskirche das Wahre Kreuz des Herrn entdeckte, war die „Rivalität der Symbole“ eindeutig entschieden: Fortan war das Kreuz, das Symbol unserer Erlösung, das Wappenzeichen des christlichen Europas, blühte über anderthalb Jahrtausende lang Europa unter dem Kreuz.

Damit begann im Herbst 312 eine historisch einmalige Erfolgsgeschichte, die, bei allen Höhen und Tiefen, bei allem, was sich unsere Vorfahren leider auch im Namen der Kirche und des Christentums zuschulden kommen ließen, in der Grundtendenz eine segensreiche war. Denn anstelle der Sklaverei trat eine Gesellschaft der Freien, anstelle heidnischer Lebensverachtung die christliche Achtung vor dem menschlichen Leben, anstelle barbarischer Hinrichtungen, die dem Volksvergnügen dienten, trat eine menschlichere Justiz, anstelle heidnischer Menschen- und Tieropfer die Feier der Eucharistie, anstelle eines stoischen Fatalismus eine Religion der Hoffnung. Und wenn wir heute, 1700 Jahre später, auf die Errungenschaften dieses Kontinentes und seiner Zivilisation zurückblicken, dann müssen wir zugeben, dass sie eben nicht nur auf den Nährboden der griechisch-römischen Welt zurückgehen, sondern eben gerade auf seine „Bewässerung“ mit dem Wasser der Taufe, auf seine Befruchtung durch das Christentum: Universitäten und Krankenhäuser, Sozialfürsorge und Entwicklungshilfe, Bildungssysteme und Menschenrechte wären ohne die Botschaft des Evangeliums nie denkbar gewesen. Um es ganz drastisch zu formulieren: Dass heute keine Menschen mehr als Eigentum eines anderen gelten, das dieser nach Belieben ausbeuten und quälen konnte, während ihr Leben so wenig Wert hatte, dass man sie auch zur sadistischen Unterhaltung an Tiere verfüttern konnte, ja dass es überhaupt keine Gruppe von „Rechtlosen“ mehr gibt, dass stattdessen eine Kultur der Gleichwertigkeit aller Menschen entstand, der Fürsorge und der Solidarität, das verdanken wir einzig und allein dem Christentum!

Es gibt ein großartiges Buch, das unlängst auch auf Deutsch im Resch Verlag erschien und das der amerikanische Soziologieprofessor Alvin J. Schmidt verfasste: „Wie das Christentum die Welt veränderte“. In 15 Kapiteln, auf 494 Seiten, stellt er darin den Einfluss des Evangeliums auf Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur der letzten 1700 Jahre dar: Von der Heiligung des menschlichen Lebens bis zu Krankenhäusern und Gesundheitsfürsorge, von der Rolle der Frau, die endlich Würde und Freiheit erlangte, bis zum allgemeinen Bildungswesen und der Wissenschaft, von der Heiligung der Arbeit bis zur Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Sogar die Trennung von Staat und Kirche, so weist der Soziologe anhand der Schriftworte in Mt 22,21 und Röm 13,1 nach, ist ein urchristliches Konzept. Dabei vergaß Schmidt nicht, dass diese Religion, wie keine andere, die Menschen immer wieder zu Höchstleistungen inspirierte: Auf den Gebieten von Kunst und Literatur ebenso wie im Bereich der Musik. In seinem Buch „How the Catholic Church Built Western Civilization“ – „Wie die katholische Kirche die westliche Zivilisation aufbaute“ – bestätigt sein Kollege, der US-Historiker Thomas E. Woods, ein Absolvent der Eliteuniversität Harvard, diese Einschätzung. In seinem Vorwort widerspricht er deutlich dem gängigen Klischee, die Kirche sei ein Hort der Ignoranz, der Unterdrückung und der Stagnation. Er zitiert den Historiker Philip Jenkins mit den Worten: „Antikatholizismus ist der Antisemitismus der Popkultur“ – das einzig „politisch korrekte“ Vorurteil, das man sich noch leisten kann, seit der Antisemitismus – Gott sei Dank! – aus der Mode geraten ist und Antiislamismus unter den Gutmenschen unserer Tage auch nach dem 11. September 2001 noch als obszön gilt. Dabei, so Woods, sei es eine Tatsache: „Die katholische Kirche hat die Zivilisation, in der wir leben und deren Kinder wir sind, geformt... sie war ihr Baumeister. Sie hat nicht nur die moralisch verkommenen Aspekte der antiken Welt – von der Kindstötung bis zu Gladiatorenspielen – überwunden, sondern hat nach Roms Untergang die Zivilisation erneuert und vorangetrieben. Ohne sie wären wir noch alle Barbaren.“

Auch in Europa macht sich diese Erkenntnis breit. Erst vor wenigen Wochen erschien in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft das Werk des Franzosen Sylvain Gouguenheim: „Aristoteles auf dem Mont Saint-Michel“, in dem dieser historisch solide nachweist, dass eben nicht – wie so gerne behauptet – der Islam die großen Denker der Antike durch das angeblich so dunkle Mittelalter hindurch rettete, sondern dass es die europäischen Klöster waren, in denen antikes Gedankengut und Schrifttum nicht nur überdauerte, sondern gepflegt und gelehrt wurde.

Angesichts dieser Errungenschaften des christlichen Europas ist es geradezu absurd, dass man versucht, diese Fakten unter den Teppich zu kehren, so, als sei Christentum ein Relikt der Vergangenheit, dessen man sich fast schon schämen müsse. Besonders deutlich wird diese Tendenz in den Entscheidungen der Europäischen Union. Die verwehrt sich nicht nur entschieden gegen die vermeintliche Unterstellung des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, sie sei „ein Christenclub“, sie tut auch alles, um zu beweisen, dass sie gerade das nicht ist. Bestimmt ist es kein Zufall, wenn ausgerechnet die christlichen Feiertage in einem EU-Kalender fehlen, wo man doch peinlich genau darauf achtete, dass jedes islamische, buddhistische und pagane Fest, ja sogar die Feiertage der Hindus und Sikhs in diesem vermerkt werden. Fast wäre sogar das Kreuz in den Klassenzimmern der Schulen für rechtswidrig erklärt worden, zumindest nach einer Entscheidung vom November 2009; erst mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wurde dieses skandalöse Urteil dann doch am 18. März 2011 aufgehoben. Doch nach wie vor wird durch „Antidiskriminierungsgesetze“ und die „Gender-Agenda“ das christliche Menschenbild ausgehöhlt, wird durch die Einführung von Homo-Ehen die Familie als Keimzelle der christlichen Gesellschaft zur Farce erklärt. In der Europäischen Verfassung jedenfalls soll gerade nicht an die christliche Identität unseres Kontinentes erinnert werden. Und das Kreuz, es verschwindet jetzt halt schweigend aus den Schulen, den Gerichten, aus Hotelzimmern und Krankenhäusern. Man könnte ja Andersgläubige damit provozieren, lautet die geheuchelte Entschuldigung, als ginge es etwa den vier Millionen Muslimen in Deutschland nicht trotzdem recht gut, als stünde es nicht auch ihnen frei, hierzulande Kopftücher zu tragen und ihre Taxis mit islamischen Gebetsschnüren auszustatten, was sie ja auch gerne tun können. Nur wir fühlen uns verpflichtet, uns zu verstecken, so als lebten wir noch in den Zeiten der Verfolgung oder würden diesen schon wieder entgegensehen.

Doch gerade das sollten, das dürfen wir nicht mit uns geschehen lassen! Schon deshalb, um diesem starken Symbol, unter dem Europa so kraftvoll und unbeirrt durch die Wirren der Zeit schritt, wieder zur Geltung zu verhelfen, müssten wir Christen in Europa mutig gegen die Verdrängung des Kreuzes angehen. Deshalb plädiere ich dafür, das Jahr 2012/13 als „europäisches Jahr des Kreuzes“ zu begehen, als Gedenkjahr an die Geburt des christlichen Abendlandes vor 1700 Jahren. Ein solches Jahr wäre eine Einladung an die Gläubigen aller christlichen Kirchen, gerade auch der Ostkirchen, sich im Zeichen des Kreuzes zu sammeln, ihren Glauben zu bekennen und erneut für eine Kultur der Achtung vor dem Leben, der Liebe und des Vertrauens in Gott zu arbeiten. Und es wäre eine mutige Antwort auf jene atheistischen Kräfte, die das Kreuz immer weiter aus dem öffentlichen Raum verdrängen wollen. Wie viele schöne Aktionen könnte es inspirieren? Wie viele fruchtbare Diskussionen, die der immer größer werdenden Zahl an Unwissenden vermitteln könnten, wofür das Kreuz denn wirklich steht – dass es von Christus transformiert wurde, vom Galgen der Niederlage zur Standarte des Triumphes, vom Folterinstrument zum Symbol der Hoffnung und der Überwindung des Leidens, ja zur universalen Ikone des Mitgefühls und der Solidarität, hat doch Gott Selbst das Kreuzesleiden auf sich genommen, um Sich mit allem Leid der Welt zu vereinen und die Leidenden zu trösten und uns alle zu erlösen.

Der wichtigste Aspekt neben der Rückbesinnung auf die Bedeutung des Kreuzes wäre seine Rückkehr in die öffentlichen Räume. Da ist jeder Einzelne von uns gefragt. Preiswerte Kruzifixe kann man auf jedem Flohmarkt und im Internet erwerben. Aber genial wäre es, wenn sich jeder von uns stark macht, dass in jedem Klassenzimmer, in jedem Krankenhauszimmer, in jedem Gerichtssaal, jeder Amtsstube und über jedem Hotelbett bald wieder ein solches hängt! Machen Sie mit bei diesem „Kreuzzug für das Kreuz“, es lohnt sich, denn das Kreuz kann uns helfen, unsere christliche Identität wieder zu finden!

Ihrer Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Lassen Sie unser Europa wieder christlich werden!

Doch eine noch größere Gefahr als die Säkularisierung unserer Zivilisation ist die Säkularisierung unserer Kirche. Denn wer die Kirche zerstört oder zumindest zur Unkenntlichkeit zurechtstutzt, der schneidet unseren Kontinent von seiner Kraftquelle ab. So nutzen die Feinde dieser Kirche, die schon Jesus Christus, unser Herr, mit den „Mächten der Unterwelt“ gleichgesetzt hat (in Mt 16,18), jede Möglichkeit, eine Kirche zu fordern, die nicht etwa moralische und ethische Maßstäbe setzt, sondern der laxen Moral und Ethik unserer Zeit unterworfen sein soll. Als Druckmittel werden dabei aufgeplusterte Skandale und massive Medienkampagnen benutzt. Ist die moralische Integrität der Kirche erst einmal kompromittiert, drohen ihr nach einer solchen Kampagne durch Mitgliederrückgang auch finanzielle Einbußen – die Lauesten lassen sich bekanntlich schnell abschrecken oder finden zumindest einen bequemen Vorwand, um sich fortan die ungeliebte Kirchensteuer zu sparen – dann, so glauben diese Kreise, ist es an der Zeit, an die Kirche Forderungen zu stellen, die natürlich sofort zu „Bedingungen für ihren Fortbestand“ aufgebauscht werden. Da geht es dann bei dieser „Forderung nach Reformen“ gleich um nicht weniger als die Aufgabe der priesterlichen Nachfolge Christi und des ganzen christlichen Menschenbildes samt seiner biblisch und naturgesetzlich begründeten Definition von Ehe und Familie. So geschehen zu Anfang dieses Jahres in dem berühmt-berüchtigten „Memorandum“ theologischer Alt-1968er. Wie wenig diese Forderungen mit den Wünschen der treuen Kirchgänger, d.h. der „katholischen Basis“, zu tun haben, beweist jedoch die Gegenreaktion: Fast 14.000 kirchentreue Christen – Priester wie Laien, Akademiker wie Handwerker, kurzum: ein gesunder Querschnitt durch das nach wie vor gesunde Kirchenvolk – unterschrieben daraufhin die „Petition pro Ecclesia“ und bekundeten ihre Treue zum Lehramt. Leider wurden trotzdem ausgerechnet die Initiatoren dieser Initiative ignoriert, als die DBK im Sommer 2011 ihre „Dialoginitiative“ startete.

Dabei, liebe Freunde, braucht unsere Kirche dringend Reformen. Aber diese Reformen dürfen eben gerade nicht zu einer weiteren Verwässerung unseres Glaubens und unserer Werte führen, sondern sollten, im Gegenteil, eine Selbstreinigung bewirken. Natürlich kann und will auch ich nicht bestreiten, dass die Kirche in Deutschland in einer Krise steckt. Doch es ist mehr eine Sinnkrise denn eine Krise der Form oder der Inhalte. Eine Lösung aber lässt sich nur dort finden, wo ihre Kernbotschaft beheimatet ist: Im Evangelium, im Zeichen des Kreuzes! Nur wenn sie diese Botschaft konsequent lebt, kann die Kirche „in diesem Zeichen siegen“, kann sie eins mit dem Felsen sein, den die Mächte der Unterwelt eben nicht überwinden können – mit Petrus, mit dem Papst.

Es ist bezeichnend, dass es gerade deutsche Staatsbeamte mit dem Lehrfach katholische Theologie waren, aus deren Reihen die Forderungen des „Memorandums“ laut wurden. Es ist eine bedauernswerte Tatsache, dass zumindest einige dieser Staatstheologen mehr zum Glaubensverlust beigetragen haben als zur Stärkung der Kirche. Und es ist noch schlimmer, dass jene, die nach Reformen rufen, zwar auf die Symptome verweisen, aber die Ursachen ignorieren.

Wir sehen etwa die traurigen, ja erschütternden Mißbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Sie sind so furchtbar, weil sie so unvorstellbar sind. Wie kann ein Priester mit den gleichen Händen, mit denen er Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandelt, Unzucht üben? Das ist nicht nur pervers, es ist geradezu schizophren. Es ist entweder Symptom einer psychischen Krankheit oder einer tiefen Glaubenskrise.

Die Missbrauchskrise ist nur ein Produkt einer desorientierten Zeit. Denn viel größer als die Zahl der Priester, die moralischer Verfehlungen schuldig wurden, ist die Zahl derer, die an Glaubenszweifeln leiden. Umfragen haben gezeigt, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil des Klerus an fundamentalen Glaubenswahrheiten scheitert. Doch wie kann ein Priester, der nicht an die leibliche Auferstehung Jesu oder die Realpräsenz des Herrn in der Eucharistie glaubt, seine Gemeinde „im Glauben stärken“? Und, zunächst einmal: Wie wird überhaupt jemand Priester, der nicht jeden Satz im Apostolischen Glaubensbekenntnis mit seinem Herzensblut unterschreiben könnte? An den Privilegien des Priesterberufes wird es heute, im 21. Jahrhundert, gewiss nicht liegen. Schon deshalb ist davon auszugehen, dass der allergrößte Teil unserer Priester bei Seminareintritt eine genuine Berufung und Glaubensüberzeugung in sich getragen hat. Doch was hat dann diese innere Flamme gelöscht, statt sie zu nähren?

Ich denke, es ist eine Theologie, die längst vor dem Relativismus in die Knie gegangen ist. „Nach Rom gegangen, den Glauben verloren“, war einmal ein böses Wort unter Spöttern, die den allzu barocken Lebensstil in der Ewigen Stadt anprangerten, der heute, zum Glück, weitgehendst der Vergangenheit angehört. Doch es ist längst ersetzt worden durch ein anderes Spottwort: „Theologie studiert, den Glauben verloren“! Es ist kein Geheimnis, dass die katholische Theologie seit rund einem halben Jahrhundert die protestantischen Kollegen der Bultmann-Schule quasi von links zu überholen versucht. Vom „Großen Haereticum“ sprechen irritierte und frustrierte Studenten, deren jugendlicher Glaubenseifer in formgeschichtlichen Spekulationen erstickt wird und zitieren dabei gerne einen Witz, der eigentlich ein Trauerspiel ist: „Haben Sie gehört, Herr Kollege, in Jerusalem hat man das Grab Jesu entdeckt. Sein Leichnam lag noch drin!“, meint ein Theologieprofessor „Das kann ich nicht glauben“, erwidert der Angesprochene, der dem Vernehmen nach seinen Lehrstuhl in Tübingen hat: „Das hieße ja, er hätte wirklich gelebt!“ Leider pointiert dieser vermeintliche Witz, was unter Mainstream-Theologen längst als abgemacht gilt: Dass die Evangelien „natürlich“ nur möglichst spät entstandene Gemeindetraditionen reflektieren, dass das Osterereignis symbolisch zu verstehen ist, dass wir es gewissermaßen mit einem Mythos zu tun haben, dessen historischer Kern allenfalls das Wirken eines jüdischen Wanderpredigers, aber gewiss nicht die Menschwerdung Gottes sei. Ja sie halten den Herrn sogar für einen am Kreuz gescheiterten Weltuntergangspropheten, dessen Anhänger ihm all das, was wir glauben, angedichtet hätten, weil sie sein Scheitern nicht wahrhaben wollten – das jedenfalls lehrt die sog. „Bultmann-Schule“ der „historisch-kritischen Exegese“. Das führte längst zu der geradezu absurden Situation, dass Archäologen und Historiker, die immer wieder staunend mit der Exaktheit der neutestamentlichen Berichte konfrontiert werden und deshalb für deren Frühdatierung in die Zeit der Augenzeugen plädieren, dabei auf den heftigen und oft lautstarken Widerstand von Theologen stoßen.

Ich denke, hier finden wir den Augiasstall des Unglaubens, der aufgeräumt werden muss! Eine Kirche, die ihre ureigenen Wurzeln und damit ihre Sendung infrage stellt, kann keine gesunden Triebe hervorbringen. Professoren, die konsequent das Übernatürliche leugnen und nicht an die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth zu glauben bereit sind, erziehen keine heiligen Priester sondern solche, die von Glaubenszweifeln geplagt werden und ohne moralische Direktive den eigenen Schwächen erliegen. Ja, die Kirche braucht Reformen. Sie muss wieder katholischer werden und sich selbstbewusst vor jeder Verwässerung ihrer heiligen Lehre schützen!

Das ist der Aufbruch, den wir heute, im Dritten Jahrtausend so dringend brauchen. Zurück zum Kreuz! Zurück zu Christus, liebe Freunde! Das ist doch, was wir der drohenden Islamisierung Europas entgegensetzen müssen, die Reevangelisierung, die Rechristianisierung unseres Kontinentes. Und eben dazu bietet 2012/3, das „Jahr des Kreuzes“, eine historische Chance. Den ersten Schritt dazu aber tut jetzt der Heilige Vater.

„Wo Gott ist, da ist Zukunft“, lautet das Motto, unter das unser Papst Benedikt XVI. seinen Deutschlandbesuch in elf Tagen gestellt hat. „Ubi Petrus, ibi Ecclesia“, wo Petrus ist, da ist die Kirche, sagten der heilige Augustinus wie der heilige Ambrosius. Wo aber die Kirche ist, so ergänzte der heilige Josef-Maria, da ist Gott. Petrus, Kirche, Gott und Zukunft – diese vier Begriffe sind so wenig voneinander zu trennen wie die vier Jahreszeiten oder die vier Evangelien. Ohne Petrus keine Kirche, keine Vermittlung der Gnade Gottes, keine Zukunft. Auf dem Felsen Petri hat der Herr Seine Kirche erbaut und versprochen: „Die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18). Sie hat Zukunft, ja sie ist Zukunft, denn sie wird sein bis zur Wiederkunft des Herrn. Die gottlosen Regime des 20. Jahrhunderts, die sich selbst in die Tradition des vorchristlichen Heidentums stellten, sind mahnende Zeichen dafür, wohin der Mensch steuert, wenn er eine Zukunft ohne Gott plant. Es ist eine makabre Ironie der Geschichte, dass gerade jene Ideologien, die eine Selbsterlösung der Menschheit anstrebten, zur größtmöglichen Zerstörung und Vernichtung menschlichen Lebens führten, sei es durch Völkermord, Euthanasie oder die Abtreibung ungewollter Kinder. Auch das dritte Kind des unseligen 20. Jahrhunderts, der hemmungslose Raubtierkapitalismus mit seiner krankhaft unbegrenzten Gier, liegt gerade in den letzten Zügen. Die Menschen sehnen sich nach echten Werten, nach Menschlichkeit, nach Orientierung in der Krise. Diese fanden sie zu allen Zeiten im Evangelium Jesu Christi. Ihnen dieses Evangelium in seiner Reinheit und Klarheit ohne jede Relativierung zu vermitteln, darin liegt der Auftrag, darin liegt die Zukunft der Kirche.

Wir können beten und hoffen, dass der Besuch des Heiligen Vaters in elf Tagen auch hierzulande die Weichen neu stellt.

Möge er zu einem neuen Aufbruch in ein Europa im Zeichen des Kreuzes führen, gerade jetzt, 1700 Jahre nach der Vision des Konstantin. Doch eben das kann nur gelingen, wenn jeder Einzelne von uns dazu seinen Beitrag leistet.

Möge der Herr Sie und uns alle dabei segnen!
Danke.

Foto Michael Hesemann: © kath.net


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