Papstbesuch: Evangelikale und Freikirchen ziehen Bilanz

27. September 2011 in Deutschland


Die evangelischen Reaktionen sind weithin positiv – Bekennende Gemeinschaften: Ein Gewinn für alle


Wetzlar (kath.net/idea) Ein weithin positives Fazit des Deutschlandbesuchs von Papst Benedikt XVI. haben führende Vertreter der theologisch konservativen Protestanten und der Freikirchen gezogen. Sie äußerten sich in Beiträgen für die Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar).

Der Vorsitzende der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Pastor Ulrich Rüß (Hamburg), würdigte das „unerschütterliche Eintreten“ des Papstes für die Erneuerung des Glaubens und der Umkehr zu Gott. Damit sei der Besuch für alle Christen in Deutschland bei aller konfessioneller Verschiedenheit Ermutigung und Gewinn gewesen. Kein Papst habe den Reformator Martin Luther (1483-1546) so gewürdigt wie Benedikt XVI., sagte Rüß zur Begegnung mit evangelischen Kirchenvertretern am 23. September im Erfurter Augustinerkloster, wo Luther sechs Jahre als Mönch lebte. Dort bekannte der Papst, dass auch ihn die zentrale Lebensfrage des Reformators „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ immer wieder neu treffe.

Rüß bezeichnete die Äußerungen des Papstes als ein ökumenisches Zeichen von historischem Rang. Er ist überzeugt: „In dem Maße, wie sich die evangelische Kirche im Sinne dieses christuszentrierten Glaubens gegen allen zeitgeistbestimmten Säkularisierungsdruck erneuert, gibt es Fortschritte in der Ökumene.“

Parzany: Wenig Erwartungen an „ökumenische Tarifverhandlungen“

Der Leiter der evangelistischen Aktion ProChrist, Ulrich Parzany (Kassel), begrüßte die Aussage des Papstes, dass angesichts des Säkularisierungsdrucks „nicht Verdünnung des Glaubens hilft“, sondern „tiefer und lebendiger zu glauben“. Im Blick auf ausgebliebene Ergebnisse für die Ökumene schreibt Parzany: „Von ökumenisch-theologischen Tarifverhandlungen habe ich nie viel erwartet. Also konnte ich in dieser Hinsicht auch nicht enttäuscht werden.“ Der Präsident der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF), Präses Ansgar Hörsting (Witten), würdigte die Ansprachen des Papstes als „intellektuell anspruchsvoll, geistlich anregend und zeitgeistig inkorrekt“. Benedikt XVI. wolle die Welt nicht dem rein Funktionalen und dem „Diktat des Relativen“ überlassen. Hörsting zufolge ändert der Besuch für das Miteinander von Protestanten und Katholiken nichts: „Nichts zum Guten und nichts zum Schlechten.“

Bischöfin Wenner: Was gut war und was enttäuschte

Die Vizepräsidentin der VEF, die evangelisch-methodistische Bischöfin Rosemarie Wenner (Frankfurt am Main), war bei der Begegnung in Erfurt dabei und zieht ein gemischtes Fazit. Sie begrüßt, dass der Papst „so deutlich von dem gelebten Glauben sprach“. Die geistliche Ökumene, die im tieferen Hineinwachsen in Christus bestehe, sei wichtig. „Gleichzeitig war das Nein des Papstes zu konkreten Schritten auf dem Weg zur sichtbaren Einheit enttäuschend.“

Auch die Erzieherin Tabea Dölker (Holzgerlingen bei Stuttgart), die den Pietismus im Rat der EKD vertritt, nahm an dem Gespräch mit dem Papst teil. Nach ihren Worten war die Begegnung von der Klarheit des gemeinsamen Christuszeugnisses bestimmt. Daher bleibe die Hoffnung, dass die ungelösten Fragen zwischen beiden Seiten gemeinsam weiterbearbeitet werden.

Der Generalsekretär des CVJM-Gesamtverbandes, Roland Werner (Kassel), sieht zwar angesichts der römisch-katholischen Lehre noch viel Bedarf für Gespräche und ein „neues Hören auf die Bibel“. Auch „manche Umkehr von Fehlentwicklungen“ sei nötig: „Doch wo Papst Benedikt XVI. auf Jesus hingewiesen hat, können wir uns mit ihm zusammenstellen als Zeugen in der Welt.“

Bekenntnisbewegung: Warum die „große Geste“ ausblieb

Der Vorsitzende der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Pastor Hansfrieder Hellenschmidt (Filderstadt bei Stuttgart), äußerte Verständnis dafür, dass die römisch-katholische Kirche dem evangelischen Ruf nach Einheit und gemeinsamer Eucharistie nicht folgt. Dem Papst hätten evangelische Kirchenvertreter gegenübergesessen, die in ihren Kirchen die Leugnung des Sühnetodes Jesu Christi oder auch die Segnung homosexueller Lebensgemeinschaften duldeten: „Kann es da wundern, dass vom Papst die große Geste ausgeblieben ist?“ Auf der anderen Seite stelle sich die Frage: „Wie soll aus evangelischer Sicht Einheit gelingen, solange das römische Dogma von der Heilsnotwendigkeit des Papstes und der katholischen Kirche gilt?“


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