Patentierbarkeit menschlicher embryonaler Stammzellen abgelehnt

18. Oktober 2011 in Aktuelles


Ein Etappensieg für das Leben: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat Patenten auf menschliche embryonale Stammzellen eine eindeutige Absage erteilt. Von Christoph Lennert (KNA)


Luxemburg/Brüssel (kath.net/KNA) Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat Patenten auf menschliche embryonale Stammzellen eine eindeutige Absage erteilt. Die Richter folgten mit ihrem Urteil vom Dienstag dem Votum ihres Generalanwalts Yves Bot. Dieser hatte gefordert, alle Zellen, die sich zu einem vollständigen Menschen entwickeln können, von der Patentierung auszuschließen. Der EuGH bestätigte das: Jede befruchtete Eizelle müsse im Sinne des EU-Rechts als menschlicher Embryo angesehen werden.

Verfahren, bei denen ein Embryo zerstört werde, seien nicht patentierbar, heißt es in dem Urteil. Es bezieht sich zwar auf einen Patentstreit um den Bonner Wissenschaftler Oliver Brüstle, aber es hat grundsätzliche Bedeutung. Letztlich wird davon womöglich auch die EU-Forschungsförderung infrage gestellt. Die Verhandlungen über deren künftige Regeln beginnen bald.

In dem vom EuGH entschiedenen Streit ging es um ein Patent, das Brüstle bereits 1997 beantragt hatte. Er wollte den Rechtsschutz für die Verwendung von aus embryonalen Stammzellen gewonnenen Körperzellen zu therapeutischen Zwecken erreichen. Die Umweltorganisation Greenpeace klagte. Das Bundespatentgericht erklärte Brüstles Patent daraufhin für nichtig. Der Bundesgerichtshof (BGH) beschloss im November 2009, die Entscheidung über eine Patentierung menschlicher embryonaler Stammzellen dem EuGH zu überlassen. Dessen Entscheidung vom Dienstag bindet wiederum die deutsche Justiz: Der BGH muss jetzt sein Urteil so sprechen, dass es den Luxemburger Vorgaben folgt.

Die Richter des EuGH wurden grundsätzlicher, als es unbedingt nötig gewesen wäre. Ihre Ausführungen gehen auf Grundsatzfragen ein, die immer wieder die Politik beschäftigen, so in Deutschland zuletzt bei der Präimplantationsdiagnostik (PID). Sie bekräftigten: Nach EU-Recht gilt die Menschenwürde nicht nur für das geborene Kind, sondern auch für den menschlichen Körper vom ersten Stadium seiner Entwicklung an, also auch für die befruchtete Eizelle in der Petrischale.

Während Greenpeace oder Unions-Europaabgeordnete wie der Bioethikexperte Peter Liese (CDU) das Urteil begrüßten, wird es in der Welt der Wissenschaft auf Widerspruch stoßen. Schon im Vorfeld hatten europäische Stammzellforscher Kritik an der Position des Generalanwalts geübt: Embryonale Stammzellen seien «Zelllinien und keine Embryonen». Sie stammten von überzähligen, in vitro befruchteten Eizellen ab, die nach einer Fruchtbarkeitsbehandlung gespendet wurden. Gerade für innovative Unternehmen sei der Patentschutz nötig, wenn sie in Europa neue Medikamente entwickeln sollten.

Die eindeutige Position des EuGH könnte Auswirkungen auf die EU-Forschungsförderung haben. Derzeit regelt ein nur an der Fassade sauberer Kompromiss die EU-Förderung der Stammzellforschung: Es können alle Projekte gefördert werden - mit Ausnahme solcher, bei denen menschliche embryonale Stammzellen gewonnen werden. Den Akt der Zerstörung von Embryonen müssen sich die Forscher aus anderen Mitteln, etwa aus nationalen Haushalten, finanzieren lassen. Alles davor und alles danach kann die EU mitfinanzieren.

Vor allem Großbritannien, Schweden oder Belgien, wo sehr liberale Regeln gelten, hatten 2006 auf diese Liberalisierung gedrängt, nachdem bis Ende 2003 ein Moratorium gegolten hätte. Inzwischen können in der EU Projekte gefördert werden, die in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten sind. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) stimmte 2006 dieser Regelung zu - obwohl ihr «Nein» und das anderer EU-Staaten wohl ausgereicht hätte, um die liberale Regelung zu verhindern.

Die neuen, strengen Vorgaben des EuGH könnten dazu führen, die Spielregeln für die EU-Forschungsförderung in den Jahren nach 2013 neu zu bestimmen. Entsprechende Forderungen kamen am Dienstag schon vom CDU-Bioethik-Experten und Europaabgeordneten Peter Liese. Es ist abzusehen, dass ethische Grundsatzfragen bei der Diskussion über die EU-Forschungsförderung erneut eine entscheidende Rolle spielen werden. Diesmal aber sind es nicht ethische Überzeugungen der Beteiligten, sondern der EuGH, der die Schranken weist.


Auszüge aus dem Grundsatzurteil des EU-Gerichtshofes.

"Begriff des menschlichen Embryos weit auslegen"

30) Was die Bedeutung angeht, die dem Begriff des menschlichen Embryos in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie zukommt, ist hervorzuheben, dass es sich bei der Definition des menschlichen Embryos zwar um ein Thema handelt, das in vielen Mitgliedstaaten gesellschaftspolitisch sehr sensibel und von deren unterschiedlichen Traditionen und Werthaltungen geprägt ist, der Gerichtshof durch das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen aber nicht dazu aufgerufen ist, auf Fragen medizinischer oder ethischer Natur einzugehen, sondern sich darauf zu beschränken hat, die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie juristisch auszulegen (...)

33) In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung keine patentierbare Erfindung darstellen kann. (...)

34) Der Zusammenhang und das Ziel der Richtlinie lassen somit erkennen, dass der Unionsgesetzgeber jede Möglichkeit der Patentierung ausschließen wollte, sobald die der Menschenwürde geschuldete Achtung dadurch beeinträchtigt werden könnte. Daraus folgt, dass der Begriff des menschlichen Embryos im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie weit auszulegen ist.

35) Insofern ist jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an als «menschlicher Embryo» im Sinne und für die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie anzusehen, da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen.

36) Das Gleiche gilt für die unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist oder die durch Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist. (...)

37) Was Stammzellen angeht, die von einem menschlichen Embryo im Stadium der Blastozyste gewonnen werden, ist es Sache des nationalen Gerichts, im Licht der technischen Entwicklung festzustellen, ob sie geeignet sind, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen, und folglich unter den Begriff des menschlichen Embryos im Sinne und für die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie fallen.(...)

43) Selbst wenn das Ziel der wissenschaftlichen Forschung von industriellen oder kommerziellen Zwecken unterschieden werden muss, kann die Verwendung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken, die Gegenstand der Patentanmeldung wäre, nicht vom Patent selbst und den daran geknüpften Rechten getrennt werden.

49) Aus denselben Gründen wie denen, die in den Randnummern 32 bis 35 des vorliegenden Urteils aufgeführt sind, ist (...) eine Erfindung - selbst wenn die Patentansprüche nicht die Verwendung menschlicher Embryonen betreffen - als von der Patentierung ausgeschlossen anzusehen, wenn die Verwertung der Erfindung die Zerstörung menschlicher Embryonen erfordert. Auch in diesem Fall liegt eine Verwendung menschlicher Embryonen im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie vor. Dass diese Zerstörung gegebenenfalls in einem Stadium erfolgt, das weit vor der Verwertung der Erfindung liegt, wie im Fall der Herstellung embryonaler Stammzellen aus einer Stammzell-Linie, die nur durch die Zerstörung menschlicher Embryonen aufgebaut werden konnte, ist insoweit ohne Bedeutung.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen ist wie folgt auszulegen:

- Jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an, jede unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist, und jede unbefruchtete menschliche Eizelle, die durch Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist, ist ein «menschlicher Embryo».

- Es ist Sache des nationalen Gerichts, im Licht der technischen Entwicklung festzustellen, ob eine Stammzelle, die von einem menschlichen Embryo im Stadium der Blastozyste gewonnen wird, einen «menschlichen Embryo» im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44 darstellt.

2. Der Ausschluss von der Patentierung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44, der die Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken betrifft, bezieht sich auch auf die Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung, und nur die Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken, die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist, kann Gegenstand eines Patents sein.

3. Eine Erfindung ist nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44 von der Patentierung ausgeschlossen, wenn die technische Lehre, die Gegenstand des Patentantrags ist, die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert, in welchem Stadium auch immer die Zerstörung oder die betreffende Verwendung erfolgt, selbst wenn in der Beschreibung der beanspruchten technischen Lehre die Verwendung menschlicher Embryonen nicht erwähnt wird.

(C) 2011 KNA Katholische Nachrichten-Agentur GmbH. Alle Rechte vorbehalten.


© 2011 www.kath.net