Gregor Gysi: Mich interessiert, was der Papst zu sagen hat

20. Oktober 2011 in Interview


Der Vorsitzende der Linksfraktion im Deutschen Bundestag über Papst, Kirche und Engagement für Gerechtigkeit und Frieden. Gregor Gysi exklusiv bei KATH.NET im Interview - Von Petra Lorleberg


Berlin (kath.net/pl) „Die katholische Kirche und auch der Papst“ können „eine wichtige Rolle beim Kampf um Frieden und um soziale Gerechtigkeit, beim Kampf gegen Armut und Unwissenheit spielen“, sagte Gregor Gysi, der Vorsitzende der Linksfraktion im Deutschen Bundestag im KATH.NET-Interview. Auch könne er sich „selbstverständlich vorstellen“, Seite an Seite mit praktizierenden Katholiken für „Gerechtigkeit und Frieden“ zu streiten.

Dass der führende Kopf unter den linken Politikern auch kritische Anfragen an Papst und Kirche hat, überrascht nicht unbedingt. Doch hebt sich seine differenzierte Sicht auf Kirche und Christentum von manch anderen Stellungnahmen ab, die nicht zuletzt auch von Politikern zu vernehmen sind. Gysi hatte sich beispielsweise schon im Vorfeld des Papstbesuches unerwartet positiv über Papst Benedikt XVI. geäußert, kath.net hat berichtet.


kath.net: Herr Dr. Gysi, Sie waren bei der Rede von Papst Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag anwesend. Manch andere Politiker haben demonstrativ gefehlt. Warum sind Sie hingegangen?

Gregor Gysi: Ich stehe sämtlichen Religionen mit gleichem Abstand und gleicher Nähe gegenüber. Daraus resultiert, dass ich mich für die Aussagen der Kirchenvertreterinnen und Kirchenvertreter interessiere.

Natürlich bemängle ich an der katholischen Kirche, dass sie nicht besonders demokratisch strukturiert ist, dass es keine Gleichstellung für Frauen gibt, dass die gesamte Sexualethik und der Umgang mit Homosexuellen deutlich zu weit hinter dem Zeitgeist zurückbleibt.

Aber es ändert nichts daran, dass die katholische Kirche und auch der Papst eine wichtige Rolle beim Kampf um Frieden und um soziale Gerechtigkeit, beim Kampf gegen Armut und Unwissenheit spielen können. Ergo interessiert mich was der Papst zu sagen hat und deshalb gehe ich hin.

kath.net: Was hat Sie bei dieser Ansprache des Papstes besonders interessiert, hat Sie auch etwas positiv angesprochen?

Gregor Gysi: Enttäuscht war ich, dass der Papst sich weder zur Frage des Friedens noch zur Frage der sozialen Gerechtigkeit geäußert hat. Er hielt mehr eine Vorlesung als eine Ansprache an Millionen Menschen, die über Fernsehen zugeschaltet waren.

Aber mich hat beeindruckt, dass er den Ursprung des Christentums bei der Gleichheit der Menschen sieht. Die Überzeugung von dieser Gleichheit war auch der Ursprung der LINKEN.

kath.net: Wie nehmen Sie von Ihrer Warte her den Besuch aus Rom wahr: Was hat der Papst den deutschsprachigen Katholiken während seines Besuches zu sagen gehabt?

Gregor Gysi: Das können Katholikinnen und Katholiken sicherlich besser beantworten als ich.

Aber ich hätte mir gewünscht, dass er einen deutlicheren Schritt auf die evangelische Kirche zugegangen wäre.

Hinsichtlich der Opfer des sexuellen Missbrauchs in katholischen Einrichtungen hätte ich mir ein entschiedeneres Wort zur Entschädigung gewünscht.

kath.net: Sie selbst sagten einmal, dass Sie „mit Erstaunen und begrenztem Entsetzen feststellen, dass die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland Schritt für Schritt dem neoliberalen Zeitgeist sich unterordnen“. „Alle Kirche brauchen den Mut, sich gegen den Zeitgeist und damit auch gegen die gegenwärtige politische und ökonomische Macht zu stellen. Und das sage ich als Linker und als Nichtgläubiger deshalb, weil ich weiß: es ist keine Zeit ohne Religion und Kirchen vorstellbar.“ Warum ist das für Sie nicht vorstellbar?

Gregor Gysi: Die Erkenntnisse des Menschen sind immer begrenzt, immer unvollständig. Es liegt nahe daran zu glauben, dass es neben den Naturkräften noch eine andere Kraft gibt, die dem Leben einen Sinn gibt. Deshalb glaube ich, dass es immer Religion und Kirche geben wird. Die Bedeutung kann wachsen oder abnehmen.

Zwei Umstände sind mir klar. Die Entdeckungen von Darwin haben belegt, dass der Mensch und der Menschenaffe gleiche tierische Vorfahren haben. Damit ergeben sich stärkste Zweifel an der Schöpfungsgeschichte der christlichen Kirchen.

Auf der anderen Seite können Atheisten nicht belegen, wie erstmalig auf der Erde aus anorganischen Stoffen organische wurden.

Die Entstehung des ersten Lebens ist nicht geklärt und kann auch nicht praktisch nachvollzogen werden. Es gibt also hier und dort Zweifel und ungeklärte Fragen.

kath.net: Verstehe ich Sie also richtig: Offenbar können Sie sich vorstellen, dass Sie sich - als altgedienter linker Politiker - Seite an Seite mit praktizierenden Katholiken für Gerechtigkeit und für Frieden einsetzen?

Gregor Gysi: Selbstverständlich kann ich mir das vorstellen. Es ist doch eher irrelevant, ob jemand aus religiösen oder aus weltanschaulichen Motiven für Frieden und Gerechtigkeit streitet, Hauptsache sie oder er tut es.

kath.net: Herr Dr. Gysi, sehr herzlichen Dank für dieses Interview!

Foto: (c) wikipedia


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