Die Grablichter an diesem Abend sind Osterlichter

2. November 2011 in Spirituelles


„Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen / unendlich sanft in seinen Händen hält.“ Allerseelen-Ansprache von Bischof Heinz-Josef Algermissen im Hohen Dom zu Fulda


Fulda (kath.net/PM) In den vergangenen Wochen konnte ich mich gar nicht sattsehen am bunten Laub der Bäume, das sich in leuchtenden Tönen verfärbte. Die Blätter nahmen alle nur erdenklichen Farbschattierungen an, spielten zwischen rot und gelb, gold und orange, violett und grün.

Mittlerweile ist von dieser Farbenpracht nur noch wenig übrig. Die meisten Bäume sind fast kahl, ihre Blätter liegen welk und braun am Boden. Bald werden sie Humus sein, zu Erde zerbröselt und vermodert.

Es entsteht der Eindruck, als zerfalle und stürbe langsam alles ab. Vielleicht liegt hier der Grund dafür, dass wir gerade in dieser Jahreszeit an unsere Toten denken und über Sterben und Tod ins Grübeln geraten.

Der 1926 verstorbene Dichter Rainer Maria Rilke sieht da einen vielsagenden Zusammenhang zwischen der Jahreszeit Herbst und dem Herbst des Lebens. In einem seiner Gedichte schreibt er:

„Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andere an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.“

Die Blätter, die zur Erde fallen, sind Vorboten und Gleichnis für unser Fallen und Sterben. Ihr Zerfall und ihr Vermodern deuten auf unser hinfälliges Leben hin.

Und da ist recht vieles, was wir in unserem Leben auf schmerzhafte Weise als brüchig und hinfällig erfahren.

Die Hinfälligkeit hat Namen wie Rheuma, Diabetes, Herzinfarkt, Krebs, Schlaganfall, Depression. Die Liste ist lang.

Ich denke an einen Menschen, der nie ohne Schmerzen ist und immer wieder zu Behandlungen oder Operationen ins Krankenhaus muss, ohne dass merkliche Besserung eintritt. Allein mit dem Gedanken fertig zu werden, dass man nicht mehr wie früher schalten und walten kann, belastet schwer. Es ist nicht leicht, sich selbst eingestehen zu müssen, dass die Kräfte im Alter schwinden und man auf fremde Hilfe angewiesen ist.

Rilke macht am Ende seines Gedichtes Hoffnung. Auch wenn das Fallen in allen Dingen ist, wenn uns Hinfälligkeit und Zerbrechlichkeit überall begegnen, so ist doch einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.

Diese Gedanken verdichten sich in einem Ritus bei der Beerdigung. Als Zeichen für unsere hinfällige Existenz wird Erde auf den Sarg geworfen, und dazu spricht der Geistliche: „Von der Erde bist du genommen und zur Erde kehrst du zurück. Der Herr aber wird dich auferwecken.“

Sterben heißt demnach zur Erde zurückkehren. Aus der gleichen Erde jedoch, in die der Verstorbene nun eingesenkt ist, hat Gott wie ein Töpfer und Künstler den Menschen geformt. „Von der Erde bist du genommen…“ Nichts anderes besagt der Name des ersten Menschen: Adam. Er kommt vom hebräischen Wort für Erde, von „Adamah“. Die Erde, die während des Begräbnisses auf den Sarg gestreut wird, weist also nicht nur auf die Zerbrechlichkeit unserer Existenz hin, sondern auch darauf, dass wir Gottes geliebte Geschöpfe sind.

Der biblische Bericht vom ersten Menschen Adam will angesichts unserer Erfahrung von Vergänglichkeit hervorheben: Jeder Mensch ist ursprünglich und von Anfang an Gottes Ebenbild. Und wir hoffen und dürfen glauben, dass diese besondere Beziehung zu Gott niemals aufhört, auch über den Tod hinaus fortbesteht. Er wird aus allem, was an uns und in uns brüchig ist, einst ein heiles Ganzes machen. Deshalb dürfen wir darauf vertrauen, dass wir nie tiefer fallen können als in Gottes Hand.

Am heutigen Allerseelentag stellen katholische Christen als Zeichen solcher Hoffnung Leuchten auf die Gräber ihrer Angehörigen und Freunde. Und am Abend scheint der Friedhof dann wie verwandelt durch ein Lichtermeer. Fast scheinen die Leuchten das ungemütliche Novemberwetter und auch Trauer zu verscheuchen.

Die zumeist roten Lämpchen erinnern etwa an eine Rückleuchte, sei es an die eines Zuges oder Autos. Wenn wir am Bahnhof ein solches Rücklicht erblicken, wissen wir, dass der Zug bereits abgefahren ist. Wir sehen ihn nur noch von hinten.

Auch an einem Grab sehen wir die Wirklichkeit nur sozusagen „von hinten“. Die jenseitige Wirklichkeit ist uns entzogen. Was sich dahinter verbirgt, bleibt ein Rätsel ─ ebenso wie Gott für uns ein großes Geheimnis bleibt. Wir haben das Nach-Sehen. Der Tote bleibt uns entzogen. Das, was wir sehen können, ist Erde, Staub. Und doch ist da eine Licht-Spur über den Gräbern als Ausdruck unserer Hoffnung.

So dürfen wir die Grablichter an diesem Abend auch als Osterlichter deuten, die an den Grund unserer Hoffnung erinnern, an den Sieger über den Tod. Das österliche Licht erleuchtet unsere Dunkelheiten und Trauer. Es ist Christus, das Licht, das neues Leben schenkt. Von ihm singt die Kirche im Hymnus des heutigen Morgengebets:

Wenn wir im Tode
leiblich zerfallen,
sind wir im Geiste schon
über der Schwelle ewiger Nacht.

Denn in der Quelle lebenden Wassers
tauchte uns Christus
bei unsrer Taufe in seinen Tod.

Sind wir begraben
mit ihm im Sterben,
wissen wir gläubig,
dass auch sein Ostern er mit uns teilt.

So beten wir mit Recht: „Herr, gib den Verstorbenen die ewige Ruhe. Und das ewige Licht leuchte ihnen.“

Foto: (c) Bistum Fulda



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