20. November 2011 in Interview
Kardinal Meisner über Weltbild: Dass wir als Kirche Schriften von Kirchenfeinden, Esoterik, Erotik verbreiten, das kann ich alles nicht mehr nachvollziehen. Von Paul Badde / Welt am Sonntag
Köln (kath.net/WeltAmSonntag) Ich sage schon seit Jahren in der Bischofskonferenz, dass wir uns von diesem Unternehmen verabschieden müssen. Denn hier ist Welt in einer Weise in die Kirche eingedrungen, die schlicht nicht zu akzeptieren ist. Das sagte der Joachim Kardinal Meisner (Foto), Erzbischof von Köln, in einem Grundsatzinterview mit der Welt am Sonntag zum seit Wochen heftig diskutierten Weltbildskandal. Direkt vor der Krisensitzung der Deutschen Bischofskonferenz über erotische, esoterische und kirchenfeindliche Titel im Angebot des zu 100% in kirchlichem Besitz stehenden Marktgiganten Weltbild äußerte er: Es geht nicht, dass wir in der Woche damit Geld verdienen, wogegen wir an den Sonn- und Feiertagen von den Kanzeln predigen.
WELT am Sonntag: Die deutsche Kirche ist in der Krise. In Rom könnte man manchmal den Eindruck gewinnen, sie treibe orientierungslos auf dem Weltmeer. Hat der Besuch des Papstes daran etwas geändert?
Joachim Kardinal Meisner: Wenn das mit der Orientierungslosigkeit so stimmt, muss ich sagen: In vielen Fragen hilft uns heute kein sowohl als auch, sondern nur Klarheit darüber, ob es hier lang geht oder da lang. Hier haben wir uns deutlich zu Wort melden und von unserem Glaubensgut und der Tradition der Kirche her deutlich zu argumentieren. Dabei hat der Besuch des Papstes sehr geholfen. Bei den so genannten heißen Eisen sollten wir klar argumentativ und sachlich vorgehen und uns nicht aus den Problemen mit dem Argument davonschleichen, dass es sich hier um eine weltkirchliche Frage handelt, die in Rom und nicht in Deutschland entschieden werden kann.
Doch wo soll der so genannte strukturierte Dialogprozess hinführen? Ist er nicht gerade ein klassisches Beispiel für eine noch nie gesehene Säkularisierung der deutschen Kirche mit ihren Gremienpapieren und Klarsichtfolienargumenten? Welche Antworten soll er hervor bringen?
Als in apostolischer Zeit in der Urkirche Verwirrung eintrat, hatte man ein Apostelkonzil nach Jerusalem einberufen. Man hat die Verantwortlichen zusammengeholt und dort über die angängigen Probleme gesprochen. Dann wurde eine Entscheidung gefällt und umgesetzt. Es ging damals um das Verhältnis von Heiden- und Judenchristen in der Kirche, und daran hat man sich bis heute gehalten. Wenn Menschen sich zum Gespräch treffen, ist das grundsätzlich gut, aber dabei muss beachtet werden: die Wahrheit ist nicht abhängig von Mehrheitsentscheidungen. Dabei muss man heute auch gegen die Behauptung argumentieren, dass es gar keine Wahrheit gäbe und deshalb die Richtigkeit immer bei der Mehrheit läge.
Was heißt das?
Das heißt, wir müssen die Wahrheit suchen und ihr dienen ohne faule Kompromisse.
Was sagen Sie zu den Irritationen, die Benedikt XVI. in Erfurt in seiner Begegnung mit Vertretern der evangelischen Kirche ausgelöst hat?
Die Reaktionen sind für mich sehr erstaunlich. Denn der Papst hat durch seinen Besuch an der Lutherstätte im Augustinerkloster in Erfurt de facto eine Wertschätzung der evangelischen Christen zum Ausdruck gebracht, die bisher einmalig in unserer Kirchengeschichte ist. Was mich dabei am tiefsten ergriffen hat, ist die Äußerung des Papstes, dass wesentlich zur Ökumene gehört, sich hineinziehen zu lassen in das Hohepriesterliche Gebet Christi um die Einheit der Christen. Nur von dieser Wurzel her werden unsere ökumenischen Bemühungen vom Segen begleitet sein.
Der Ratsvorsitzende Präses Nikolaus Schneider fand aber: Brennende Fragen des ökumenischen Dialogs wurden gar nicht oder nur missverstehend und missverständlich angesprochen. Der Papst habe keine inhaltlichen Impulse geliefert.
Das nehme ich schmerzlich zur Kenntnis. Ich kenne Präses Schneider sehr gut, und darum irritiert mich das und berührt mich auch schmerzlich, so muss ich ehrlich sagen. Seine Einschätzung des Papstbesuches in Erfurt ist für mich nicht nachvollziehbar.
Und Ihre Einschätzung?
Vielleicht sind wir an gewissen Irritationen selbst schuld. Von katholischer wie von evangelischer Seite sind die ökumenischen Erwartungen vor dem Papstbesuch so hochgeschraubt worden, als wäre der Papst ein absolutistischer Herrscher über die Kirche und könne machen, was er wolle. Insofern hat mich das erstaunt, und auch wieder nicht erstaunt. So ist die Realität, und es wird uns eine heilsame Ernüchterung bringen, wie wir die Ökumene auf sachliche Weise voranbringen.
In Freiburg hat der Papst die Katholiken an die Worte Paul VI. erinnert: Wenn nun die Kirche danach trachtet, sich nach dem Typus, den Christus ihr vor Augen stellt, zu bilden, dann wird sie sich von der menschlichen Umgebung tief unterscheiden. Ist es heute aber nicht umgekehrt?
Wir stehen als Kirche in Deutschland in der Gefahr, uns selbst überflüssig zu machen, indem wir unser Proprium verlieren, das heißt unser Ureigenes und damit unsere Identität. Wenn die Kirche zur Welt geworden ist, dann hat sie der realen Welt nichts mehr zu sagen. Dann hilft es auch gar nichts, wenn diese Welt vielleicht ein wenig mit Weihwasser befeuchtet ist. Die Kirche ist dann keine Alternative mehr zur Welt. Seit ich in Köln bin, habe ich immer wieder gesagt, dass mir unsere Kirche wie ein Auto vorkommt, an dem die Karosserie zu groß und der Motor zu schwach ist. Darum läuft er dauernd heiß. Wir müssen die zu große Karosserie abbauen und eine angemessenere, und wohl kleinere Form finden, die unserer inneren Kraft entspricht. Dann geht der Wagen auch wieder voran und gewinnt Tempo. Wenn wir damit das himmlische Jerusalem erreichen, wird es letztlich völlig egal sein, ob wir dort in einem großen Benz oder mit Fiat Panda vorfahren. Hauptsache, wir kommen an.
Doch was ist mit den Beifahrern? Vor 30 Jahren hatte ich WELTBILD als eine fromme Augsburger Zeitschrift kennen gelernt, wo ich meinen ersten Artikel über Johannes Paul II. untergebracht habe. Die Zeitschrift gibt es längst nicht mehr. Jetzt ist WELTBILD ein erfolgreicher Konzern mit riesigen Umsätzen in der Hand der Bischöfe, doch auch mit schlüpfrigen Angeboten, die ich vor 30 Jahren in der Kirche nicht im Traum gesucht hätte. Ist die Kirche moderner geworden?
Moderner? Ich sage schon seit Jahren in der Bischofskonferenz, dass wir uns von diesem Unternehmen verabschieden müssen, aus zwei Gründen. Der erste und einfachste: Es geht nicht, dass wir in der Woche damit Geld verdienen, wogegen wir an den Sonn- und Feiertagen von den Kanzeln predigen. Das ist einfach skandalös. Das zweite: Es ist so glaube ich für uns Bischöfe nicht angemessen, Unternehmer eines Großunternehmens mit Milliardenumsätzen und circa 6.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu sein. Das ist für mich mit dem Bild eines katholischen Bischofs nicht vereinbar. Darum sind wir in Köln vor drei Jahren ausgezogen, nachdem ich zuvor viele Jahre dagegen angekämpft habe und mich immer wieder habe vertrösten lassen. Es würde alles positiv anders werden, hieß es immer. Aber es ist nichts anders geworden, auch danach nicht. Ich glaube, weil es auch gar nicht anders werden kann, denn ein solches Riesenunternehmen lebt von der Expansion, und dann kann man nicht ganze Sparten der Druckindustrie aussparen, wenn das Unternehmen nicht untergehen soll.
Es seien vor allem ein paar verklemmte Fundamentalisten, heißt es aber auch aus dem Innern der Kirche, die sich im Internet an den erotischen Rändern des großen und freien Angebots von WELTBILD stören?
Bei solch einem Argument kann man sein Gehör ruhig auf Durchzug stellen. Die Fundamentalismus-Keule sollte man gründlich vergessen und ihren Gebrauch in der Kirche als unwürdig disqualifizieren. Was sind denn unsere Fundamente? Hier geht es einfach darum, was Paulus sagt: Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist? Insofern haben wir in der Verkündigung einzustehen für die Heiligung des Menschen und seines Leibes und können nicht Besitzer eines Unternehmens sein, das Schund und Schmutz verbreitet. Das geht als Kirche in sich nicht. Dann können wir unsere Hirtenstäbe gleich aus der Hand legen.
Nachdem WELT-online vor Wochen den Skandal einer großen Öffentlichkeit vorgestellt hat, wurden mir Seiten aus dem Internet zugeschickt, wo bei WELTBILD nicht nur erotische Literatur angeboten wurde, sondern auch offen satanistische Angebote. Ist in der Kirche der Teufel los?
Ich verstehe jeden, der das fragt, wenn wir Schriften von Kirchenfeinden, Esoterik, Erotik etcetera verbreiten. Das kann ich alles nicht mehr nachvollziehen. Da gibt es nur noch eins: Wir müssen uns davon radikal trennen! Das ist auch für unseren Dialogprozess wichtig, wenn wir ihn ernst nehmen. So viele Menschen schreiben uns in dieser Frage Briefe, in denen sie uns gleichsam flehentlich bitten: Geben Sie Weltbild auf, damit die Kirche wirklich die Kirche Jesu Christi bleibt! Darum gibt es für mich gar keine Alternative.
Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, sagte der Papst auch noch in Freiburg, muss die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von ihrer Verweltlichung zu lösen und wieder offen auf Gott hin zu werden. Auch jetzt sei es wieder an der Zeit für eine wahre Entweltlichung der Kirche. Wie lässt sich diese Rede auf den WELTBILD-Komplex praktisch anwenden und konkret umsetzen?
Das heißt ganz einfach: Wir müssen uns davon verabschieden. Hier ist Welt in einer Weise in die Kirche eingedrungen, die schlicht nicht zu akzeptieren ist.
Ist das nicht weltflüchtig?
Das möchte man dem Papst jetzt wieder anhängen. Aber: Wir sind das Salz der Erde! Wir sind nicht weltflüchtig. Das ist der Auftrag, den der Herr uns gegeben hat. Wenn Sie aber 5 Gramm Salz mit 5 Kilo Sand vermischen, dann ist das Salz unwirksam. Es taugt zu nichts. Das Salz muss vom Sand befreit werden, dann kann das Salz in Reinkultur in die Weltsuppe hineingerührt werden, das ihr dann Würze, Geschmack und Schärfe verleiht. So müssen wir auch die Kirche reinigen und alles aufgeben, was nicht zu ihr gehört.
Die Reaktion der deutschen Bischöfe klang in den letzten vier Wochen vor allem nach einem Schweigen im Wald. Hat ihnen die Missbrauchsdebatte nicht gezeigt, dass Schweigen die schlechteste Medizin zur Gesundung des Körpers der Kirche ist?
Zu dieser Reaktion kann ich nichts sagen, da ich in dieser Zeit sehr viel im Ausland war. Ich kann nur auf meine eigene Praxis schauen. Und in aller Demut möchte ich anfügen: Ich habe überall den Mund aufgetan, wo es um diese Frage ging, und nicht erst gestern.
Inzwischen hat sich der Papst von Rom aus konkret in die Sache eingeschaltet. Es ist an der Zeit, sagte er am 7. November, Prostitution wie auch die weite Verbreitung von Material erotischen oder pornographischen Inhalts, gerade auch über das Internet, energisch einzuschränken. Der Heilige Stuhl wird darauf achten, dass der notwendige Einsatz gegenüber diesen Missständen seitens der katholischen Kirche in Deutschland entschiedener und deutlicher erfolgt.
So deutlich hat der Heilige Vater zu meinem Erstaunen selten in einer Causa votiert und auch die Nachhaltigkeit seines Votums dabei eingefordert. Das hat viele überrascht.
Spitzt sich dann aber hier nicht ein Konflikt zu zwischen dem deutschen Papst und den deutschen Bischöfen wie damals mit dem polnischen Papst in der Debatte um die katholischen Beratungsscheine, die potentiell den Weg frei machten für Abtreibung?
Ich hoffe: nie, niemals! Denn gerade auch wir Kardinäle stehen ja in einer besonderen Verpflichtung, den Intentionen des Nachfolgers Petri wirklich zu folgen. Da können wir mit den übrigen Bischöfen ihn gerade nach dieser Ansprache nicht im Regen stehen lassen, wenn er uns in einer so deutlichen Weise ermahnt.
Ihr Vorgänger, Kardinal Höffner, hat sich noch als Vorsitzender der Bischofskonferenzen begriffen die sich nur dann konkretisierten, wenn sie zusammentraten. Das hat sich durch das ständige Sekretariat der Bischofskonferenz stark geändert. Jetzt könnte man fast auf den Gedanken kommen, Jesus habe keine Apostel berufen, sondern eine Apostelkonferenz?
Christus hat einzelne Apostel berufen und sie in einer Kollegialität beheimatet. Umgekehrt kann sich aber keiner hinter der Fassade einer so genannten Kollegialität oder einer Konferenz verstecken. Wo es um wesentliche Fragen geht, muss man auch als Einzelner hervortreten. Das ist nicht leicht, aber da hilft alles andere nicht. Aber wir sind natürlich gehalten, in der Kirche als Communio zu handeln, und wenn wir Bischöfe uns öffentlich auseinanderdividieren, was soll denn dann aus dem Volke Gottes werden?
Gute Frage.
Ja, das ist eine sehr ernste Frage. Vor dem Richterstuhl Gottes werde ich mich nur auf mein Gewissen berufen dürfen, nicht auf Konferenzbeschlüsse.
Die Bischofskonferenz ist auch kein Politbüro. Aber hat sie durch das ständige Sekretariat nicht ein Gravitationszentrum erhalten, das im Evangelium so kaum vorgesehen ist?
Das ist natürlich eine Gefahr für jeden Christen, dass sein äußeres Tun vom Evangelium nicht abgedeckt ist. Darum ist das auch eine sehr große Gefahr für jeden einzelnen Bischof und natürlich auch für eine Bischofskonferenz, und darum müssen wir ständig wachsam auch nach innen sein, dass das, was wir beschließen und tun, auch immer vom Evangelium abgedeckt ist, sonst wird in der Kirche alles hohl.
Ist mit der Institution eines ständigen Sekretariats der Bischofskonferenz nicht ein Strukturproblem entstanden, wo dem Generalsekretär der kein Bischof ist eine äußerst macht- und einflussvolle Rolle zugewachsen ist, die auch zum Missbrauch einlädt?
Der Sekretär hat nur die Macht, die ihm die Konferenz erteilt. Das ist also eine Frage an die Bischöfe ...
... vor der Sie jetzt stehen, wenn Sie am Montag wieder zusammen kommen. Heute - am Donnerstag - ist Aufsichtsratschef Donaubauer von WELTBILD zurück getreten. Einige sprechen von einem Bauernopfer?
Das höre ich gerade zum ersten Mal.
Kündigt sich da eine Tempelreinigung der deutschen Kirche an?
Ich hoffe es. Doch wissen Sie, ich gehe alle vier Wochen beichten. Das ist auch eine Art Tempelreinigung. Aber jetzt werden wir wohl zu klaren Entscheidungen ganz im Sinne des Heiligen Vaters kommen.
Heißt das, dass Sie schon die Stricke flechten, mit denen Sie die Händler aus dem Tempel verjagen wollen?
Wissen Sie, wir sind eine Bischofskonferenz und sind gemeinsam Träger des apostolischen Amtes, da kommen wir, so hoffe ich, auch ohne Stricke aus. Wir sind zu einem eindeutigen Zeugnis aufgerufen, dies vor allem anderen. Und dass wir sagen: Das geht, und das geht nicht mehr. Ich bin überzeugt: Manches wird nicht mehr so weitergehen können, wie es bis bisher gegangen ist.
Foto Joachim Kardinal Meisner: (c) Erzbistum Köln
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