'Jesus war kein Vegetarier'

12. Dezember 2011 in Aktuelles


Der evangelische Theologe Sebastian Moll schneidet die Theologie frei von Beliebigkeit – Von Johannes Müller / Katholische Sonntagszeitung


Augsburg – Mainz (kath.net/KatholischeSonntagszeitung)
Das Violett sticht ins Auge. Krawatte, nicht Kragen. Sebastian Moll, Doktor und vielversprechende Nachwuchskraft der evangelischen Theologie, ist nicht ordiniert. Kürzlich erst hatte es den Anschein, als würde er vom Seminar für Kirchen- und Dogmengeschichte der evangelisch-theologischen Fakultät an der Universität Mainz fliegen, weil er zu frech war. Oder haben die Medien wieder mal übertrieben? „Das Eva-Hermann-Schicksal ist mir bisher erspart geblieben“, sagt der 31-Jährige.

Seit im September Sebastian Molls Büchlein „Jesus war kein Vegetarier“ veröffentlicht wurde, ist er buchstäblich in aller Munde. „Vegetarier, Feminist, Antidiskriminierungsbeauftragter? Selbst der Sohn Gottes konnte nicht immer alle Erwartungen erfüllen“, heißt es provokativ auf dem Umschlag. Die Auflage geht weg wie die Brötchen beim geschlechtergerechten Gemeindeabend, und die Zeitungen drängeln sich. Er sei schon als „Sarrazin der evangelischen Kirche“ bezeichnet worden, sagt der großgewachsene 31-Jährige schmunzelnd.

Zwar habe sich der Aufruhr, der an Molls Uni nach Erscheinen des Buches losbrach, inzwischen „einigermaßen beruhigt“; manche Kollegen hätten in ihm wohl so etwas wie einen Nestbeschmutzer gesehen. „Es ist aber nicht so, dass mich meine Fakultät jetzt hinauswerfen würde.“ Was später einmal passiert, wenn es um die Vergabe eines Lehrstuhls geht, werde man ja sehen …

In den Medien ist jedenfalls noch längst keine Ruhe eingekehrt. Moll hat ein weites Herz für die Journalisten. Auch in der Redaktion unserer erklärtermaßen katholischen Zeitung hat der sympathische Jung-Theologe von der anderen Konfession keinerlei Berührungsängste. Mit ansteckendem Lachen quittiert er die Erklärung, man werde ihn jetzt kurzerhand katholisch machen.

Der Rummel um Moll erinnert ein wenig an Margot Käßmann in ihren besten Tagen. Nur dass Moll nicht auf deren Linie liegt. Der gebürtige Kölner zählt zu den Konservativen, auch in evanglisch-theologischer Hinsicht. Gepaart mit rheinischer Schlagfertigkeit, Eloquenz, scharfem Verstand und geradezu spitzbübischem Charme ergibt das eine höchst gefährliche Mischung. Besonders für Betroffenheits-Rhetoriker und Weltverbesserer.

Die Welt verbessern – wer wollte das nicht? Auch Sebastian Moll, im schwarzen Nadelstreifen-Anzug mit Aktentäschchen aus Leder, will mit Sicherheit die Welt verbessern. „Ich habe das Gefühl, dass ich sehr viel bewegen kann“, sagt er. Das klingt treuherzig – aber nicht naiv.

Molls Weltverbesserung bewegt sich in bescheidenen Bahnen. Sie kommt nicht so groß daher wie andere große Weltverbesserer voller Ziele und Visionen. Der 31-Jährige findet zum Beispiel Ehrlichkeit wichtig. „Ich kann keine gesellschaftliche Notwendigkeit erkennen, die es notwendig machen würde, Texte zu verfälschen.“

Moll zielt damit auf die „Bibel in gerechter Sprache“ ab (siehe Kasten), in der die Jünger als „Geschwister“ und die Ehe als „Lebenspartnerschaft“ vorgeführt werden. Und er zielt ab auf die feministische Theologie. Und auf Leute, die behaupten, Christen sei laut Evangelium das Töten eines Tieres ebenso verboten wie das Essen von Fleisch - daher der Titel seines Buches.

Der 31-Jährige analysiert Missstände messerscharf. Seine Schnitte durch modisch-aktuelle Phrasen dringen ein wie ein Skalpell. Das Fleisch der ursprünglichen Botschaft wird freigelegt und von pompös aufgebauten Verlautbarungs-Wucherungen etwa zur Frauenordination oder zur Homosexualität befreit. Schnitt. So und nicht anders steht es in der Schrift.

„Ich habe das Gefühl, dass ich sehr viel bewegen kann“ – damit meint der Lehrstuhlmitarbeiter nicht nur seine Autorentätigkeit. Ganz wichtig ist ihm auch die ehrenamtliche Arbeit in der Studenteninitiative für Kinder, die Lernschwachen mit Nachhilfe einen Weg in die Zukunft ebnen will. Das sei „ein wunderschönes Amt“.

Sein Sinn für Ästhetik schlägt auch beim Katholischen an. Moll fand den Auftritt von Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag beeindruckend: „Ich habe Ehrfurcht und Bewunderung vor diesem großen Mann und seiner Leistung!“ Leicht geht ihm das Wort „Heiliger Vater“ über die Lippen. Die Kritik des Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider nach dem Papst-Besuch teilt Moll „überhaupt nicht“. Der EKD sei nicht „auf Augenhöhe“ mit dem Vertreter von einer Milliarde Christen.

Auch die konsequent konservative Linie beim Lebensschutz mag Moll an der katholischen Kirche. Hier werde wenigstens versucht, Vorbildfunktion auszuüben, während es evangelischerseits von Fluglärm bis Atomkraft gegenwärtig viel Beliebigkeit gebe. „Das führt dazu, dass ich mich in den praktischen Fragen sehr oft auf Seiten der katholischen Kirche sehe.“

Gleichwohl: Moll ist kein Nestbeschmutzer. „Trotz allem bin ich in meiner eigenen Kirche verwurzelt, in den Bekenntnissen und Glaubenstraditionen!“, betont er. „Ich täte mich bis heute schwer, bestimmte Dogmen anzuerkennen.“ Die Reformation sei voll berechtigt gewesen. „Sie hat es geschafft, die katholische Kirche zu verändern.“

Veränderungen wünscht sich der 31-Jährige auch von der eigenen Confessio. Viele seien mit dem offiziellen Kurs „von oben herab“ unzufrieden. Moll vergleicht die Situation mit „Stuttgart 21“, wo der lautstarke Protest einer kleineren Gruppe die Meinung der Mehrheit übertönt habe.

Vom Jesus-Buch abgesehen, dessen Wirkung Moll nach eigener Aussage nicht vorhersah, liebt er eher leise, unaktuelle Themen. Er hat über Marcion, den Erzketzer der frühen Kirche, promoviert. In der Schublade liegt der Plan für eine Habilitation über das ägyptisch-koptische Schisma des vierten Jahrhunderts. Sollten eingangs erwähnte Vorgänge die akademische Zukunft gefährden, kann sich der flinke Schreiber auch einen publizistischen Weg vorstellen.

Sehr zu Herzen nimmt sich Moll wohlmeinende Kritik: „Du musst aufpassen, dass Du nicht rein negativ wirst!“, haben ihm Freunde dringend geraten. Die Fortsetzung von „Jesus war kein Vegetarier“ soll deshalb „mit positiven Antworten erfüllbar sein“.


Wörtlicher Auszug aus dem Buch von Sebastian Moll, Jesus war kein Vegetarier,:


In seinem Buch „Jesus war kein Vegetarier“ (Berlin university Press ISBN 3-86280-019-9) nimmt Sebastian Moll mit scharfem Blick Stellung zu populären theologischen Ansichten. Darunter auch „die Bibel in gerechter Sprache“. Hier ein Auszug im Wortlaut:

Ich habe mir den Höhepunkt bis zuletzt aufgehoben. Fast zögere ich, an dieser Stelle über etwas zu sprechen, das unserer Kirche zur Schande gereicht und schnellstmöglich in Vergessenheit geraten sollte. Es handelt sich um die „Bibel in gerechter Sprache“.

Als ich mir dieses Buch aus unserer Fakultätsbibliothek ausleihen wollte, erlebte ich eine kleine Überraschung. Jemand hatte den Titel auf dem Buchcover eigenhändig ergänzt, sodass dort nun stand: Bibel in selbstgerechter Sprache. Ich verurteile Vandalismus in jeder Form, muss aber zugeben, dass ich mir bei diesem Anblick eine heimliche Freude nicht verkneifen konnte. Es ist doch einfach schön zu sehen, dass unter meinen Studenten ein wacher Geist weht, der sich nicht von solchem Unsinn einlullen lasst.

Übersetzungen der Bibel gab es im Laufe der Geschichte unzählige, angefangen mit der griechischen Übersetzung des jüdischen Tanach im dritten und zweiten vorchristlichen Jahrhundert (die Septuaginta) über die lateinische Übersetzung der Bibel des Hieronymus (die Vulgata) bis hin zur ersten Übersetzung in eine moderne Sprache durch Martin Luther. Keine dieser Übersetzungen konnte den Originaltext exakt wiedergeben, manche Passagen waren freie Interpretation der Übersetzer, andere enthielten schlicht sprachliche Fehler. (…)

Aber zumindest hatten die Übersetzer den Anspruch, der ursprünglichen Botschaft so nahe wie möglich zu kommen. Von diesem hehren Anspruch war der Übersetzerkreis der „Bibel in gerechter Sprache“ weit entfernt. Ihm ging es vor allem darum, „Ungerechtigkeiten“ im Original zu bereinigen, mit anderen Worten, den Text nach ihrer eigenen Ideologie umzuschreiben. In früheren Zeiten galt die Verfälschung der heiligen Texte als höchste Blasphemie, heute wird sie von der Kirche gefördert.

In gewisser Weise bildet die Bibel in gerechter Sprache somit die Klimax der in diesem Buch beschriebenen Bemühungen. Frauen, Homosexuelle, Juden – diesen drei Gruppen sollte mit Hilfe der bisher dargestellten Bemühungen „Gerechtigkeit“ widerfahren. Bisher hatte man dies durch fragwürdige Auslegungen des Textes zu erreichen versucht, doch das war einigen Leuten offenbar nicht mehr genug. (…)

Wer sich bereits in dem vorangegangenen Kapitel über Frauen-ordination und feministische Theologie verwundert die Augen gerieben hat, zu welchen abstrusen Bibelinterpretationen Menschen fähig sind, wenn es um Frauenbelange geht, der halte sich jetzt besser gut fest. Dass in den Evangelien ständig von ,,Apostelinnen und Aposteln“ (z. B. Markus 6,30) die Rede ist, obwohl dieser Kreis zweifelsfrei aus zwölf Männern bestand, ist beinahe noch eine der harmloseren Änderungen in dieser Hinsicht.

Denn in ihrem Eifer, Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen, schrecken die Übersetzer selbst vor grenzenlosen Absurditäten nicht zurück. So wird das Wort ,,Brüder“ regelmäßig durch „Geschwister“ ersetzt, selbst an Stellen wie dieser: „Von Judäa kamen einige herab und lehrten die Geschwister: ,Wenn ihr euch nicht nach dem Ritus des Mose beschneiden lasst, kann euch nicht geholfen werden‘“ (Apostelgeschichte 15,1).

Nun mag es Leute geben, die auch noch die fehlende Beschneidung der Frau im Judentum als diskriminierend empfinden, aber wer dagegen vorgehen möchte, sollte doch besser unsere Kirche verlassen und sich stattdessen lieber Monty Python und der Volksfront von Judäa anschließen.

Ganz konsequent durchgehalten wurde die Geschlechtergerechtigkeit übrigens auch bei diesem Unterfangen nicht. Nicht nur, dass der Übersetzerkreis zu über drei Vierteln aus Frauen bestand, auch im Text selbst blieb den Damen eine vollständige Gerechtigkeit erspart. Es wäre ja auch etwas zu viel verlangt gewesen, wenn beispielsweise auch der Teufel eine „Teufelin“ an die Seite gestellt bekommen hätte.

Foto: (c) Sebastian Moll (mit freundlicher Erlaubnis)


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