1. Jänner 2012 in Österreich
Predigt von Diözesanbischof Klaus Küng zur Jahresschlussandacht im Dom zu St. Pölten.
St. Pölten (www.kath.net/)
Liebe Brüder und Schwestern!
Die Zeit ist für uns etwas so Selbstverständliches, dass wir sie nur selten hinterfragen, und doch betrifft ihre Flüchtigkeit unser Leben im Kern. Der Wechsel der Jahreszahl am Ende eines Jahres und am Beginn eines neuen macht uns darauf aufmerksam, dass die Zeit unseres Lebens vorrückt. Deshalb ist der Rat, den der hl. Paulus den Ephesern erteilt, auch für uns wichtig. Er schreibt ihnen, sie sollen sorgfältig darauf achten, wie sie ihr Leben führen, nicht töricht, sondern klug (vgl. Eph 5,15). Ebenso wichtig ist das Wort, das Jesus im Zusammenhang mit der Heilung eines Blindgeborenen gesagt hat, nämlich, dass man die Werke wirken muss, solange es Tag ist. Denn es kommt die Nacht, da niemand wirken kann(Joh 9,4). Jeder Jahreswechsel ist ähnlich wie der eigene Geburtstag eine Einladung innezuhalten und nachzudenken, wie es uns geht und ob wir die Zeit nützen, denn tempus breve est, die Zeit ist kurz.
Der Jahreswechsel ist aber auch ein Anlass, für Gesellschaft und Kirche zu beten, denn wir sind Teil dieser Gesellschaft und der Kirche. Wir benützen ihre Güter und Rechte, tragen je nach eigener Stellung Verantwortung für sie, freuen und leiden mit, je nachdem, was vorkommt. Es ist richtig, wenn wir am Jahresende für alle Gaben, die wir von Gott empfangen haben, danken, aber auch, wenn es angebracht und nötig ist, Gott um Vergebung bitten und um Hilfe, vor allem auch in Hinblick auf die Zukunft.
Der Weg der Kirche wird im II. Vatikanischen Konzil als Pilgerschaft beschrieben. Diese Pilgerschaft ist wie Augustinus sagt gekennzeichnet durch Verfolgungen der Welt und Tröstungen Gottes, wobei die Verfolgungen der Welt durchaus unsere eigenen Schwächen und Gebrechen miteinschließen. Diese Charakterisierung kirchlicher Pilgerschaft trifft auch für das zu Ende gehende Jahr zu.
Zunächst aber ein paar Worte zu den Entwicklungen der Gesellschaft. Insgesamt dürfen/müssen wir ohne Zweifel Gott danken für den Frieden und die anderen äußeren Gegebenheiten, in denen wir leben. Auch wirtschaftlich war das vergangene Jahr trotz der Wolken am europäischen Himmel und trotz manch anderer Wolken ein gutes Jahr. Es gibt im Land aber doch auch manche Symptome, die zu Besorgnis Anlass geben: z.B. die zunehmende Instabilität der Familien, die größere Häufigkeit von Verhaltensstörungen bei Kindern, die eindeutig zu geringe Kinderzahl, die hohe Prokopfverschuldung und vor allem der immer größere Bevölkerungskreise betreffende Werteverlust. Vielleicht könnte man einwenden, das zuletzt Genannte sei eine Angelegenheit der Kirche, was ja auch wahr ist; es betrifft aber doch auch den Staat, das Land und die Gesellschaft. Denn ohne Wertebewusstsein wird es für die Menschen gefährlich!
Wenn wir in Bezug auf die Gesellschaft, in der wir leben, Rückschau halten, haben wir also guten Grund zu danken, aber es ist auch angebracht, Gottes Beistand zu erbitten, damit wir die Kultur unseres Landes nicht aufs Spiel setzen und nicht verlieren, was unsere Vorfahren mit viel Mühe erarbeitet und verteidigt haben.
In Bezug auf die Kirche stand das vergangene Jahr im Zeichen der Fortsetzung der Bemühungen, den veränderten Verhältnissen in Gesellschaft und Kirche entgegenzuwirken. Erwähnen möchte diesbezüglich z.B. die Begegnungstage im Dekanat Lilienfeld, im Bereich der Ministranten- und Kinderarbeit Tingl-Tangl im und um das Stift Seitenstetten, oder in vielen Kirchen die Lange Nacht der Kirchen; aber auch die 7 Schritte mit Abenden der Barmherzigkeit in der Fastenzeit oder die Aktion Zeit zum Beten im Oktober. Weit sind wir noch nicht gekommen. Das zeigen auch die internen Diskussionen, die bisweilen schmerzhaft und noch lange nicht zu Ende sind. Zu schnell sind die Veränderungen der Lebensweisen vor sich gegangen, zu stark sind ihre Auswirkungen auf die Glaubenseinstellung und die Glaubenspraxis vieler.
Aber auch bei einem realistischen und nüchternem Blick auf die gegenwärtige kirchliche Situation lassen sich viele Gründe erkennen, warum wir Gott danken sollen: Weiterhin ist die Zahl derer, die Sonntag für Sonntag die Kirche besucht, groß, auch wenn sich die Reihen stark gelichtet haben. Und noch viel größer ist die Zahl derer, die sich mit der Kirche innerlich verbunden wissen, obwohl ihre religiöse Praxis nicht mehr so pünktlich genau ist wie bei ihren Vorfahren. Diese Verbundenheit zeigt sich u. a. an der Großzügigkeit ihrer Hilfe bei Kirchenrenovierungen und an der Teilnahme bei bestimmten kirchlichen Festen. Auch das Spendenaufkommen ist beachtlich, z.B. bei der Dreikönigs- oder bei der Fastenaktion. Ebenso leistet die Caritas weiterhin Großes.
Im vergangenen Jahr gab es auch Tröstungen Gottes: Zwei wurden zum Priester geweiht, es gab auch einige Neueintritte im Propädeutikum und im Priesterseminar. Es sind zu wenige, aber immerhin sind es Hoffnungszeichen. Hoffnung gibt auch die Beobachtung, dass in letzter Zeit sich vermehrt Jugendliche in Gebetskreisen treffen. Etwas ganz Besonderes war das Weltjugendtreffen in Madrid mit 2 Millionen Jugendlichen aus der ganzen Welt, aus Österreich immerhin 6.000. Und dass sie sich sehr ernsthaft beteiligt haben, kann ich bezeugen. Es gab viele Gespräche und Beichten. Die Sehnsucht nach einem echten religiösen Leben ist bei vielen da.
Als Tröstungen Gottes können auch das Freiwilligentreffen im Stift Melk und die 6 Begegnungen mit Pfarrgemeinderäten und anderen ehrenamtlich Tätigen als Ausdruck des Dankes im Herbst: Es sind viele, die mit ganzem Herzen dabei sind und für die Gestaltung des kirchlichen Lebens viel Zeit und Kraft aufwenden. Das ist ein Schatz, den die Kirche hat. Schön waren auch die Feierlichkeiten im Zusammenhang mit den 50-jährigen Jubiläen des Bildungshauses St. Hippolyt und der Pfarre Marisa Lourdes in St. Pölten. Viel Gutes ist entstanden und trotz zum Teil widriger Umstände nicht nur irgendwie bewahrt, sondern entfaltet worden.
Und noch etwas: Auch bezüglich des Kirchenbeitrags darf ich sagen: Obwohl die Zahl der Kirchaustritte, die 2011 um 35 % niedriger ist als im Vorjahr, noch immer viel zu hoch ist, darf dennoch nicht übersehen werden, dass der weitaus größte Teil der Gläubigen der Kirche die Treue hält, trotz aller vorhandenen Probleme und trotz aller Unkenrufe.
In wenigen Wochen, am 18. März, finden die nächsten Pfarrgemeinderatswahlen statt. Sie sind wichtig. Ich hoffe, dass sich auch für die Zukunft genügend engagierte Gläubige finden, die gerade in Zeiten des Priestermangels das kirchliche Leben hochhalten und mithelfen, die Menschen für Gott zu gewinnen. Der Hl. Vater hat als Erinnerung an die Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren ein Jahr des Glaubens angekündigt. Das kommt uns sehr gelegen. Die Priester haben die Anregung bereits aufgegriffen: Von neuem werden wir uns in der Priesterfortbildung mit den Texten des II. Vatikanums befassen. Für die Diözese insgesamt sind Überlegungen im Gange. Die dogmatische Konstitution über das Wesen der Kirche (Lumen gentium) und das postkonziliare Dokument über die Aufgabe der Laien (Christi fideles laici) können uns sicher wichtige Impulse vermitteln, um auf der Grundlage von Taufe und Firmung uns selbst und die Sendung der Kirche in unserem Land zu erneuern und zu verlebendigen.
Danken und Bitten, das wollen wir in dieser Schlussandacht des Jahres. Christus ist unter uns. Ihn wollen wir anbeten und ihm wollen wir nachfolgen. Er ist unsere Stärke und Er gibt uns Zuversicht. Maria, mit deren Fest wir das Neue Jahr beginnen, möge uns mit ihrer Fürsprache beistehen.
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