6. Jänner 2012 in Spirituelles
Erzbischof Joachim Kardinal Meisner beim Epiphaniefest: So selten beten die Menschen wahrhaft an. Wenn sie beten, geschieht es meistens, um zu betteln oder sich bei Gott zu beklagen.
Köln (kath.net)
KATH.NET dokumentiert die Predigt von Joachim Kardinal Meisner zum Epiphaniefest im Hohen Dom zu Köln am 6. Januar 2012:
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
1. In Köln ist eigentlich das ganze Jahr über Epiphanie, Erscheinung des Herrn, weil in unserem Dom der Dreikönigenschrein steht und die Hohe Domkirche eigentlich nur als das Haus für den Dreikönigenschrein erbaut worden ist. Die Heiligen Drei Könige sind die Vorbeter der Christenheit geworden. Im Matthäusevangelium heißt es ausdrücklich: Da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar (Mt 2,11).
Epiphanie fordert uns auf, vor dem Geheimnis der Liebe Gottes, die alles Begreifen übersteigt, niederzuknien und anzubeten. Dass Gott uns liebt, verstehen wir. Aber dass er uns bis zur Krippe geliebt hat, das bestürzt uns: Das Ewige Wort Gottes - Im Anfang war das Wort (Joh 1,1) - ist unmündig wie ein Säugling geworden.
Wohin hat die Abkehr des Menschen von Gott die Liebe Gottes gebracht? Eine Liebe, die solche Widerstände, wie es die Menschen darstellen, überwindet, ist nicht mehr Liebe von der Welt. Vor ihr gibt es nur eine einzige würdige Haltung: die Haltung von Maria und Josef, die Haltung der Hirten von Bethlehem, die Haltung der drei Könige aus dem Morgenland, die Haltung der christlichen Völker aller Zeiten, und das ist die Anbetung.
Die Krippe von Bethlehem ist daher aller Anbetung Mittelpunkt, aller Liebe Höhepunkt, aller Zeiten Wendepunkt und allen Heiles Ausgangspunkt. Dieser Abgrund an Liebe, der hier sichtbar wird, diese Torheit eines Gottes, der Fleisch wird, verwirrt den menschlichen Verstand. Alles, nur das nicht!, wird der Un-gläubige sagen. Vor dieser Krippe befindet sich der Mensch an einer Wegkreuzung: Entweder nimmt er Gott und das Mysterium seiner Liebe an oder er verweigert sich ihm. Liebe drängt sich nicht auf.
2. Wenn ein Mensch sich für Gott entscheidet, nimmt er auch sofort teil am Mysterium Gottes. Gott steht unendlich hoch über den Menschen. Seine Wege sind nicht unsere Wege, und sein Wesen umhüllt ein tiefes Geheimnis.
Würde der Mensch Gott verstehen, so würde Gott nicht mehr Gott sein oder der Mensch aufhören, Mensch zu sein. Denn verstehen heißt: auf gleicher Stufe stehen. Wenn der Mensch auf seinem Platz stehen will, muss er sich niederknien vor dem unendlich Größeren. Aber wenn er sich Gott verweigert, wählt er das Absurde und das Chaos. Das Leben ist dann nichts anderes mehr als ein Blitzstreifen zwischen dem einem Nichts und einem anderen Nichts. Niemals wird er das Absolute, das Seinsnotwendige, also Gott erkennen, wenn er bloß Relatives aneinanderreiht oder Zufälliges mit Zufälligem multipliziert.
Die Existenz der
Welt, deren Teile verschwinden können und die ihren Daseinsgrund nicht in sich selbst haben, nur durch die Nebeneinanderstellung aller ihrer Fragmente zu erklären, heißt, sich für das Absurde zu entscheiden. Gott oder Nichts! Das Mysterium Gottes oder das Chaos! Wir haben keine andere Wahl! Um das Richtige klar zu erkennen, müssen wir uns vorerst niederknien.
3. Wenn beim Menschen das Bewusstsein der Gegenwart Gottes schwindet, das heißt die Verbindung nach oben durchgeschnitten wird, dann büßt er sein Bestes ein. Er wird nicht mehr in Ehrfurcht und Vertrauen vom Heiligen getroffen. Solche Leute mögen in zweit- und drittrangigen Dingen, vor allem in der Technik und Zivilisation ganz wichtig sein, aber sie werden nicht mehr beunruhigt von den ewigen Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich, und wohin gehe ich?. Ein großer Ausfall. Von dieser Unruhe hätten sie als Menschen vor den anderen Geschöpfen ihren Vorzug, ihre Spannkraft und ihr hohes Bewusstsein, sodass sie nicht eingeebnet werden könnten.
So aber fällt bei ihnen die ganze obere Welt aus. Es wölbt sich kein Firmament mehr über sie. Sie sind wie abgedeckte Häuser. Dort wohnt die Sinnlosigkeit.
4. Epiphanie ist in erster Linie ein Fest der Anbetung. So selten beten die Menschen wahrhaft an. Wenn sie beten, geschieht es meistens, um zu betteln oder sich bei Gott zu beklagen. Unser Gebet ist allzu oft eine Geste, die uns noch mehr auf uns selbst zurückwirft und konzentriert, anstatt uns für Gott zu öffnen.
Die erste Pflicht gegen Gott ist, ihn als den anzuerkennen, der er ist: als Gott, das heißt, als unendlich, ewig, unfassbar und ihn als überwältigend zu erkennen. Ein Mensch auf den Knien vor Gott ist etwas ganz Großes. Wer anbetet, steht am richtigen Ort, hat Sinn für Proportionen und Maß in der Wirklichkeit. Gott ist dann nicht mehr irgendeine Theorie über den Anfang der Dinge, sondern eine Realität des Glaubens. Wer anbetet, bejaht, dass Gott Schöpfer und er Geschöpf ist. Wo der Mensch nicht mehr in Anbetung hinkniet, dort gerät er außerhalb der Augenhöhe Gottes. Und dann schwindet Gott vor seinem Angesicht, dann geht die Sonne unter, dann naht die große innere Kälte. Wo aber der Mensch in der Anbetung niederkniet, das heißt auf die Augenhöhe Gottes geht, dort wird er geadelt, dort gewinnt er Niveau. Gottes Herrschaft bedrückt nicht, sie erhöht die Niedrigen. Jeder, der zu ihm Du sagen darf, muss bekennen: Der Mächtige hat Großes an mir getan(Lk 1,49). Dass du mich liebst, macht mich mir wert. Den Wert und die Größe des Menschen machen aus, dass er Gottes ist, ja, dass Gott ihn liebt. Und wenn wir mit Gott auf Du und Du stehen, sind wir nie etwas, das man versklaven, ausbeuten oder wegwerfen darf. Dass Gott mich liebt, macht mich mir wert.
5. Man soll nicht allein anbeten. Kommt, sagten die Hirten von Bethlehem zueinander Kommt, lasst uns den Herrn anbeten! (vgl. Lk 2,15). Die Liturgie der Kirche wiederholt diese Einladung immer wieder. Die Hei-ligen Drei Könige kommen ebenfalls zu mehreren zur Anbetung. Anbetung ist nicht nur der Vorgang des Einzelnen, sondern ganz besonders der Gemeinschaft.
Wenn Christen in der Kirche zusammenkommen, dann sollten sie in der Weise der Heiligen Drei Könige kommen, also zu mehreren. Gemeinsam sollen sie vor dem Herrn niederknien: als Gruppe, als Gemeinschaft, als Familie, um diese wunderbare Aufgabe zu erfüllen: Gott anzubeten. Die Stimmen, die im Gebet ineinander verschmelzen, werden zu einem unüberhörbaren Gotteslob und machen die Betenden zu einer Urzelle der Kirche. Eine Gemeinschaft, eine Familie, eine Gemeinde, die miteinander betet, hält zusammen und bleibt zusammen.
Die Anbetung ist wie Zement, der die Glieder einer Gemeinde zusammenfügt und zusammenhält. Sie erzeugt Verbundenheit, Treue, aufmerksame Liebe fürei-nander. Sie ermöglicht erst richtige und echte Gemeinschaft.
6. Die Heiligen Drei Könige sind die großen Vorbeter der Welt geworden. In ihrem Leben wird deutlich: Wenn Gott naht, ruft er in die Entscheidung. Sie brechen auf und folgen dem Stern und suchen ihn, bis sie ihn gefunden haben. So gewaltig Gottes Nähe auch wirkt, Gott aber lähmt nicht.
Im Gegenteil: Er macht wach, lebendig und frei. Das sehen wir bei Maria in Nazareth bei der Verkündigung. Sie ist nicht verwirrt und zerbrochen. Sie denkt nach und fragt nach. Sie antwortet staunenswert. Sie entscheidet damit das Heil der Welt. Gott lässt sein Geschöpf auf seiner Lebensbahn um nichts Geringeres laufen als um sich selbst. Es geht
um alles. Wer wirklich darum weiß, der holt weit aus. So wird der Mensch gerade vor Gott zu Entscheidun-gen ermächtigt, die sein Dasein groß und heilswirksam macht. Die drei Weisen aus dem Morgenland verlas-sen ihre Vergangenheit und brechen auf in die Zukunft, indem sie dann vor dem Herrn niederknien, um ihn anzubeten und ihre Geschenke darzubringen.
Gott will keine Geschobenen. Im Leben, zumal wo es um das wahre Leben geht, kommt es nach Gott auf jeden persönlich an, nicht auf die Trends, nicht auf das, was gerade in ist, nicht darauf, was alle sagen, denken und tun. Es kommt auf den Willen des Einzelnen an, der ihn niederknien lässt. Sein Wille ist dann sein Glück. Es gilt im wahrsten Sinne des Wortes: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.
Es könnte uns für die Feier des Epiphanietages kein schöneres Wort gegeben werden, als das der Heiligen Drei Könige: Wir sind gekommen, um ihn anzubeten (Mt 2,2). Wie damals die Heiligen Drei aus dem Dunkel der Zeit in das Licht von Bethlehem getreten sind, so sind heute im Jahre 2012 so viele Pilger zur Epiphanie des Herrn nach Köln gekommen. Es ist mein Wunsch und der Gegenstand meines Gebetes, dass Sie alle grö-ßer, glücklicher und begnadeter wie die Heiligen Drei Könige - wieder in die Häuser und Orte Ihrer Heimat zurückkehren.
Der Mensch ist nie größer als dort, wo er niederkniet in der Anbetung, weil er nirgends Gott ähnlicher ist als dort, wo er niederkniet und anbetet. Der Mensch ist nie weiter als dort, wo er niederkniet in der Anbetung, weil ihn dabei der Atem Gottes trifft und bewegt. Und der Mensch ist nirgends erdnäher als dort, wo er niederkniet und anbetet, weil Gott nicht nur den Menschen will, sondern auch die Erde, die nicht im Chaos enden soll, sondern im Kosmos seiner Herrlichkeit. Amen.
+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln
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