Kriminaltango: Der deutsche Klerus und sein Totentanz

14. Jänner 2012 in Kommentar


Spurensuche: ist die deutsche Nationalkirche noch katholisch? Von Guido Rodheudt / Vatican Magazin


Rom (kath.net/Vatican Magazin) Monsignore Mühlich und Bischof Hemmelrath sind das, was sich ein klischeeorientiertes Fernsehpublikum von Bischöfen und ihren Sekretären wünscht. Der Bischof ist ergraut und erhaben, in jedem Fall realitätsfremd, und sein Sekretär ist ein Intrigant. Beide Hauptrollen sind diesbezüglich in der deutschen Krimiserie „Pfarrer Guido Braun“ treffsicher besetzt. So wie alle Bischöfe und Sekretäre in den Fernsehserien, von „Father Brown“ über „Don Camillo“ bis hin eben zu jenem auf Usedom exilierten bayerischen Pfarrer, unnachahmlich dargestellt von Ottfried Fischer, dessen bloße Erscheinung schon jede nordlichternde Brise bischöflicher Strafandrohungen gemütsberuhigt hinwegbarockisiert. So wie hier sind die auf der Schleimspur den Bischöfen liebedienernden Sekretäre die regelmäßigen Antipoden der priesterlichen Protagonisten. Letzter zeichnen sich vor allem durch zwei Dinge aus: Sie sind unkonventionell in ihrer Wahrnehmung und methodisch unorthodox. Heute würde man sagen: In ihnen verbinden sich Führungsfreude, Methodenklarheit und Realitätssinn.

Deswegen werden sie von den Sekretären auch nicht gemocht. Denn diese sind mit sich selbst und mit den von ihnen erdachten Strukturen beschäftigt. Sie flüstern ihren Oberhirten gerne Halbwahrheiten zu und versuchen, den wackeren geistlichen Sympathieträgern die Wasser der bischöflichen Zuneigung abzugraben, sobald die Bischöfe altersmilde werden und in ihrer rügenden Machtpose einzuknicken drohen. Am Ende des inszenierten David-Goliath-Ringens siegt dann jedoch letztlich der listige Nonkonforme. Einmal wegen der mangelnden Spannkraft seiner Gegner, meist auch wegen ihrer Dummheit, in jedem Fall aber wegen der Beharrlichkeit der detektivisch oder sonstwie ungewöhnlich selbständig arbeitenden Priester.

Diese geradezu tugendhafte Ausdauer wird gespeist aus dem Willen, sich von nichts und niemandem aus der Ruhe dessen bringen zu lassen, der weiß, dass er auf dem rechten Weg ist. Besuche im Bischofshaus, zu denen die Camillos, Browns oder Brauns recht regelmäßig geladen werden, sind zwar immer irgendwie unangenehm, aber letztlich gehen die Zitierten siegreich aus ihnen hervor. Insofern sind die Begegnungen mit ihren Bischöfen nicht repräsentativ für die realen Erfahrungen im deutschen Klerus.

Unter die Räder der Demokratie geraten

Denn die Zeit ist über die Klischees der romanhaften Priestergestalten hinweg gegangen. Die blasierten Bischöfe und ihre schleimigen Sekretäre sind anderen Phänotypen gewichen. Auch die Don Camillos und Father Browns existieren nur noch zwischen den Buchdeckeln. Die Zeiten und die Kirche in ihnen sind anders geworden. Das Selbstverständliche im Amtsverständnis des Priesters ist unter die Räder der Demokratie geraten. Deswegen ist auch der Abweichler oder der Nonkonformist nicht mehr unmittelbar auszumachen. Schon im Priesterseminar weist man den Alumnen keinen eindeutigen Ort mehr zu. Sind sie nun wirklich herausgenommen aus der Masse der Gläubigen, etwas zu tun, was sie ohne Berufung und Weihe nicht tun könnten? Gibt es noch den alten Quantensprung zwischen Laien und Priestern, der durch Handauflegung und Gebet des Bischofs aus einem Mann jemanden macht, der schier unglaublich und zutiefst Heiliges zu tun vermag, obwohl er dazu völlig unwürdig ist? Braucht man noch einen Mittler, dessen ganze Kraft nicht seine Kraft ist?
Die Antwort lautet: nein! Denn dort, wo einst magisch anmutende Vollzüge die Sorge um den ewigen Tod der Seele zu nehmen vermochten, sind heute diese Fragen mit einer allumfassenden Heilsgewißheit beantwortet. Man braucht weder Medizinmann noch Priester, man braucht Psychologen und Lebensbegleiter.

Infolgedessen entspricht auch der deutsche Bischof keineswegs dem Stereotyp des gutmütigen Großvaters oder des virilen Würdenträgers. Er ist Top-Beamter. Und sein serviler Sekretär ist ein mit den Wassern des Managers gewaschener Smartphonbenutzer. Er regiert zwar immer noch hinter den Kulissen, allerdings nicht mehr durch Einflüsterungen, sondern mittels Statistiken. Er ist auch eigentlich gar keine Person mehr, sondern ein Stab, ein Team von Kirchenverwaltern, die ihre Regierungsgeschäfte mittels Beraterfirmen absichern. Was für Aldi gut ist, ist für die Kirche billig. „Zusammenlegung jetzt!“ – wie sich doch die alte Stammheimparole wandeln kann! Das Heil liegt in den Strukturen. Sie werden es richten, sie sind die Form für die neue Kirche und ihres allgemeinen Priestertums.

Statt trotz des Mangels den Priestern als Hirten vergrößerte Pfarreien zuzuordnen, soll der Priester Teamspieler in den Pastoralräumen sein. Das Team besteht aus einer Gruppe von aus- und fortgebildeten Angehörigen des „pastoralen Personals“. Im Neu-Sprech der Strukturarchitekten der Bischöflichen Ordinariate sind damit Priester, Diakone und Laien im hauptamtlichen pastoralen Dienst gemeint. Hinzu kommt im Team – je nach Härtegrad der Strukturreform in einem Bistum – ein Anteil von ehrenamtlichen Laien, die als gewählte Vertreter aus den Pfarreien (neu: „Gemeinden“) auch zur „Mitarbeit in der Seelsorge“ oder gar „in der Leitung“ berufen sind. Damit ist das synodale Equipment für den Einsatz im „Seelsorgebezirk“, im „Pastoralraum“, in der „Gemeinschaft von Gemeinden“ oder in der Megafusionspfarrei bestellt. Wie geht es nun dem Priester? Er ist zweifelsohne (noch) da. Aber er ist weder eine persona sacra noch ein mit Leitungsvollmachten ausgestatteter Mystagoge. Seine Verantwortung ist ihm entzogen. Er braucht sich weder um die Seelen noch um sein Auskommen zu sorgen. Alles ist synodal abgestützt, gremial verkorkt und kirchensteuerlich ausgestopft.

Profilklau bei den geweihten Priestern

Er braucht für den Priester keine besondere Kleidung, kein anderes Leben. Wenn überhaupt, ist er der vorbildhafte Gutmensch. So wie Jesus, der uns die Regeln gezeigt hat, durch deren Beachtung man Konflikte vermeidet oder löst, Ungerechtigkeiten beseitigt und gewaltfrei leben kann. Diese Regeln sind jederzeit auf die Zeit übertragbar und anpassbar. Im Sinne Jesu ist deswegen im Jahre 1911 Pünktlichkeit und Anstand und einhundert Jahre später Mülltrennung und Kauf von fair gehandelten Produkten angesagt. Um das zu gewährleisten, sitzen alle in einem Boot. Gegenwärtige Pastoralkonzepte in den deutschen Diözesen überschlagen sich zuweilen mit der Beteuerung, dass das Entscheidende für die Kirche der Zukunft die Teilnahme aller Gläubigen am Allgemeinen Priestertum sei. So habe es das Zweite Vatikanum, Haupt und Mutter aller Konzilien, vermeldet. Dass jedoch nach der dort formulierten Auffassung die Gläubigen „ihr Priestertum im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“ (II. Vat. LG 10) und nicht durch Profilklau bei den Angehörigen des Weiheamtes ausüben, ist mittlerweile im Nebel der Deutungsgeschichte des Pastoralkonzils verschwunden. Also muss sich die Wirklichkeit priesterlicher Existenz mit dem Umstand abfinden, dass es den Priester in der klassischen Sicht nicht mehr braucht. Wenn, dann braucht man ihn als „Moderator“, als „Vorsteher“ oder als „Koordinator“, aber es braucht ihn nicht mehr als Hirten („pastor“) und schon einmal gar nicht als Vicarius Christi. Denn damit man „am Ort auch künftig Menschendienst und Gotteslob praktizieren kann“ (Leitlinien der Pastoral im Bistum Aachen, S. 5), ist die persona sacra nur von mittelbarer Bedeutung. Wer will, kann auch ohne Priester selig werden. Dies belegen die vielfach ohne wirkliche Not flächendeckend praktizierten Wortgottesfeiern, die – je nach Landstrich und Reformeifer des Bischofs – schon mindestens einer Generation den Wert und den Sinn der heiligen Messe und damit die Sehnsucht nach dem für sie konstitutiven Priester aberzogen haben.

Folglich schwindet auch das Bewusstsein für den Wert des Priestertums. An seine Stelle tritt anderes hauptamtliches „Pastoralpersonal“ aus Laien. Sie können und tun (fast) alles, was der Priester tut: Reden, Erziehen, Predigen, Beerdigen, Gremien leiten, Prozesse initiieren. Denn: „Alle in der Kirche haben Anteil am Heiligen, Lehren und Leiten“ (Leitlinien der Pastoral im Bistum Aachen, S. 8). Aha! Also ist der Priesterberuf nunmehr etwas Zeremonielles? Nein, auch hier haben die Laien nachgerüstet: Sie dürfen Gottesdienste feiern und andere paraliturgische Funktionen ausüben. Wozu sehnt sich die Feuerwehr denn dann noch nach einem Priester zum Segnen des neuen Einsatzfahrzeugs, wenn die Mitarbeiterin in der Notfallseelsorge es auch kann? Und wozu machen sich immer noch unverdrossene junge Männer auf den Weg zur Priesterweihe, die sie am Ende mit hohen Ansprüchen und Einschränkungen beglückt, wenn deren einzige Begründung, nämlich einen zum zentralen Kult, zur kirchlichen Verkündigung und zur Leitung der Gläubigen notwendigen Amtsträger zu erschaffen und auszurüsten, in der Wirklichkeit des kirchlichen Alltags durchgängig bestritten wird? Eigentlich kaum zu verstehen. Aber hier sind wahrscheinlich die schismatischen Verwerfungen in der deutschen Nationalkirche noch nicht manifest genug, damit man diese Schizophrenie einsieht.

So weit nun die Auswirkungen der ins Strukturelle hinein mutierten Sekretärsallüren. Was aber ist mit den Bischöfen? Auch sie agieren gerne und vornehmlich als Konferenz. Da wo sich Bischof Hemmerath hinter dem Schreibtisch verschanzt, verbergen sich die deutschen Oberhirten hinter Kommissionen und einem Ständigen Rat. Und dieser wiederum erfreut sich einer stabilen Dompteursgenossenschaft, der ihm sagt, wie die Welt funktioniert. Egal ob in Bildung, Katechese, Jugendpastoral, Pfarreiseelsorge, Missbrauchsdebatten, Neuevangelisierung, Liturgie, Strukturreformen, Kirchensteuerfragen oder beim Versuch einer scheinbar notwendigen Entwelt(bild)lichung sind sie selten dabei zu beobachten, wie sie aus eigenem Antrieb und mit der Glaubwürdigkeit des erfahrenen Hirten, der sich schon vor seiner Beförderung zum Oberhirten die Schwielen des mühsamen Hütens und Leitens zugezogen hat, das Heft für ihre Herde in die Hand nehmen. Stattdessen befleißigen sie sich der Arbeit von Pressesprechern, die die Sekretariatsentwürfe zur Zukunftsfähigkeit wie prosperierende Aktien feilbieten.

Wenn das Synodale das Sakramentale ablöst

Niemand weiß, wohin die Reise des Strukturwandels in Deutschland gehen wird. Aber man hat sich entschieden, die Leinen loszumachen und ins offene Meer hinauszusegeln. Das Einzige, was als Sicherheit bleibt, ist das Wissen um die Zeitgeistkompatibilität des Reformismus: streng demokratisch, synodal und antihierarchisch, optimistisch gegen jedes Strukturlamento und vor allem „zukunftsfähig“. Dabei ist gerade das Letztere eine der gefährlichen Vermutungen, an denen schon viele Systeme gescheitert sind, die den Kern ihrer Botschaft vergessen oder verleugnet haben. Denn zukunftsfähig ist nur eine herkunftsgewisse Reform. Und das ist die Reform der Pastoralstrukturen in Deutschland am wenigsten. Alles was sie zu bieten hat, sind die nach dem Vorbild der Bildungsreform angestoßenen Evaluationsprozesse zur Analyse des Ist-Zustands. Darin stellt man fest: weniger Priester, weniger Gläubige, weniger gesellschaftliche Akzeptanz und vor allem: weniger Geld! Woraufhin eine auf diese Faktenlage amorph reagierende Strukturdebatte anhebt, in der völlig unklar bleibt, was nun Kirche ist und was nicht, was folglich der Priester ist und was nicht und was die Aufgabe der Laien sein soll. Ende vom Lied sind allerorten bischöflich abgesegnete und mit dem ganz großen Tamtam partikularer Normen, Dekrete und Anordnungen aufgezogenen potemkinschen Kulissen einer „zukunftsfähigen“ Kirche vor dem Hintergrund einer sterbenden Volkskirche mit Pfarreien, die keine mehr sein können, weil sie zu aus fünfstelligen Seelenzahlen bestehenden Pastoraluniversen aufgeblasen wurden. Zurück bleibt eine neue Kirche mit Priestern, die in diesen Räumen nur noch auf marginalen Umlaufbahnen vorbeischwirren, um „Eucharistie sicherzustellen“, Berufskatholiken, deren profilneurotische Amts- und Chefsesselbegierde mit allerlei neuen Erfindungen befriedigt wird, wenn man ihnen Jobs wie „Gemeindeleitung im Team“, „Koordinator in der Seelsorge“, „Wortgottesdienstleiter“ oder Mitgliedschaften in „Leitungsorganen“ wie dem Aachener Modell eines pastoralen Politbüros mit dem sowjetoiden und in schönstem DDR-Genitiv formulierten Namen „Rat der Gemeinschaft der Gemeinden “ anbietet.

All das entwickelt sich ungebremst hin zu einer protestantischen Form christlicher Gemeinschaft, in der das Synodale das Sakramentale ablöst. Bei den Bischöfen, die sich bei aller Vielbeschäftigung des Reisens und Repräsentierens den Optimismus trotz der gegenwärtigen volkstürmischen Untergangszeiten nicht nehmen lassen mögen, ist das offenbar kein ernstzunehmendes Problem. Weshalb sie auch geflissentlich immer dann weghören, wenn der Papst mehr als einmal und mit erstaunlicher Deutlichkeit davor warnt, auf den Priestermangel in Deutschland mit Methoden zu reagieren, die am Ende den Priester überflüssig machen. So am 16. März 2009 bei seiner Ankündigung des Internationalen Jahres des Priesters: „Die Zentralität Christi bringt die richtige Wertung des Amtspriestertums mit sich, ohne das es keine Eucharistie und erst recht keine Sendung, ja selbst die Kirche nicht gäbe. In diesem Sinne ist es notwendig, darüber zu wachen, dass die ,neuen Strukturen’ oder pastoralen Einrichtungen nicht für eine Zeit gedacht sind, in der man ohne das Weiheamt ,auskommen’ muss, wobei von einem falschen Verständnis der rechten Förderung der Laien ausgegangen wird. In diesem Fall würde man nämlich die Voraussetzungen schaffen für eine noch größere Verwässerung des Amtspriestertums, und die angeblichen ,Lösungen’ würden sich in dramatischer Weise decken mit den eigentlichen Ursachen der gegenwärtigen Problematiken, die mit dem Amt verbunden sind.“

Strukturen regieren, nicht Bischöfe

Auch in der nüchternsten Betrachtung muss man sich nach diesen päpstlichen Warnungen im Klaren sein, dass die deutschen Bischöfe in ihrer Mehrheit wenig bis nichts davon in ihre Strukturreformen einbezogen haben. Denn aus denen spricht landauf landab nichts von der Wertschätzung der Notwenigkeit des Priesters.

Und folglich stimmt auch das Verhältnis der Bischöfe zu ihren Priestern in den seltensten Fällen. In der Regel sind die Bischöfe für ihre Priester nicht oder nur mit Mühe erreichbar. Die Zeiten Don Camillos sind lange vorbei. Guaresci müsste seinen Roman um- und den Bischof rausschreiben. Ihn gäbe es nicht. Wozu auch? Die wahren Entscheidungsorte sind auf einer anders Ebene. In den Diözesen sind das die Diözesangremien und die hinter ihnen agierenden Bistumstheologen und Ordinariatsmitarbeiter. Offene Querverbindungen und Seilschaften zu „Kirche von unten“ oder zur „KirchenVolksbewegung“ sind zuweilen offene Geheimnisse. Dementsprechend stark ist die Laienlobby, die schon rein zahlenmäßig dem Priester und seinem Stand überlegen ist. Die strukturellen Veränderungen, die den Priester durch eine neue Verfassung des kirchlichen Lebens – zum Teil in offenem, zum Teil in subkutanem Widerspruch zum geltenden Recht – marginal bis überflüssig machen, werden nicht von den Bischöfen ersonnen, sondern von ihren Referaten, die in erster Linie dazu da sind, kirchliche Wirklichkeiten zu entwerfen, in denen sie selbst niemals werden arbeiten müssen. Unter dem euphemistisch bis zynischen Stichwort der „Kooperativen Pastoral“ wird suggeriert, in Zeiten zurückgehender personeller und materieller Ressourcen, sei die Neubewertung der Rollenverständnisse das Gebot der Stunde. Damit aber verlässt die Kooperative Pastoral den Boden des Pragmatischen und bekommt einen deutlich reformatorischen Charakter. Es geht um eine neue Kirche, in der alle Priester sind und in der nicht mehr der Kult, sondern eine „Pastoral“ Mittelpunkt ist, hinter der sich nichts anderes als ein flaches und religiös verbrämtes bürgerschaftliches Engagement verbirgt.

Es entspricht der Neuen Welt der Kooperativen Pastoral, dass Priester im Gesichtsfeld der Bischöfe nicht mehr wirklich vorkommen. Schon in den Werbeorganen der meisten Diözesanstellen für Geistliche Berufe – heute: „Informationsstellen Berufe der Kirche“ – rangiert der Priester irgendwo zwischen Ärzten, Krankenschwestern, Lehrern, Gemeinde- und Pastoralreferenten als der Beruf mit dem unklarsten Profil. Was soll man dem jungen Interessenten über seine künftigen Aufgaben im „Pastoralraum“ sagen? Wird er jemals die Dimensionen seiner Weihevollmachten ausüben können. Wird er mit anderen Worten jemals ohne demokratische Legitimation Hirte sein können? Nein, sicher nicht! Entsprechend mager sind auch die Anmeldezahlen in den Priesterseminaren. Als Gradmesser für den Stand der Begriffsverwirrung kann ohne weiteres gelten, dass die Priesternachwuchszahlen desto besser sind sind, je klarer ein Bischof sich für die Berufungen vor und nach der Weihe engagiert, und je besser die Aussichten für den Kandidaten sind, später als Priester in all seinen Wesenzügen gefordert zu sein und nicht nur als „Sakramentenkasper“.

Hinzu kommt die Nähe des Bischofs zu seinen Priestern. Dort, wo der Bischof ein Ohr und Zeit für seine Priester hat – und zwar auch ganz individuell –, ist es auch um den Priesternachwuchs besser bestellt. In der Regel aber ist es anders. Beispiel: Bischöfliche Visitationen. Klitzekleine feigenblatthafte Zeitfenster werden hier für persönliche Gespräche zwischen Bischof und Priester eingeräumt. Den Löwenanteil an Zeit investiert man für Spaziergänge durch die Gremienlandschaft. Dialog gilt weniger für´s Vis-à-vis der Einzelnen als für die Gruppe.

Priester unter Generalverdacht

Wäre es anders, gäbe es die wirkliche Sorge der deutschen Bischöfe in ihrer Mehrheit um ihre Priester, wären spontane Begegnungen zwischen Priester und Bischof nicht nur für die Fälle reserviert, wo Priester alkoholkrank geworden sind oder Kinder gezeugt haben, dann wäre es auch sicherlich nicht zu jenem Husarenritt der Deutschen Bischofskonferenz gekommen, ihre Priester innerhalb eines kriminologischen Forschungsprojekts methodisch unter den Generalverdacht des sexuellen Mißbrauchs zu stellen und damit den wilden Tieren eines hysterisierten Öffentlichkeitszirkus ausgerechnet jenen Teil ihres „Pastoralpersonals“ vorzuwerfen, um den sie sich bis auf wenige rühmliche Ausnahmen sonst so gut wie nicht kümmern. Nur ein geradezu pathologischer Mangel an Erdhaftung und die Unkenntnis der Gesetze medialer Strukturen kann hier dazu geführt haben, dass sich die Prälaten von den Ideengebern aus dem Umfeld des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz die Öffnung der Personalarchive und sogar der Bischöflichen Geheimarchive, die zum Schutz der Person strengster kanonischer Versiegelung unterliegen, als einen Freispruch vom Generalverdacht des sexuellen Mißbrauchs von Minderjährigen haben verkauen lassen. Dass damit unversehens die Spitze des Missverhältnisses von Priestern und Bischöfen erreicht ist, haben sie offenbar nicht gesehen, was umgekehrt genau dies bestätigt: Es gibt keinen Korpsgeist mehr im deutschen Klerus! Die Verwässerung der Sakramentalität der Kirche und die faktische Verbrennung des katholischen Priestertums auf den Altären einer synodal weichgespülten Wir-sind-Kirche-Reformation haben dafür gesorgt, dass das Immunsystem eines funktionierenden kirchlichen Organismus vollends zusammengebrochen ist. Wo in den Zeiten des Nationalsozialismus und der moralischen Schauprozesse gegen Priester die Bischöfe sich generaliter hinter ihren Klerus gestellt haben und damit auch eine Geschlossenheit in den Reihen der Gläubigen bewirkt haben, sind es heute die Bischöfe selbst, die die Priester solitär unter Absehung von allen anderen „kirchlichen Berufen“, die sie dem Forschungsvorhaben merkwürdigerweise nicht aussetzen, inkriminieren.

Sieger sind in jedem Fall jene Kräfte aus dem Vorzimmer, die schon dem klassischen Filmpriester von Father Brown bis Don Camillo das Leben schwer gemacht haben. Anders als dort arbeiten sie allerdings offenbar nicht nur an der Behinderung einzelner Priester, sondern gleich an der Vernichtung eines ganzen Standes. Der Kriminaltango, den die deutschen Bischöfe von ihren Klerikern durch das Forschungsprojekt zum Kindesmissbrauch auf öffentlicher Bühne zu tanzen verlangen, ist dabei kein Sonderfall. Im Gegenteil! Er fügt nur dem Tanz auf dem Vulkan einer priesterfeindlichen Heterodoxie eine neue Spielart hinzu, passend zum Totentanz, den der deutsche Klerus schon seit langem vollführt. Einzige Rettung: die Standfestigkeit des Pfarrers Guido Braun gegen Monsignore Mühlich. Sie allein wird vielleicht Bischof Hemmelrath überzeugen, dass er den Rezepten aus seinem Vorzimmer nicht länger blind vertrauen darf.


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