Kardinal Meisner: Entweltlichtes Christsein inmitten der Welt

16. Jänner 2012 in Deutschland


Wie „sieht eine angemessene christliche Distanz zur Welt aus?“, fragte der Kölner Kardinal beim Neujahrsempfang seines Diözesanrates.


Köln (kath.net) „Fliehen darf und muss der Christ die Welt nur soweit, wie diese zum Exponenten der Gottesfeindschaft geworden ist. Wie aber sieht eine angemessene christliche Distanz zur Welt aus?“ Dies fragte der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner in seiner Ansprache beim Neujahrsempfang des Kölner Diözesanrates unter Bezugnahme auf die Rede des Heiligen Vaters im Freiburger Konzerthaus im September 2011.

kath.net dokumentiert die Rede des Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner beim Neujahrsempfang 2012 des Kölner Diözesanrates in voller Länge:

Was ist Entweltlichung der Kirche?

„Dein ist der Himmel, dein auch die Erde; den Erdkreis und was ihn erfüllt hast du gegründet“ (Ps 89,12). Mit diesen Worten preist das Volk Israel den Schöpfergott, in dessen Hand alles liegt, was da ist. Nicht um Bedürfnisse irgendwelcher Art zu stillen, hat Gott die Welt ins Dasein gerufen, wie das bei einem Menschen wohl der Fall wäre. Gott ist ja in sich schon vollkommen und unendlich glücklich; er bedarf keiner Ergänzung oder Hilfe. Nur einen einzigen Beweggrund hat Gottes Schöpfungswerk: die Liebe, die ja sein Wesen ausmacht. Denn Liebe drängt von Natur aus dazu überzuquellen, sich zu verströmen und zu verschenken.

Nicht nur als Schöpfer hat Gott seine Liebe zur Welt gezeigt, sondern auch und vor allem als ihr Erlöser. So kündet der Evangelist Johannes: „Denn Gott hat der Welt auf diese Weise seine Liebe erwiesen, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16; leicht verändert gegenüber EÜ).

Hier darf man allerdings getrost stutzen: Wenn Gott die Welt aus Liebe erschaffen hat und erhält – wieso muss er dann seinen einzigen Sohn nicht nur geben, sondern sogar hingeben? Was macht dieses Opfer erforderlich, das Gott nicht etwa einfordert, sondern für uns Menschen und zu unserem Heil selbst bringt?

Wiederum ist es das Johannesevangelium, das das dahinter stehende Drama erahnen lässt. Welt und Menschheit, die aus Gottes Hand hervorgehen und seine Liebe frei erwidern sollen, sind durch die Sünde in sich verdreht und verkrümmt worden. So haben sie ihre ureigene Ausrichtung und Orientierung verloren und sind falschen Zielen und falschen Göttern gefolgt.

Von Christus sagt der Prolog: „Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (1,10-11). Bezeichnenderweise meint das Johannesevangelium, wenn es vom „Herrscher der Welt“ (14,30; 16,11) spricht, nicht etwa Gott, sondern den Teufel.

So erhält der Begriff „Welt“ für uns Christen eine fatale Doppelbedeutung: Einerseits bezeichnet er die von Gott hervorgebrachte und geliebte Schöpfung, andererseits aber auch den Herrschaftsbereich derjenigen, die sich als abständig von Gott zeigen – oder sogar als widerständig. Diese Doppelbedeutung teilt die Menschheit in zwei Lager: „Wir sind aus Gott, aber die ganze Welt steht unter der Macht des Bösen“, wie es im 1. Johannesbrief heißt (5,19). Der Herr selbst hat es seinen Jüngern angekündigt: „Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt“ (Joh 15,19). Auf diese Weise wird die Opposition zur Welt förmlich zum unterscheidend Christlichen: „Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht“ (1 Joh 2,15). Ebenso der Jakobusbrief: „Wer also ein Freund der Welt sein will, der wird zum Feind Gottes“ (4,4).

Fliehen darf und muss der Christ die Welt nur soweit, wie diese zum Exponenten der Gottesfeindschaft geworden ist. Wie aber sieht eine angemessene christliche Distanz zur Welt aus? Auch in dieser Frage leitet uns der vierte Evangelist an. Mögen die Welt und ihr Fürst Christus bekämpfen: Indem Gott der geliebten Welt den Sohn gab, hat er die widerständige Welt besiegt, wie er bei seinem Abschied den Jüngern vorwegnehmend sagt (Joh 16,33).

Friedlicher formuliert Paulus diesen Sachverhalt: „Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort von der Versöhnung (zur Verkündigung) anvertraute“ (2 Kor 5,19). Dazu also diente die eingangs angesprochene Hingabe des Gottessohnes! Dann aber bedeutet Weltflucht auch nicht einfach den Rückzug oder gar die Abkapselung der Christen, sondern im Gegenteil ihre Aussendung. Der Herr selbst trägt es ja in seinem Hohepriesterlichen Gebet dem Vater vor: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt - 3 - nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. … Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (Joh 17,15.18).

Was Johannes in seiner Zeit darlegt, bleibt für uns Christen aktuell. Die Mahnung des Apostels Paulus an die Römer gilt auch uns heute noch: „Gleicht euch nicht dieser Welt an“ (Röm 12,2). Wir sind zwar in die Welt gesandt, aber nicht, um an ihrer Gottwidrigkeit teilzuhaben, sondern im Gegenteil: um sie mit dem Evangelium zu durchdringen, sie zu verwandeln und Gott wieder alles in allem sein zu lassen. Jesus erklärt selbst dieses Thema, indem er davon spricht, dass das Salz Salz bleiben muss, damit es die Welt zu würzen vermag, und dass der Sauerteig Sauerteig bleiben muss, damit er den ganzen großen Mehltrog durchsäuern kann. Wird etwa in größerer Menge in das Salz Erde beigemischt, dann verliert das Salz seine Würze. Man kann ein ganzes Pfund von dieser Mischung in die Weltsuppe hineinschütten, man wird nichts von der Würze und von dem Geschmack des Salzes spüren. Das Salz ist Erde geworden. Das Evangelium ist Welt geworden.

Das Gleiche lässt sich vom Sauerteig sagen. Mitten in die Welt gestellt sind wir, aber nicht um uns von ihr aufsaugen zu lassen, sondern um sie im Geiste des Evangeliums aktiv zu formen und zu prägen. Das hat Konsequenzen für unser Tun: Jedem, der sich die Welt zunutze macht, rät der Apostel, dies so zu tun, als nutze er sie nicht; „denn die Gestalt dieser Welt vergeht“ (vgl. 1 Kor 7,31). Und später setzt er hinzu: „Wir leben zwar in dieser Welt, kämpfen aber nicht mit den Waffen dieser Welt“ (2 Kor 10,3). Mehr noch als einst der jungen Christenheit droht uns heute eine Selbstsäkularisierung der Kirche, die darin besteht, dass sie so sehr in ihren Strukturen Welt wird und dass ihre Akteure Spezialisten und nicht mehr Zeugen sind. Wie wir von sündhaften Strukturen sprechen, so gibt es auch weltliche Strukturen in der Kirche, die die Kirche zur Welt machen. Wenn ihre Mitarbeiter sich nur noch als Spezialisten auf ihrem weltlichen Gebiet erweisen, dann sind sie für den kirchlichen Dienst nicht geeignet. Andernfalls würde die Kirche sich selbst überflüssig machen. Die Welt braucht keine Kirche, die selbst zur Welt geworden ist. Eine solche Kirche erstickt an sich selbst.

Hier meint man auch nicht die lebendige Beziehung zum lebendigen Gott, sondern dass man über die weltlichen kirchenpolitischen Themen Bescheid weiß und dann mitreden kann: Aufhebung des Zölibates, Priesterweihe der Frau, wiederverheiratete Geschiedene etc. Eine solche Kirche verliert jede Faszination, denn sie ist der Gestalt dieser Welt angeglichen.

Es ist ein Irrglaube zu meinen, die Mahnung des Papstes bedeute: „Kehrt
der Welt den Rücken und lasst die Welt Welt sein. Die Kirche geht nun in die Sakristei und in ihre Kirchenräume und zelebriert dort sich selbst“. Genau das Gegenteil ist der Fall. Der Papst sagt, das Salz muss wieder ganz Salz werden, damit es dann in der Suppe dieser Welt ganz aufgehen kann, um sie zu würzen und in dem Geiste Christi zu erfüllen. Der Diognetbrief, ein frühchristliches Verteidigungsschreiben, äußert es ausdrücklich: Die Christen „beteiligen sich an allem wie Bürger und lassen sich alles gefallen wie Fremde; jede Fremde ist ihnen Vaterland und jedes Vaterland eine Fremde. Sie heiraten wie alle andern und zeugen Kinder, setzen aber die geborenen nicht aus. Sie haben gemeinsamen Tisch, aber kein gemeinsames Bett. Sie sind im Fleische, leben aber nicht nach dem Fleische. Sie weilen auf Erden, aber ihr Wandel ist im Himmel“ (Kap. 5). Mitten in der Welt, aber nicht von der Welt und nicht wie die Welt: Diese Diskrepanz verleiht der Kirche eine Dynamik, jene Kraft Christi, „mit der er sich alles unterwerfen kann“ (vgl. Phil 3,21). Wenn es dieses Unterscheidende, diese fruchtbare Spannung nicht mehr gibt, dann hat sich die Kirche selbst erübrigt.

In der Bergpredigt stellt Christus der herrschenden Auslegung des Gesetzes immer wieder ausdrücklich sein „Ich aber sage euch“ entgegen. Ob die heutigen Christen in unseren Breitengraden dieses „Ich aber sage euch“ noch im Gehör haben? Nehmen nicht viele eher das „Wir aber auch“ der Welt zur Devise? „Wir aber wollen es mit Ehe, Familie, mit dem ungeborenen Leben halten wie die anderen auch“. Kurt Tucholsky hat diese Haltung schon im Jahre 1930 angeprangert: „Atemlos jappend laufen [die Kirchen] hinter der Zeit her, auf dass ihnen niemand entwische. »Wir auch, wir auch!«, nicht mehr, wie vor Jahrhunderten: »Wir.« Sozialismus? Wir auch. Jugendbewegung? Wir auch. Sport? Wir auch. Diese Kirchen schaffen nichts, sie wandeln das von andern Geschaffene, das bei andern Entwickelte in Elemente
um, die ihnen nutzbar sein können.“

Der Aufruf des Heiligen Vaters zur Entweltlichung bedeutet die Einladung zum „Ich aber sage euch“ und somit zugleich zum Abschied vom „Wir aber auch“. Der Text der Rede erweist dies deutlich. Ich will das mit einigen Zitaten belegen:

„Um ihre Sendung zu verwirklichen, wird [die Kirche] auch immer wieder Distanz zu ihrer Umgebung nehmen müssen, sich gewissermaßen „ent-weltlichen“. … Christus, der Sohn Gottes, [ist] gleichsam aus dem Rahmen seines Gottseins herausgetreten, [hat] Fleisch angenommen …, [ist] Mensch geworden …, nicht nur, um die Welt in ihrer Weltlichkeit zu bestätigen und ihr Gefährte zu sein, der sie so lässt, wie sie ist, sondern um sie zu verwandeln. … Die Kirche … muss … sich immer neu den Sorgen der Welt öffnen, zu der sie ja selber gehört, sich ihnen ausliefern, um den heiligen Tausch, der mit der Menschwerdung begonnen hat, weiterzuführen und gegenwärtig zu machen.

In der geschichtlichen Ausformung der Kirche zeigt sich jedoch auch eine gegenläufige Tendenz, dass die Kirche zufrieden wird mit sich selbst, sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam ist und sich den Maßstäben der Welt angleicht. Sie gibt nicht selten Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zu der Offenheit auf Gott hin, zur Öffnung der Welt auf den Anderen hin…

[Es ist] wieder an der Zeit, die wahre Entweltlichung zu finden, die Weltlichkeit der Kirche beherzt abzulegen. Das heißt natürlich nicht, sich aus der Welt zurückzuziehen, sondern das Gegenteil. … Offensein für die Anliegen der Welt heißt demnach für die entweltlichte Kirche, die Herrschaft der Liebe Gottes nach dem Evangelium durch Wort und Tat hier und heute zu bezeugen, und dieser Auftrag weist zudem über die gegenwärtige Welt hinaus; denn das gegenwärtige Leben schließt die Verbundenheit mit dem Ewigen Leben ein.“

Mit diesen Worten greift der Heilige Vater Maßgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils auf und führt sie weiter. Wer mit der Kirche in Berührung kommt, muss Christus berühren! Stimmt das bei uns? Wer die Kirche abklopft, darf nicht Strukturen, ein organisatorisches Gehäuse zum Klappern bringen, sondern das Herzklopfen Gottes hörbar werden lassen. In der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ definierte die Kirche ihre Stellung zur Gesellschaft und in ihr neu. Über Jahrhunderte hinweg hatte man versucht, das Reich Gottes auf Erden durch eine Vermengung kirchlicher und politischer Strukturen, Ämter und Aufgaben zu erreichen. Nun sagt die Kirche ausdrücklich, dass sie – ich zitiere - „in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf noch auch an irgendein politisches System gebunden ist … Wer sich dem Dienst am Wort Gottes weiht, muss sich der dem Evangelium eigenen Wege und Hilfsmittel bedienen, die weitgehend verschieden sind von den Hilfsmitteln der irdischen Gesellschaft. Das Irdische und das, was am konkreten Menschen diese Welt übersteigt, sind miteinander eng verbunden, und die Kirche selbst bedient sich des Zeitlichen, soweit es ihre eigene Sendung erfordert. Doch setzt sie ihre Hoffnung nicht auf Privilegien, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden. Sie wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, dass durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist, oder wenn veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung fordern. … Sie wendet dabei alle, aber auch nur jene Mittel an, welche dem Evangelium und dem Wohl aller je nach den verschiedenen Zeiten und Verhältnissen entsprechen“ (n. 76).

Mit der Menschwerdung des Gottessohnes ist die Ewigkeit in die Zeit eingetreten, die Unendlichkeit in die Endlichkeit. Der Kirche ist es aufgetragen, dieses jeden weltlichen Rahmen sprengende Geschehen fortzuführen. In Christus ist das Wort Fleisch geworden, hat der unsichtbare Gott buchstäblich Gestalt angenommen. Weil Christus die unsichtbare Gnade an die sichtbare Gestalt seines Leibes bindet, bezeichnet man ihn als das „Ursakrament Gottes“. Ähnlich die Kirche: Auch sie ist ja auf ihre Weise Leib Christi, und auch in ihren Lebensvollzügen wird das unsichtbare Heil durch sichtbare Zeichen und Vollzüge vermittelt. Deshalb nennen wir sie das „Ganzsakrament“, das „Wurzelsakrament“ oder auch das „allumfassende Heilssakrament“. Allerdings: Zu einem Sakrament gehören Zeichen und Gnade, Materie und Form. Wo nur Materie, dort kein Sakrament; wo nur Welt, dort keine Kirche. Eine verweltlichte Kirche, die ihre geistliche Dimension aufgibt, kann keineGnade mehr vermitteln, sondern dies allenfalls noch vortäuschen. Die Vertreter einer solchen Kirche würden sich den Vorwürfen aussetzen, die der neutestamentliche Judasbrief einst den Irrlehrern machte: „Wasserlose Wolken sind sie, von den Winden dahingetrieben; Bäume, die im Herbst keine Frucht tragen“ (Jud 12). Wer von dürren Bäumen Nahrung erhofft und von wasserlosen Wolken Trank, muss hungern und dürsten. Ebenso ergeht es denjenigen Gläubigen, die von einer verweltlichten Kirche erhoffen, mit Gottes Gnade in Berührung zu kommen: Sie können nur betrogen und enttäuscht werden.

Schon der eben zitierte Diognetbrief kannte die Spannung zwischen Christen und Welt, die er in das sprechende Bild vom beseelten Leib kleidete. Hier kommt freilich nicht nur die Unterschiedenheit zum Ausdruck, sondern auch, dass beide Elemente aufeinander verwiesen sind: „Um es kurz zu sagen, was im Leibe die Seele ist, das sind in der Welt die Christen. Wie die Seele über alle Glieder des Leibes, so sind die Christen über die Städte der Welt verbreitet. Die Seele wohnt zwar im Leibe, stammt aber nicht aus dem Leibe; so wohnen die Christen in der Welt, sind aber nicht von der Welt. … Die Seele ist zwar vom Leibe umschlossen, hält aber den Leib zusammen; so werden auch die Christen von der Welt gleichsam in Gewahrsam gehalten, aber gerade sie halten die Welt zusammen“ (Kap. 6).

Als Seele der Welt, als ihr formendes Prinzip, sind wir Christen damit betraut, diese zu gestalten. Dazu müssen wir ihre Dimensionen und Strukturen mit dem Geist des Evangeliums durchdringen - nicht aber diese ersetzen. Hier in Köln beispielsweise haben wir teilweise bedrückende Erfahrungen mit Bischöfen gemacht, die zugleich das weltliche Amt des Kurfürsten innehatten. Wie oft fiel da das seelsorgliche Anliegen hinter die Anforderungen des Fürstentums zurück!

Aber auch innerhalb der Kirche selbst haben wir einem Übermaß an Welt zu wehren. Wo beispielsweise nicht das Heil der Menschen, sondern die Finanzen letzte Wege und Ziele diktieren, verliert die Kirche sich selbst. Ein Amt oder eine Aufgabe in der Kirche ist immer Dienst: Wo stattdessen die Aussicht auf großzügige Gehälter, gesellschaftliches Ansehen oder politischen Einfluss locken, pervertiert sich der Sinn der Kirche in sein Gegenteil. „Bei euch aber soll es nicht so sein“: Dieses Prinzip des Kontrastes zwischen kirchlichem und weltlichem Wirken hat Christus selbst gelehrt und gelebt. Wenn kirchliches Tun und Leiten nicht mehr von den Strukturen der freien Wirtschaft oder der Politik zu unterscheiden sind, machen wir den Herrn selbst mundtot. Diese Liste von Beispielen ließe sich mühelos fortsetzen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, gehen wir in das Neue Jahr mit dem festen Vorsatz, der Welt weniger Raum in der Kirche zu geben; vielleicht zieht auf diese Weise mehr Himmel in die Kirche ein – und damit letztlich auch in die Welt.

+ Joachim Kardinal Meisner


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