3. Februar 2012 in Interview
Die russisch-orthodoxe Kirche wird Alexander Schmorell heiligsprechen. Dadurch wird die christliche Inspiration des Widerstandes unterstrichen - Interview mit dem Historiker Martin Kugler - Von Johannes Graf
Wien (kath.net/jg)
Die russisch-orthodoxe Kirche hat vor kurzem die Heiligsprechung von Alexander Schmorell bekannt gegeben. In vielen Darstellungen der Weißen Rose wird die Bedeutung des Glaubens und die geistliche Dimension im Leben dieser faszinierenden jungen Menschen zu wenig beachtet, sagt der Zeithistoriker Dr. Martin Kugler im KATH.NET Interview über die Person Alexander Schmorells.
kath.net: Was war Deine erste Reaktion, als Du erfahren hast, dass Alexander Schmorell von der russisch-orthodoxen Kirche heiliggesprochen wird?
Martin Kugler: Ich war ebenso überrascht wie erfreut. Ohne die Details einer Heiligsprechung in der Ostkirche zu kennen, erscheint mir diese Würdigung als ein weiterer Hinweis auf die Möglichkeit der Christen, auch im gesellschaftlichen und politischen Engagement heilig zu werden. Außerdem wird dadurch einmal mehr die tiefe christliche Inspiration des Widerstands der Weißen Rose unterstrichen.
kath.net: Wer war Alexander Schmorell und wie kam er zur Widerstandsgruppe "Die Weiße Rose"?
Martin Kugler: Alexander Schmorell kam 1917 als Kind ostpreußische Auswanderer in Russland zur Welt, seine Familie floh allerdings sehr bald nach München. Aus Liebe zu seiner Mutter, die kurz nach der Geburt starb, wurde er im russisch-orthodoxen Glauben erzogen. Die Liebe zu Russland prägte Schurik, wie ihn seine Freunde nannten. Ebenso die Beschäftigung mit bildender Kunst und Literatur, wobei christliche Autoren im Lauf der Zeit eine immer stärkere Rolle spielten. Als Medizinstudent lernte er 1941/42 in der Münchener Studentenkompanie Hans Scholl und Willi Graf kennen. Scholl und Schmorell kann man schon als Initiatoren der Gruppe sehen. Wenig später kamen Graf und als weitere zentrale Figur Sophie Scholl und noch ein vierter Medizinstudent hinzu: Christoph Probst. Die Weiße Rose entstand allerdings nicht als organisierte Gründung sondern als gemeinsame Überzeugungstat eines wohl einzigartigen Freundeskreises.
kath.net: Was waren seine wichtigsten Aufgaben im Widerstand und welche Motive haben ihn dabei geleitet?
Martin Kugler: Schmorells Stellung und Beitrag für den Widerstand war sicherlich zentral. Ab Mai 1942 verfasste und verteilte er gemeinsam mit Hans Scholl die ersten vier Flugblätter der Weißen Rose. Er brachte seinen Freund Christoph Probst mit den Scholls zusammen und gewann später auch weitere Mitstreiter. Während einer Feldfamulatur in Russland im Sommer 42 sensibilisierte er seine Kameraden auch dank seiner Zweisprachigkeit für die Not der Zivilbevölkerung und die Naziverbrechen im Osten. Daraus entsprangen dann weitere Aktionen nach der Rückkehr. So versuchten Schmorell und Scholl von München aus auch Kontakte zu anderen deutschen Widerstandsgruppen zu knüpfen. Sein kühner und zugleich sensibler Charakter dürften ihn neben Hans Scholl zu einem Anziehungspunkt der Gruppe gemacht haben. Irgendwie entspricht es einer tragischen Logik, dass seine Flucht nach der Verhaftung der Geschwister Scholl nicht gelang und er im Juli 1943 nach einem zweiten Prozess gegen die Weiße Rose ebenso hingerichtet wurde.
kath.net: Spielte sein christlicher Glaube eine Rolle für seine Tätigkeit in der "Weißen Rose"?
Martin Kugler: In vielen Darstellungen der Weißen Rose wird der Stellenwert des Glaubens und die geistliche Dimension im Leben dieser bedeutenden jungen Menschen zu wenig beachtet. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass Motivation, geistiger Horizont und Courage dieses Widerstands für fast alle in der Gruppe aus dem christlichen Glauben kamen. Christoph Probst, der in einem agnostischen Elternhaus aufwuchs, ließ sich kurz vor der Hinrichtung taufen und starb mit dem Credo auf den Lippen. Ganz deutlich werden die religiösen Quellen und die Entwicklung des Freundeskreises auch bei der faszinierenden Lektüre der Briefe und Tagebücher der Geschwister Scholl.
Von Alexander Schmorell gibt es meines Wissens nur wenige Aufzeichnungen dieser Art. Sein christliches Leben dürfte gerade während der fünfmonatigen Haft so innig und intensiv geworden sein, wie das für einen heiligmäßigen Menschen typisch ist. Im Abschiedsbrief an seine Schwester schreibt er von der Notwendigkeit dieses ganz harten Unglücks, um mich auf den wahren Weg zu bringen - aber deshalb war es in seinen Augen gar kein Unglück.
kath.net: Herzlichen Dank für das Gespräch.
kathTube: Video Trailer über die Weiße Rose
Dr. Martin Kugler ist Zeithistoriker und betreibt die Agentur Kairos - Consulting und das Heiratsportal Kathtreff.org. Er hat sich in mehreren Publikationen intensiv mit dem christlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus befasst.
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