Auf dass sie Gerechtigkeit erfahren

10. Februar 2012 in Kommentar


Dass aber die Partei mit dem christlichen „C“ im Namen sich nicht (mehr) als Partei des Sonntagsschutzes, sondern als die Partei des ungehemmten Konsums präsentiert, ist schon erstaunlich - Ein Kommentar von Monika Metternich


Köln (kath.net)
Der Sonntag als Tag des ultimativen Kaufrausches, als Tag des Handels und der Umsätze - in Deutschland schien sich bisher mehr und mehr die Meinung durchzusetzen, der Sonntag sei der hohe Feiertag der Konsums. In diese marktorientierte Idylle dröhnten plötzlich zwei Donnerschläge, als kürzlich die Stadt Siegen als avantgardistische Vorreiterin und ihr folgend auch der Stadtrat von Bochum mehrheitlich beschlossen, den Sonntag zukünftig als „Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ gesetzlich zu schützen, ganz so, wie es auch im Grundgesetz vorgesehen ist.

„Bochum darf nicht auf den Status des Provinznestes zurückfallen“, wetterte Thomas Lenk, Vorsitzender des Bochumer Einzelhandelsverbandes, der WAZ, gegen die demokratische Bochumer Entscheidung. „Das ist ein unglaublicher Schlag ins Gesicht der Händler.“ Und Klaus Franz, Vorsitzender der CDU-Ratsfraktion Bochum, klagte gestern beim Kölner „Domradio“: „Wir glauben, dass man erstens aus Gründen der Arbeitsplatzsicherheit im Einzelhandel und zweitens aus Gründen der Stadtentwicklung insgesamt einen solchen Alleingang nicht machen kann. Der Einzelhandel ist darauf angewiesen, dass man im Konzert der anderen Städte - und das gilt gerade im Ruhrgebiet - gleiche Wettbewerbsbedingungen hat“.

Dass der Handel Sturm gegen die – wie wir sehen werden, äußerst vernünftige - Entscheidung der beiden Stadträte läuft, ist nicht so überraschend. Wer den Profit als Maßstab von Gerechtigkeit ansetzt, für den sind Umsätze ein besseres Argument als das Recht möglichst vieler – also auch hunderter, tausender von Verkäufern und Verkäuferinnen! – auf einen kollektiv freien Tag.

Dass aber die Partei mit dem christlichen „C“ im Namen sich nicht (mehr) als Partei des Sonntagsschutzes, sondern als die Partei des ungehemmten Konsums präsentiert, ist schon erstaunlich. „Wir beobachten auch, dass Familien gemeinsam einkaufen gehen, wozu in der Woche oftmals gar keine Zeit besteht“, schiebt der CDU-Mann Klaus Franz beim „Domradio“ nach. Vielleicht darf er an dieser Stelle daran erinnert werden, dass der Samstag in unseren Breiten für fast alle – wieder einmal ausgenommen die Verkäuferinnen und Verkäufer – ein arbeitsfreier Tag ist, an dem nach Herzenslust mit der ganzen Familie eingekauft werden kann. Die Gerechtigkeit erfordert es aber, dass an einem einzigen Tag in der Woche auch diejenigen, die ständig dem Konsum anderer zu dienen haben, einen freien Tag für sich und ihre Familien reklamieren können. Und das ist der Sonntag.

Das Argument, „die“ können sich ja auch einen anderen Tag freinehmen, zieht nämlich nicht: Denn an keinem anderen Tag ist es möglich, ganz unkompliziert ohne größere Planungen in Familie und Freundeskreis zusammen kommen zu können: Die Kinder müssen an Wochentagen in die Schule, die allermeisten Leute arbeiten unter der Woche. Wer also ersatzweise an Wochentagen seinen freien Tag nehmen muss, bleibt allein. Er oder sie kann höchstens – einkaufen. Womit wir wieder beim Primat des Konsums wären.

Der Partei mit dem „C“ im Namen sei hier in Erinnerung gerufen, dass das 3. Gebot „Du sollst den Sabbat heiligen“ nicht nur für Juden galt, sondern ein Gesetz war, dass alle betraf: Volksgenossen und Fremde, Arme und Reiche, Gläubige und Ungläubige. An einem Tag in der Woche sollten alle Menschen gleich sein – gleich frei. Beim Sabbat ging es nämlich nicht allein um einen Ruhetag für ein auserwähltes Volk, sondern um einen Ruhetag für alle!

Ein uraltes und dennoch überaus modernes Stück Sozialgesetzgebung, darüber hinaus aber die praktische Umsetzung eines theoretischen Postulates, welches noch heute von Menschen aller Weltanschauungen verteidigt wird und das die Stadträte in Siegen und Bochum – und dafür sei ihnen ein großes Danke gesagt! – offenbar mehrheitlich wiederentdeckt haben: Dass alle Menschen gleich an Würde und Rechten sind. Im Dritten der Zehn Gebote wurde und wird dieses Axiom ganz konkret und praktisch in die Realität umgesetzt – an einem Tag in der Woche. Eine Neuentdeckung des kollektiv freien Tages auf der Basis der Gleichheit an Würde und Rechten macht also auch in einer säkularen Gesellschaft tiefen Sinn.

Der christliche Sonntag – Tag der Auferstehung Christi – war hingegen in seinen Anfängen ein Arbeitstag. Seine Bedeutung definierte sich seit jeher über die gemeinsame Danksagung („Eucharistie“) derer, die in Jesus Christus den Sohn Gottes erkennen, der der Garant für jenes dritte der zehn Gebote ist: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“. Als Kaiser Konstantin im frühen 4. Jahrhundert den “dies solis“, den Sonnentag, zum freien Tag für die ganze Bevölkerung erklärte, verband sich das jüdische Sabbatgebot und die sonntägliche christliche Danksagung in einem Tag, der wirklich human war und auf alle Menschen – unabhängig von ihrem Glauben – ausstrahlte. Als Licht des ersten Tages.

„Erholende Ruhe und heiteres Spiel scheinen für das Leben notwendig zu sein“, sagte schon Aristoteles, und wie recht er hatte, zeigt der kollektiv freie Sonntag: In einer Tradition von 1700 Jahren hat sich dieser der Humanität dienliche Tag ins kollektive Bewusstsein geprägt als Tag der Ruhe und der Erholung für alle. Selbst die Ausnahmen spiegelten diesen Anspruch: Heilen und Helfen, Spiel und Sport, Kunst, Musik und Theater, das gemeinsame Essen – all das sind Tätigkeiten, die dem Wohl der Menschen dienen. Handel, monetärer Wettbewerb, Konsum und Geldgeschäfte gehörten hingegen nie dazu. Bezeichnenderweise haben auf der ganzen Welt Banken und Börsen am Sonntag geschlossen.

Ein „Zurück“ hinter diesen höchst vernünftigen Maßstab der Humanität wäre ein eklatanter Kulturbruch zugunsten des Mammons.
Wer dem Mammon Priorität gegenüber der Humanität gibt, stellt sich an die Seite derer, die den Sonntag einst ganz abschafften: Die französischen Revolutionäre, die mit ihrer wirtschaftsdienlichen 10-Tage Woche kläglich scheiterten, und die russischen Kommunisten, deren produktionsfördernde rotierende Arbeitswoche nicht mal im „Arbeiterparadies“ funktionierte und abgeschafft werden musste: Die Menschen brauchen an einem Tag in der Woche Gemeinsamkeit. Ohne einen kollektiv überwiegend freien Sonntag wäre es Glückssache, als Familie, als Freundeskreis irgendwann einmal gesellig zusammentreffen zu können. Das rotierende System freier Tage funktionierte nicht einmal unter diktatorischen Bedingungen in Russland – es wird auch heute nirgends funktionieren. Unzufriedenheit und Entfremdung sind die Folgen einer totalen Vereinzelung zugunsten des Profits.

Eine Tradition von 1700 Jahren steckt einer Kultur eben in den Knochen. Und hier treffen sich die Interessen derer, die am Sonntag unkompliziert mit anderen Gemeinschaft pflegen wollen mit jenen, die den Sonntag als das feiern wollen, was er von seinen Anfängen her war: Als Tag des Herrn. Beide Seiten tun gut daran, einander zu respektieren und gemeinsam diesen Wunsch gegen die Interessen von Wirtschaft und Handelsverbänden durchzusetzen. Der Arbeitssonntag schafft keine Arbeitsplätze, das hat die Praxis der letzten Jahre gezeigt. Er schafft keine Gerechtigkeit, keinen Wohlstand und keinen kulturellen Gewinn.

Die jüdisch-christlichen und die Werte der Aufklärung treffen sich hier in einem wesentlichen Punkt, sodass der christliche Standpunkt problemlos auch ins Säkulare „übersetzt“ werden kann: In der Humanität, die sich nicht am Geldwert bemessen kann und darf.

Eine Abkehr davon kann nur bedeuten, Gerechtigkeit allein am Mammon zu orientieren. Wo Gerechtigkeit am Geld festgemacht wird, sind Umsätze tatsächlich ein besseres Argument als das Recht möglichst vieler auf einen menschenwürdigen, der Gemeinschaft dienlichen Sonntag. Wenn der Profit zum absoluten Wertmaßstab von Gerechtigkeit wird, dann ist es nur eine Sache der Zeit, wann jeder sich gleichermaßen in dessen Joch einspannen lassen muss.

In der Geschichte hat sich gezeigt, dass es die Christen sind, die sich gegen schreiendes Unrecht einsetzen müssen, wenn Produktion, Handel und Profit über die Humanität gestellt wurden. Während der Industrialisierung, als Menschen zugunsten von Profit und Marktwettbewerb versklavt wurden, und gegen die Rechte der Arbeiterschaft genau dieselben Argumente vorgebracht wurden, die heute Verkäuferinnen und Verkäufer zur Sonntagsarbeit zwingen, war es Bischof Emmanuel von Ketteler, der sich an die Seite der Arbeiterbewegung stellte: „Als ich zum Bischofe geweiht wurde hat mir die Kirche, ehe sie mir die bischöfliche Weihe und Vollmacht erteilte, unter anderem die Frage vorgelegt: Willst du den Armen und den Fremdlingen und allen Dürftigen im Namen des Herrn liebevoll und barmherzig sein? – Und ich habe geantwortet: Ich will. Wie könnte ich also, nach diesem feierlichen Versprechen, bei einer Frage teilnahmslos sein, die mit den wesentlichsten Bedürfnissen mit einer so zahlreichen Klasse der Menschen sich beschäftigt? Wenn auch die Trennung im Glauben eine beklagenswerte Scheidewand zwischen uns errichtet hat, die noch fortbesteht, so hat doch die christliche Liebe keine Grenzen.“

Die Partei mit dem christlichen „C“ im Namen sollte sich von dieser Sichtweise eine große Scheibe abschneiden. Und Christen aller Konfessionen sollten sich auch heute wieder entschieden an die Seite all derer stellen, die zugunsten des Konsums in der Sonntagsdebatte nicht einmal mehr in der Debatte vorkommen: Die der Verkäuferinnen und Verkäufer. Auf dass sie Gerechtigkeit erfahren.

KATH.NET-Lesetipp!!!
Monika Metternich
Lob des Sonntags.
Weihrauch, Toast & Honey
Monika Gräfin Metternich
Pattloch-Verlag
15,40 Euro

Hintergrundinfos und Bestellinfos auch hier

kathTube: Vortrag von Monika Metternich beim Kongress "Freude am Glauben"




Foto: (c) Droemer-Knaur


© 2012 www.kath.net