20. März 2012 in Interview
Die Jungfrau von Guadalupe zeigt uns, dass Evangelisierung nicht mit Thesenpapieren gelingt, sondern noch immer nur von Herz zu Herz. KATH.NET-Interview mit Paul Badde - Von Roland Noé
Rom (kath.net/rn) Die Jungfrau von Guadalupe zeige uns, dass Evangelisierung nicht mit Thesenpapieren gelingt, sondern noch immer nur von Herz zu Herz. Dies sagte Paul Badde im Blick auf die bevorstehende Lateinamerikareise von Papst Benedikt XVI. Im kath.net-Interview mit Roland Noé beleuchtet der bekannte Autor u.a. die geistlichen und geschichtlichen Hintergründe der Marienerscheinung von Guadalupe.
kath.net: Papst Benedikt reist in wenigen Tagen nach Mexiko. Wie katholisch ist das Land und warum unternimmt Benedikt diese Strapazen?
Badde: Warum er die Strapazen unternimmt, weiß wohl nur er selbst und der liebe Gott allein. Mit rund 85 Jahren hätte er ja allen Grund, im schönen Rom und im Schutz des Vatikans zu bleiben, auch wenn hier oft genug der Teufel los ist. Aber so gehört es sich ja wohl auch für ein Land, wo es um das Ganze geht, das heißt: um die Nachfolge Christi und das beharrliche Weitererzählen der Nachricht von der Fleischwerdung Gottes und seiner Auferstehung von den Toten. Dagegen ist der Widerstand überall auf der Welt vorprogrammiert.
Für dieses Unwesen des Bösen gegen die Kirche Christi ist aber gerade auch Mexiko ein Lehrbeispiel wie nur wenige andere Länder. Mehr Anschauung kann kaum eine andere Geschichte bieten. Denn nach der wunderbaren Christianisierung Mexikos ab dem Jahr 1531 hat der Satan hier auch gegen die Kirche gewütet wie kaum irgendwo sonst - und zwar lange vor seinem Wüten in der Sowjetunion, bei den Nazis oder anderen neuzeitlichen Höllenregimes. Sehr anschaulich lässt sich das in Graham Greenes Klassiker Die Macht und die Herrlichkeit nachlesen, der in Mexiko schon 1938 von den wütendsten Glaubensverfolgungen der Welt seit den Tagen Elisabeth I. sprach.
kath.net: Seit wann?
Badde: Seit der Unabhängigkeitserklärung Mexikos von Spanien im Jahr 1810 und der Gründung seiner Freimaurerrepublik im Jahr 1823. Seitdem ist die Geschichte des Landes von Wirren, offenem Terror, Bürgerkriegen, Verstaatlichungen von Kirchengütern, von immer neuen und stets antichristlichen Revolutionen und Diktaturen geprägt.
Seitdem war Mexiko führend in seinen Christenverfolgungen und in seinen fanatischen Vernichtungsfeldzügen gegen die Kirche. 1874 wurden die christlichen Feiertage wie in dem revolutionären Frankreich abgeschafft und religiöse Feiern außerhalb der Kirche verboten, fast 50 Jahre vor ähnlichen Exzessen unter den Bolschwiken Sowjetrusslands. Über dreitausend Priester haben in diesen Verfolgungen ihr Leben gelassen. Zahllose Seminaristen wurden gefoltert, gehängt, erschossen, erstochen, verbrannt und zu Tode gemartert.
Es waren immer neue Wellen der Gewalt, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. In vielen Orten wurden alle Kirchen zerstört. Am 14. November 1921 wurde sogar ein (missglücktes) Bombenattentat gegen das Gnadenbild Unserer Lieben Frau von Guadalupe ausgeführt, dem Nationalheiligtum Mexikos, wo nichts mehr als heilig gelten sollte. Und heute muss man wohl die grauenhaften Drogenkriege mit ihren über 50.000 Todesopfern und ungezählten Opfern als eine Fortsetzung dieser Verfolgungen verstehen, und als ein wahres Wüten der Hölle gegen das mexikanische Volk.
Die Kirche Mexikos aber, die der Muttergottes so teuer ist, hat all diese Verfolgungen überlebt. Sie ist eine pilgernde Kirche geblieben, unter zahllosen Entbehrungen.
So viel zu der Frage, wie katholisch das Land ist. Für moderne Prüfungen der Christen bleibt Mexiko also ein besonderes Modell. Kaum eine Kirche war um mit Paulus zu sprechen mehr gewürdigt, für Christus mehr zu erleiden und zu erdulden.
kath.net: Mexiko ist aber auch das Land der Madonna von Guadalupe. Wie präsent ist die Muttergottes dort und welche Bedeutung hat Guadalupe für Mexiko?
Badde: Auch in dieser Beziehung darf Mexiko als Modell gelten. Denn die mexikanische Nation ist de facto und das ist bestens dokumentiert durch ein persönliches Eingreifen Gottes evangelisiert worden und nicht durch die vielfältigen und ehrenwerten Anstrengungen der europäischen Missionare, die mit den spanischen Eroberern ins Land gekommen waren (die die alte aztekische Kultur mit ihrem rätselhaften Todeskult in nur wenigen Jahren zerstört hatten).
Genauer: Gott hat in einem höchst kritischen Moment der Geschichte an vier Dezembertagen des Jahres 1531 seine eigene Mutter nach Mexiko geschickt, wo sie am letzten Tag, dem 13. Dezember, ihr Bild auf dem billigen Umhang eines alten Witwers hinterließ, das in der Basilika von Guadalupe am Stadtrand Mexiko-Citys bis heute rund 20 Millionen Pilger jährlich anzieht.
Etwas anderes lässt sich mit historischer Redlichkeit nicht dazu sagen. Die mexikanische Nation - aus den fremden Europäern und eingeborenen Indianervölkern - ist in diesem Prozess der Missionierung entstanden. All dies geschah nach einem wirklich grauenhaften clash of civilizations.
Mexiko ist deshalb in vieler Hinsicht auch ein Modell der Missionierung ganz Lateinamerikas und es darf heute wieder als Modell gelten, wie die notwendige Neu-Evangelisierung noch einmal gelingen kann.
kath.net: Wie denn? Und wieso?
Badde: Wieso? Deshalb, weil Evangelisierung nicht mit Thesenpapieren gelingt, sondern noch immer nur von Herz zu Herz. Ganz und gar persönlich: in der Anbahnung einer persönlichen Beziehung zu Gott.
Mexiko ist auf eben solch eine höchst persönliche Weise in der Anschauung Gottes christianisiert worden. Ohne Anschauung kommt keine Liebe aus.
Liebe ist ja keine anonyme Brieffreundschaft.
kath.net: Aber in Mexiko ist doch nicht Gott erschienen, sondern Maria!
Badde: So ist es. In Mexiko hat Gott nämlich sein menschliches Gesicht und das ist das Besondere in diesem Land zuerst im Gesicht seiner Mutter enthüllt. Denn ihr hat sein Sohn doch immer am meisten geglichen! Ihm gleicht sie auch heute noch am meisten, etwa in ihrem barmherzigen Blick. Davon zeugt das nicht von Menschenhand gemalte Bild der Gottesmutter von Guadalupe auf höchst sprechende Weise.
Wer vor diesem Bild in die Knie geht, betet Gott selbst an. Denn Maria kommt ja hier nicht allein. Sondern hier ist sie schwanger! Hier trägt die junge Maria wahrhaftig und leibhaftig Gott selbst unter ihrem Herzen, wie meine Mutter gesagt hätte. Hier trägt sie ihn auf uns zu. Ihr Bild auf dem alten Umhang ist darum die schönste Monstranz des Allerheiligsten, die es jemals gab.
Vor diesem Bild hören wir gleichsam bis heute die Worte im Original, mit denen sie sich am 9. Dezember 1531 dem indianischen Witwer Juan Diego vorstellte: Präge dir Folgendes gut ein, mein Kleiner! Kleinster meiner Söhne! Ich bin die immerwährende heilige Jungfrau Maria, die Mutter des einzig wahren heiligen Gottes, des Leben spendenden Schöpfers aller Menschen und Personen. Er ist der Herr des Nahen und des Fernen. Er ist der Herr des Himmels und der Erde. Darum bin ich wahrhaftig eure mitleidende Mutter und die Mutter aller Menschen, die mich lieben, rufen und anflehen. Ich bin die Mutter all derer, die mich suchen und mir vertrauen. Hier werde ich ihr Weinen und ihr Klagen hören. Hier werde ich sie in ihrer Trauer trösten und all ihre Schmerzen lindern. Hier werde ich sie heilen in ihrer Pein, ihrem Elend und Leid und ihnen meine ganze Liebe geben, meinen erbarmenden Blick, meine Hilfe, meinen Trost, meine Rettung.
kath.net: Aber ist dieser erbarmende Blick nicht auf Mexiko beschränkt? Es kann doch nicht jeder dahin pilgern?
Badde: Mexiko ist tatsächlich mit diesem Bild besonders privilegiert. Das hat schon Papst Benedikt XIV. betont, als er das Bildwunder von Guadalupe am 25. Mai 1754 mit dem Psalmwort bestätigte: Non fecit taliter omni nationi ("An keinem andern Volk hat Gott so gehandelt")!
Die persönliche Beziehung zu Gott ist jedoch ein Privileg aller Christen. Die Kenntnis vom Gesicht Gottes ist unser Alleinstellungsmerkmal unter allen Religionen. Der Glaube kommt vom Hören, das stimmt wohl. Aber der Glaube bleibt erst in der Anschauung haften. Hier verwirklicht er sich - bevor er sich wie die Liebe in der Vereinigung vollendet. Wenn ich an meine Eltern denke, kommt mir zuerst nicht in den Sinn, was sie mir gesagt haben, sondern zuallererst, wie sie mich anschauten.
Zu erkennen, dass Gott uns aber aus jedem menschlichen Gesicht anschaut, dabei hilft wieder enorm Maria, nicht nur in Guadalupe. Sie lehrt uns überall, Gott mit den Augen der Mutter anzuschauen, wie Johannes Paul II. sagte. Sie führt uns vom Gebet zur Anbetung.
Sie macht uns darum überall zu Privilegierten im Du und Du der Anbetung Gottes, wie es ein einfacher Bauer vor dem Allerheiligsten einmal dem heiligen Pfarrer von Ars erklärte: Er sieht mich an und ich sehe ihn an. Es ist eine Beziehung von Auge zu Auge, von Gesicht zu Gesicht als Voraussetzung jeder Neuevangelisierung.
kath.net: Noch ein Blick nach Kuba. Was erwartet Benedikt dort?
Badde: Vielleicht muss man die Frage umdrehen und fragen, was Kuba mit dem Besuch des Papstes erwartet. Vielleicht und das ist nur zu hoffen gelingt Benedikt XVI. ja, was Johannes Paul II. vor Jahrzehnten in Polen gelungen ist, in einer Art Auferweckung der kubanischen Kirche. Oder genauer, in einer Heilung von schwerer Krankheit und Bedrückung.
Denn wie in Polen war ja auch die kubanische Kirche nie tot. Sie war nur fürchterlich unterdrückt. Vielleicht gelingt es dem Papst also, die Herzen der Kubaner noch einmal zu wenden. Vielleicht kann er Fidel Castro, der doch katholisch getauft und von Jesuiten erzogen wurde, an seinem Lebensende das Sakrament der Umkehr und der Krankensalbung spenden, oder ihn zumindest in geistiger Weise darauf vorbereiten.
Überraschungen dürfen wir seit dem Erscheinen der Muttergottes von Guadalupe in Lateinamerika jedenfalls immer erwarten. Vor allem in höchster Not. Gott wird immer wieder eingreifen, zu seiner Zeit. Er ist kein Uhrmacher, der den Apparat einfach laufen lässt. Er ist mitleidend. Und er ist so frei, sich einzumischen, wann er will.
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Video mit Paul Badde über Maria von Guadalupe
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