30. April 2012 in Kommentar
Die katholische Kirche kehrt in der Eucharistiefeier zurück zu den ursprünglichen Worten ihrer Liturgie. Papst beweist damit Treue zur Überlieferung und schiebt theologischer Willkür einen Riegel vor. Von Paul Badde / Die Welt
Rom (kath.net/DieWelt) Es ist eine Winzigkeit, wie es scheint, mit der sich Papst Benedikt XVI. in einem Brief an alle deutschsprachigen katholischen Bischöfe gewandt hat. Doch sein Eingriff, den man für eine spitzfindige philologische Petitesse halten könnte, bezieht sich auf die Herzkammer der katholischen Liturgie und den heiligsten Moment jeder Eucharistiefeier, in dem sich nach katholischem Verständnis in den Händen der geweihten Priester Brot und Wein in das Fleisch und das Blut Christi verwandeln sofern sie dabei die richtigen Wandlungsworte sprechen. Es ist der Wesenskern des katholischen Glaubens. Der Vorgang mag deshalb auch inzwischen weit, weit weg von der Vorstellungswelt aller Nichtkatholiken entfernt sein, wenn der Papst nun für die entscheidenden Worte der Wandlung festhält, dass das lateinische Wort pro multis hier mit für viele übersetzt werden muss und nicht mehr, wie es sich seit Jahrzehnten eingebürgert hatte, mit für alle. Für einen Lateinlehrer wäre die Sache höchst einfach. Doch der Papst ist Kirchenlehrer. Da hat diese Korrektur natürlich ein ganz anderes Gewicht, nach folgender Vorgeschichte.
Bis zur Liturgiereform der katholischen Kirche in den 60er Jahren wurden die Wandlungsworte vom Priester auf Lateinisch gesprochen und hatten an dieser entscheidenden Stelle folgenden Wortlaut: Hoc est enim Corpus meum (Das ist mein Leib) und: Hic es enim Calix Sánguinis mei, ... qui pro vobis et pro multis effundétur in remissiónem peccatórum. (Das ist der Kelch meines Blutes, ... , das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden). Es sind die Worte Jesu, die er am Vorabend seiner Hinrichtung beim letzten Abendmahl im Kreis seiner Apostel gesprochen hat. Es war die Stiftung der Christenheit, die mit diesen Worten eingeleitet wurde. Jahrhunderte lang wurden sie exakt in dem identischen Wortlaut in der ganzen katholischen Kirche bis in jede kleine Kapelle hinein gesprochen.
Das Problem ergab sich erst, und zuerst ganz unmerklich, als diese Worte im Verlauf der Liturgiereform vom Lateinischen in die vielen Landessprachen der Weltkirche übersetzt werden mussten. Die Debatten um die rechte Übersetzung aber hatten schon lange vorher begonnen. Vor allem das Wort pro multis (für viele) war dabei vielen Theologen als anstößig erschienen. War Christus denn nicht für alle gestorben? Kam hier nicht eine ungerechte Exklusivität der Christen und ein unzeitgemäßer Ausschluss all derer zum Ausdruck, die von dem Begriff viele nicht umfasst wurden? Doch Jesus hatte wohl genau dieses Wort für viele benutzt, wie es Markus und Matthäus als wesentliche Quellen überliefert hatten. So entspann sich an dieser entscheidenden Stelle ein exegetisches Spiel, das sich später noch oft wiederholen sollte. Das für viele nämlich, das auf das griechische Original der Evangelien zurück geht, müsse so hatte der lutherische Theologe Joachim Jeremias schon 1935 heraus gefunden im Grunde als Bezug auf einen hebräischen Ausdruck beim Propheten Jesaja verstanden werden, der nichts anders als alle (oder zumindest das ganze Volk Israel) gemeint haben konnte. Diese Auffassung wurde in den Jahrzehnten danach konfessionsübergreifend theologisches Allgemeingut. In vielen Sprachen wurde seitdem pro multis mit für alle wieder gegeben. Es war keine reine Übersetzung, stellt der alte Papst nun aber noch einmal nüchtern fest, sondern eine Interpretation, die sehr wohl begründet war und bleibt, aber doch schon Auslegung und mehr als Übersetzung ist. Wegen der Fremdheit der Originale hätten sich nach dem Konzil viele Theologen nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet gefühlt, in die Übersetzung schon Interpretation einzuschmelzen und damit den Weg zu den Menschen abzukürzen.
Es war allerdings auch eine fatale Tür, die mit diesem Prinzip geöffnet wurde. Es war zunächst nur ein Spalt breit. Doch er lud zu einer Entwicklung ein, wo innerhalb der einen Kirche fortan jeder Orden und jede Gruppierung mit eigenen Theologen anfangen konnte, eigene interpretierende Übersetzungen der Bibel zu produzieren, natürlich immer im Sinne dessen, was Jesus eigentlich damit gemeint habe - um es ihm dann gleich auch in den Mund zu legen. Das waren nicht nur die Vertreter einer Theologie der Befreiung, die auf diese Weise selbst Karl Marx unter die Kirchenlehrer einreihten. Die Methode der interpretierenden Übersetzung mündete in einen fortlaufenden Nachhilfeunterricht, in dem der Menschensohn von nun an von einer Gilde gewitzter Theologen immer neu über seine eigentlichen Absichten ins Bild gesetzt wurde. Das freche Wort Heinrich Heines, nach dem es in Deutschland die Theologen sind, die dem lieben Gott ein Ende machen, schien sich im Lauf dieses Prozesses jedenfalls immer mehr zu bewahrheiten.
Denn in letzter Konsequenz öffnete diese Entwicklung ja auch eine Tür zum anything goes der Theologie und der Liturgie, im Leben und in der Lehre, die viele Gläubige irritierte und der Kirche entfremdete, wo der Kanon immer häufiger nach Gutdünken verändert wurde, so dass sich heute in vielen Pfarreien Deutschlands keiner mehr wundert, wenn statt einer Lesung etwa aus den Briefen des Apostels Paulus auch einmal ein selbstgemachtes Märchen der Pfarrgemeinderatsvorsitzenden vorgelesen wird, oder private Briefe zwischen Lesung und Evangelium eingeschoben werden, bis hin zu Pappnasen und Osterhasen im Altarraum, als Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte. Die Besen der Zauberlehrlinge wollten einfach nicht mehr zurück in die Kammer.
Der Papst weiß natürlich, dass sich dieser Trend nicht par ordre du Mufti einfach umkehren lässt. Mit seiner verbindlichen Korrektur im Kern der Messtexte setzt er dennoch ein Signal. Sein Schreiben drückt keinen Wunsch aus. Es ist eine Weichenstellung. Die katholische Kirche kehrt damit zurück zu den ursprünglichen Worten ihrer Liturgie, weil es keinen vernünftigen Grund gibt, multis anders als durch viele zu übersetzen. Sie geht damit auf Jesus von Nazareth selbst zurück und zu ihren ältesten Quellen. Der Papst aber beweist mit dem Schritt einmal mehr eine Treue zur Überlieferung, die zum Kennzeichen seines Pontifikats geworden ist. Nicht zuletzt aber tritt er hier mit ruhiger Hand der Willkür im Allerheiligsten entgegen, als Wurzel vieler Übel in der Liturgie und schiebt der theologischen Anmaßung an dieser Schlüsselstelle des Evangeliums exemplarisch einen Riegel vor.
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