Kirche im Netz

4. Mai 2012 in Weltkirche


„Das Netz macht es wohl gleichzeitig leichter wie schwieriger, nach der Wahrheit zu suchen. Dabei ist die Kirche auf ganz neue Weise gefordert.“ Von Paul Badde


Bonn (kath.net)
kath.net dokumentiert den Vortrag von Paul Badde über „Kirche im Netz“ beim 3. Symposium „Kirche-Medien: Internet und kirchliche Meinungsfreiheit“ des "Instituts für Gesellschaftswissenschaften Walberberg" in Bonn:


Die drei größten Revolutionen der Weltgeschichte sind nicht die Glorious Revolution, die Französische Revolution oder die Oktober-Revolution. Den Namen der größten Revolution kennt kaum jemand.

Das ist die sogenannte jungsteinzeitliche oder Neolithische Revolution - in der im Vorderen Orient aus Sammlern und Jägern allmählich Ackerbauer und Viehzüchter wurden. Es war ein komplizierter und langer Prozesses – der sich über enorme Zeiträume erstreckte. Begonnen hat er wohl vor rund 20.000 Jahren.

Klar ist, dass es erst nach dieser umstürzenden Veränderung zur Haushalts- und Vorratswirtschaft kam, zu den Grundrechenarten, zur Schrift, zur Literatur, zur Erzeugung von Gütern (anstelle ihrer bloßen Aneignung), zum Handel und Wandel, zur Empfindung der Zeit, zur Spezialisierung der einzelnen, zur großen Vermehrung der Menschen, zu Städten und Staaten, zur Kapitalbildung, Krieg und Frieden, kurz: zu all dem, was wir Geschichte nennen.

Irgendwann am Anfang dieses Prozesses muss ein Mensch den Zusammenhang der Weitergabe von Leben begriffen haben. Mit dieser Erkenntnis kam die Einsicht in die Konsequenz des eigenen Handelns in die Welt, die Freiheit zur Entscheidung.

Die zweite umstürzende Revolution ist die Industrielle Revolution ab dem Anfang des 19. Jahrhunderts. Deren gewaltigen Auswirkungen sind allgemein bekannter und müssen hier nicht weiter ausgeführt werden, die industrielle Erzeugung von Gütern, die Eisenbahnen, etc. etc. etc.

Alle politischen Revolutionen sind jedenfalls nur Schaumkronen und kleine Konsequenzen auf den enormen Entwicklungsschüben, den diese Veränderungen innerhalb der Menschheit ausgemacht haben.

Die dritte Revolution könnte dennoch die größte sein. Das ist diejenige, deren Zeugen wir gerade alle zusammen werden. Die gerade immer noch gerade erst anfängt.

Das ist der Übergang der Welt vom Gutenbergzeitalter zum Informationszeitalter, / vom First zum Second Life, / von der realen in die virtuelle Welt, vom geometrischen Raum zum Cyberspace.

Das ist die digitale Revolution, deren Auswirkungen noch überhaupt nicht abzusehen sind / und in der Ungeheuerlichkeit der Beschleunigung all ihrer Prozesse. Es ist der Beginn einer Wissensexplosion, die in hundert Jahren die Welt kaum noch wieder erkennen lässt. Es ist auch eine Explosion von Fragen, von denen wir hier nur zwei oder drei nachgehen können.

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Jetzt nehmen wir die Auswirkungen fast immer noch nur staunend und noch beiläufig wahr: in der rasenden Abfolge immer neuer Handy-Generationen / mit immer mehr Funktionen. In der Explosion der sozialen Netzwerke und ihrer Auswirkungen auf die politischen Systeme - von den Piraten hier in Bonn bis zu den Demonstrationen in Kairo. In der Navigation all unserer Wege durch ferne Satelliten. In der gespenstischen Änderung der Kriegsführung durch Drohnen. In wirklich jedem Bereich.

Und damit komme ich zu meinem Thema dieses Abends.

Persönlich muss ich nämlich sagen, dass sich mein Beruf – der des Korrespondenten und Journalisten und Berichterstatters – dadurch in den letzten zwölf Jahren wohl drei bis fünfmal komplett verändert hat und weiter radikal verändert.

Denn die revolutionäre Umgestaltung der Welt im neuen Informationszeitalter trifft ja zuallererst und ganz besonders auf die Medien und alle Prozesse medialer Vermittlung und Recherche.

Das weiß jeder, der auch nur ein wenig bei Google herumsurft. Ich weiß noch genau, wie ich den Namen GOOGLE zum ersten Mal vor 12 Jahren in Jerusalem hörte und dort erstaunten Politikern aus Berlin erklärte. Und inzwischen ist für viele Redaktionen die Versuchung immer größer geworden, einer Geschichte ein wenig hinterher zu „googlen“ anstatt dafür eine teure Dienstreise mit aufwändigen Interviews zu beantragen.

Dazu eine kleine Episode, die Sie alle selbst miterlebt haben.

„Hätten Sie mit dem Wissen, dass sich unter den Bischöfen jemand befindet, der die Gaskammern der Nazis leugnet, die Exkommunikation zurückgenommen“, fragte Peter Seewald vor zwei Jahren Papst Benedikt XVI. für sein letztes Interview-Buch „Licht der Welt“

„Nein“, antwortete der Papst darauf. „ Aber leider hat niemand bei uns im Internet nachgeschaut und wahrgenommen, um wen es sich hier handelt.“

Was war geschehen?

Es war ein Samstag in Rom, am 24. Januar 2009, als mittags um 12.00 im Pressesaal des „Heiligen Stuhls“ ein dürres Communiqué verteilt wurde, das die Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe der Priesterschaft Sankt Pius X. verkündete.

Viele Journalisten waren es nicht, die sich darum rissen, eigentlich keiner. Eine Pressekonferenz wie am Tag zuvor, als der Vatikan verkündete, dass er über youtube ins weltweite Netz gehen würde, gab es nicht.

Innerhalb einer Woche aber war der Schneeball der Nachricht zu einer Lawine der Entrüstung angeschwollen, als von Kollegen genüsslich bekannt gemacht wurde, dass sich unter den vier Bischöfen auch der Holocaust-Leugner Williamson befand.

Es schien der Super-Gau, der sich damals über dem Pontifikat des Papste aus Deutschland zusammen zu brauen schien. Die ungläubige und fast fassungslose Frage meiner Kollegen lautete deshalb damals an mich auch immer so: „Hat der Papst denn nicht ein wenig gegooglet?“

Trotz der verzweifelt verdrehten Lage musste ich darauf aber schon damals laut lachen. Allein bei dieser Vorstellung: dieser Papst – der seine Bücher immer noch mit Bleistift schreibt! – wie er bis tief in die Nacht hoch oben im Palazzo Apostolico so einsam wie ich oder meine Kollegen sitzt, in den Bildschirm vertieft, die Rechte mit seinem schweren goldenen Fischerring auf der Maus!

Der Gedanke war einfach absurd. Natürlich hatte der Papst nicht hinter den exkommunizierten Bischöfen her gegooglet. Er benutzt persönlich bis jetzt nicht einmal einen PC – wahrscheinlich als letzter Papst der Kirchengeschichte!

Das Post- und Kommunikationssystem folgte damals – vor nur drei Jahren! - immer noch ganz anderen Gesetzen. Im Vatikan hatte bis dahin quasi eine Art rührend vorelektronischer Rohrpost überlebt, mit Siegeln und Stempeln, wie es sich seit Jahrhunderten gehörte.

Der Fall Williamson entstand also nicht nur aus einer Verkettung unglücklicher Umstände. Er ereignete sich auch an der Scharnier-Schwelle der Kirchengeschichte zum digitalen Zeitalter. Mit dieser Panne wurde auch der Vatikan gleichsam in einem Quantensprung in das Internet-Zeitalter katapultiert. Der Fall war alles in allem ein Kommunikations- und Medien-Desaster.

Damit hatte das Zeitalter atemloser Beschleunigung auch den Papst erreicht, der sich danach sehr umgehend über das Internet ins Bild setzen ließ.

Im letzten Jahr sprach er auch deshalb anlässlich des Jubiläums seiner Priesterweihe am 29. Juni 1951 mit seinem feinen Humor auch davon, dass es ihm heute vorkomme, als dass dieser Tag „in quasi prähistorischen Zeiten“ stattgefunden habe. Wenig später sprach er in Afrika davon, dass er sich oft vorkomme, als käme er „von einem fremden Stern“.

Damit spricht er aber von uns allen. Die große Mehrheit von uns stammt noch aus quasi prähistorischen Zeiten und kommt von einem anderen Stern.

Da geht es unseren Enkeln anders, die unsere iPhones heute schneller und geschickter bedienen. als wir denken können.

So nehmen wir die Umwälzungen des digitalen Zeitalters für die Welt und Kirche im Moment vor allem auch weiter anekdotisch wahr, wie in folgenden kleinen Beispielen.

Beispiel 1: Und vielleicht erlebe ich das morgen früh auch hier wieder beim Frühstück. Das Beispiel geht so: Vier Mann sitzen in einem schönen Hotel am Tisch – und alle schauen ins i-phone und kommunizieren quasi zentrifugal mit der ganzen Welt.

Beispiel 2: Das lässt sich – vielleicht noch – vor allem in Italien beobachten, im Kino: sobald die Spannung etwas nachlässt, kontrolliert die Hälfte der Zuschauer ihre Mails auf den flackernden kleinen Displays der iPhones und smartPhones.

Und schließlich Beispiel 3: Die Osternacht im Petersdom. Es ist dunkel. Der Papst kommt mit der Kerze zum Altar und singt dreimal „Lumen Christi“. Bevor aber alle ihre Kerzen an seinem Licht anzünde, hat eine große Mehrheit der „Pilger“ schon ihre smart-phones eingeschaltet – wie früher auf Pop-Konzerten mit einem Meer von Feuerzeugen – und filmt die Szene und sendet sie gleichzeitig in alle Welt – schon wieder, wie oben, quasi zentrifugal.

Das heißt aber, jetzt schon: Unser Leben ist immer online. Das Netz verändert täglich mehr unser Leben und Denken und Fühlen und Forschen.

Davon ist die Kirche natürlich nicht ausgenommen.

Jetzt ist hier deshalb und dennoch ein Schnitt notwendig: Denn Christen glauben ja weiterhin, dass nicht die Entdeckung des binären Codes oder die Computers die gewaltigste Zäsur der Menschheitsgeschichte ist, sondern dass das die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ist, nach dem wir alle unsere Jahre zählen – und der sich selbst als die WAHRHEIT vorgestellt hat (und das Leben und den Weg).

Die Wahrheitsfrage bleibt deshalb gleich. Und das Netz macht es wohl gleichzeitig leichter wie schwieriger, nach der Wahrheit zu suchen. Dabei ist die Kirche auf ganz neue Weise gefordert. Denn nun sind ja auch die Möglichkeiten der Manipulation plötzlich ins Unermessliche gewachsen. Das Netz schafft ganz neue Gesetzmäßigkeiten.

Dazu wieder ein paar Beispiele:

Marco Tarquinio, der Direktor der katholischen Tageszeitung Avvenire, hat erst kürzlich in einem Brief an das italienische Staatsfernsehen geklagt, dass Italiens Medienlandschaft eine weitere Verarmung drohe, mit noch mehr Show statt Information, und sagte in einem Interview: „Wir beobachten in der italienischen Medienlandschaft insgesamt, dass die Fähigkeit dramatisch abnimmt, den Italienern über die großen Vorgänge in der Welt die Augen zu öffnen. Das gilt für Fernsehen, Print und Radio gleichermaßen. Wir sind in einem Land, das eine Art Abrüstung der Information über die Welt betreibt. Der Klatsch-Journalismus mit Neuigkeiten aus der Glamour-Welt ist die große bunte Lawine, die dazu beiträgt, grundlegende Fragen aus den Augen zu verlieren.“

Mit anderen Worten: Berlusconi hat ganze Arbeit geleistet. Denn längst hat er mit seinen Sendern landesweit Schule gemacht. Er hatte wie kaum einer vor ihm begriffen: dass die Zukunft den Bildern gehört.

„Sprecht zu euren Kunden immer in Bildern“, hatte Italiens letzter Premier seinen Verkäufern schon als Unternehmer eingeschärft. „Logik wird schnell vergessen, ein Bild hingegen verblüfft und bleibt im Gedächtnis.“

Nach diesem Rezept hatte er Italiens demokratische Kultur zu einem Produkt der „brave new world“ umgeformt, „in der nicht mehr entscheidend ist, was tatsächlich passiert ist, sondern an welche Version dessen, was passiert ist, die Leute glauben.“

Die rasende Boulevardisierung aller kommerziellen online-Medien – und die zunehmende Verlagerung aller Kommunikationswege in den virtuellen Raum - zeigt nur, dass diese Entwicklung natürlich früher oder später auch alle anderen entwickelten Gesellschaften erfassen wird.

Dieser Druck zur Boulevardisierung wird jedenfalls immer stärker, auch in so genannten seriösen Printmedien.

Online hat aber nicht die gleichen Inhalte wie die Druckauflagen.

D.h. online-Artikel folgen auch ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten, einer eigenen Syntax und einer eigenen Grammatik sozusagen, um in der Konkurrenz zu bestehen – da zählt mehr als je zuvor ein ganz eigener Aufregungs- und Provokationsfaktor, kurzum ihr Boulevardcharakter, um ein paar Stunden länger im Netz zu bleiben und nicht wieder heraus genommen zu werden.

Ich könnte einen Abend verbringen um über die verschiedenen Merkmale zu erzählen, die Artikel und Nachrichten besonders online-kompatibel machen und was nicht mehr geht. Auf jeden Falls sollten sie verspielter und spielerischer sein, wenn ich ihnen eine größere und längere Aufmerksamkeit wünsche: im Grunde müssten sie weniger ernst sein. Das macht einen kurzen Blick zurück notwendig.

Meine älteren Brüder mussten noch in der katholischen Volkschule unseres Heimatdorfes die „Glocke“ von Schiller vollständig auswendig lernen. Ich habe hingegen im Gymnasium in Aachen vor allem nur noch die Kurzgeschichten Hemingways kennen gelernt. Von Auswendiglernen keine Spur.

Dennoch haben auch viele in meiner Generation Karl May noch ebenso verschlungen wie später Dostojeweski.

Unsere Kinder aber wurden schon sehr viel mehr von der Plakatwerbung bombardiert, an der sie ihre Lesegewohnheiten schärften.

Heute bestimmt Tweet den Takt der nächsten Generation: Kurzromane, die alle nicht länger sein dürfen als 140 Zeichen. Das wird die Grenzen der Wahrnehmung und den Prozess des Lesens verändern.


Die Evangelien werden deshalb nicht zusammen gestrichen werden. Doch die langen und komplexen Predigten des Papstes laufen damit dennoch komplett gegen diese Entwicklung der neuen Interneteinheiten - mit ihren Clips und links in jedem Text.

Dass in dieser neuen Medienkultur nun auch immer mehr abgeschrieben wird, ist kein Geheimnis. Das Netz lädt dazu ein. Alle Extra-Informationen sind im Netz ja immer nur einen Mausklick weiter weg – und keinen mühseligen und aufwändigen Weg in Bibliotheken lang oder ähnliches. Und die Kosten eigener Recherchen drängen zum Abschreiben. Der Fall Guttenberg ist deshalb auch ein reines Zeitgeistphänomen. Er ist einer Verlockung erlegen, die in den letzten Jahren immer stärker geworden ist. Es ist so viel einfacher und billiger.

Etwas anderes kommt dazu:
Vor Jahren gab es jeden Morgen eine Konferenz in jeder Zeitung, in dem kritisch über das Blatt von gestern befunden und der Inhalt des nächsten Blatts verhandelt wurde.

Dieselbe Konferenz tagt heute im online-Betrieb praktisch permanent, für ein Update von Minute zu Minute – in einer einzigen Daueraufregung.

Es ist ein Megatrend – wo über kurz oder lang also nicht mehr das Urteil und die Wertschätzung des Chefredakteurs über Beiträge entscheidet, sondern die Klickzahl, die sich augenblicklich messen lässt.

Es ist der Druck zur Zuschauer- und Leser-Quote, der nun damit auch die Zeitungen erfasst. Denn die Quote ist ja immer in Echtzeit abzurufen und über die Anzeigenkunden unmittelbar an den wirtschaftlichen Erfolg gekoppelt.

Ich verrate Ihnen zudem kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass die Auflagen der so genannten „Holzfassungen“ der Zeitungen und Zeitschriften überall nach unten gehen und die professionell gemachten online-Ausgaben überall nach oben.

In diesem Quartal hat der Axel Springer Verlag erstmals mehr Geld mit seinen online-Produkten gemacht als mit der Druckauflagen – die BILD-Zeitung inklusive.

In dieser Hinsicht kann man sich die Zukunft also leicht vorstellen. Ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber weiß doch so viel: Die Herden folgen immer den Wasserstellen. Sie gehen dahin, wo es am meisten regnet. Und in Zukunft ist das Netz einfach ertragreicher. Da regnet es am meisten.

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Das heißt aber auch, dass in den Informationsmedien auf die Wahrheitsfrage ein Druck zukommt, wie ihn sich der heilige Dominikus noch nicht hatte erträumen können, als er VERITAS (Wahrheit) noch zum Leitstern seines Kampfes gegen alle Häresien erhoben hatte. Im Online-Geschäft ist nicht die Wahrheit das Kriterium, sondern letzten Endes der Klick.

Die Medien verabschieden sich deshalb auch schleichend von ihrem vornehmsten Anspruch der Aufklärung – der ja vielleicht auch immer schon ein wenig zu hoch war und hier nie wirklich den Rang hatte, den ihm der heilige Dominikus im Kampf gegen die Ketzerei noch beigemessen hat.

Es ist also auch eine Krise der Aufklärung – wo heute neuen Diensten und Initiativen (wie etwa kath.net, das uns hier gleich noch vorgestellt werden wird) eine ganz neue Rolle zukommt.

Die Skizze mag genügen, um jedenfalls die ungeheuren Herausforderungen ein wenig zu umreißen, denen auch die Kirche im Netz gegenüber steht. Es ist nur ein winziger Ausschnitt davon.

Auch dazu noch zwei kleine Beispiele.

Ein Kloster mit Internetanschlüssen in den einzelnen Zellen ist meines Erachtens ein Widerspruch in sich. Einerseits.

Andererseits stellt sich im Netz die Frage neu, wer „mein Nächster“ ist. Dazu dieses Beispiel: kürzlich hat mich ein alter Journalist namens Paul aus Melbourne angefunkt, der sich in Australien kaum aus dem Haus fortbewegen darf, weil er seine blinde Frau pflegen muss - mit dem sich innerhalb kürzester Zeit eine richtige Freundschaft entwickelt hat, ganz tief „down under“ und dennoch: nur einen Mausklick von mir entfernt.

Das heißt: die Grenzen verschwimmen. Sie dürfen aber nicht für die Identität der Kirche verschwimmen.

Denn alle Megatrends der Welt heißen und verlangen ja nicht, dass die Kirche ihnen einfach nur folgen darf.

Dieser Versuchung ist unbedingt zu widerstehen. Denn die Kirche ist ihrem Kern und Wesen nach NICHT virtuell.

Das wird ganz neu heraus gestellt werden müssen. Da wird sich die Kirche auch ganz neu erinnern müssen, wer sie ist und woher sie kommt.

Als Papst Pius XI. 1931 erstmals, auf Lateinisch natürlich, über Radio Vatikan die ganze Welt segnete, unterstrich er dabei, dass es nötig sei, über den Äther die Worte der Apostel auch an die entferntesten Nationen zu übermitteln. Auf diese Weise müssten die Menschen heute neu in Gott verbunden werden, um eine einzige Familie vor seinem Angesicht zu formen. - Das Gleiche trifft heute natürlich noch viel mehr für die vielfältigen Möglichkeiten des Netzes zu.

Denn die Kirche ist und war ja nie ein Feind des Fortschritts. Im Gegenteil: sie ist der ultimative Fortschritt auf Gott hin. Deshalb hat sie selbstverständlich auch dem technischen Fortschritt Entscheidendes zu geben.

Damit will ich zu einem Ausblick kommen.

Denn ich darf, glaube ich, zu Recht annehmen, dass sich keiner hier im Saal vor nur 20 Jahren – also in einem höchst überschaubaren Rahmen - sich vorstellen konnte, wie sehr die neuen Technologien unser Leben verändern würden. Allein das Handy! Allein das Internet! Von den sozialen Netzwerken überhaupt nicht zu reden.

Dennoch hatte die digitale Revolution zu der Zeit schon längst begonnen, obwohl mir die Redaktion der FAZ zu der Zeit in meinem Büro in München noch keinen PC genehmigen wollte! Die Schreibmaschine hätte es bisher doch auch ganz gut getan!

Von den 60er und 50er Jahren brauchen wir erst gar nicht zu reden. Die allgemeinen Zukunftsvisionen jener Jahre wirken heute einfach nur noch rührend kindlich – obwohl die Amerikaner schon am 21. Juli 1969 auf dem Mond landeten (unterstützt von riesigen Rechnern in Houston)!

Dreierlei können wir nun aber doch sagen:

1.) Die Beschleunigung der Entwicklung nimmt immer noch weiter und rasend zu. Davon sind wir alle Zeugen. Und das wird noch lange so bleiben.

2.) Realistische Zukunftsvisionen dürfen deshalb heute noch kindlicher wirken als im Zeitalter von Daniel Düsentrieb, dem genialen Erfinder aus Entenhausen.


3.) Wir können deshalb jetzt eigentlich nur sagen, dass das Gutenberg-Zeitalter in unseren Tagen wirklich zu Ende kommt.

4.) Und wir können versuchen zu sagen, was bleibt in dieser Entwicklung – rings um den Menschen und seine Natur, der natürlich auch bleiben wird, als der Krone der Schöpfung.

Dann können wir auch wagen zu sagen, dass die Kirche eigentlich ganz gut für die Zukunft gerüstet ist. Denn die Kirche ist ja auch älter als das Gutenberg-Zeitalter und wird deshalb nicht mit diesem Zeitalter zu Ende gehen.

Dies gilt für die Katholische Kirche besonders auch im Gegensatz zu unseren Geschwister-Kirchen und Konfessionen, die sich ja geradezu den erste Kollisionen der Kirche mit dem Gutenberg-Zeitalter verdanken! Das urprotestantische Motto „Sola scriptura“ – steht dafür gleichsam emblematisch: NUR DIE SCHRIFT! Das ist Gutenberg pur.

Ohne den neuen Buchdruck und neue und billige Techniken der Papierherstellung ist die explosive Wirkungsgeschichte Martin Luthers undenkbar.

Gerade dieses Motto - Sola Scriptura - aber kommt heute in einer wahren neuen Flut stehender und bewegter Bilder zu Fall. Schauen Sie sich dazu nur einmal die alten Kulturzeitschriften der 50er und 60er Jahre an. Hochland, Communio, Consilium etc. – Es sind Kommunikationswege von vorvorgestern. Es sind „Bleiwüsten“, wie es schon vor 30 Jahren in den Redaktionen der neuen Farbmagazine hieß.

Ob der katholischen Kirche in der Begegnung und im Aufprall mit den neuen medialen Techniken nun ein ähnliches Phänomen, also eine neue Reformation mit neuen Spaltungen – und quasi ein digitaler Martin Luther des Informationszeitalters - bevor steht, lässt sich noch überhaupt nicht sagen. Nichts wiederholt sich und heute werden die neuen Medien gewiss ganz andere Konsequenzen für die Kirche generieren.

Natürlich hat bald jede Pfarrei eine eigene website. Auch vielleicht so etwas wie Internet-Seelsorge etc. etc. - Aber das ist nicht der Punkt, um auf die Herausforderung zu antworten. Die Antwort auf diese Herausforderung kann nur darin bestehen, wieder Avantgarde zu werden wie in ihren besten Zeiten.

Denn die Kirche muss ja – ich wiederhole es, denn das ist keine Option, sondern ein Auftrag – sie muss Salz der Erde und Licht der Welt sein. Das gilt natürlich auch für das weltweite Netz im Informationszeitalter.

Dafür muss die Kirche aber auch ihre ureigenen alten Schätze wieder entdecken und freilegen. Für diese Zukunft aber scheint sie mir vor allem durch ihre alte Kultur der Bilder bestens gerüstet.

Denn ein so genannter ICONIC TURN, eine dramatische Rückkehr der Bilder gehört zu den ganz besonderen Kennzeichen der digitalen Revolution.

Bilder sind der neue Treibstoff im Netz – neben den Texten.

Dafür muss die Kirche ihre alten Bilder erstens nur selbst zuerst wieder entdecken. Und sie muss ihre alten Bilder zweitens wieder neu als hochkomplexe Texte begreifen lernen („die mehr sagen als tausend Worte“).

Denn das Wort ist mit der Menschwerdung Gottes ja Fleisch geworden. Es ist kein Buch geworden und auch keine Bibliothek. Mit der Inkarnation Gottes ist das Wort deshalb aber auch Bild geworden.

Einer der schönsten Worte, das mir in diesem Zusammenhang deshalb immer einfällt, stammt deshalb von Archimandrit Zenon, der einmal gesagt hat:

„Früher, im Zeitalter des Bilderstreits, hat die Kirche ihre Bilder verteidigt. Heute, im Zeitalter der Krise, kommen die Bilder deshalb zurück, um die Kirche zu verteidigen.“

Diesem Wort von der Heiligung der Bilder und von heiligen Bildern muss als Allerletztes nur noch ein Wort hinzu gefügt werden über eine verwandte Erscheinung.

Denn mit diesen Bildern müssen wir – auch für das Netz! – die Liturgie der Kirche wieder neu entdecken und freilegen müssen – als Gesamtkunstwerk einer einzigartigen Zeichensprache, in der die Worte zwar auch eminent wichtig bleiben – und zwar jedes einzelne Wort, wie wir jetzt gerade wieder gesehen haben – aber wo die Worte nicht alles sind, sondern wo jede Bewegung, jedes Kleid, jeder Altar, einfach alles mit zeichenhafter Bedeutung aufgeladen ist, die die Zeiten und jeden Verstand überschreitet, jenseits aller Bildungsgrenzen.

Hier kann und darf sich die Liturgie darum auch nie den Gesetzen des Fernsehens anpassen, denn das kann das Fernsehen besser.

Dazu nur ein winziges allerletztes Beispiel: Rom ist in den letzten zehn Jahren durch nichts so verändert worden wie durch die ergreifenden Bilderfolgen vom Sterben und Tod Johannes Paul II. und der Inthronisation Benedikt XVI. Es war ein Werbeblock, wie ihn die Welt noch nie gesehen hatte – über alle Kanäle der weltweiten Kommunikation: Der verstummende Papst, der Wind, der die Psalmen auf seinem Sarg zuklappte. Kein Wort hätte sich so in die Erinnerung brennen können.

Die Bilder waren wie Petrus selbst: es waren Felsen in der Brandung der Bilder und der Zeit.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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