27. Mai 2012 in Interview
Autor Manfred Lütz über die katholische Kirche in Deutschland - Von Joachim Heinz (KNA).
Köln (www.kath.net/ KNA)
Im Herbst erscheint das neue Buch Bluff! von Manfred Lütz (58). Der Kölner Arzt und Theologe geht darin der Frage nach Schein und Sein in der modernen Gesellschaft auf den Grund. Seine Diagnose: Das Gefühl für das eigentliche Leben, für den persönlichen Austausch von Mensch zu Mensch, geht zunehmend verloren. Ein gestörtes Verhältnis zur Realität attestiert Lütz auch Teilen der katholischen Kirche in Deutschland. Was genau er damit meint, erläutert der Bestsellerautor im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
KNA: Herr Lütz, wer Sie in Talkshows sieht, bekommt den Eindruck, dass Sie gerne mal austeilen, um hinterher zu behaupten, das alles sei nur Spaß gewesen. Ist das seriös?
Lütz: Das ist eine Unterstellung. So etwas mache ich nie. Im Gegenteil, ich liebe die respektvolle Auseinandersetzung mit anderen Meinungen. Dabei finde ich allerdings, dass Humor Menschen dazu bringen kann, mal eine neue Perspektive einzunehmen.
KNA: Was genau wollten Sie dann mit Ihrer jüngsten Äußerung bezwecken, gerne einmal das Zentralkomitee der deutschen Katholiken zu therapieren? Ein netter Scherz aus dem Mund eines Psychiaters - aber wozu?
Lütz: Sie haben mich da falsch zitiert. Es wäre natürlich völlig gaga, das ZdK für krank zu erklären und sich als Therapeut anzubieten. Ich halte das ZdK für eine wichtige Einrichtung, kenne selbst viele Vertreter dort.
KNA: Das stimmt nicht, ich habe Sie nicht falsch zitiert. Sie haben auf die Frage, wen sie denn in der Kirche mal gerne behandeln würden, gesagt: Vielleicht das Zentralkomitee der deutschen Katholiken...
Lütz: ...aber ich habe das ausdrücklich in einem satirischen Kontext gesagt, das gehört dann dazu. Und ich habe dann davon gesprochen, dass das ZdK sich mit immer denselben Themen festgefahren hat, zum Beispiel Frauendiakonat und Zölibat, also vor allem mit klerikalen Themen, und man von der systemischen Therapie lernen könnte, mal die Perspektive zu wechseln. Ich halte es da mit dem österreichischen Kommunikationstheoretiker Paul Watzlawick.
KNA: Und was sagt uns Watzlawick?
Lütz: Wenn man immer dasselbe dessen macht, was nicht funktioniert, dann hat man ein Problem und wird depressiv.
KNA: Welches Gegenmittel empfiehlt der Mediziner dem ZdK?
Lütz: Mal auf das zu schauen, was funktioniert; zum Beispiel die explosionsartig sich ausbreitende Gebetsinitiative Nightfever; der in Deutschland vor allem von Laien geschriebene Jugendkatechismus Youcat, der inzwischen mit international zwei Millionen verkauften Exemplaren das weltweit meistverkaufte Sachbuch des vergangenen Jahres ist. Im Übrigen: Warum hört man das ZdK nicht viel lauter zu bioethischen Fragen?
KNA: Vielleicht, weil auch die Laien derzeit in Sorge um den künftigen Kurs der Kirche sind und sich deswegen eher damit beschäftigen.
Lütz: Das schließt sich doch nicht gegenseitig aus. Und wenn in der Öffentlichkeit rüberkommt, dass vier ehemalige ZdK-Präsidenten darüber klagen, dass der Papst seit 40 Jahren nicht das tut, wozu das ZdK rät, dann ist das auch noch kein Aufbruchsignal. Wagt doch mal das Überraschende, würde Watzlawick sagen. Organisiert wertschätzende Debatten zwischen Konservativen und Progressiven auf Augenhöhe. Warum werden bekannte profilierte Katholiken wie Klaus Berger und Robert Spaemann noch nicht einmal eingeladen? Die Vielfalt der katholischen Kirche ist ein Reichtum, aber auf dem Katholikentag wird man immer wieder gefragt, welcher Katholik einem peinlich ist. Peinlich!
KNA: Möglicherweise fehlt manchmal auch einfach die Stimme der normalen Katholiken.
Lütz: Den normalen Katholiken hat es in der 2.000-jährigen Kirchengeschichte noch nie gegeben. Einheit in Vielfalt war schon immer das Motto. Aber um eine kraftvolle Vielfalt wieder hinzubekommen, bräuchten wir ein Forum, wo Menschen mit unterschiedlichen Positionen wieder lernen, wertschätzend miteinander umzugehen, ohne sich von vornherein zu verteufeln. Warum können Konservative nicht einfach anerkennen, dass Progressive ganz andere Kreise für das Katholische begeistern können als sie - und umgekehrt?
KNA: Über Ihre Bücher und als Gast bei Talkshows erreichen Sie ein Millionenpublikum. Wo verorten Sie sich in den Diskussionen über Religion und Kirche?
Lütz: Mir geht es nicht darum, dass mir die Konservativen auf die Schulter klopfen und sagen: Junge, den Reformern von 'Wir sind Kirche' hast du es jetzt aber gegeben! Andererseits weise ich auch pauschale Angriffe auf Konservative zurück. Ich sehe meine Rolle eher darin, katholische Positionen und damit auch die Positionen des Papstes verständlich zu machen und nicht nach dem Motto zu reagieren: Ich bin katholisch, aber es soll nicht wieder vorkommen.
KNA: Gibt es für Sie eine Grenze des Katholischen - Stichwort Piusbrüder?
Lütz: Ich habe überhaupt nicht die Befugnis zu sagen, wo das Katholische aufhört. Ich gehöre auch nicht zu denen, die wissen, was Jesus heute sagen würde. Über das Katholische befindet letztlich nur der Papst. Und der verhält sich bekanntlich wenig exkommunikatorisch. Für mich ist das durchaus eine Form von Liberalität.
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