Piraten im Vatikan

8. Juni 2012 in Weltkirche


Gemeine Kriminelle möchten den Felsen Petri in ein Piratennest verwandeln. Ihr Motiv ist geheuchelt. Ihr Gewinnstreben echt. Den Alptraum gläserner Vertrauensräume werden sie dennoch nicht verwirklichen können. Von Paul Badde / Die Welt


Rom (kath.net/DieWelt) „Liebe Brüder und Schwestern!“ waren die ersten Worte Benedikt XVI. am Nachmittag des 19. April 2005. „Nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herren Kardinäle mich gewählt, einen einfachen, bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn.“ Nieselregen ging über dem Petersplatz nieder. Immer wieder breitete der neue Papst auf der Loggia des Petersdoms die Arme aus über den vielen Zehntausenden unter ihm, die ihm und seinem Pontifikat entgegen jubelten. Dachte er Montagfrüh vielleicht an den Augenblick zurück?

Am Abend zuvor war er aus Mailand zurück nach Rom gekommen. Im Flugzeug über der Toskana hatte er mit seinen Mitarbeitern die jüngste Enthüllung besprochen. Diesmal hatte sich die Redaktion der „Repubblica“ dazu hergegeben, seinen Privatsekretär Gänswein offen mit gestohlenen Papieren erpressen zu lassen. Jetzt feierte er mit ihm wie jeden Morgen im kleinsten Kreis die Heilige Messe in der päpstlichen Kapelle. Das Liturgie schrieb für den Tag ein Evangelium nach Markus vor, wo es heißt: „Ein Mann legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Als nun die Zeit dafür gekommen war, schickte er einen Knecht zu den Winzern, um bei ihnen seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs holen zu lassen. 
Sie aber packten und prügelten ihn und jagten ihn mit leeren Händen fort.
Darauf schickte er einen anderen Knecht zu ihnen; auch ihn misshandelten und beschimpften sie. 
Als er einen dritten schickte, brachten sie ihn um. Ähnlich ging es vielen anderen.“

So geht es also zu im Weinberg des Herrn – und mit den Arbeitern, die der Herr da hinein schickt. Den alten Theologen werden die Plagen deshalb nicht wundern, die in letzter Zeit über ihn gekommen sind: Vertrauensbruch, Verrat, die Aussaat scheußlichen Misstrauens auf den Fluren seines Hauses. Es mag manchen vielleicht teuflisch vorkommen, es sind aber Prüfungen, die ihm gleichsam auch allesamt verheißen sind. – Moralisch sieht die Sache mit der Datenflucht aus dem Vatikan allerdings anders aus, jedoch nicht für den Papst, sondern für Italiens Gesellschaft, die sich seit Julian Assange solche Piratenakte staunend als Akte der Aufklärung auftischen lässt. Lassen wir die möglichen Motive für diese Übertretungen einmal beiseite, und was die Vernehmungen des Spions durch den Staatsanwalt in nächster Zeit noch zu Tage fördern werden. Beiseite auch, wem dieser Geheimnisverrat nützen soll. Wer sich die Mühe macht, die vertraulichen Dokumente zu studieren, die im letzten halben Jahr im Vatikan entwendet und veröffentlicht wurden, erhält dabei vom Papst das Bild eines Mannes, der konsequent seine Linie radikaler Aufklärung aller Missstände der katholischen Weltkirche verfolgt.

Auch dafür ließe sich wieder ein biblischer Vergleich finden: der Prophet Bileam, der Sohn des Beor, sollte im Auftrag Balaks, des Königs der Moabiter, die Israeliten auf ihrem Marsch aus Ägypten ins Heilige Land stoppen und für Geld verfluchen. Doch der einzige Fluch, der danach über seine Lippen kam, war ein Segen: „Wie schön sind deine Zelte, Jakob, wie schön sind deine Wohnstätten, Israel! Wer dich segnet, ist gesegnet, und wer dich verflucht, ist verflucht.“ Ähnliches wissen die Enthüllungen über den Vatikan zwar nicht zu sagen, doch der Papst kommt – wie gesagt - bestens in den Dokumenten weg.

Ansonsten offenbaren sie hingegen grosso modo Vorgänge, wie sie in jeder Familie und jeder Gemeinschaft an der Tagesordnung und üblich sind, und überall, wo es sich um Menschen handelt, nicht immer recht und billig, meistens menschlich und allzu menschlich. Große und kleine Intrigen finden sich darunter, wie sie auf allen Redaktionsfluren üblich sind. Doch kein Skandal, nirgends. Vieles ist banal, alles indiskret. Es sind interne Informationen ohne Nachrichtenwert, auch ohne sittlichen oder moralischen Mehr- oder Nährwert. Das Buch des Journalisten Gianluigi Nuzzis, in dem sich seit zwei Wochen hunderte dieser Dokumente nachlesen lassen, liefert nicht einmal, was der Titel verspricht: „Die geheimen Briefe Benedikt XVI.“. Es sind keine Briefe des Papstes, es sind nur vertrauliche Schreiben an den Papst. Das „Enthüllungsbuch“ hat deshalb in Wahrheit vor allem nur eines enthüllt. Das war die Identität des Kammerdieners Paolo Gabriele als Spion, den Nuzzi neben vielen falschen Spuren mit der unbedachten Veröffentlichung eines Dokuments auffliegen ließ, anhand dessen ihn Georg Gänswein überführen konnte. „Das Traurigste an diesem Geschehen ist die Verletzung der Privatsphäre des Heiligen Vaters und seiner engsten Mitarbeiter“, sagte Kardinalstaatssekretär Bertone am Montag zu den so genannten „Vatileaks“. Minister Andrea Riccardi will den Dokumenten hingegen entnehmen, dass der Vatikan „in Wahrheit ein Ort der Schwäche und Größe“ ist.

Problematischer scheint deshalb die Rolle verschiedener Verlage und Redaktionen in Italien (von „La Repubblica“ bis zu „chiarelettere“), die sich dazu hergeben, eine Kampagne gegen den Vatikan im Namen der Transparenz zu vermarkten. Es ist aber nichts anderes als ordinäre Diebesware, die hier anmaßend und dreist vorgeführt wird. Nuzzi beruft sich für die Publikation auf die gesetzlich verankerte Pressefreiheit Italiens. Darum könne er auch vom Vatikan nicht belangt werden. Den Vorwurf der Hehlerei weist sein Verlag weit von sich. Aber auch jetzt atmet der Fall schon jene „ Schäbigkeit und Schnäppchenmentalität“, die Hans Magnus Enzensberger kürzlich den Piraten bescheinigte. Die „Transparenz“ aber, die Nuzzi als Mantra seiner Verteidigung beschwört, stinkt schon eher nach dem totalitären Credo Mark Zuckerbergs, demzufolge „der durch Transparenz nichts befürchten muss, der nichts zu verstecken hat.“

Es wäre die Wiederkehr George Orwells im Informationszeitalter. Der Vatikan wird sich gegen diese Zumutungen zu wehren wissen und hat schon andere Bedrohungen überstanden. Für den Rest Europas ist bei nüchterner Betrachtung aber nicht einzusehen, warum diese Piratenakte hier nicht genau so geächtet werden wie die Kaperung von Tankern vor dem Horn von Afrika, nur weil es sich bei diesem Einbruch eines anachronistischen Vertrauensraums um die Verletzung des päpstlichen Hauses handelt, das nun wohl mit Hilfe von Kriminellen in die Moderne katapultiert werden soll.


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