Der Fels. Vatileaks und der Angriff auf die Kirche

8. Juni 2012 in Aktuelles


Ziele eines Vorgangs. Die Kirche ist immer ‚ecclesia militans’ und muss dies sein. Benedikt XVI.: 'Stachel im Fleisch einer postmodernen Welt'. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Gerade in den letzten zwei Wochen, in denen der vatikanische Skandal um Spionage und Dokumentendiebstahl mit der Veröffentlichung des Buches „Sua Santità“ durch den italienschen Journalisten Gianluigi Nuzzi zu seinem vorläufigen Höhepunkt gekommen ist, stellt sich immer dringlicher nicht nur die Frage nach dem „Wer?“, sondern vor allem nach dem „Warum?“ und dem Ziel des Vorganges.

Gewiss: Nuzzi - und nicht nur er - hat mit seinem Buch, das im September in deutscher Sprache herauskommen wird, gutes Geld verdient und wird dies wohl weiter tun. „Vatileaks“ ist nun auch für die Kinos geplant. Der französische Regisseur Laurent Herbie ist bereits an der Arbeit. Die Aufnahmen sollen in einem Jahr beginnen, natürlich mit der Beratung des Oberspezialisten Nuzzi, wie die Produktionsgesellschaft „Loull Production“, die mit der italienischen „Urania Pictures“ zusammenarbeiten wird, in den Medien bekannt gegeben hat. Zur Besetzung werden Kristin Scott Thomas, Andrè Dussollier und Sergi Lopez gehören, zusammen mit einem noch nicht genannten italienischen Schauspieler „erster Kategorie“. Ein „Polit-Thriller“ soll es nach den Worten der Produktion werden, in dessen Mittelpunkt der Vatikan im Moment des Sterbens des Papstes steht: „Wer wird sich des Thrones bemächtigen, über eine der mächtigsten und undurchsichtigsten Finanzinstitutionen herrschen?“: Mit dieser Frage bereitet die Produktion schon jetzt ein Publikum vor, wohl in der Hoffnung, den „Erfolg“ eines Dan Brown zu doppeln.

Dass sich auch der Film auf die Story um Vatileaks stürzen wird, war zu erwarten, scheint doch das, was in der letzten Zeit aus dem Vatikan kommt, nur mehr mit den Mitteln eines Romans, Thrillers oder Krimis erzählbar zu sein. „Der Butler war es“ – ein klassischer Satz, den jeder Krimiliebhaber kennt. Aber: war es der Butler? Wenn er es war: was wollte der Butler? Und vor allem: für wen arbeitete der Butler, da er ja seinen eigentlichen Arbeitgeber verraten hat?

Wenige zweifeln daran, dass es wohl der „Butler“ im konkreten Sinn war, der Dokumente von verschiedensten Schreibtischen des päpstlichen „Appartamento“ im Apostolischen Palast gestohlen, fotografiert oder fotokopiert hat. Trotz allen Schweigens und aller weiteren Dementis um den 47jährigen Kammerdiener Seiner Heiligkeit Paolo – „Paoletto“ – Gabriele ist die Rede von einer Vielzahl von Dokumenten, die die vatikanische Gendarmerie in dessen Wohnung sichergestellt habe. Warum aber hatte er sie in seiner Wohnung aufbewahrt, zusammen mit Adressenlisten? Wie kommt es, dass man so einfältig ist, zwischen den Fingern brennendes Material so unbedacht zu behandeln? Und vor allem: wie geschützt und sicher muss man sich fühlen, wenn man sich als einfacher Butler so naiv verhält?

Die schwierigste Frage von allen ist: wer steht hinter diesen Angriffen auf das Herz der Kirche, auf die Römische Kurie, auf die engsten Mitarbeiter des Papstes und somit nicht zuletzt auf den Papst selbst? Eine Frage, die in ihrer Feinstruktur wohl kaum eine Antwort finden wird. Viel hat die Weltpresse über Vatileaks und vatikanische Interna geschrieben. Von Grabenkämpfen zwischen Fraktionen war die Rede, die „diplomatische Seilschaft“ um das Staatssekretariat „der alten Riege“ herum gegen einen Staatssekretär, der nach dem Motto handelt: „Weniger Diplomatie, mehr Theologie“. Eine schon fast belustigende Interpretation sieht dem „Opus Dei“ nahe stehende Gruppen (ohne „Opus Dei“ scheint für einige der Pfeffer an der Sache zu fehlen) mit jenen von „Comunione e Liberazione“ im Krieg stehen, dies vor allem mit der Absicht, bei einem kommenden Konklave den jeweiligen Wunschkandidaten durchzudrücken. Eine für viele erregende Phantasie, die jedoch eher in andere Jahrhunderte und natürlich ins Reich des Imaginären passt.

Was einer Mainstreampresse fast notwendig entgeht, ist, dass all diese Interpretationsversuche am Kern der Sache vorbeigehen, da sie nicht in der Lage sind, ins „vatikanische Herz“ zu blicken, dieses zu verstehen. So stehen sie diesem immer nur außen vor. Zur echten Kommunikation jedoch gehört, den anderen von Innen her zu kennen oder sich darum zu bemühen statt leicht greifbaren Sensationen hinterher zu jagen.

Für einen vatikanischen Blick dagegen ist klar: Ziel der Vatileaks-Affäre, verbunden mit der sprungbereiten Mitwirkung gewisser Medien, ist es, die wichtigsten und engsten Mitarbeiter des Papstes zu treffen, ins Zwielicht zu zerren, in einen absurden Kontext zu stellen, um den Papst selbst auf diese Weise (wenigstens in der veröffentlichen Meinung) zu isolieren, sein Reformwerk und seinen Regierungsstil zu stören oder zu zerstören und Zwietracht auf allen Ebenen der römischen Kirchenleitung zu säen. Dabei scheint Prinzip zu sein: so nahe wie möglich an den Papst ran, und sei es auch über die mediale Leiche seines Privatsekretärs.

Kurz: je „erfolgreicher“ der Papst bei den Menschen ist (man denke an die wöchentlichen liebevollen Umarmungen bei den Generalaudienzen und zum Angelus-Gebet oder an die großen italienischen und internationalen Ereignisse wie den jüngsten Weltfamilientag oder die großen Auslandsreisen), desto mehr müssen – vielleicht auch objektiv gegebene – Probleme vergrößert oder in einer aufgeblasenen Dimension dargestellt werden. Nicht wenige Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe in der Römischen Kurie sprechen in diesem Zusammenhang offen von satanischem Wirken.

Der Fels jedoch steht fest in der Brandung des Meeres, das sich mit zerstörerischer Wucht auf ihn werfen will. Unbeirrt hält Benedikt XVI. das Steuer des Schiffs der Kirche in der Hand, im Bewusstsein, dass die Kirche immer „ecclesia militans“ ist, „streitende Kirche“, so in seiner Tischrede beim Mittagessen mit den Kardinälen am 21 Mai. Das Böse will die Welt beherrschen. Deshalb ist es für Benedikt XVI. notwendig, „in den Kampf gegen das Böse einzutreten“. Es ist für den Papst klar, dass man in diesem Kampf Freunde braucht. Und es sollte auch klar sein, dass dies wichtiger ist als der Versuch, die Feinde zu verstehen, die das Werk des Papstes verfinstern wollen.

Prälat Georg Gänswein erkannte in seiner Einführung zum Buch „Gesù di Nazaret all’università. Il libro di Joseph Ratzinger – Benedetto XVI letto e commentato negli atenei italiani” (Jesus von Nazareth in der Universität. Das Buch von Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., wie es in den italienischen Athenäen gelesen und kommentiert wird; Libreria Editrice Vaticana, Vatikanstadt 2012): Zu seiner Zeit als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre sei Kardinal Ratzinger „zum Stachel im Fleisch einer postmodernen Welt” geworden, „in der die Frage nach der Wahrheit für sinnlos gehalten wird, in einer Wohlstands- und Habsuchtsgesellschaft, die sich mehr und mehr von Gott abzuwenden scheint“. So sei er zu einem unbequemen Mann geworden, der – ohne viel zu diskutieren – ein schweres Joch auf sich genommen habe. Für Gänswein ist die Zeit einer tiefen Revision des Bildes gekommen, das einige Medien vom Ex-Präfekten konstruiert hätten: „dies nicht allein, um einer großen Persönlichkeit gerecht zu werden, sondern auch um vorurteilslos hören zu können, was dieser Mann auf dem Thron Petri zu sagen hat“.

Ziel des Widersachers ist es, das Wort und die Lehre eines großen Papstes, der in vielem nur mit Gregor dem Großen und Leo dem Großen verglichen werden kann, im Lärm, in den Nichtigkeiten der Winzlinge untergehen zu lassen, um es einem kleingeistigen, irrationalen und unmenschlichen Egoismus zu gestatten, sich für eine kleine Weile zu behaupten. Dem ist entgegenzuwirken, cum Petro et sub Petro, als die Kirche der Heiligen Gottes.

Sollte „Vatileaks“ hochrangige Drahtzieher haben, so werden diese dann – wenn sie je bekannt werden – nur mit olympischem Gelächter ob ihres geistigen und geistlichen Zwergentums bedacht werden und in den Abgrund des Irrelevanten und Vergessens gestürzt werden können. Für dämonische Geister die schlimmste Bestrafung.


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