Ich erbitte von der Kirche in Deutschland für mich: Den Glauben

13. Juli 2012 in Interview


Peter Esser hält den Vatikan für „viel zeitgemäßer und moderner als die konkret erlebte Kirche in Deutschland“. KATH.NET-Interview mit dem Cartoonisten und Blogger über seinen persönlichen Glauben und über die katholische Kirche. Von Petra Lorleberg


Düsseldorf (kath.net/pl) „Ich finde den Vatikan viel zeitgemäßer und moderner als die konkret erlebte Kirche in Deutschland. Die Leute könnten sich doch keinen Lolli dafür kaufen, wenn Priester heiraten dürften.“ Dies sagt der katholische Blogger Peter Esser, ein in Düsseldorf lebender Cartoonist. Er thematisiert im kath.net-Interview nicht nur seinen persönlichen Weg zum und im Glauben, sondern auch einige Kernthemen, über welche in der katholischen Kirche derzeit viel diskutiert wird.

kath.net: Herr Esser, Sie haben als junger Erwachsener zum Glauben gefunden. Wie kam es dazu?

Peter Esser: „Zum Glauben finden“, das war für mich als Student der »Visuellen Kommunikation« in Düsseldorf, der gerade das wirtschaftliche Scheitern seines Elternhauses erlebt hatte, eine kurvenreiche Orientierungssuche. Wie ich später erfuhr, war dieser Weg auch durch das Gebet von Freunden begleitet.

Ich hatte in meiner (katholischen) Familie keine konsequente religiöse Praxis erlebt, aber ich erinnere mich an verschiedene Lebenszeugnisse durch Lehrer.

Zu diesen Vorbildern gehörte übrigens auch ein agnostischer Lehrer, der uns zumindest aus Respekt vor dem Katholizismus einen ersten Begriff von der Schönheit des christlichen Glaubens … und dem Misstrauen gegenüber modischen Gewissheiten vermittelt hat.

Es war dann ein Besuch in einer freikirchlichen Gemeinde in Düsseldorf, bei dem mir plötzlich der Glaube nicht nur als Gedankengebäude und schöne Erfahrung, sondern als Begegnung mit dem lebendigen Herrn Jesus Christus als Herrn meines Lebens aufleuchtete. Während eines Evangelisationsabends (und aufgrund eines prophetischen Wortes) „wusste“ ich plötzlich mit einer Art „Herzensgewissheit“, dass Gott da ist und »zurück in sein Eigentum« will.

Ich sehe es immer noch als einen besonderen Fingerzeig Gottes an, dass die freikirchlichen Geschwister mir willig zustimmten, als ich sagte, dass ich die nächsten Schritte in dem so überraschend gefundenen neuen Glauben in der katholischen Kirche weitergehen würde. Als ich an diesem Abend nach Hause kam, schlug ich die Bibel aufs Geratewohl auf und fand die Stelle „Ich stehe vor der Tür und klopfe an“ (Offb 3,20).

Der Geistlichen Bibelschule Niederrhein, der Krefelder Pfarrgemeinde St. Hubertus und ihrem Pfarrer verdanke ich erstes Glaubenswissen, und ein Gebetskreis der charismatischen Erneuerung in Düsseldorf-Derendorf war die erste geistliche „Familie“.

Einige Freundschaften aus dieser Zeit haben bis heute Bestand - besonders die Freundschaft mit meinem Co-Blogger Bastian und seiner Familie. Nicht zu vergessen die Gemeinschaft der Seligpreisungen, die mir den Glauben vermittelte, dass wir in der Liturgie bereits in die Gesellschaft der Engel und Heiligen eintreten.

kath.net: Charismatische Erneuerung und Bibelschule einerseits, doch inzwischen Petrusbruderschaft und Liebe zur Liturgie in der außerordentlichen Form andererseits - ist das nicht eine gewaltige Spannbreite von Katholizität? Passt dies für Sie alles unter einen Hut?

Esser: Ich denke, dass alle wirklich geistlichen Erfahrungen ihren gemeinsamen Ursprung im Heiligen Geist haben. Die Kirche kennt unterschiedlichste Charismen und Spiritualitäten. Am deutlichsten kommt das ja in den verschiedenen Ordensfamilien zum Ausdruck.

Bis heute liebe ich die charismatische Erfahrung in der Kirche – und an ihr die Erwartung, dass Gott im Heiligen Geist tatsächlich zu uns spricht. Das kann man natürlich zunächst auf die Sakramente und auf das Lehramt der Kirche beziehen. Und entgegen einem gewissen „Wildwuchs“ in der Kirche scheint mir dieser Aspekt des Glaubens, dass ich etwas von den apostolischen Ursprüngen bis heute Überliefertes vorfinde, zentral zu sein.

Und doch darf sich der Glaube nicht nur auf den Gehorsamsaspekt beschränken. Es geht nicht einfach darum, den Katechismus abzuhaken zu können, sondern Gott kennenzulernen. Die Charismatische Erneuerung, die Bibelschule Niederrhein … übrigens auch die Gemeinschaft von Taizé mit ihrem Gründer Frère Roger, denen ich viel verdanke, waren und sind für mich wertvolle Hilfen.

Dann schrieb Papst Benedikt XVI, dessen Schriften mir sehr weitergeholfen hatten, eine Anweisung zur Freigabe der alten Liturgie! Das war für mich schwer zu verstehen. Denn ich hatte einige Klischeebilder verinnerlicht: Omnibus-Anordnung! Rücken zum Volk! Latein! Rubrizistik!

Aber ich hatte keinen Grund, dem geistlichen Urteil des Papstes zu misstrauen. Und an einem Morgen vor genau fünf Jahren habe ich mich auf die Empfehlung eines Bekannten hin in eine „Alte Messe“ aufgemacht. Ich „fremdelte“ zunächst gehörig – selbst die Lesungen waren ja auf Latein – bevor sie in Übersetzung vorgetragen wurden! Aber es zog mich immer und immer wieder in das kleine Kirchlein in Düsseldorf-Volmerswerth. Die Heilige Messe in der jetzt sogenannten „Außerordentlichen Form“ wurde mir eine Heimat – auch als mich eine recht ordentliche Lebenskrise schüttelte. Mittlerweile wohne ich einen Steinwurf weit von dieser Kirche entfernt, gehöre bewußt der „normalen“ Pfarrgemeinde und der Personalgemeinde an und ministriere sehr gerne in der Außerordentlichen Form.

Ob das unter einen Hut paßt? Ich denke ja. Schmerzhaft fand ich eine Äußerung aus der Leitung des ZdK, dass die Teilnahme an der alten Messe eine Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils darstelle. Hier ist doch weder das Konzil noch die Messe (und zwar unabhängig vom Alter des verwendeten Meßbuchs) verstanden worden.

Die Messe erlebe ich immer wieder als ein Abenteuer, eine Herausforderung, die mich nicht unverwandelt entlassen darf. Werde ich Jesus Christus einlassen, wenn er an meiner Tür anklopft? Der alten Liturgieform wird vorgeworfen, geschichtlich bedingtes Werden zum Kult erhoben zu haben und den Kern des Glaubens unnötig zu verschleiern. Da übersieht man leicht, dass das sakramentale Geschehen selber ein Schleier ist, der die Realität von Kalvaria zugleich verbirgt und offenbart.

Es ist sicher kein Ästhetizismus, der mich zur Alten Form gebracht hat, sondern eher die Kontinuität des Atems der betenden Kirche. Und der Atem der Kirche ist der Heilige Geist, der den Bau zusammenhält. Ich versuche, seinen Spuren nachzugehen.

kath.net: Sie führen einen katholischen Blog. Warum eigentlich? Ist denn der persönliche Glaube nicht eher eine Angelegenheit für das „stille Kämmerlein“?

Esser: Das Wort „Evangelium“ bezeichnet ja einen kommunikativen Akt. Mitunter hört man zwar Smalltalk-Regel, dass man über Religion nicht reden soll. Ich mache es trotzdem – in einem Blog, also einem im Internet veröffentlichten Tagebuch.

Einem persönlichen Tagebuch vertraut man alles an. In einem Internet-Tagebuch bin ich auf einer Gratwanderung. Es ist nicht sinnvoll, allzu offenherzig über Persönliches zu schreiben, doch ein Blog lebt andererseits auch von seiner Subjektivität. Dieses subjektive Schreiben über den Glauben erfahre ich als eine große Bereicherung, sowohl als Blog-Leser als auch als Blog-Autor.

Wo jemand aus dem Glauben heraus seine Welt beschreibt und Position bezieht, begibt er sich ins digitale Missionsland. Ich bin dann kein einsamer Redner in einer „Speakers’ Corner“, sondern werde als Blogger auf anderen Blogs zitiert, oder es kommentiert jemand meine Beiträge und bereichert sie um Aspekte, die ich vorher nicht gesehen habe.

Als Cartoonist habe ich natürlich noch besonderen Spaß daran, Karikaturen sprechen zu lassen. Freunde und Kollegen, die keinen Zugang zum Glauben haben, wundern sich mitunter über meine Themenwahl. Vor einigen Monaten saß ich mit Kollegen in einer Arbeitspause zusammen und einer fragte, ob ich sie als Christ nicht eigentlich missionieren sollte. Ich hab dann spontan geantwortet: Ja, aber nicht so sehr durch Worte, sondern vielmehr durch mein gutes Beispiel. Da sie mich natürlich auch mit meinen Kanten und Schwächen kennen, konnten wir herzhaft miteinander lachen …

kath.net: Sie arbeiten an einem Projekt mit, das man regelrecht als Neuland bezeichnen kann. Möchten Sie es uns vorstellen?

Esser: Wir haben im Auftrag des Erzbistums Freiburg in den letzten Jahren eine kirchliche Präsenz in der virtuellen Welt „Second Life“ unterhalten. Das Projekt war zeitlich begrenzt und wird nun in der Verantwortung eines kleinen Teams von Ehrenamtlichen fortgeführt. Second Life ist eine Plattform, die mit Hilfe eines besonderen Browsers aufgerufen wird. Man bewegt einen soganannten Avatar, eine Stellvertreterfigur, deren Aussehen man selber bestimmen kann, in einer dreidimensional dargestellten Welt und kann mit anderen Avataren, hinter denen sich weitere Nutzer an ihren heimischen Computern verbergen, kommunizieren. Die Kommunikation geht über einen Text- oder Voicechat.

Es gibt also eine Nachbildung der Georgskirche auf der Reichenau, in der wir uns zweimal in der Woche zum Abendgebet, der Komplet, treffen. So haben viele User, die teilweise gar keinen Kontakt zur Kirche hatten, das Gebet der Kirche kennengelernt und kommen mit großer Regelmäßigkeit zu den Gebetszeiten und thematischen Foren und Gesprächsabenden, die wir anbieten.

Eine Insel des Glaubens im Meer der Sünde, wie es ein Seelsorger des Erzbistums einmal erstaunt ausgedrückt hat.

kath.net: Wenn Sie an unsere katholische Kirche in Deutschland drei Wünsche freihätten, was würden Sie sich wünschen und was nicht?

Esser: Ich beginne mit dem, was ich mir nicht wünsche: In den letzten Jahren bemerke ich einen Trend zu einem „Strukturalismus“, der das Person-Sein in der Kirche verdrängt. Plötzlich ist für Lieder im Gesangbuch nicht mehr ein Dichter, sondern ein Arbeitskreis zuständig. Und es gibt nicht mehr den Pfarrer, der die Gemeinde leitet, sondern das Pastoralteam. Bitte weniger Strukturgläubigkeit und mehr persönliches Glaubenszeugnis!

Und dann hätte ich zwei Wünsche, die das Tun der Kirche selber betreffen und einen Wunsch, der sich auf mich bezieht.

Zunächst wünschte ich mir eine Ernstnahme des Impulses, den der Papst mit dem Jahr des Glaubens gesetzt hat. Das Jahr des Glaubens darf nicht in einem tristen, selbstreferentiellen „Dialogprozess“ aufgehen.

Ich finde den Vatikan viel zeitgemäßer und moderner als die konkret erlebte Kirche in Deutschland. Die Leute könnten sich doch keinen Lolli dafür kaufen, wenn Priester heiraten dürften. Dass Christus auferstanden ist – und was das für die kleinen und großen Tode, die ich zu sterben habe, bedeutet: Das ist die Botschaft, die den Nerv der Zeit trifft. Das Jahr des Glaubens, gelebt in den drei Grundvollzügen der Kirche martyria, leiturgia, diakonia, das ist mein erster Wunsch.

Zweitens bitte ich die Kirche in Deutschland um die vom Papst in Großbuchstaben angemahnte Katechese zur Korrektur der Wandlungsworte. Ich wünschte mir, die Bischofskonferenz könnte den Papst in seiner Bitte noch übertreffen und nicht nur ein Übersetzungsdetail erklären, sondern den Gläubigen in einer gründlichen Katechese den Sinn der Heiligen Messe als Quelle und Höhepunkt des Lebens der Kirche erschließen.

Die dritte Bitte entstammt der alten Taufliturgie. „Was erbitten Sie von der Kirche Gottes?“ – „Den Glauben.“ Ich bitte die Kirche auch weiterhin um den Glauben. Darum ist mein dritter Wunsch an die Kirche in Deutschland, dass sie mir hilft, selber in Glaube, Hoffnung und Liebe zu wachsen und Jesus Christus auf dem Weg zum Vater nachzufolgen.

Peter Esser führt gemeinsam mit Bastian Volkamer den Blog Echo Romeo.


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