Das Problem der 'Entweltlichung' der Caritas

7. August 2012 in Deutschland


Ein Gastbeitrag von Prof. Lothar Roos (Forum Deutscher Katholiken) zum kirchlichen Profil der Caritas


Hannover (kath.net)
Diesen September wird im Rahmen des sogenannte "Dialogprozesses" in Hannover das Thema „Diakonia“ (Caritas) behandelt. Professor Lothar Roos, Mitglied des Forums Deutscher Katholiken, hat dazu einen Text „Zum kirchlichen Profil der Caritas“ verfasst. KATH.NET dokumentiert den Beitrag von Prof. Roos im Wortlaut:

Zum kirchlichen Profil der „Caritas“

I. Einführung

1. Die großen Ziele

In einer Art Leitartikel zeichnet der (neue) Vorsitzende des Diözesan-Caritasverbandes Köln, Weihbischof Dr. Heiner Koch, in der Kölner Kirchenzeitung1 ein Bild von der kirchlichen Identität der Caritas und reflektiert dabei den heutigen gesellschaftlichen Kontext ihres Wirkens. Dankend verweist er zunächst auf die Vielfalt der caritativen Tätigkeitsfelder „in den Kindergärten und offenen Ganztagsschulen, in den Einrichtungen für Behinderte und Senioren, in den Beratungsstellen und ambulanten Pflegediensten, in der Förderung der gemeindlichen Caritas und im interkulturellen Engagement, in den Hilfsstellungen für Alleinerziehende und Familien, in Krankenhäusern und Hospizen!“ Dann aber stellt der Bischof die Frage: „Werden wir als Kirche mit unserer deutlich veränderten Bedeutung in dieser Gesellschaft noch die Kraft haben, profiliert und qualifiziert diese Aufgaben zu erfüllen? Wo werden wir angesichts sich verändernder juristischer Rahmenbedingungen und engerer finanzieller und personeller Möglichkeiten die Prioritäten setzen? Wo wird der Platz dieses Verbandes morgen in einer sich wandelnden Kirche sein?“ Seine klar formulierte Antwort lautet: „Der Caritas-Verband braucht ein deutliches humanes, christliches und katholisches Profil. Es muss klar sein, wessen Geistes Kind er ist: Gottes Geist.“

Der Caritasverband „muss die Frage nach seinem Profil stellen“. Das beinhalte sowohl die „Frage nach der christlichen Lebensweise seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ wie die nach der „inneren Achse unseres Caritasverbandes, seiner Einrichtungen und Projekte, seiner Ordnungen, seines Engagements, seiner Schulungsarbeit und seiner politischen Ausrichtung“.

Weiter fragt der Bischof: „Ist der caritative Dienst damit nicht gerade heute der missionarische Dienst, der viele Menschen in unserer Gesellschaft überhaupt noch erreicht, anrührt, in Frage stellt, nachdenklich stimmt und vielleicht zum Glauben bewegt?“ Eben damit sei „unmittelbar die Frage nach der Zahl und der Qualität unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestellt.“

In einer „veränderten gesellschaftlichen Situation“, die „nicht mehr die Situation vergangener Jahrzehnte ist“, sei entscheidend, „dass Gott in unsere Zeit mit uns und unserem Caritasverband mitgeht und in seiner Mitte ist“. Das ist mit der „inneren Achse“ gemeint. Man könnte daraus die Maxime ableiten: Je Gott-loser eine Gesellschaft wird, desto Gott-verbundener muss der sozialcaritative Einsatz der Kirche sein. „Es sind genau die Gegenwinde, die ein Schiff in den Hafen führen“, so zitiert Bischof Koch Charles de Foucault.

2. Die gefährdeten Mittel

Was bedeutet dies konkret für die Tätigkeitsfelder und Ziele des caritativen Wirkens und für die kirchlichen Qualität derer, die darin tätig sind? Welche „gesellschaftlichen Veränderungen“, die das sozial-caritative Wirken der Kirche unmittelbar betreffen, haben sich in den letzten Jahrzehnten ereignet? Die Hauptursache der „Veränderungen“ liegt sicher im massiv fortschreitenden Säkularisierungsprozess und der damit zurückgehenden „Verbindlichkeit“ des Gottesglaubens und der aktiven Kirchlichkeit. Die Caritas ist davon in doppelter Weise betroffen: Zum einen wird das staatskirchenrechtliche Gebäude, innerhalb dessen sich der weitaus größte Teil der Einrichtungen des „Sozialkonzerns“ Caritas in Deutschland und die damit verbundene arbeitsrechtliche Sonderstellung („Dritter Weg“) eingerichtet hat, allmählich brüchiger. Dies hat zur Folge, dass ein wesentlicher Teil der caritativen Einrichtungen auf Grund des schleichenden Werteverfalls immer weniger sein christliches Profil zu behaupten vermag. Das wohl offensichtlichste Beispiel dafür ist der Wandel der „Kindergartenkultur“.2 Zum andern, und das ist noch gravierender, führt der Rückgang aktiver und überzeugter Kirchlichkeit (der sonntägliche durchschnittliche Kirchenbesuch beträgt 13 %!) dazu, dass der Kirche zunehmend die Personen ausgehen, durch deren kirchliche Qualität allein die Einrichtungen bzw. Leistungen der Caritas im Sinne ihrer Aufgabe garantiert werden können.

Konkret: Nicht wenige katholische Kindergärten, meist von der Caritas organisatorisch getragen, tun sich immer schwerer damit, Erziehungskräfte zu finden, die den von Weihbischof Koch formulierten Anspruch erfüllen können und wollen. Noch schlimmer: Vielen katholischen Eltern, die ihre Kinder (möglichst früh!) in das außerfamiliäre Betreuungssystem abgeben, ist zunehmend gleichgültig, ob die Kindergärten bzw. KiTas überhaupt ein kirchliches Profil aufweisen.

Aus all dem ergibt sich als logische Folge: Das gewaltige, staatskirchenrechtlich zusammengehaltene System der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe (es macht fast die Hälfte der Aktivitäten der Caritas aus) existiert munter weiter, ohne dass dabei das kirchliche Profil der caritativen Angebote besonders wichtig erscheint, weder auf Seiten der Nachfrager noch der Anbieter.

3. Das Problem der „Entweltlichung“ der Caritas

Überall, wo sich Menschen in einer Situation elementarer Not befinden, also um Leib und Leben fürchten müssen bzw. in der Substanz ihrer Würde bedroht sind, gebietet der christliche Glaube, gemäß dem Beispiel des barmherzigen Samariters, zu helfen. Man kann dies auf die Formel bringen: Wir helfen ihnen nicht, weil sie Christen sind, sondern weil wir Christen sind. Insoweit die Kirche bzw. Caritas in diesem Sinne Menschen in elementaren Nöten beisteht, bedarf es dazu keiner weiteren Begründung als eben deren Notsituation. Die Nothilfe ist allerdings nur ein mehr oder weniger großer Teil der sozial-caritativen Aktivitäten der Kirche.

Überall dort, wo menschliche Not bzw. das Bedürfnis nach helfender und heilender Unterstützung neben physischen und psychischen auch geistig- religiöse Aspekte umfasst, stellt sich die Frage nach dem spezifisch christlichen bzw. katholischen Profil im Vergleich mit rein „weltlichen“ oder von anderen geistig-religiösen Voraussetzungen ausgehenden Hilfsangeboten. Anders gesprochen: Hier lässt sich die Frage nach dem christlichen „Mehrwert“ und Profil nicht mehr ausklammern. Dies gilt umso mehr dann, wenn kirchliche Caritas mit anderen Wohltätigkeitsorganisationen“ konkurriert, die sich angesichts einer sich vertiefenden Säkularisierung immer weiter vom christlichen Menschenbild entfernen.

Ein ehemaliger Religionslehrer und Pastor stellte dazu in einem Leserbrief unlängst folgende Fragen: „Atmen unsere Krankenhäuser wirklich mehr den Geist des Evangeliums als ihre ‚weltliche’ Konkurrenz? Gibt es Anzeichen von Verweltlichung in unseren Altenheimen, Kindergärten, caritativen Beratungsstellen und Sozialeinrichtungen aller Art? Haben jene Kritiker recht, die sagen, die Kirche hat sich institutionell übernommen, sie ist bei mancher Einrichtung ‚Träger’ im organisatorischen und rechtlichem Sinn, ohne sie mit christlichem Leben zu füllen?“3

II. Verfassungsrechtliche und kirchliche Grundlagen der sozial-caritativen Dienste

1. Der sozialrechtliche Vorrang der „freien“ Träger

Nach einer frühen Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt gemäß dem Subsidiaritätsprinzip den „freien“, faktisch weithin kirchlichen Trägern, auf kommunaler Ebene im Bereich sozial-caritativer Einrichtungen eine Art von „Erstzugriffsrecht“ vor den Kommunen (Staat) zu.4 Das Gericht verband damals die sozialstaatliche Pflicht zur Hilfe mit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit bzw. Weltanschauungsfreiheit. Je mehr soziale Hilfen nicht allein durch materielle Leistungen behoben werden können, sondern auch seelisch-geistige Dimensionen der Hilfe beinhalten, gilt der Grundsatz: Der Einzelne soll möglichst eine Wahlfreiheit haben, die seinen persönlichen ethischen und religiösen Überzeugungen entsprechenden Träger der Hilfe in Anspruch nehmen zu können.

Denn wegen seiner religiösweltanschaulichen Neutralität können staatliche Einrichtungen auf persönliche Überzeugungen ihrer Bürger keine Rücksicht nehmen. Auf dieser verfassungsrechtlichen Grundlage sind die Kirchen im großen Umfang z. B. Träger von Kindergärten, Kindertagesstätten, Kinderheimen usw. geworden. Dabei ist wichtig zu beachten, dass der Sozialstaat sich damit finanziell nur zum Teil seiner Verantwortung entziehen darf. Er stellt aus seinen Etatmitteln in aller Regel den größten Teil der anfallenden Personalkosten zur Verfügung.

Zusammen mit den eigenen Mitteln der Träger (meistens Baulasten) und eventuellen Beiträgen z. B. der Eltern werden so die entsprechenden Einrichtungen finanziert.5

2. Die „innere Selbstbestimmung“ und der „Dritte Weg“

Weiter ist zu beachten, dass arbeitsrechtlich für alle kirchlichen Sozialeinrichtungen der sogenannte „Dritte Weg“ gilt, gemäß dem bei den kirchlichen Trägern anstelle des sonst möglichen Betriebsrates bzw. Personalrates eine eigene „Mitarbeitervertretung“ möglich ist. Dies impliziert, dass es aufgrund der Eigenart dieser Einrichtungen dort auch kein „Streikrecht“ gibt. Verfassungsrechtlich ist dies eine Konsequenz des inneren selbstbestimmungsrechts der Kirchen. Es erlaubt den Kirchen, dass von ihnen selbst für notwendig erachtete kirchliche Profil der Einrichtung auch dadurch zu wahren, dass sie die Mitarbeiter dienstrechtlich auf bestimmte Standards des Glaubens und der Sittenlehre der Kirche als Voraussetzungen ihrer Tätigkeit verpflichtet.

3. Die allmähliche Erosion der ethisch-religiösen Voraussetzungen

All dies war so lange weithin unbestritten, als die politischen Mehrheiten vor allem in den kommunalen Selbstverwaltungsorganen von christlichen Grundüberzeugungen geprägt waren und auf dieser Basis die kirchlichkonfessionelle Eigenart der jeweiligen Einrichtungen respektierten. Noch wichtiger freilich war die Fähigkeit der Kirche, genügend Personen zu finden und auszubilden, die bereit und in der Lage waren, persönlich die „Kirchlichkeit“ dieser Einrichtungen zu ermöglichen. Beide Voraussetzungen unterliegen seit Jahrzehnten einem zunehmenden Erosionsprozess. Der Freiburger Caritaswissenschaftler Heinrich Pompey schreibt dazu: „So wie die Reihen aktiv praktizierender katholischer Christen sich in Gottesdiensten lichten, so lichten sich auch die Reihen aktiver katholischer Christen in vielen personalintensiven, hochprofessionellen Einrichtungen und Diensten des caritativen Nächstendienstes der Kirche.“ Er verweist dann auf die Freiburger Rede Papst Benedikt XVI. vom 24. August 2011, in der dieser auf den „Rückgang der religiösen Praxis“ und auf „zunehmende Distanzierung (…) vom kirchlichen Leben“ hingewiesen habe. Pompey fragt: „Können angesichts der ‚Ausdünnung’ ihrer eigenen Mitglieder in den für den Staat geleisteten sozialen und medizinischen ‚Dienstleistungen’ die Mitarbeiter ihre religiös-existenzielle Sendung wahrnehmen?“ Wer soll in diesen Einrichtungen „Christus existenziell erfahrbar präsentieren, wenn der Helfende nicht an ihn glaubt?“6

4. Schwierige „Entweltlichung“

Das schwierigste Hindernis einer gegebenenfalls nötigen „Entweltlichung“ im Bereich der sozial-caritativen Aktivitäten besteht darin, dass aufgrund der staatskirchenrechtlichen Vorgaben der Kirche hier zumindest faktisch weitgehend die Hände gebunden sind. Diese „Bindung“ ist insofern besonders heikel, als der weitaus größte Teil der für alle diese Einrichtungen nötigen finanziellen Mittel auf gesetzlicher Grundlage vom Sozialstaat den privaten Trägern zur Verfügung gestellt wird. Dies ist völlig rechtens und auch für den Staat günstig, denn sonst müsste er alle diese Einrichtungen selbst betreiben und wesentlich teurer finanzieren. Dies bedeutet aber auch, dass die freien Träger von der jeweiligen Kommune in aller Regel verpflichtet werden, z. B. alle in ihrem lokalen Einzugsbereich nachgefragten Kindergartenplätze völlig unabhängig von der religiösen Einstellung der Eltern anzubieten. Dies wiederum mindert faktisch weitgehend die Möglichkeit, der entsprechenden Einrichtung ein christliches oder gar katholisches Profil geben zu können. Dies wird umso schwieriger, je weiter sich der religiöse Pluralismus ausbreitet.7

III. „Verweltlichung“ und „Entweltlichung“ einzelner Bereiche

1. Caritas und Kinderrechte

Der Deutsche Caritasverband versucht, auch auf die politische Willensbildung und Gesetzgebung in sozial-caritativen Bereich einzuwirken. Dazu ist er durchaus berechtigt. Die Frage ist allerdings, ob er dies in einer Weise tut, die mit der Eigenart des caritativen Auftrags der Kirche kompatibel ist. Hier ein Beispiel, das in die gegenteilige Richtung weist: Bei den Feiern anlässlich des Tages der Deutschen Einheit am 2./3. Oktober 2011 in Bonn präsentierten sich auch „die Kirchen“. Der Diözesan-Caritasverbande für das Erzbistum Köln hatte ein Zelt mit dem Transparent „Caritas für Kinderrechte“ aufgebaut und bot einen Flyer mit 12 „Kinderrechten“ an. Sie bewegten sich ausnahmslos in Richtung dessen, was in ähnlicher Weise von einer Unterorganisation der UNO proklamiert wurde.

So fehlte dann auch das aus der Sicht gläubiger Christen nicht unwichtige Kinderrecht, in den Glauben eingeführt zu werden. Nach Art. 7 des Grundgesetzes ist der Religionsunterricht „in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach“. In vielen Schulgesetzen der Bundesländer wird generell eine Erziehung gemäß „christlichen Grundsätzen“ als Maßstab vorgeben. Darauf haben die Kinder ein Recht. Wäre es nicht angemessen, wenn der Caritasverband auch diese „Kinderrechte“ herausgestellt hätte? Schließlich verlangt der Katalog, „Informationsrechte und Meinungsfreiheit von Kindern ernst zu nehmen“.

Sollten also Kinder das Recht haben, ohne Wissen und Aufsicht ihrer Eltern alle über verschiedene Fernsehkanäle und im Internet zugängliche „Informationen“ ins Kinderzimmer zu holen? Oder hätten die Kinder nicht vielmehr das Recht, z. B. von gewaltverherrlichenden und pornographischen Darstellungen in den Medien verschont zu werden? Dazu finden sich in dem Flyer keine Aussagen. Auch davon, dass Kinder das Recht haben, in einer Familie mit Vater und Mutter aufzuwachsen und nicht von zwei gleichgeschlechtlichen Partnern adoptiert zu werden, ist nicht die Rede. – Lässt man diesen Caritas-Katalog von Kinderrechten auf sich wirken, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass es sich um eine zeitgeist-konforme Zusammenstellung ohne kirchliches Profil handelt.

2. Beratungseinrichtungen

Zu dem kirchlich besonders sensiblen Teil der Aktivitäten und Einrichtungen des Caritasverbandes gehören die verschiedenen Beratungseinrichtungen: Ehe- und Familienberatung, Schwangerenkonfliktberatung, Erziehungsberatung, Schuldnerberatung u. a. Der größte Konflikt, den es in diesem Bereich gab, ist zumindest prinzipiell gelöst: Der Ausstieg der kirchlichen Beratungsstellen aus der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung, die mit der Ausstellung jenes „Scheins“ abschloss, der Voraussetzung für eine straflos und deshalb von vielen als „rechtmäßig“ empfundene Abtreibung ist. Wo auf diesem Feld „Verweltlichung“ vorliegt bzw. „Entweltlichung“ angemessen wäre, lässt sich nur bei genauerer Kenntnis/Bewertung der Arbeit dieser unterschiedlichen Beratungseinrichtungen gewinnen.

Dazu ein aktuelles Beispiel: Durch Recherchen des Journalisten Stefan Rehder kam kürzlich ans Licht: „Im Bistum Aachen können Bürger der Region auch in katholischen Beratungsstellen einen Zuschuss für Sterilisationen und langfristig wirkende Verhütungsmittel beantragen“. In einem Faltblatt, das auch in katholischen Schulen und Kindergärten des Bistums Aachen auslag, wurde auf „zusätzliche, freiwillige Leistungen“ der Stadt und Städteregion Aachen „aufmerksam gemacht, Zuschüsse für ‚ärztlich verordnete, langfristige Verhütungsmittel wie Spirale und Hormonimplantat’ sowie für ‚Sterilisationen von Frauen und Männern’ zu erhalten. Diese können über Beratungsstellen beantragt werden, darunter auch der Schwangerenberatungsstellen ‚Rat und Hilfe’ des ‚Caritasverbandes für das Bistum Aachen’, des ‚Caritasverbandes für die Region Eifel’ sowie des ‚Sozialdienstes katholischer Frauen’ (SkF).“

Nach Angabe des Faltblattes erhalten die Antragssteller „nach Prüfung durch die Beratungsstelle eine Bescheinigung für eine anteilige Kostenübernahme“, die von dem betreffenden Arzt oder der Apotheke direkt mit der Beratungsstelle abzurechnen sei. Auf Rückfrage wurde erklärt: „Die Caritas-Beratungsstellen ermöglichen mit ihrer Beratung und Vermittlung im Kontext des kommunalen Verhütungsmittelfonds, dass Menschen mit geringem Einkommen und in schwierigen sozialen Lebenslagen materiell in die Lage versetzt werden, eine Gewissensentscheidung zu treffen“.

Der Hinweis auf die kirchliche Morallehre wurde mit der Feststellung beantwortet, die Kirche überlasse „die Entscheidung über den Einsatz der gewählten Methode aber dem Gewissen der Betroffenen“. Eine weitere Rückfrage, ob es denn „nicht schwierig“ gewesen sei, die entsprechenden Faltblätter in katholischen Kirchengemeinden zu verteilen, kam die Antwort: „Überhaupt nicht. Wissen Sie, das eine ist die kirchliche Lehre, und etwas ganz anderes die Praxis an der Basis“. Der Sprecher des Bistums Aachen, Franz Kretschmann, beantwortete eine entsprechende Anfrage mit dem Satz: „Gehen Sie davon aus, dass die Stellungnahme der Caritas auch die Haltung des Bistums widerspiegelt“.8

3. Caritas und Kinderkrippen

Zum Erstaunen vieler wandten sich einige katholische Verbände, an ihrer Spitze der Deutsche Caritas-Verband, öffentlich gegen das „Betreuungsgeld“. In einem KNA-Bericht wurde am 30.05.2012 eine scharfe Kritik des Kölner Erziehungswissenschaftlers Albert Wunsch dazu veröffentlicht: „Es sei ‚mehr als beschämend’, dass sich die Caritas gegen eine finanzielle Anerkennung der elterlichen Erziehungsleistung ausspreche und auf die von Wirtschaftsverbänden und Politikern geforderte Krippe setze. Dabei habe das Bundesverfassungsgericht 1999 gefordert, den Aufwand für elterliche Erziehung und institutionelle Betreuung gleich zu bewerten. (…) Er wandte sich gegen eine ‚Staats-Erziehung’ in den ersten drei Lebensjahren und betonte demgegenüber die elterliche Erziehungsverantwortung. ‚Kinder brauchen keine Krippen, sondern aktive Eltern, um durch diese in ein eigenständiges und selbstverantwortliches Leben geführt zu werden’, so Wunsch. Die Caritas verabschiede sich vom christlichen Menschenbild und der katholischen Soziallehre, die von der Eigenverantwortung der Eltern ausgehe und dem Staat lediglich eine unterstützende Funktion zuschreibe.“9
Inzwischen haben eine Reihe deutscher Bischöfe die Aussage des Deutschen Caritas-Verbandes in dieser Frage kritisiert, u. a. der Vorsitzende der Bischofskonferenz Erzbischof Zollitsch (Freiburg), Kardinal Meisner (Köln), Kardinal Woelki (Berlin), Erzbischof Schick (Bamberg), Bischof Overbeck (Essen).

Besonders deutlich hat sich am 15. Juni Bischof Hanke (Eichstätt) in einem von kath.net veröffentlichten Brief an den Präsidenten des Deutschen Caritas-Verbandes geäußert: Er empfinde es „beschämend, dass ausgerechnet ein Verband der römisch-katholischen Kirche sich gegen eine – wie auch immer geartete – Anerkennung und damit Hochschätzung elterlicher Erziehungsleistungen ausspricht. Es ist unbestreitbar, dass es für ein Kleinkind im Normalfall kaum einen besseren Ort der Erziehung und der ge-/erlebten Wertevermittlung gibt als das Leben innerhalb der eigenen Familie.“

Die Caritas „sollte unbedingt den Eindruck vermeiden, als ‚Anwalt in eigener Sache’ zu agieren um das eigene ökonomische Interesse als Krippen-Trägerin vor das Kindeswohl zu stellen. Die erzieherische Eigenverantwortung der eigenen Eltern ist ein unaufgebbares Prinzip unserer katholischen Soziallehre. Unangebrachte Kakophonien und divergierende Stellungnahmen innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland sind dabei wenig zuträglich.“ Der Bischof verweist dann auf einen Brief, den er am 5. April an die Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Christine Haderthauer, geschrieben habe, worin er feststellt: „Das Betreuungsgeld ist eine begrüßenswerte Würdigung der hohen Erziehungsleistung von Eltern. (…)

Deshalb spreche ich mich gegen eine einseitige Förderung öffentlicher Betreuungseinrichtungen, z. B. Kinderkrippen, aus, welche die verfassungsmäßig garantierte Wahlfreiheit der Eltern in der Gestaltung der Erziehung ihrer Kinder zu sehr einschränken würde“. Vor diesem Hintergrund erwarte er vom Präsidenten des Caritas-Verbandes „Aufklärung darüber, wie es zu den meines Erachtens fragwürdigen und zudem noch öffentlichen Positionierungen des Deutschen Caritas-Verbandes in dieser Angelegenheit kommen konnte.“10 – Man könnte noch hinzufügen: Soweit es tatsächlich katholische Eltern gibt, die sich mit der angemessenen Erziehung ihrer Kleinstkinder schwer tun, wäre es gemäß dem Subsidiaritätsprinzip die Aufgabe kirchlich-caritativer Dienste, die betreffenden Eltern beratend zu unterstützen und ihnen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, statt die Erziehung zu „sozialisieren“.

IV. Caritas und Pastoral

1. „Wir auch“ – „wenigstens noch“ – „wir aber“

In allen genannten sozial-caritativen Tätigkeitsfeldern wird oft weitgehend übersehen, dass die drei kirchlichen Grundaufgaben (Glaubensdienst, Gottesdienst, Bruderdienst – martyria, leiturgia, diakonia) nie völlig voneinander getrennt werden können und dürfen. Dagegen wird oft mit einer Pastoral des „wir auch“ und „wenigstens noch“ argumentiert: Weil es heute z.B. bis tief in die Kirche hinein weit verbreitet ist, die kirchliche Ehe- und Sexualmoral zu kritisieren, könne man die leitenden Personen in kirchlichen Einrichtungen moralisch und deshalb arbeitsrechtlich darauf auch nicht mehr verpflichten. Vielmehr müssten „wir auch“ endlich offener werden für den Trend der Zeit. Etwas anders argumentiert die Pastoral des „wenigstens noch“: Wenn wir schon in unseren sozial-caritativen Einrichtungen unser kirchliches Profil nicht mehr offen zeigen können, dann ist es trotzdem besser, wenn die Kinder „wenigstens noch“ in einem Kindergarten oder Kinderheim katholischer Trägerschaft „aufgehoben“ sind als in einer rein „weltlichen“ Einrichtung. Gerade aber bei einer solchen Argumentation lässt sich die Frage einer notwendigen „Entweltlichung“ kirchlicher Einrichtungen kaum mehr verdrängen.

Statt der Pastoral des „wir auch“ und „wenigstens noch“ müssten wir uns um eine Pastoral des „wir aber“ Gedanken machen: Je weiter sich die Gesellschaft religiös und ethisch von christlichen Grundüberzeugungen entfernt, desto mehr kommt es darauf an, dass sich Christen und Kirche gemäß der Psychologie des „signifikant Anderen“ durch eine Pastoral des „wir aber“ profilieren.

2. „Caritas“ als Thema im Dialogprozess

Mit ihrem sozial-caritativen Aktivitäten reicht der „Arm der Kirche“ am weitesten in die säkulare Gesellschaft hinein. Umso sorgfältiger muss deshalb die Gefahr einer „Verweltlichung“ in diesem Bereich beachtet und gegebenenfalls korrigiert werden. Ein im Namen der Kirche wirkender Sozialverband wie die „Caritas“, aber auch alle anderen Verbände, die den Namen „katholisch“ tragen, müssen sich in ihren Aktivitäten innerhalb des Rahmens des Glaubens der Kirche und ihrer Soziallehre bewegen, wie Bischof Hanke hervorgehoben hat. Der Caritas-Verband gehört ohne Zweifel zu jenen „juristischen Personen“ (…), die von der zuständigen kirchlichen Autorität errichtet werden, damit sie innerhalb der für sich festgesetzten Ziele nach Maßgabe der Rechtsvorschriften im Namen der Kirche die ihnen im Hinblick auf das öffentliche Wohl übertragene eigene Aufgabe erfüllen“ (can. 116 § 1 des Gesetzbuches der Römisch-Katholischen Kirche von 1983).

Wenn in bestimmten Bereichen Zweifel darüber auftreten, ob die Aktivitäten einer solchen Vereinigung tatsächlich „mit der Sendung der Kirche“ übereinstimmen oder nicht, dann ist es Sache der „zuständigen kirchlichen Autorität“, dies anzumahnen bzw. für Abhilfe zu sorgen. In einem Vortrag vor dem Berliner Kardinal-Höffner-Kreis befasste sich Kardinal Rainer Woelki, in der Bischofskonferenz für den Bereich „Caritas“ besonders verantwortlich, sicher nicht ohne Grund mit der Frage, „wie das besondere christliche Profil der Caritas erhalten bleiben könne“.11

Wenn sich die Deutsche Bischofskonferenz im September als erstes Thema des „Dialogprozesses“ mit dem caritativen Wirken der Kirche befasst, dann wird sich – gerade nach den Erfahrungen im Fall des Betreuungsgeldes“ – die Frage nach dem kirchlichem Profil der „Caritas“ nicht umgehen lassen.

FORUM DEUTSCHER KATHOLIKEN

1 Heiner Koch: Ohne Caritas verkümmert der Glaube, in: Kirchenzeitung Köln vom 20. April 2012, Nr. 16, S. 4 f.
2 Ein katholischer Vater fragte die Leiterin des Kindergartens seiner Tochter, ob die Kinder dort auch beten würden. Die Antwort: Wir haben auch Nicht-Katholiken, Muslime und Kinder religiös ungläubiger Eltern bei uns, diese würden wir mit einer solchen religiösen Praxis diskriminieren.
3 Winfried Hensel, Harsum, in: Die Tagespost vom 3. Dezember 2011, Nr. 144, S. 20
4 s. Burkhard Kämper: Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Joseph Listl und Dietrich Pirson, Bd. II., Berlin ²1995, S. 831-842
5 Das Mitglied eines Verwaltungsrats eines kirchlichen Kindergartens in einer Mittelstadt in Rheinland-Pfalz stellt dazu fest: „Der größte Posten sind die Personalkosten, in meinem Fall 250.00 bis 300.000 Euro pro Jahr. Diese Kosten tragen das Land, der Kreis und die Gemeinde. Die Kirche (…) übernimmt einen Anteil von 10 %. Dazu gibt es noch den Sachkostenzuschuss, der etwa halb so groß ist wie der der Gemeinde. Die Kirchenstiftung, die in diesem Fall Träger des Kindergartens ist, übernimmt noch die „Betriebskosten“ wie beispielsweise Energiekosten und Kosten des laufenden Betriebs. Hinzu kommt, dass in Rheinland-Pfalz bis vor drei Jahren der Anteil der Elternkosten noch bei 17,5 % lag. Ab diesem Zeitpunkt übernahm der Staat, also das Land, die Kosten.
6 In letzter Zeit mehren sich die Beispiele, dass sich unter den Bewerberinnen/Bewerbern für die Leitung kirchlicher Kindergärten immer schwerer Personen finden lassen, die fähig und bereit sind, die religiöspädagogische Dimension ihrer Tätigkeit wahrzunehmen.
7 Ein aktueller Fall im Erzbistum Köln, und zwar in der Stadt Königswinter, macht diesen Konflikt deutlich: Dort wurde dem örtlichen Kirchengemeindeverband von der Stadt die Trägerschaft eines Kindergartens entzogen, weil die katholische Gemeinde zuvor der Leiterin einer Kindertagesstätte aufgrund ihrer „Lebensverhältnisse“ gekündigt hatte. Grund war, dass sie nach der Trennung von ihrem Mann mit einem neuen Partner zusammenlebte. Das Erzbistum betonte, dass die Treue bis zum Tod zum kirchlichen Eheverständnis gehöre. Diesen moralischen Anspruch seien kirchliche Mitarbeiter besonders verpflichtet. Die Kirche könne ihre moralischen Werte nicht einfach in Einzelfall aufgeben oder aus missverstandener Nächstenliebe zurücknehmen. Im Stadtrat fand sich eine Mehrheit für den Entzug der kirchlichen Trägerschaft des Kindergartens. Was die Sache besonders süffisant macht, ist der Umstand, dass der neue Lebensgefährte der Leiterin Vorsitzender der örtlichen CDU-Fraktion im Stadtrat ist. (Vgl. dazu Katholischer Kindergarten wird städtisch, in Kirchenzeitung Köln, Nr. 13 vom 30. März 2012). Sofern die Kirche den Mut dazu aufbringt, könnte dieser Fall zu einem Streit bis vor das Bundesverfassungsgericht führen. Denn hier wird der Kirche einer der Grundsätze des Staatskirchenrechts streitig gemacht, nämlich die innere Selbstbestimmung.
8 Stefan Rehder „Da ist alles korrekt“, in: Die Tagespost vom 3. März 2012, Nr. 27, S. 3.
9 Wunsch lehrt als Erziehungswissenschaftler und Psychologe an der Katholischen Hochschule NRW (KatHO) in Köln.
10 Vgl. dazu auch „Beschämend“, in: Die Tagespost vom 28. Juni 2012, Nr. 77, S. 4, sowie: Eichstätter Bischof gegen Caritas, in: Kirchen Zeitung Köln vom 29. Juni 2012, Nr. 26, S. 3
11 Woelki: Bedingungen für ein Ja zum Kind schaffen, in: Die Tagespost vom 16. Juni 2012, Nr. 72, S. 4



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