9. August 2012 in Interview
Manche Politiker verteidigen - bisweilen aus Furcht vor Repressionen -die Ehre von Muslimen, während sie Beschimpfungen von Christen nichts entgegensetzen - Staatsrechtler Josef Isensee über Gotteslästerung und Strafrecht - Von Joachim Heinz (KNA)
Bonn (kath.net/KNA)
Wie weit darf Satire beim Thema Religion gehen? Nach dem umstrittenen Papst-Cover des Frankfurter Magazins «Titanic» ist die Debatte darüber neu entbrannt - bis hin zu Forderungen nach strengeren Strafen für Gotteslästerung. Der Bonner Juraprofessor Josef Isensee plädiert im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) für eine nüchterne Herangehensweise. Das heiße freilich nicht, dass sich Kirche alles gefallen lassen müsse, betont der renommierte Staats- und Verfassungsrechtler.
KNA: Herr Isensee, was versteht der Jurist unter dem Begriff Gotteslästerung?
Isensee: Laut Paragraph 166 des Strafgesetzbuchs macht sich strafbar, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Darauf steht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Gleiches gilt für denjenigen, der eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
KNA: Das klingt sehr technisch. Heißt das im Umkehrschluss: Nur wenn es lautstarke Proteste gibt, die den öffentlichen Frieden stören, können Gotteslästerung geahndet werden?
Isensee: Die Idee, die hinter dem «öffentlichen Frieden» steckt, ist nicht ganz einfach zu fassen. Der «öffentliche Friede» umschreibt ein gesellschaftliches Klima, in dem ein jeder seine Religion unbefangen ausüben kann, ohne fürchten zu müssen, als soziales Freiwild behandelt und aus der Gesellschaft ausgegrenzt zu werden. In Deutschland soll es niemandem so gehen wie den Christen in der Türkei, die in ständiger Diskriminierung leben und Schmähungen ausgesetzt sind, ohne sich wehren zu können.
KNA: Wann also würde der Paragraph 166 greifen?
Isensee: Ein Beispiel aus der Rechtsprechung: Die Darstellung eines gekreuzigten Schweins auf dem T-Shirt. Nicht zum Prozess kam es in dem krassen Fall einer Beschimpfung der katholischen Kirche, als während des Besuchs von Papst Johannes Paul II. in Köln 1987 Feministinnen Hostien auf die Straße warfen, um gegen die katholische Sexualmoral zu protestieren. Gestört wäre der öffentliche Frieden auch, wenn Islamfeinde wie Angehörige US-amerikanischer Truppen im Irak einen Koranband in die Latrine würfen.
KNA: Das sind eher extreme Einzelfälle. Haben Sie Verständnis dafür, wenn manche Kirchenvertreter den Geltungsbereich dieser Bestimmungen ausweiten wollen?
Isensee: Ich glaube nicht, dass es der Kirche hülfe, wenn die Strafbarkeit auf Kosten der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit ausgedehnt werden würde. Die Religionsgemeinschaften erhielten einen Schutzmantel, der ihnen auf Dauer schaden könnte. Die Strafe erzeugte Mitleid mit dem Täter; überdies wiederholten die Prozessberichte der Medien den Schimpf und trügen den Unflat erneut in die Öffentlichkeit, die ja den ursprünglichen Sachverhalt längst vergessen hätte.
KNA: Bedauern Sie diese Entwicklung?
Isensee: Sie ist abscheulich. Doch wir leben nun einmal in einer permissiven Gesellschaft, die die hergebrachten Regeln der Moral, des Anstands, des Geschmacks weitgehend abgebaut hat. Das ist die schäbige Folge der Freiheit. Aber bei Lichte besehen hat die Kirche bislang wenig Schaden genommen durch den Unflat, der über sie ausgegossen wird. Insofern sollte sie diesen weiterhin abschütteln wie die Ente das Wasser - und gelassen bleiben, frei nach Goethes Gedicht «Wanderers Gemütsruhe».
KNA: Was rät der Poet?
Isensee: Sich nicht über das Niederträchtige beklagen: «Wandrer! - Gegen solche Not / Wolltest du dich sträuben? / Wirbelwind und trocknen Kot, / Lass sie drehn und stäuben!»
KNA: Gilt diese Devise auch für den aktuellen «Titanic»-Fall?
Isensee: Der hat mit Gotteslästerung nichts zu tun. Da geht es um die Persönlichkeitsrechte des Papstes. Die Abbildung ist ohne Zweifel primitiv und widerlich, aber eben kein Fall des Paragraphen 166.
KNA: Muss sich die Kirche alles gefallen lassen?
Isensee: Keinesfalls. Doch sollte sie jeweils prüfen, was klüger ist: sich zu wehren oder zu ignorieren. Bei manchem Unfug stellt sich die Frage, ob man diesem nicht im Vorfeld begegnen könnte.
KNA: Auf welchem Wege?
Isensee: Nicht über das Strafrecht, sondern über das Polizeirecht, und zwar über den Schutz der öffentlichen Ordnung. Die öffentliche Ordnung umfasst die ungeschriebenen, vorrechtlichen Regeln eines gedeihlichen Zusammenlebens, etwa Sozialmoral, Takt, ortsüblichen Brauch. Mit Hilfe dieser Ermächtigung des Polizeirechts ließen sich Provokationen verhindern, wie kirchenfeindliche Demonstrationen während einer Fronleichnamsprozession.
KNA: Lassen Sie uns trotzdem noch einmal zum Paragraphen 166 zurückkehren. Glauben sie, dass hierzulande die Debatte über Strafen für Gotteslästerung mit der wachsenden Präsenz von radikalen Muslimen oder auch orthodoxen Juden an Schärfe zunehmen wird?
Isensee: Das ist zu befürchten. Dabei wird gerade bezogen auf Islam und Christentum oft mit zweierlei Maß gemessen. Manche Politiker verteidigen - bisweilen aus Furcht vor Repressionen -die Ehre von Muslimen, während sie Beschimpfungen von Christen nichts entgegensetzen. Aber eigentlich ist mir eine ganz andere Grundüberlegung viel wichtiger.
KNA: Nämlich welche?
Isensee: In einer Gesellschaft wie der unseren muss man die Zumutungen der Freiheit des Anderen ertragen. Dazu gehört, dass man die Geschmacklosigkeit des Anderen erträgt, ohne zu Gewalt zu greifen. Dies ist eine wichtige Lektion, die besonders die Zuwanderer aus islamischen Ländern lernen müssen. Auch die katholische Kirche hat gelernt. Ich finde, sie ist dabei im Großen und Ganzen gut gefahren.
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