Abtreibungen sind die Menschenrechtskatastrophe Nummer 1

17. August 2012 in Interview


Hartmut Steeb, Generalsekretär der Evangelischen Allianz, nimmt im kath.net-Interview Stellung zu aktuellen Themen, von der Kinderfreundlichkeit unserer Gesellschaft bis zum Streit in der Sächsischen Landeskirche um Bibeltreue. Von Petra Lorleberg


Stuttgart (kath.net/pl) „Es ist die Menschenrechtskatastrophe Nummer 1, dass Abtreibungen in diesem Ausmaß stattfinden.“ Dies sagt Hartmut Steeb (Foto), der Generalsekretär der Evangelischen Allianz. Der evangelikale Christ äußert sich im kath.net-Interview über aktuelle Themen, von der Kinderfreundlichkeit unserer Gesellschaft bis zum Streit in der Sächsischen Landeskirche um Bibeltreue.


kath.net: Herr Steeb, sind wir noch ein kinderfreundliches Land?

Hartmut Steeb: “Noch“ ist eigentlich falsch. Wir sind es seit mindestens 50 Jahren nicht mehr. Selbst dort, wo man anscheinend familienpolitische Unterstützung gewähren will, um Kinder zu fördern, geht es bei genauem Hinsehen nicht um das Wohl der Kinder sondern um die Frage, wie man trotz Kinder irgendwie sein Leben meistern kann. Anstatt zu sehen und zu fördern, dass es gut ist, Kinder zu haben und dass sie auch für eine erfolgreiche Zukunft unseres Landes nötig sind, gelten sie weiter als Karriere-Killer, Hindernisse zur Selbstentfaltung usw. Wir brauchen aber die Mentalität, dass es keine höhere Lebensleistung geben kann als sich für die eigenen Kinder zu investieren. Eine Mutter z.B. die ihr Leben in den Dienst ihrer Kinder stellt und dafür auf viel verzichtet, arbeitet, wie es Irmela Hoffmann einmal sagte – leicht verfremdet und angepasst „in der wichtigsten Werkstatt des 21. Jahrhunderts, wo die Zukunft gestaltet wird und die Gegenwart ihren Gehalt gewinnt“. Darum sollte diese Tätigkeit endlich genau so viel staatliche Unterstützung wert sein wie die außerfamiliäre Betreuung, mindestens!

kath.net: Bei Lebensanfang und Lebensende werden die Grenzen immer offener hin zum aktiven Töten, genannt seien die Beispiele Abtreibung, Organentnahme bei Sterbenden und der sogenannte assistierte Selbstmord. Was sagen Sie dazu aus christlicher Perspektive?

Steeb: Es ist die Menschenrechtskatastrophe Nummer 1, dass Abtreibungen in diesem Ausmaß stattfinden (freilich, auch jede einzelne ist zu viel) und noch öffentlich gefördert werden. Die Abtreibungszahlen übersteigen bei weitem alle Unglücksfälle in dieser Welt, Hungertote, Epidemie-Tote, Aids-Tote.

Wissenschaftlich ist klar erwiesen, dass sich ungeborene Menschen nicht erst zum Menschen entwickeln sondern als Mensch (so auch der frühere Bundespräsident Johannes Rau in seiner berühmten Berliner Rede).

Ich kann nicht verstehen, dass die Bekämpfung der Abtreibung nicht das Top-Thema aller Menschenrechtler und Demokraten ist. Hier würde sich aller Einsatz lohnen!

Natürlich darf jeder seine Organe und auch sein ganzes Leben spenden für andere Menschen in Not. Deshalb habe ich keine Probleme mit der Organentnahme, weder mit der Lebensspende noch mit der Spende eines Sterbenden. Es kann aber kein Recht eines kranken Menschen auf ein Organ geben und keine Pflicht eines Menschen anderen Organe zu geben. Darum ist jeder Druck auf Menschen zur Organspende aus meiner Sicht verwerflich.

Weil kein Mensch sich selbst zum Menschen gemacht hat und keiner an der Entscheidung aktiv beteiligt war, ob er Leben wollte, darum gibt es auch kein Recht, das Ende des Lebens selbst bestimmen zu wollen. Freilich kann man letztlich keinen Menschen daran hindern, sich selbst das Leben zu nehmen. Wir müssen darüber auch nicht urteilen und einen Gestorbenen wegen seiner Tat verurteilen. Anderen aber zum Sterben zu verhelfen ist erst recht nicht unsere Aufgabe. Wir sollen ihnen beim Sterben gegebenenfalls beistehen, aber bis dahin immer zum Leben und nicht zum Sterben helfen.

kath.net: In der Evangelischen Landeskirche Sachsen läuft aktuell ein heftiger Streit zwischen kirchlichen Mitarbeitern und der Kirchenleitung in der Frage, wie verbindlich die biblische Lehre für die Kirchenleitung ist. Handelt es sich bei diesem Streit um einen bedauerlichen Einzelfall oder zeigen sich hier typische Tendenzen und Gefahren der landeskirchlichen Auffassungen des Christseins?

Steeb: Die Thematik steht klar vor Augen. Ich kann die Evangelischen Landeskirchen nicht verstehen, die sich nach meiner Auffassung in der Frage der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften dem Zeitgeist öffnen, obwohl noch vor wenigen Jahren die Evangelische Kirche in Deutschland klar festgestellt hat, dass die Bibel kein positives Wort zur gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft kennt. Ich wünsche mir, nicht zuletzt auch im Hinblick auf das Reformationsjubiläum, ein neues Erwachen des „Allein die Schrift“, dass unser kirchliches Leben und Denken bestimmen sollte.

kath.net: Praktizierende Katholiken und Orthodoxe drücken immer wieder ihr Ungehagen aus: Es erscheint gelegentlich schwierig, mit liberaleren protestantischen Christen zum bereichernden ökumenischen Kontakt zu kommen, da die gemeinsame Glaubensbasis zu gering erscheint. Ist der ökumenische Kontakt zwischen praktizierenden Katholiken und konservativeren Protestanten leichter?

Steeb: Wenn wir das Gemeinsame betonen, verliert das Trennende seine Kraft. Dies ist wichtig im Blick auf die Bitte von Jesus um die Einheit seiner Jünger. Und es wird immer wichtiger im Hinblick auf eine immer mehr säkularisierte Gesellschaft, die aus meiner Sicht nach einem eindeutigen und gemeinsamen Zeugnis der Christen geradezu ruft.

kath.net: Was vermuten Sie, wohin die Entwicklung im Protestantismus in den nächsten Jahren gehen wird?

Steeb: Mit einem Schuss Humor muss man das Wort zitieren, dass Prognosen immer schwierig sind, vor allem, wenn sie in die Zukunft gerichtet sind. Ich will hier deshalb gar nichts vermuten sondern mich dafür einsetzen, dass das Vierfache Allein der Reformation „Allein Christus, die Schrift, der Glaube, die Gnade“ auf den Leuchter gestellt und durchbuchstabiert wird.

kath.net: Herzlichen Dank, Herr Steeb!

Foto Hartmut Steeb: © Wikipedia/Christliches Medienmagazin pro


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