27. August 2012 in Aktuelles
Enttäuschte Erwartungen an ein irdisches Reich Jesu lassen einen der Zwölf zum Werkzeug des Teufels werden: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche. Von Armin Schwibach
Rom (kath.net/as) Lange nun schon weilt der Papst in seiner Sommerresidenz in Castel Gandolfo. Obwohl Benedikt XVI. die Zeit des Urlaubes mit der Wiederaufnahme der Generalaudienzen am 1. August unterbrochen hat, gibt es nun zusammen mit dem sonntäglichen Angelus nur zwei Gelegenheiten in der Woche, den Heiligen Vater zu sehen und vor allem seine Lehre zu hören. Einen Vorteil hat die sommerliche Ruhe: Je weniger ein Papst spricht, desto gewichtiger wird am Ende sein Wort, das so nicht in einem großem Rauschen untergeht.
Die vergangenen Sonntage, an denen in der heiligen Messe das sechste Kapitel des Johannesevangeliums verlesen wurde, nutzte Benedikt XVI. zu einer katechetischen Einführung in den Sinn und in die Dimension der Brotrede Jesu, eines Abschnitts des Evangeliums, in dem Inkarnations- und Kreuzestheologie ineinander gehen. Dabei führte der Papst die Tausenden von Gläubigen in Castel Gandolfo zum Kern der johanneischen Lehre, die er bereits in seinem ersten Band zu Jesus von Nazareth dargelegt hatte (Freiburg-Basel-Wien 2007, 307-317). So lassen sich die Ansprachen zum Angelus der vergangenen Wochen zusammenfassen:
In der Brot-Rede Jesu wird einerseits die große Bewegung der Menschwerdung und des österlichen Wegs auf das Sakrament hingeordnet, in dem immerfort Menschwerdung und Ostern zugleich ist; aber umgekehrt wird auch das Sakrament, die heilige Eucharistie, so eingeordnet in den großen Zusammenhang von Gottes Abstieg zu uns und für uns, So wird einerseits nachdrücklich die Eucharistie in die Mitte der christlichen Existenz gerückt: Hier schenkt uns Gott tatsächlich das Manna, auf das die Menschheit wartet, das wahre Brot des Himmels das wovon wir im Tiefsten als Menschen leben können. Aber zugleich wird die Eucharistie als die immerwährende große Gottbegegnung des Menschen sichtbar, in der der Herr sich als Fleisch gibt, damit wir in ihm und in der Teilhabe an seinem Weg Geist werden können (ebd., 314/315).
Am gestrigen Sonntag, den 26. August, überraschte Benedikt XVI. seine Zuhörer dann zum Abschluss seiner Betrachtungen über das sechste Kapitel des Johannesevangeliums mit einer starken und in ihrer Eindeutigkeit auch neuen Aussage. Dabei stellte er das wahre Bekenntnis des Petrus, der im Namen aller Apostel spricht (Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes), der Falschheit des Verräters Judas gegenüber.
Judas sei ein Zelot gewesen, ein Eiferer, der sich wie alle Zeloten durch die Bereitschaft auszeichnet, mit Gewalt für den Glauben einzutreten (vgl. Jesus von Nazareth II, Freiburg-Basel-Wien 2011, 29). Diese Interpretation für die Motive des Handelns des Judas war im ersten Band des Jesus-Buches noch als eine mögliche Hypothese behandelt worden: Möglich, dass der eine oder andere der zwölf Apostel Jesu Simeon der Zelot und vielleicht auch Judas Iskariot aus dieser Richtung kamen (Jesus von Nazareth I, 39). Sie wurde auch anhand des Namens des Judas, Iskariot, untermauert. Dieses Wort kann zwar einfach der Mann aus Chariot bedeuten, kann ihn aber auch als Sikarier bezeichnen, eine radikale Variante der Zeloten (ebd. 214).
Auch in der Katechese bei der Generalaudienz vom 18. Oktober 2006 zu Judas betonte Benedikt XVI. die metaphysische Ebene der Motivationen des Judas, die eine rein psychologische oder historische Ebene verlassen und sein Handeln vor dem Wirken Satans verstehen: Eine zweite Frage betrifft den Grund für das Verhalten des Judas: Warum verriet er Jesus? Die Frage ist Gegenstand verschiedener Hypothesen. Einige ziehen den Faktor seiner Geldgier heran. Andere befürworten eine Erklärung auf messianischer Ebene: Judas sei enttäuscht gewesen, als er gesehen habe, daß die politisch-militärische Befreiung seines Landes nicht zu den Plänen Jesu gehörte. In Wirklichkeit aber unterstreichen die Texte der Evangelien einen anderen Aspekt. Johannes sagt ausdrücklich: Der Teufel hatte Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, schon ins Herz gegeben, ihn zu verraten und auszuliefern (Joh 13,2). Ähnlich schreibt Lukas: Der Satan aber ergriff Besitz von Judas, genannt Iskariot, der zu den Zwölf gehörte (Lk 22,3). Auf diese Weise geht man über die historischen Motivationen hinaus und erklärt das Geschehen auf der Grundlage der persönlichen Verantwortung des Judas, der einer Versuchung des Bösen auf erbärmliche Weise nachgab. Der Verrat des Judas bleibt auf jeden Fall ein Geheimnis. Jesus hat ihn als Freund behandelt (vgl. Mt 26,50) ; bei seinen Aufforderungen, ihm auf dem Weg der Seligpreisungen zu folgen, übte er jedoch niemals Zwang auf den menschlichen Willen aus, noch bewahrte er ihn vor den Versuchungen Satans und respektierte damit die menschliche Freiheit.
131 Worte genügten dem Papst beim gestrigen Angelus, um die politische und metaphysische Dimension der Motive des Judas in einer neuen Weise zusammenzufassen und ein klares Licht auf das Geheimnis des Verrats des Judas zu werfen: der individualistische und egoistische Eifer des Zeloten und das Zeichen des Teufels gehen zusammen und schaffen so das Böse: den Verrat im Namen der höheren Einsicht, die enttäuscht wurde, auch wenn die schlimmste Schuld nach wie vor jene der Falschheit des Judas bleibt, die das Zeichen des Teufels ist. Benedikt XVI. erklärte:
Schließlich wusste Jesus, dass da auch unter den zwölf Aposteln einer war, der nicht glaubte: Judas. Auch Judas hätte weggehen können, wie dies viele Jünger getan hatten; ja eigentlich hätte er sogar weggehen müssen, wäre er ehrlich gewesen. Stattdessen blieb er bei Jesus. Er blieb nicht aus Glauben, nicht aus Liebe, sondern mit der geheimen Absicht, sich am Meister zu rächen. Warum? Weil sich Judas von Jesus verraten fühlte und beschloss, ihn seinerseits zu verraten. Judas war ein Zelot, und er wollte einen siegreichen Messias, der einen Aufstand gegen die Römer anführen sollte. Jesus hatte diese Erwartungen enttäuscht. Das Problem ist, dass Judas nicht wegging, und seine schwerste Schuld war die Falschheit, die das Zeichen des Teufels ist. Deshalb sagte Jesus den Zwölf: Und doch ist einer von euch ein Teufel (Joh 6,70).
Politischer Eifer, Verrat, Falschheit, das Zeichen des Teufels: es fällt nicht schwer, in Zeiten von Vatileaks verbunden mit zahlreichen strafrechtlich verfolgbaren Vergehen (die auch mit einem zelotischen Terrorismus verglichen werden können) einen Hinweis zu erkennen, wie der Papst das teuflische Geschehen in seiner nächsten Umgebung auslegt und alle einlädt, seiner Auslegung zu folgen und nach seinem Sinn zu handeln.
Der Teufel bedient sich der menschlichen Kleinheit und Schwächen, die im Eifer des vom Heiligen Geist Infiltrierten und im Verrat aus Eifersucht, Machtstreben, Karrierismus verbunden mit anderen Zielen ihren Ausdruck finden. Ist das Wirken des Teufels einmal erkannt, bleibt nichts anderes zu tun, als das zu beseitigen, was dieses Wirken ermöglicht hat. Nur das Aufschneiden einer Eiterbeule kann weitere Infektionen verhindern.
Wie der Missbrauchsskandal schmerzhaft erkennen lassen hat: es gibt keine Alternative zu der von Benedikt XVI. angesagten Null-Toleranz, denn: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche (11. Mai 2010).
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