Zollitsch meint: Die katholische Kirche in Deutschland ist vital

25. September 2012 in Deutschland


Erzbischof Zollitsch meint in der Predigt zur Eröffnungsmesse der Herbst-Vollversammlung der DBK, dass die Kirche sich „ihren kirchlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen“ stelle


Fulda (kath.net/dbk) „Die katholische Kirche in Deutschland ist vital und stellt sich ihren kirchlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen.“ Das sagte Robert Zollitsch (Foto), Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von Freiburg, in seiner Predigt anlässlich der Eröffnungsmesse der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda. Allerdings sei die Kirche „nicht um ihrer selber willen da“, erläuterte er, sondern es sei entscheidend, „stets daran zu denken und danach zu handeln, dass wir für die Menschen da sind und einen Auftrag für die Gesellschaft haben. Wir sind uns unseres Dienstes an ihr bewusst und dürfen uns nicht in die kleine Herde zurückziehen“. „Die Pluralität der Glaubenszugänge, spirituellen Prägungen und Lebensweisen in unserer Kirche als Geschenk und Bereicherung und nicht als Gefährdung von uns selbst zu betrachten“, „können wir“ in „Demut vor Gott und voreinander lernen“. „Als pilgerndes Gottesvolk sind wir eine hörende Kirche“, so Zollitsch, „indem wir aufeinander hören und gemeinsam auf Gott hören“, könnten wir „die Zeichen der Zeit“ erkennen „und sie im Licht des Evangeliums“ deuten


Die Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, im Eröffnungsgottesdienst am 25. September 2012 in Fulda zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in voller Länge:

Schrifttexte: Phil 2,1-4; Joh 14,23-29
Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst,
liebe Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens, in gut zwei Wochen ist es 50 Jahre her, dass der selige Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet hat, ein Datum, dessen wir in diesem Jahr mit großer Dankbarkeit gedenken. Das II. Vaticanum erinnert uns in seiner Kirchenkonstitution Lumen gentium eindrücklich daran, dass wir eine pilgernde Kirche sind (vgl. LG 6; 9; 14), Volk Gottes, das mit dem Beistand des Heiligen Geistes durch die Zeiten unterwegs ist. Das ist eine gewaltige und herausfordernde Aussage. Das heißt doch, dass wir Christen in dieser Welt nicht zu Hause sind, sondern Fremde, Gäste und Pilger (vgl. 1 Petr 1,1 und 2,11; Hebr 11,8-14), die ihr Vaterland suchen. Der Apostel Paulus macht den Gläubigen in Korinth klar, dass sie sich noch ferne vom Herrn auf der Wanderung befinden (2 Kor 5,6). Denn, so schreibt er seiner Lieblingsgemeinde in Philippi, „das Reich, in dem wir Bürger sind, – unsere politeuma – unsere Heimat – ist im Himmel“ (Phil 3,20). Wir sind nicht von dieser Welt, leben in ihr als Pilger, unterwegs zu jenem Ziel, zu der Heimat, die Gott uns verheißen hat. Als Pilger im Glauben, die mit einer großen Verheißung unterwegs sind, gilt es, uns von Gott führen zu lassen und damit auf ihn zu hören. Als pilgerndes Gottesvolk sind wir eine hörende Kirche. Indem wir aufeinander hören und gemeinsam auf Gott hören, um die Zeichen der Zeit zu erkennen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten (vgl. GS 4).

Dabei sind wir uns dessen bewusst, dass die Kirche nicht um ihrer selber willen da ist. Sie ist für die Menschen da, um ihnen zu dienen, ihnen das Evangelium des Lebens zu verkünden und sie auf ihrem Pilgerweg des Glaubens zu begleiten. Da wir in dieser Welt leben, sind wir stets in Gefahr, das Ziel aus den Augen zu verlieren, uns dieser Welt anzugleichen und hinter der Liebe, die uns Jesus vorgelebt und aufgetragen hat, zurückzubleiben. Darum bedürfen wir immer wieder der Umkehr und Erneuerung. So haben wir uns als pilgernde, hörende und dienende Kirche auf einen grundlegenden geistlichen Erneuerungsprozess eingelassen. Im gegenseitigen Austausch, im Hören aufeinander und im gemeinsamen Hören auf Gott wollen wir uns der Realität stellen und uns im Vertrauen auf Gottes Führung Wege in die Zukunft zeigen lassen: Was heißt es und was hilft uns, „im Heute zu glauben“? Wie bauen wir mit an einer „Zivilisation der Liebe“ in unserem Land? Wie helfen wir den Menschen zur Anbetung Gottes und einer lebendigen Feier des Gottesdienstes? Wie verkünden wir heute das Evangelium und geben Zeugnis von unserem Glauben in einer Sprache und in Bildern, die den Menschen dessen großartige Verheißung erschließen und aufleuchten lassen?

Ich bin Gott dankbar, dass er uns erste ermutigende Schritte gehen ließ, uns in der Gemeinschaft der Glaubenden zusammengeführt hat und uns diese erleben lässt. Beim Auftakttreffen unseres deutschlandweiten Gesprächsprozesses in Mannheim haben wir uns als hörende Kirche erfahren dürfen. Frauen und Männer, Priester, Bischöfe, Laien, Hauptberufliche und ehrenamtlich Tätige beteten gemeinsam, feierten miteinander Gottesdienst und ließen einander teilhaben an dem, wovon sie leben, an dem, was sie bewegt; an ihrem Glauben, an ihren Sorgen und Visionen.

Wir haben begonnen zu lernen und einzuüben, was ein geistlicher Dialog ist. In unseren dialogischen Suchbewegungen nach dem, wie wir als Kirche heute und auf Zukunft hin das Evangelium leben und bezeugen sollen, ist eine Haltung besonders wichtig, die uns der Philipperbrief aufgibt. Die Stelle wurde uns eben vorgetragen: Tut „nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei“! „Sondern in Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst! Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen!“ (Phil 2,3-4) Neben dem Hören auf Gott und aufeinander ist damit eine wesentliche Grundhaltung für den Dialog benannt. Der Heilige Vater, Papst Benedikt XVI., ist genau heute vor einem Jahr in seiner Predigt auf dem Freiburger Flugplatz auf diese Stelle eingegangen und hat dabei die Tugend der Demut als das „Öl“ bezeichnet, „das Gesprächsprozesse fruchtbar, Zusammenarbeit möglich und Einheit herzlich macht“ (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 189, S. 137). Ein Dialog ist zum Scheitern verurteilt, wenn man einander besserwisserisch, streitsüchtig und ohne Wohlwollen füreinander begegnet. Eine demütige Einstellung wird es uns hingegen ermöglichen, auch diejenigen in ihrer Person und in ihrer Auffassung zu schätzen, die anderer Meinung sind als wir selbst. Möglicherweise erkennen sie ja etwas von der Wahrheit und der Liebe des Evangeliums, das wir übersehen haben oder wofür unser Blick derzeit verstellt ist. Eine geistliche Haltung der Wertschätzung für einander kann uns auch verhelfen, dass wir die Angst voreinander verlieren und aufeinander zugehen, auch dann, wenn wir unterschiedlicher Auffassung in einer wichtigen Frage des Christ- und Kircheseins heute bleiben. So haben wir die Chance, beim anderen zunächst einmal davon auszugehen, dass es auch ihm um das Wohl der Kirche und die Zukunft des Glaubens geht. In Demut vor Gott und voreinander können wir lernen, die Pluralität der Glaubenszugänge, spirituellen Prägungen und Lebensweisen in unserer Kirche als Geschenk und Bereicherung und nicht als Gefährdung von uns selbst zu betrachten. Natürlich steht Vielfalt immer auch in der Gefahr, zur Beliebigkeit zu werden. Aber auch davor kann uns eine wertschätzende, demütige Haltung, die an Jesus Christus selbst Maß nimmt, bewahren. Wenn wir in unserem weiteren Gesprächsprozess, für den uns ja der Beistand des Geistes zugesagt ist, im Suchen und Ringen miteinander die Beziehung zu Jesus Christus im Blick behalten, können wir einander in unseren immer auch einseitigen Sichtweisen auch korrigieren.

Dass wir als pilgernde Kirche mit Gott auf dem Weg sind und dankbar feiern, was Gott uns Tag für Tag schenkt, haben wir auf dem Katholikentag in Mannheim erfahren dürfen. Er stand unter dem Leitmotiv „Aufbruch“. Es war ein großes Fest des Glaubens mit 80.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, bei dem die Freude am Glauben in Gottesdiensten, Gebet und vielen stillen geistlichen Zeiten spürbar wurde. Zugleich haben wir Fragen und Nöte, in denen wir kirchlich stehen, nicht ausgeblendet. Der Katholikentag hat sich ihnen gestellt und strahlte dabei eine unbeschwerte Atmosphäre aus, die für uns alle Hoffnung sein kann: Die katholische Kirche in Deutschland ist vital und stellt sich ihren kirchlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen.

Vor gut einer Woche haben wir auf unserem Pilgerweg des Glaubens erneut „statio“ gehalten. Wir haben uns auf dem zweiten Dialogforum – diesmal in Hannover – gefragt nach unserem Beitrag zu einer „Zivilisation der Liebe“ in unserem Land und unserer Gesellschaft. Es ist entscheidend für uns, stets daran zu denken und danach zu handeln, dass wir für die Menschen da sind und einen Auftrag für die Gesellschaft haben. Wir sind uns unseres Dienstes an ihr bewusst und dürfen uns nicht in die kleine Herde zurückziehen. An einer Zivilisation der Liebe mitbauen heißt, nahe bei den Menschen und den sie bedrängenden Fragen sein; bedeutet, uns einer Pastoral der Nähe in der seelsorglichen Begleitung der Gläubigen und im Einsatz für das Leben in all seinen Phasen verpflichtet wissen.

Im Vertrauen auf Gottes Nähe und die Führung durch den Heiligen Geist gehen wir weiter auf dem Pilgerweg unseres Glaubens. Zweifellos liegt noch ein langer Weg der Umkehr und der Erneuerung vor uns. Und die Herausforderungen und auch die Spannungen, die wir als Katholiken erleben, sind nicht wenige. Da ist es nicht verwunderlich, dass manche Gläubige unruhig oder ungeduldig werden. Einigen geht die vorgeschlagene Erneuerung viel zu schnell und zu weit und sie fürchten um die Identität des Katholischen. Viele erwarten aber auch Bewegung in der Kirche und sie leiden daran, dass manche Fragen sich schon so lange auf der kirchlichen Agenda befinden. Mir selbst geht es auch manchmal so, dass ich ungeduldig werde. Mir hilft dabei dann das Wort unseres Herrn Jesus Christus aus dem Johannesevangelium, das wir eben gehört haben. Der Heilige Geist ist uns als Beistand auf unserem Pilgerweg als Kirche durch die Zeit zugesagt. Er wird uns alles lehren, was für das Leben der Kirche nötig ist, und uns helfen zu verstehen, was der Herr selbst uns aufgetragen hat. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in seiner Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute den schönen und tröstlichen Gedanken formuliert, dass es Aufgabe der Kirche in den vielfältigen Kulturen und gesellschaftlichen Umständen ist, das Evangelium immer „tiefer zu verstehen“ (GS 58). Das Verständnis dessen, was der Herr von uns heute, in dieser Zeit will, ist demnach eine immer neue Aufgabe und Herausforderung. Das Evangelium liegt nicht hinter uns, sondern vor uns. Die Zusage des Beistands des Geistes durch Jesus bedeutet gerade nicht, dass wir uns von der Aufgabe entbinden könnten, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen“ und sie dann auch „im Licht des Evangeliums zu deuten“ (GS 4), wie es das Konzil in Gaudium et spes fordert. Vielmehr sind wir aufgefordert, Mut zu schöpfen für die Herausforderungen unserer Tage. Gott lässt uns dabei nicht allein. Sondern er gesellt uns mit dem Heiligen Geist einen Beistand an die Seite, gewissermaßen einen Hermeneuten, der uns hilft, zu verstehen, was uns heute als Kirche aufgetragen ist.

Wie in jedem Herbst so halten wir auch in diesem Jahr „statio“, eine Zeit der Besinnung und Beratung, in Fulda am Grab des heiligen Bonifatius, des Apostels Deutschlands. Wenn ich die Berichte aus seiner Zeit höre und seine Briefe bedenke, so spüre ich, dass seine Zeit nicht weniger schwer und herausfordernd war als die unsere. Das entlastet und macht Mut. Seit nunmehr 150 Jahren kommen wir deutschen Bischöfe hier in Fulda zu unseren Konferenzen zusammen. Der St. Salvator-Dom zu Fulda, der vor wenigen Wochen die 300-Jahr-Feier seiner Weihe erleben durfte, ist nicht nur zum Ort des Gebets, sondern auch zum Symbol des gemeinsamen Ringens um den Weg unserer Kirche in Deutschland und des geistlichen Dialogs geworden. St. Salvator verweist uns auf den Erlöser, dem wir alles verdanken und der uns auf unserem Pilgerweg in die Zukunft begleiten und geleiten möge. Amen.

Foto Erzbischof Robert Zollitsch (c) Erzbistum Freiburg/Andreas Gerhardt


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