Die erste Kirchenlehrerin deutscher Sprache

8. Oktober 2012 in Weltkirche


Papst Benedikt beschrieb Hildegard von Bingen über die Jahrhunderte hinweg wie eine Schwester im Geist, als er sie als eine Frau von lebhafter Intelligenz, tiefer Sensibilität und anerkannter geistlicher Autorität pries. Von Paul Badde/Die Welt


Vatikanstadt (kath.net/DieWelt) Der Petersplatz im Oktober. Der Himmel mild bedeckt. Im Herbst könnte es bei praller Sonne auch jetzt noch leicht unerträglich werden an zwei Feststunden auf der offenen Piazza. Doch dieser Sonntag ist ein Gnadentag, sagt Benedikt XVI. (der als Nachfolger Petri ja irgendwie wohl auch für das Wetter verantwortlich scheint). Es sei „ein historischer Tag“, sagt Erzbischof Zollitsch nach der Messfeier im Campo Santo Teutonico nebenan: im traditionell deutschen Teil des Vatikans seit 1200 Jahren. Papst Johannes Paul II. hat vor zehn Jahren dem uralten Kanon des Rosenkranz-Gebetes fünf neue „lichtreiche“ Geheimnisse hinzugefügt. Eine Initiative Papst Pius V. hat an diesem 7. Oktober (1571) bei den kleinen Dardanallen vor Patras in der Seeschlacht von Lepanto das Schicksal Europas gewendet – mit 40.000 Gefallenen an einem Tag, als die weit unterlegenen Christen dem unaufhaltsamen Vormarsch der türkischen Osmanen ein Ende setzten. Heute geht es, der Natur des jetztigen Papstes entsprechend, allerdings weniger kriegerisch als lehrhaft zu. Denn heute ist vor allem deshalb ein historischer Tag, weil Benedikt XVI. mit Hildegard von Bingen (1098 – 1179) eine erste Heilige deutscher Zunge zur Kirchenlehrerin für die katholische Weltkirche erhebt.

Kirchenlehrer (lateinisch: doctores ecclesiae) sind in der Regel herausragende Theologen, die einen eminenten Einfluss auf die Lehre der Kirche genommen haben und die immer gleiche Botschaft des christlichen Evangeliums in die Gedankenwelt ihrer Zeit zu übersetzen wussten. Bis zum II. Vatikanischen Konzil, das am kommenden Donnerstag vor 50 Jahren in diesem Petersdom eröffnet wurde, kannte die Kirche nur dreißig und allesamt männliche Kirchenlehrer, hatte Kardinal Lehmann am Abend zuvor in der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl in einem bewegenden Vortrag ausgeführt. Erst nach dem Konzil erhoben die Päpste Paul VI. und Johannes Paul II. erstmals hintereinander drei heilige Frauen zu Kirchenlehrerinnen: Catharina di Siena (1347 – 1380) aus Italien, Teresa de Ávila (1515 – 1582) aus Spanien und die „kleine“ Thérèse de Lisieux (1873 – 1897) aus Frankreich.

Ihnen fügte nun Benedikt XVI. die deutsche Dichterin, Mystikerin, Benediktinerin und „Prophetissa Teutonica“, als vierte Kirchenlehrerin und erste Deutsche hinzu. Unter den männlichen Kirchenlehrern stammten vor ihr nur Albertus Magnus (1200 – 1280) und der Jesuit Petrus Canisius (1529 – 1597) aus dem deutsch-holländischen Sprachraum. Gleichzeitig erhebt der Papst heute auch noch Johannes von Ávila (1499 – 1569) zum 35. Kirchenlehrer, als dritten Spanier. Hildegard aber ist die erste Deutsche in dieser kirchlichen Elite und sie lag dem Papst ganz besonders am Herzen. Erst am 10. Mai hat er sie, die schon seit Lebzeiten als Heilige verehrt wurde, tatsächlich aber nie „kanonisiert“ worden war, offiziell in den Kalender der Heiligen eingetragen. Siebzehn Tage später gab er bekannt, dass er sie in diesem Oktober zur Kirchenlehrerin erklären würde. Er selbst aber hat wohl immer schon so hoch von ihr gedacht. Als er ihr vor zwei Jahren zwei Katechesen widmete, nannte er sie wie selbstverständlich in aller Öffentlichkeit schon „Heilige“.

Das war Kardinal Angelo Amato, dem Präfekten für die Heiligsprechungen im Vatikan, aufgefallen, der die Sache danach mit dem Papst besprach, von dem er den Auftrag erhielt, den Prozess ihrer Heiligsprechung in kürzester Zeit zu korrigieren und zu Ende zu bringen. Heute trug derselbe Kardinal den Antrag ihrer Anerkennung öffentlich vor, dem der Papst sein Einverständnis gab. Damit hatte der juristische Teil dieses Prozesses sein Ende gefunden. Von einem insgesamt kurzen Prozess kann 833 Jahre nach dem Tod Hildegards zwar keiner sprechen, doch das schnelle Ende des Verfahrens wundert nicht.

Denn es gibt nur wenige Denker und Denkerinnen der Christenheit, die den Menschen („um dessentwillen Gott alle Geschöpfe erschaffen hat“) so sehr im Zentrum der gesamten Schöpfung sehen und erkennen wie die beiden: wie Hildegard von Bingen, die „Patronin des guten Rates“, und Benedikt XVI., der „Mozart der Theologie“, als den Kardinal Meisner ihn gern preist. Beide scheinen sich gegenseitig auch in einer gewissen Mystik des göttlichen Lichts wieder zu erkennen, das Hildegard besungen hat wie vielleicht nur noch Dante Alighieri in Italien in seiner „Göttlichen Komödie“. In Benedikts Predigt aber war es, als beschreibe er in ihr über die Jahrhunderte hinweg eine Schwester im Geist, als er sie als „eine Frau von lebhafter Intelligenz, tiefer Sensibilität und anerkannter geistlicher Autorität“ pries. Gott selbst habe ihr „einen prophetischen Geist und eine leidenschaftliche Fähigkeit, die Zeichen der Zeit zu unterscheiden“, geschenkt. Sie habe eine ausgeprägte Liebe zur Schöpfung besessen und sich mit Medizin, Dichtung und Musik beschäftigt, jedoch alles zentriert in ihrer stets tieferen „großen und treuen Liebe zu Christus und seiner Kirche.“ Zusammen mit Juan de Avila stellt der Papst sie nun den Gläubigen der ganzen Erde am Anfang des von ihm ausgerufenen „Jahr des Glaubens“ gleichsam als uralte Rollenmodelle da, die nicht altern, weil wahre Heilige niemals altern würden.

Der ganze Tag ist gleichsam ein prachtvolles Praeludium dieses anspruchsvollen Aufbruchs einer „Neu-Evangelisation zur Verbreitung des christlichen Glaubens“, für den sich ab diesem Sonntag zahlreiche Bischöfe zu einer Synode für die nächsten Tage in Rom versammelt haben. Die Synodenversammlung sei der neuen Verbreitung des Evangeliums in einer zunehmend entchristlichen Umwelt gewidmet, „um die Wiederentdeckung des Glaubens zu fördern, der eine Quelle der Gnade ist, die Freude und Hoffnung in das persönliche, familiäre und gesellschaftliche Leben trägt,“ ruft der Pontifex den zahlreichen Gästen zu, die am Schluss der Feier fast den ganzen Petersplatz füllen.

Besonders wolle er aus Anlass dieses Neu-Aufbruchs der katholischen Kirche fünfzig Jahre nach dem Beginn des II. Vatikanischen Konzils aber auch wieder die christliche Ehe in die Mitte einer christlichen und humanen Welt rücken, die diesen Namen verdient, weil es „eine offenkundige Entsprechung zwischen der Krise des Glaubens und der Krise der Ehe gibt. Und wie die Kirche seit langem behauptet und bezeugt, ist die Ehe berufen, nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt der neuen Evangelisierung zu sein." Darum stelle die christliche Ehe heute „in sich selbst ein Evangelium dar: eine Frohe Botschaft für die Welt von heute und besonders für die entchristlichte Welt".



Es ist also kein Rabatt, den er zur Verbreitung des realen Evangeliums in einer immer virtuelleren Welt anbietet, sondern gleichsam eine radikale Intensivierung eines höchst aufreizenden Anspruchs. Es ist eine Rückkehr zu den Wurzeln des Katholischen an diesem milden Oktobertag in Rom, in der nach Benedikt XVI. „die Heiligen die wahren Protagonisten der Evangelisierung in all ihren Ausdrucksformen“ sind. Deshalb seien sie im Besonderen auch heute „die mitreißenden Pioniere der neuen Evangelisierung“. Vielleicht trifft dies ja wahrhaftig und ganz besonders bei der überaus populären Hildegard von Bingen zu, die in den letzten Jahrhunderten so weit über den Horizont der katholischen Welt hinaus gestrahlt hat wie nur wenige Heilige und wohl kaum ein anderer Kirchenlehrer.

Die Predigt von Papst Benedikt zur Erhebung zweier Kirchenlehrer und zur Eröffnung der Bischofssynode



Foto: (c) EWTN (Screenshot)


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