'Credo, Domine, adauge nobis fidem'

12. Oktober 2012 in Weltkirche


50 Jahre nach Beginn des Zweite Vatikanischen Konzils eröffnet Benedikt XVI. auf dem Petersplatz das "Jahr des Glaubens". Von Paul Badde / Die Welt


Vatikanstadt (kath.net/DieWelt) Kleines Déjà-vu auf einem großen Platz, als katholische Variante zum jüdischen Aufstieg zum Zion: ein nicht enden wollender Zug von Synodenbischöfen, die hintereinander zur Altarinsel vor dem Petersdom hochpilgern, in wehenden grünen Gewändern, mit weißen Mitren, zum Hymnus eines hundertfach wiederholten „Credo, Domine, adauge nobis fidem“ (Ich glaube, Herr, vermehre in uns den Glauben). Die purpurroten Pfauenfedern der Schweizer Gardisten leuchten in der Sonne. Es ist ein strahlender Oktobertag wie vor fünfzig Jahren, ein ewiges Präsens: Fest des lebendigen Gottes an einem einzigen „glanzvollen Tag“.

Doch die Kirchengeschichte kennt natürlich keine Wiederholungen. Diesmal beschließen die Nachfolger der Apostel Petrus und Andreas die Prozession, der Papst aus Rom und der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. aus Konstantinopel in seinem königlichen Habit aus dem alten Byzanz. Sie tun es beide in einer Eintracht, wie sie 1962 zum Beginn des Konzils noch völlig undenkbar gewesen wäre. Auch der anglikanische Primas Rowan Williams aus Canterbury ist dazu gekommen. Es ist an diesem Morgen die vielleicht sichtbarste Frucht des II. Vatikanischen Konzils, das hier vor 50 Jahren begann: eine neue Einheit der römischen Kirche mit der orthodoxen Welt, wie sie davor fast 1000 Jahre undenkbar schien. Der Platz ist nicht so voll wie 1962, doch dafür überträgt der US-Sender EWTN das Fest zum Anfang von diesem „Jahr des Glaubens“ in mehr als 200 Millionen Haushalte weltweit.

Vierzehn der 69 noch lebenden – ehemals über 2000 - Konzilsväter hatten es ebenfalls geschafft, der Einladung nach Rom noch einmal nach zukommen. Die restlichen 55 von ihnen sind inzwischen zu schwach und gebrechlich für die lange Reise. Eingeladen aber hat sie nun alle zusammen der damals jüngste Professor der Bonner Universität, den Kardinal Frings 1962 als seinen Berater zum Konzil nach Rom mitgebracht hatte: Joseph Ratzinger, der sich heute Benedikt XVI. nennt. Nach ihm wird es keinen Papst mehr geben, der das Konzil noch wesentlich mitgestaltet hat. Sentimental mag der alte Herr in den Schuhen des Fischers nun dennoch nicht darüber werden.

Selbstbewusst hält er in vielen Debatten seit langem all diejenigen souverän auf Distanz, die der Ansicht sind, dass sie ihm den Geist des Konzils erklären und auslegen müssten. Er selbst hingegen veröffentlicht am Tag dieser Feier neben dem Petersplatz in einem Sonderheft des „Osservatore Romano“ eine brillante Analyse des wichtigsten spirituellen Ereignisses der katholischen Kirche im 20. Jahrhundert, deren auch kritischer Ton in kaum einer deutschen Kirchenzeitung einen Redakteur fände, der abdrucken möchte, was der Papst zum II. Vatikanischen Konzil zu sagen hat, das für viele längst auch zu einer Scheidelinie zwischen einer alten und veralteten Kirche und der Kirche danach geworden ist. Der Papst beharrt nüchtern auf der Identität einer einzigen Kirche durch alle Zeit.

Das Christentum schien in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts „müde geworden“ schreibt e, „und die Zukunft schien von anderen geistigen Mächten bestimmt zu werden.“ Das sei der Ausgangspunkt und die eigentliche Erwartung des Konzils gewesen, hier noch einmal eine entscheidende Wende herbei führen zu können. „Die Kirche, die noch im Barock in großem Sinn weltgestaltend gewirkt hatte, war seit dem 19. Jahrhundert zusehends in ein negatives Verhältnis zu der nun erst vollends begonnenen Neuzeit getreten. Musste das so bleiben? Konnte die Kirche den Schritt in die neue Zeit nicht positiv tun?“ Hinter dem verschwommenen Begriff „Welt von heute“ stehe seiner Ansicht nach aber die Frage des christlichen Verhältnisses zur Neuzeit. Um sie zu klären, wäre es nötig gewesen, das Wesentliche und Konstitutive für die Neuzeit genauer zu definieren. Genau das aber sei in diesem Konzil „nicht gelungen“. Auch wenn die Konzilsväter viel Wichtiges zum Verständnis von „Welt“ ausgesagt hätten, ist ihnen „eine wesentliche Klärung in diesem Punkt nicht gelungen“.

Viel positiver sieht er hingegen den Beitrag des II. Vatikanums zur Religionsfreiheit, die hier auf eine völlig neue Weise und verbindlich als wesentliches Menschenrecht neu ausformuliert worden sei: „als grundlegendes Freiheitsrecht des Menschen“. Das war damals ebenso visionär wie revolutionär gewesen, als notwendiger Durchbruch der Menschheit in die Zukunft. Dieser Durchbruch habe aber gerade im inneren Wesen des christlichen Glaubens gelegen, „der in die Welt getreten war mit dem Anspruch, dass der Staat über die Wahrheit nicht entscheiden und keine Art von Kult beanspruchen könne. Die Christen beteten für den Kaiser, aber sie beteten ihn nicht an. Insofern kann man sagen, dass das Christentum bei seinem Entstehen das Prinzip der Freiheit der Religion in die Welt getragen hat.“ Kritisch sieht er auch, dass das „präzise und außerordentlich dichte“ Dokument „Nostra ætate“ (über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen) damals „von Religion nur positiv rede“ und dabei „die kranken und gestörten Formen von Religion beiseite gelassen hat, die geschichtlich und theologisch von großer Tragweite sind“.

Heute stört die Kritik allerdings nicht den Glanz der Feier. Die Aufgaben, die das neue „Jahr des Glaubens“ für die katholische Kirche bereit hält, sind reichlich. Am Schluss aber, vor den Posaunen, die das dreifache „Amen“, begleiten und dem Hymnus des „Salve Regina“, wird in einer ganzen Serie von Zitaten und rührenden Grußworten an die Künstler, die Wissenschaftler, die Frauen, die Arbeiter, die Kranken und Leidenden nebenbei auch noch deutlich, dass das II. Vatikanum mehr Worte als jede andere Konzil zuvor gemacht hat – schon Jahrzehnte bevor die Informations-Tsunami unserer Tage über die Erde ging, über Muslime, Juden, Menschen jeder Religion und ohne Religion und natürlich auch über Katholiken.


Die Hymne zum Jahr des Glaubens (Refrain in Latein, ansonsten spanisch): 'Credo Domine, audauge nobis fidem!'



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