Ein Friedenstifter wurde zum koptischen Papst gewählt: Tawadrous II.

5. November 2012 in Weltkirche


Durch die Hand eines Jungen bestimmten Ägyptens orthodoxe Christen am Sonntag ihren neuen Papst. Bei der Wahl wurde ein achtjähriger Junge zum Werkzeug Gottes. Von Michael Hesemann


Kairo (kath.net) Für den achtjährigen Bishoy Gergis Mossad war es wohl der aufregendste Tag seines Lebens. Für einen Augenblick wurde der kleine Junge zum Werkzeug Gottes, schrieb er die ersten Buchstaben eines neuen Kapitels in der bewegten Geschichte seiner Kirche. Bishoy dient als Ministrant in der St- Markus-Kathedrale in Kairo, dem Sitz des Patriarchen der Koptisch-Orthodoxen Kirche. Seit dem 3. Jahrhundert, also noch vor dem Bischof von Rom, trägt deren Oberhaupt den Ehrentitel „Papst“ (von Baba=Väterchen).

Der letzte der koptischen Päpste, die in der Nachfolge des hl. Markus stehen, Shenouda III., ist im März dieses Jahres 88jährig verstorben. Kurz nach seiner Beisetzung begann das komplizierte Verfahren zur Wahl eines Nachfolgers, der geeignet wäre, die „Kirche der Märtyrer“ durch eine der schwierigsten Phasen ihrer gewiss nicht undramatischen Geschichte zu führen. Denn aus dem „Arabischen Frühling“, den die Welt so euphorisch begrüßte, ist längst ein „islamistischer Winter“ geworden, begleitet von regelmäßigen Übergriffen auf die christliche Minderheit. Eltern müssen erleben, wie ihre Töchter von Muslimen entführt und nur gegen Lösegeld freigelassen oder zwangsverheiratet werden, Kirchen werden niedergebrannt, manchmal sogar Dutzende koptischer Familien wegen einer Bagatelle aus ihren Dörfern vertrieben. Ihre Geschäfte werden geplündert, ihre Wohnungen verwüstet, ihre Autos angezündet, und wer sich wehrt, oft brutal zusammengeschlagen.

Seitdem mit Muhammad Mursi im Juni 2012 ein Moslembruder mit knapper Mehrheit zum ägyptischen Präsidenten gewählt wurde, spielen viele Kopten mit dem Gedanken, auszuwandern. Denn nach der Scharia, dem islamischen Gesetzbuch, haben sie keine Rechte. Ein Moslem bleibt sogar straffrei, wenn er einen Christen tötet. Schon zu Mubarraks Zeiten wurden Übergriffe auf die Kopten von der Justiz kaum geahndet, Zeugen eingeschüchtert, einmal eröffnete Verfahren schnell wieder eingestellt. Niemand wagt zu hoffen, dass sich das unter den Moslembrüdern ändert. Gerüchte machen die Runde, dass die Islamisten planen würden, alle Christen aus Ägypten zu vertreiben. Schon heute lebt jeder Vierte der rund 20 Millionen Kopten in der Diaspora. Allein seit 2011 sollen über 100.000 ihr Heimatland verlassen haben.

Umso größer sind die Erwartungen, die an den neuen Kopten-Papst gestellt werden, umso gigantischer ist seine Verantwortung. Es geht in seinem Pontifikat um nicht weniger als den Erhalt einer der ältesten Kirchen der Christenheit. Und um noch mehr. Denn Ägypten ist nach christlichem Verständnis ein heiliges Land, ein Schauplatz der Bibel. Hier hat sich Gott im Alten Testament dem Moses offenbart, hierher floh die Heilige Familie vor dem blutrünstigen König Herodes. Im ganzen Land verteilt verehren die Kopten Stätten, die der Legende nach von dieser Flucht zeugen. Selbst das Haus, in dem Maria, Josef und das Jesuskind sechs Monate ausgeharrt haben sollen, steht heute im Zentrum eines uralten Klosters.

Doch auch sonst verdankt die ganze Christenheit Ägypten unendlich viel: Die ältesten Evangelienfragmente überdauerten im trockenen Wüstensand, die Ikonenmalerei nahm hier ihrem Anfang, „heilige Quellen“ und Bäder, wie heute in Lourdes, gab es bereits im 4. Jahrhundert in der Wüste bei Alexandria. Auch das Mönchtum hat seinen Ursprung in Ägypten, die ersten Klöster entstanden auf beiden Seiten des Nils. Doch nur wenige westliche Christen wissen, dass selbst das „Große Glaubensbekenntnis“, das an Feiertagen in den Kirchen gebetet wird, aus der Feder eines Ägypters stammt. Seine Urversion verfasste der heilige Athanasius (298-373), einer der frühen koptischen „Päpste“, der einst sogar entschied, welche Texte in den Kanon des Neuen Testamentes aufgenommen wurden.

Wenn die Kopten einen Papst wählen, dann ist das keine Sache von Tagen, dann gibt es kein Konklave der wahlberechtigten Kardinäle, keine verbrannten Stimmzettel und keinen weißen Rauch. Stattdessen geht es basisdemokratisch zu, wurden alle Gläubigen aufgerufen, Vorschläge einzureichen. Einzige Bedingung: Der Nominierte sollte Mönch oder Bischof, über 40 Jahre alt sein und mindestens 15 Jahre in einem Kloster gelebt haben.

Ein Wahlausschuss, dem je zwölf Bischöfe und Laien (darunter auch zwei Frauen) angehörten, prüfte die Eingänge und stellte eine Liste von 17 Kandidaten zusammen. Den ganzen Sommer über hatten die Gläubigen Zeit, sich zu diesen zu äußern, bis die Liste zunächst auf sieben, dann auf fünf Kandidaten zusammengeschrumpft war. Einstige Hoffnungsträger wie der wichtigste Theologe der Kopten, Metropolit Anba Bishoy, waren jetzt von ihr verschwunden, weil sie zu polarisierend wirkten. So hatte Metropolit Bishoy die Echtheit von Koransuren infrage gestellt und die Moslems als „Gäste in unserem Land“ bezeichnet.

Am 29. Oktober kam in der Kairoer Markuskathedrale eine Wahlversammlung von über 2400 Personen zusammen, darunter die Bischöfen und viele Priester, aber auch zahlreiche prominente und aktive koptische Laien. Dabei konnten drei Kandidaten die meisten Stimmen auf sich vereinigen: Der populäre Seelsorger und Generalbischof (Weihbischof) der Innenstadt von Kairo, Anba Raphael (54); der Generalbischof von El-Boheera, Anba Tawadrous (59), der als exzellenter und welterfahrener Diplomat gilt; und der Mönchspriester Abuna Raphael Ava Mina (70), Schüler des vorletzten Koptenpapstes Kyrillos VI., ein heiligmäßiger Mystiker mit dem Bart eines alttestamentlichen Propheten.

Als nächstes bestimmte der Interimspatriarch und Metropolit Anba Pachomios, der seit dem Tod von Papst Shenouda die koptische Kirche leitete, per Losverfahren zwölf Ministranten im Alter zwischen fünf und neun Jahren. Einem von ihnen würde am folgenden Sonntag die Aufgabe zukommen, aus einer gläsernen Urne den Namen des neuen Koptenpapstes zu ziehen. Dazu wurden die Namen der drei Kandidaten in arabischer Kalligrafieschrift auf große Schriftrollen gemalt, die man in drei Plexiglaskugeln steckte. Die wiederum legte man in das durchsichtige Gefäß, das von Anba Pachomios persönlich vierfach versiegelt wurde.

Das auf den ersten Blick ungewöhnliche Ritual der koptischen „Papstlotterie“ hat seinen Ursprung im Neuen Testament. Als seine Jünger nach der Himmelfahrt Jesu einen zwölften Apostel als Ersatz für Judas Iskariot zu wählen hatten, geschah das durch ein Gottesurteil. Zwei Männer wurden für geeignet befunden, Josef Justus, genannt Barsabbas, und Matthias. Nach einem feierlichen Gebet gaben die Jünger den beiden Kandidaten Lose: „Das Los fiel auf Matthias und er wurde den elf Aposteln zugerechnet“, berichtet die Apostelgeschichte.

Darauf besannen sich die Kopten, als sie gegen Mitte des 20. Jahrhunderts das Verfahren zur Wahl ihres Patriarchen reformierten. Die Aufgabe, gewissermaßen zum verlängerten Arm Gottes zu werden, fiel dabei immer schon einem kleinen Jungen zu.

So zogen Bishoy und die elf anderen Ministranten am 4. November in einer Prozession mit den Bischöfen und Diakonen in die St. Markus-Kathedrale in Kairo ein, um zunächst eine vierstündige Liturgie zu feiern. Gleich drei koptische Fernsehsender übertrugen sie live in die ganze Welt. Dabei war stets eine Kamera auf die gläserne, versiegelte Lostrommel gerichtet, die auf einem Podium vor dem Altarraum und seiner Ikonostase stand. Jedem Verdacht auf eine Manipulation sollte durch größtmögliche Transparenz vorgebeugt werden.

Gegen 12.00 Uhr mittags, am Ende einer von Gebeten, Gesängen und Weihrauch erfüllten Liturgie, war es dann endlich soweit. Vor den versammelten Gläubigen, vor den Bischöfen des koptischen Thronrates und der versammelten Prominenz aus Politik und Militär (die Moslembrüder waren der Feier demonstrativ ferngeblieben), begleitet von „Kyrie Eleison“ („Herr, erbarme Dich“)-Gesängen der Diakone und der Gemeinde, stieg der mit einer goldbestickten, weißen Robe bekleidete Metropolit Pachomios auf das Podium, auf dem die Glasurne stand. Dort zog er zunächst aus einem anderen Behältnis den Namen des Jungen, der jetzt auserwählt war, zum Instrument Gottes zu werden. Die Wahl fiel auf Bishoy, der in diesem Moment sichtlich weiche Knie bekam, dann aber doch gefasst hervortrat.

„Wir beten, dass uns der Herr uns einen guten Hirten erwählt“, erhob Anba Pachomius noch einmal seine kräftige Stimme: „Wir sind alle Zeugen vor dem Herrn“. Dann verband er dem Jungen die Augen mit einer dicken, blauen Binde, auf die ein Gebet geschrieben war. Er zerschnitt die vier Siegel, öffnete die gläserne Urne, drehte mehrfach die Kugeln, in denen die Rollen mit den Namen steckten. Schließlich führte er die rechte Hand des kleinen Bishoy behutsam zu der Schale, wartete, bis dieser eine Kugel ergriff und ihm reichte. Jetzt entrollte er das Dokument, hielt es in alle Richtungen, damit jeder den darauf geschriebenen Namen lesen konnte. Während die Menge bereits die Wahl mit tosendem Applaus bestätigte und das Portrait des Gewählten von der Ikonostase herabrollte, öffnete er noch die beiden anderen Kugeln und zeigte, dass in ihnen tatsächlich die Namen der beiden anderen Kandidaten steckten. Kein Zweifel: Abuna Tawadrous (Foto), der ausgerechnet an diesem Tag seinen 60. Geburtstag feierte, war der neue Papst der Kopten, der 118. „Patriarch von Alexandria bei Ägypten und ganz Afrika“, der Nachfolger des hl. Markus!

Doch weder er noch ein anderer der drei Kandidaten erlebten diesen Augenblick vor Ort. Sie hatten in einem Kloster in der ägyptischen Wüste des Wadi Natrun am Grab des verstorbenen Papstes Shenouda III. gewacht. Erst Stunden später trat Papst Tawadrous II., wie er jetzt hieß, vor die Fernsehkameras und zeigte Demut: „Ich bin nur ein Diener Christi“, erklärte er, „Die koptische Kirche wird von der Heiligen Synode und den vielen Mitgliedern des Laienrates geführt. Sicher habe ich in dem Moment meiner Wahl an keine zukünftigen Pläne gedacht. “

Tawadrous wurde 1952 in Mansour geboren und hat den bürgerlichen Namen Wagih Sobhy Baky Soliman. Der Sohn eines Landschaftsingenieurs wuchs zusammen mit einem Bruder und zwei Schwestern auf. Er studierte in Alexandria Pharmazie und machte ein Praktikum in England, bevor er Geschäftsführer der Staatlichen Pharmazeutischen Werke in Damanhour wurde. 1986 trat er in das Anba Bishoy-Kloster ein, wo er 1988 die Ewigen Gelübde ablegte und ein Jahr später zum Priester geweiht wurde. 1997 weihte ihn Papst Shenouda III. zum Generalbischof von Damanhour-Boheera, wo er damals schon dem 76jährigen Metropolit Pachomios zur Seite stand. Anba Tawadrous besuchte mehrfach Europa, zuletzt im September 2012, als er in Wien das „Pope Shenouda-College“ eröffnete. In seiner Ansprache erklärte er, akademische Bildung sei neben Märtyrertum und Mönchtum die dritte große Säule der koptischen Kirche.

Sein Profil lässt eine klare Linie erkennen, die er schon in den letzten Monaten zeigte, als Bischof Pachomios ihn zu seiner rechten Hand machte. Er gilt als eine „Taube“, als einer, der vermitteln möchte, der nach friedlichen Lösungen im Konflikt der Religionen sucht. Heißblütigere Aktivisten hatten ihn bereits von der Kandidatenliste streichen wollten, weil sie ihm vorwarfen, die koptische Sache nicht energisch genug zu vertreten. Doch vielleicht braucht seine Kirche in diesen schweren Zeiten gerade einen Mann des Dialogs und nicht der Konfrontation. So rühmte ihn der koptische Laienrat wegen seiner „Weisheit, Festigkeit und seinem Geschick, gute Beziehungen zu jedem in seiner Diözese zu unterhalten, gleich ob Moslem oder Christ“. Der neue Papst der Kopten könnte sich also als echter Friedensstifter erweisen – und seiner leidgeplagten Gemeinde neue Hoffnung schenken in einer schweren Zeit. Dann würde sich zeigen, dass es wirklich die Hand Gottes war, die am Sonntag durch den kleinen Bishoy wirkte.

Am 18. November findet in der Kairoer St. Markus-Kathedrale die feierliche Amtseinführung Tawadrous II. statt.

Michael Hesemann ist Historiker und Autor. Sein neuestes Buch „Jesus in Ägypten“ (siehe Lesetipp). Das Geheimnis der Kopten“ erschien vor einigen Wochen im Herbig-Verlag München.

kathTube-Kurzvideo: Aufnahmen von der Wahl des neuen Koptenpapstes durch Losentscheid:


Hier ein Video des neuen Koptenpapstes: S.E. Bischof Tawadrous - Eröffnung des Papst Schenouda Kollegs in Wien) 22.09.2012 (er spricht in seiner Muttersprache


kath.net-Lesetipp:
Michael Hesemann
Jesus in Ägypten
Das Geheimnis der Kopten
Herbig-Verlag München
363 S., zahlr. Farbabb.
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