Der Ärger mit Fundamentalismus und Gottesstaat

8. Dezember 2012 in Kommentar


Scharia oder Gebote Gottes im Staat? Die Gebote Gottes „sind zugleich Einsichten der Vernunft, von denen für Nicht-Christen keine Gefahr ausgeht.“ Ein kath.net-KLARTEXT von Weihbischof Andreas Laun (Salzburg).


Salzburg (www.kath.net)
In den SN berichtete vor kurzem Viktor Hermann über die Entwicklung in Ägypten: „Dort wo der arabische Frühling als erstes die Tyrannen hinweggefegt hat, raufen sich jetzt die Revolutionäre mit einem neuen Phänomen herum. In Tunesien und Ägypten greifen Islamisten nach der Macht. Sie verstehen Demokratie als die Möglichkeit, ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen.“

Was das bedeutet, lässt Hermann einen ägyptischen Politiker sagen: „Schließlich werde sich künftig das gesamte Rechtssystem an der Scharia orientieren, der islamischen Rechtsprechung.“ Hermann ist entsetzt: „Ägyptens Islamisten zeigen dem aufgeklärten Europäer aufs Neue das hässliche Gesicht des religiösen Fundamentalismus, der den absoluten Vorrang der Religion vor der Politik für sich beansprucht. Ganz Europa schreit auf, wenn einer versucht, die Scharia zum Maßstab und Fundament einer politischen Ordnung zu machen.“

Dass ganz Europa aufschreit, wenn jemand vorschlägt, auch hier die Scharia oder Teile der Scharia oder die Scharia vielleicht nur für einen muslimischen Teil der Bevölkerung einzuführen, stimmt längst nicht mehr! Aber für Hermann besteht das Ärgernis vor allem in der Idee, die Religion könne irgendwie „Vorrang vor der Politik“ haben. Das hält er für unannehmbar und das gilt, so meint er, auch für die katholische Kirche! Denn auch der Papst verkünde die Doktrin, „dass Demokratie auf den zehn Geboten zu fußen habe.“

Für Hermann heißt das, „der demokratische Staat müsse sich zum christlichen Gott bekennen.“ Und auch die Debatte darüber, ob Gott in der Verfassung genannt werden sollte oder nicht, hält Hermann für skandalös: Es ist „ganz so, als gäbe es ohne Religion keine Demokratie.“ Man spürt sein Entsetzen, wenn Hermann abschließend meint feststellen zu können: „Wir müssen also erkennen, dass der Papst, Bischöfe und Kardinäle christliche Gebote für wichtiger halten als die Regeln der Demokratie. Wir wissen, dass islamische Gelehrte glauben, das religiöse Gesetz habe den Primat vor den demokratischen Regeln. Und wo, bitte, liegt da der wesentliche Unterschied?“

Hermanns Gedanken fordern eine Antwort, er stellt eine Frage, diese gilt es zu beantworten:
Den ersten Unterschied zwischen einem in solchen Fragen immer noch christlich geprägten Europa und einem islamischen Gottesstaat besteht darin: In Österreich den Islam und die Scharia zu kritisieren ist noch einfach, in bestimmten islamischen Ländern würde Viktor Hermann es sicher nicht tun.

Zweitens hat Gott seine Gebote zwar nicht von einer Kommission erarbeiten und demokratisch abstimmen lassen, aber mit Seinen Geboten sichert Gott das Leben der Menschen. Es sind zwar Gebote Gottes, aber sie sind zugleich Einsichten der Vernunft, von denen für Nicht-Christen keine Gefahr ausgeht. Denn sie verpflichten den Menschen nur, die Wahrheit zu suchen, aber ob er es tut und zu welchem Ergebnis er kommt, überlässt das Gottesgebot dem Gewissen! Dass auch die Gebote Gottes von manchen Menschen falsch ausgelegt wurden, ist wahr, aber das war nicht der Fehler Gottes, sondern der der Leser und Ausleger!

Ob Demokratie ohne Gott wirklich menschlich bleibt, ist tatsächlich eine Frage. Man bedenke: Auch Hitler kam mit Hilfe demokratischer Mechanismen an die Macht. Im Berliner Bundestag sagte Papst Benedikt XVI. erst vor kurzem: Wenn es kein höheres Recht gibt, das jeder menschlichen Macht Grenzen setzt und damit den Bürger schützt, werden die Menschen selbst, das heißt die jeweiligen Machthaber, ihre eigenen „Gesetze machen“ und bestimmen, was gut und was böse ist, heute würde man sagen „politisch korrekt“. Geschichtlich gesehen hatten wir erst vor Kurzem zwei konsequent gottlose politische Systeme, und das Eine nannte sich sogar ausdrücklich „volksdemokratisch“. Bei den Nazis nannte man das Gewissen eine „jüdische Erfindung“, im Kommunismus galt als gut nur das, „was dem Volke nützt“! Beiden Diktaturen gemeinsam war es, ihre Gesetze über die Gebote Gottes zu stellen! Die Folgen kennen wir!

Die Gefahr ist nicht der wahre Satz: „Gottes Gebot steht über der Politik“, sondern sie lauert in der falschen Antwort auf die Frage, was Gottes Gebot sagt und was eben nicht! Der Fehler der Scharia liegt nicht in der Achtung vor Gott, sondern in manchen Bestimmungen, die unvernünftig, unmenschlich und darum auch widergöttlich sind, die die Scharia aber Gott in den Mund legt! Das, Herr Viktor Hermann, ist der „wesentliche Unterschied“, nach dem Sie fragen! Ihre Vergötzung einer gottlosen Demokratie halte ich für hochgefährlich!


© 2012 www.kath.net