De facto haben sie nicht geschwiegen, diese Memorandums-Theologen!

17. Dezember 2012 in Kommentar


Sondern sie haben immerfort agitiert und ihre Kirchendistanz artikuliert. Das Zweite Vatikanische Konzil – Eine Bestandsaufnahme, Teil 6. Von Prof. Joseph Schumacher


Freiburg (kath.net) Das Christentum befindet sich in einem „final count down“, so sagt man im Englischen. Das gilt für die Volkskirchen, im Grunde aber auch wohl für die Freikirchen. Das Merkwürdige ist
nun, dass jene, die davon leben, zum allergrößten Teil dieses Faktum nicht wahrhaben wollen und den Abbruch als Aufbruch bezeichnen oder das, was vorher war, als unvergleichlich schlimmer deklarieren. Warum tun sie das? Weil die Wahrheit ihre Existenz bedrohen würde. Darum auch die exponierte Sorge, dass das äußere System nicht angetastet wird, dass die Institution in keiner Weise in Frage gestellt wird, obwohl sie sich sagen müssten, dass da Selbstzerstörung betrieben wird. Allein, soweit sie wirklich eine Ahnung davon haben, trösten sie sich mit der Devise „nach uns die Sintflut“. Das liegt nahe, da der exzessive Egoismus ohnehin die letzte Ursache ist für all das, was hier beklagt wird. Das Nichterkennen oder Nichterkennen-Wollen der verhängnisvollen Situation gehört wohl auch sonst zum Phänomen des Niedergangs der Kulturen.

Die entscheidende Lösung der Frage nach dem Grund dafür, dass die guten Früchte des Konzils ausgeblieben sind, ist die, dass heute in der Theologie, auch in der katholischen, vielfach ein oberflächlicher Agnostizismus oder Positivismus dominiert, dass heute viele katholische Theologen lehren, es gebe keine Wahrheit in der Theologie, zumindest könne sie nicht erkannt werden, in der Theologie gebe es nur Meinungen und Argumente für diese Meinungen, Argumente, die sich jedoch morgen als falsch erweisen könnten. Sie sprechen hier von Überzeugungen, bedenken dabei jedoch nicht, dass Überzeugungen, von denen man annimmt, dass sie sich morgen als falsch erweisen können, keine Überzeugungen sind. Die Dogmen werden in der Theologie und auch in der Verkündigung weithin nicht mehr als Aussagen über übernatürliche Realitäten verstanden, sondern als spezifisch getönte Betroffenheit, als subjektives Angesprochenwerden, als persönliche Widerfahrnisse und religiöse Erlebnisse, als Ausdruck des vom Menschen gewonnenen Bewusstseins seiner Beziehung zu Gott, als Symbol des Göttlichen. Seit dem „Tod der Metaphysik“, zu dem sich allzu viele Theologen bekennen, gibt es im Denken vieler keine Möglichkeit mehr, Weltjenseitiges zu erkennen und in Worte zu fassen, hat der Glaube weithin keinen realen Wert mehr, sondern nur noch einen psychologischen. Konsequenterweise werden dann die Sakramente nur noch als Rituale betrachtet.

Die Theologie ist heute vielfach in den Dienst mächtiger Interessen getreten, persönlicher Vorteile und der Vermeidung von persönlichen Nachteilen. Ein bedeutender Aspekt ist dabei die Rechthaberei, weil ethische Bedenken keine Rolle mehr spielen oder kaum noch, weil man sich hier vielfach ohne Bedenken mit dem Bösen solidarisiert.

Zu erinnern ist hier auch an die falsche Ökumene, die die eigene Position relativiert, in der man nur noch von Glaubenstraditionen statt von Glaubenswahrheiten spricht und die Unterschiede verwischt. Da ist die Erklärung der Glaubenskongregation „Dominus Jesus. Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche“ vom 6 August 2000, die den Absolutheitsanspruch der Kirche ins Gedächtnis zurückruft, de facto Makulatur geworden. Die Theologie des Memorandums, die hier maßgebend ist, lässt in ihrer agnostizistischen Prägung keine wesentlichen Unterschiede mehr erkennen zwischen dem katholischen und dem evangelischen Glauben, zwischen der katholischen und der evangelischen Theologie, weshalb eine Fusion der evangelisch-theologischen und der katholisch-theologischen Fakultäten und auch der Kirchen oder zumindest ihre gegenseitige Anerkennung eigentlich konsequent wäre. Die falsche Theologie multipliziert sich in den Gemeinden und in zahllosen Gläubigen.

Nicht nur die Unterschiede zwischen den Konfessionen, sondern auch die zwischen den Religionen werden im Kontext des Verzichtes auf den Wahrheitsanspruch des Christentums und der Kirche und auf die Wahrheitserkenntnis überhaupt verflüchtigt und nur noch als verschiedene religiöse Traditionen verstanden, so dass man im Grunde auch die Religionen fusionieren könnte. Denn es ist demnach gleichgültig, welcher Konfession oder welcher Religion man angehört. Die Missionsgesellschaften und die Missionswerke der Kirche haben schon lange den Absolutheitsanspruch des Christentums und der Kirche aufgegeben, in der Regel, zumindest in Deutschland. Aus dem interreligiösen Dialog haben sie einen unverbindlichen Dialog gemacht, und die Verschiedenheiten der Religionen verstehen sie als gegenseitige Bereicherung. Damit haben sie de facto den Missionsauftrag Christi verraten und ihr eigenes Fundament zerstört, weshalb sie auf der Stelle treten und in finanzieller wie auch in personeller Hinsicht nur noch wenig oder keine Unterstützung mehr finden bei den Gläubigen.

Der Unglaube, die Disziplinlosigkeit und die Unmoral breiten sich in erschreckendem Maß aus in der Kirche. Das so genannte Memorandum von 2011 macht das Ausmaß des Verfalls überdeutlich. In meiner Replik auf das Memorandum schrieb ich damals: „Wenn das Memorandum darüber jammert, dass der Glaube mehr und mehr zurückgeht, so sollte man seine Architekten daran erinnern, dass an dieser Verdunstung des Glaubens gerade jene Theologie schuld ist, wie sie und ihre Mitstreiter sie Jahrzehnte hindurch gelehrt haben. Das war eine Theologie der Willkür, eine Theologie, die sich subjektivistisch verfremdet und so den Boden unter den Füßen verloren hat, die im Grunde nur noch von ihrer finanziellen Dotation lebt“. Und: „Seit Jahrzehnten vertreten nicht wenige Theologie-Professoren eine anthropologische Wende in der Theologie und sehen in der Distanz von der Kirche und in zynischen Bemerkungen über die Amtsträger der Kirche, speziell über den Träger des Petrusamtes, ein Qualitätssiegel der akademischen Theologie. Zugleich wollten sie mit dieser Praxis die Freiheit ihrer Wissenschaft dokumentieren, die in nicht wenigen Fällen schon lange zur Ideologie degeneriert war“ [Joseph Schumacher, Ein Kommentar zum Memorandum der 224 Theologen vom 3, Februar 2011].

Im Memorandum heißt es: „wir schweigen nicht länger“. De facto haben sie nicht geschwiegen, die Theologen, sondern mehr als eine Generation von Priesteramtskandidaten und angehenden Religionslehrern und Pastoralhelfern nicht im Glauben der Kirche unterrichtet und, ihn, soweit er vorhanden war, zerstört. Vor allem haben sie immerfort agitiert und ihre Kirchendistanz auf niedrigstem Niveau artikuliert.

Wenn man heute an den theologischen Hochschulen und Fakultäten in Deutschland studiert, kann man im Grunde genommen den Glauben der Kirche nicht mehr kennen lernen, und man kann ihn hier, wenn man sich ihn angeeignet und ihn bis dahin gepflegt hat, nur kaum noch bewahren. Die Konsequenzen daraus zu ziehen, ist natürlich schwer für die Verantwortlichen. Aber sie müssten es. Wenn es nicht geschieht, kann man immerhin noch darauf seine Hoffnung setzen, dass die Wirklichkeit des Lebens nicht immer in den Bahnen der Konsequenz verläuft. Dabei muss man allerdings auch sehen, dass es heute an den theologischen Hochschulen und Fakultäten dankenswerterweise immer einzelne Lehrer gibt, die sich als Bollwerke gegen eine ideologische Verfremdung der Theologie erweisen. Sie werden zwar marginalisiert, aber immer wieder finden junge Menschen, von der Gnade Gottes geführt, zu ihnen. Für gewöhnlich hat die Gnade die Natur zur Voraussetzung. Zuweilen aber wirkt sie gar gegen die Natur und überwindet die natürlichen Widerstände. Für diese Lehrer müssen jene, die die Situation der Kirche erkennen, beten, dass sie liebenswürdig die Wahrheit des Glaubens vertreten und verkünden, unermüdlich und in Beharrlichkeit, dass sie nicht unsicher werden und nicht resignieren und dass sie Gesinnungsgenossen und Nachfolger finden.

- Fortsetzung folgt -

Professor Dr. Joseph Schumacher ist Priester der Diözese Münster, seit 1971 in der Erzdiözese Freiburg und im Hochschuldienst tätig. Vergl. kathpedia: Joseph Schumacher

kath.net-Lesetipp:
Glaubensverkündigung am Oberrhein
182 Ansprachen zu den Sonn- und Feiertagen der drei Lesejahre (2007-2010)
Joseph Schumacher
624 Seiten; 2012 Fromm Verlag
ISBN 978-3-8416-0334-0
Preis: 59.70 €

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Die vollständige kath.net-Serie von Prof. Schumacher:
Teil 1: Was wollte das II. Vatikanische Konzil?
Teil 2: ‚Allzu viele Vertreter der Kirche haben zwei Gesichter‘
Teil 3: ‚Die Kirche ist unsere Mutter. Das haben heute viele vergessen‘
Teil 4: Kirche wurde von einer Säkularisierungswelle überflutet
Teil 5: Dialogprozess statt Glaubensvertiefung
Teil 6: De facto haben sie nicht geschwiegen, diese Memorandums-Theologen!
Teil 7: Die Nachkonzilszeit hat viele faule Früchte hervorgebracht

Foto Prof. J. Schumacher: © kath.net


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