25. Dezember 2012 in Spirituelles
Das Incarnatus est Er hat Fleisch angenommen, dürfen wir nicht abstrakt auffassen, sondern mit dem ganz konkreten Bezug - Die Predigt von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner bei der Christmette in Köln - Predigt als Video
Köln (kath.net)
Die Predigt im WORTLAUT auf kath.net:
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
1. Als wir bei der Weihnachtsbescherung an diesem Abend die Lichter entzündeten, haben wir wohl kaum ausdrücklich an das wahre Licht gedacht, von dem Johannes im Evangelium sagt, dass es in der Finsternis leuchtet (vgl. Joh 1,9). Und als wir einander die Geschenke gaben und nahmen, haben wir vielleicht auch nicht ausdrücklich daran gedacht, dass uns in dieser Nacht der Vater im Himmel seinen eigenen Sohn, sein Herz gab, und mit ihm uns alles schenkte, womit man eigentlich den Menschen beschenken kann (vgl. Röm 8,32).
Auch wenn wir unter dem Christbaum vielleicht nicht ausdrücklich an Bethlehem gedacht haben, so sind wir doch jetzt alle hier im Dom zu-sammengekommen wie die Hirten auf den Feldern von Bethlehem, um das Christuskind zu begrüßen und im gottes-dienstlichen Mysterium die Geburt des Gottessohnes eucharistisch zu feiern.
Nein, es stimmt nicht, was man uns sagen möchte von der Verweltlichung des Weihnachtsfestes! Immer noch hat das Christuskind mit Weihnachten zu tun. Und auch wir brauchen Weihnachten, wir brauchen Christus. Das soll uns wirklich niemand abstreiten! Aber vielleicht müssen wir uns doch fragen: Natürlich bekennen wir dann im Credo und Weihnachten kniet man sogar dabei nieder : Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Jedes Wort unterstreichen wir und glauben das. Aber ist uns dieses unfassbare Geschehen schon einmal so richtig bewusst geworden? Gott, der Unendliche, den die Himmel nicht fassen können, wird ein Mensch, lässt sich hineinpassen in den engen Raum von Krippe und Stall.
Es ist sicher gut, dass dieses Ereignis im Gebet des täglichen Engel des Herrn: Und das Wort ist Fleisch geworden, uns fast in Fleisch und Blut übergegangen ist, aber ist dieser Glaube nicht zu einer allzu großen Selbstverständ-lichkeit geworden? Natürlich ist es so! Aber haben wir über diesen selbstverständlichen Glauben nicht ein wenig das vergessen, was die Philosophen und Propheten das Staunen und die Verwunderung nannten? Für den Philosophen Platon ist dieses Staunen der Anfang aller Philosophie. Für die Propheten ist das Staunen der Anfang der himmli-schen Weisheit, der Anfang aller Begegnung mit Gott. Vielleicht haben wir manchmal das Staunen verlernt, das uns noch als Kinder überfiel, wenn das Weihnachtszimmer geöffnet wurde und wir vor dem brennenden Christbaum mit den vielen Geschenken und der Krippe darunter standen. Für uns Menschen ist heute fast alles machbar. Wir brauchen nur den Knopf zu drücken und den Schalter zu drehen. Und dabei haben wir oft das Staunen vergessen.
2. Es ist wirklich zum Staunen, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist in einer Zeit des Verfalls und des Totalausverkaufs der Kultur. Es traf auf sie das Psalmwort zu: Da ist keiner, der Gutes tut (Ps 14,1). Ein
soph hat die ganze Zeit von damals mit den Worten gekennzeichnet: Die Besten in der Welt gehen umher in einer stillen Verzweiflung. Und was Judäa betrifft, so ist mit dem Namen Herodes eigentlich schon alles gesagt. Wie ist es erklärbar, dass der Sohn Gottes eine solche Zeit wählte, um unseren Erdball zu betreten? Darauf gibt es nur die eine Antwort, die im Johannesevangelium nachzulesen ist: Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab (Joh 3,16). Der Nachdruck liegt hier auf dem Wort die, im Sinne: Er hat diese Welt geliebt, also diese Welt voll dem, was Paulus aufzählt, wenn er sagt: Voll Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier und Bosheit, voll Neid, Mord, Streit, List und Tücke (Röm 1,29), so im Römerbrief, 1. Kapitel, 29. Vers, nachzulesen.
Diese Welt hat er sich ausgesucht! Muss uns das nicht wirklich mit Staunen und Verwunderung erfüllen? Und muss uns das nicht zur Anbetung führen? Das Incarnatus est Er hat Fleisch angenommen, dürfen wir nicht abstrakt auffassen, sondern mit dem ganz konkreten Bezug: Er ist ausgerechnet in jene Welt des kulturellen Tiefstandes und der Verlo-renheit hineingegangen und hat die Last dieser Welt auf sich genommen!
3. Damit stehen wir vor einer weiteren Überlegung: Das Incarnatus est, also Er hat Fleisch angenommen, dürfen wir uns nicht rein theoretisch vorstellen und nun als ein geschichtliches Faktum auffassen, das 2012 Jahre zurückliegt. Die Liturgie sagt ja ausdrücklich: Hodie Christus natus est Heute ist Christus geboren, d.h. die Geburt Christi ist nicht so unendlich lange Zeit vorüber und vergangen. Sie vollzieht sich wir sagen geheimnisvoll, aber wirklich und real im Sakrament der Eucharistiefeier zu dieser Stunde auch in der Jetztzeit. Ist es nicht so, dass wir Menschen das Heil gegenwärtig sehen und erleben möchten? Vergangenes erweckt das Interesse der Menschen, aber existenzbestimmend und das Leben markierend, ist wohl nur das Erlebnis des Gegenwärtigen. Und dem trägt Gott Rechnung: Ein Kind ist uns heute geboren, sagt die Liturgie. Die eigentliche Weihnachtsfreude bezieht sich doch nicht so sehr auf etwas Vergangenes, sondern dass dieses Vergangene in unsere Zeit hineinragt und lebendige Wirklichkeit wird.
Papst Leo der Große, der die Kirche von 440 bis 461 regierte, leitet eine Weihnachtspredigt mit den Worten ein: Lasst uns froh sein: Heute ist unser Retter geboren. Und die Liturgiefeier der Kirche greift dieses Heute unentwegt auf. Sie sagt nicht: Heute vor 2012 Jahren ist das alles geschehen, nein: Heute öffnet sich der Himmel, und Gott wird Mensch!. Dies ist auch keine dichterische Ausdrucksweise, das ist Realität, das ist Wirklichkeit. Wie sieht denn diese, unsere Welt aus, in der er wieder gegenwärtig unter uns wird, wie vor 2012 Jahren? Wir kennen alle den Aus-druck: Wie im alten Rom. Ich zitiere hier aus einem Buch, das vor 75 Jahren erschienen ist: Vollständiger Unglaube, grenzenlose Unsittlichkeit, Entvölkerung der Länder durch Kindermord war die Signatur der Zeit. Alle Grundlagen der Gesellschaft waren erschüttert, das Familienleben entartet, menschliche Mittel ohnmächtig gegen dieses allge-meine Verderben. Verzweiflung ergriff die Einsichtigen. Wenn man das liest und auch anderes dazu, weiß man nicht, ob damit nur die Zeit von damals oder auch die unsrige gekennzeichnet ist. Trotzdem, heute ist uns der Heiland ge-boren! Und warum? So sehr hat Gott die Welt geliebt, die unsrige Welt: Trotz Krieg im Nahen Osten; trotz Wirt-schaftskrisen und militärischen Rüstungen; trotz Unfreiheit und Gewaltherrschaften; trotz dieser Menschen, die Paulus auch heute genauso wie damals nennen würde: ungerecht, schlecht, habgierig, boshaft, neidisch, streitsüch-tig, listig und tückisch (vgl. Röm 1,29). Ich will jetzt nicht weiter ausführen, was im Römerbrief steht.
Und trotzdem: Heute ist uns der Heiland geboren, hinein in diese Welt. Muss uns da nicht wieder Staunen und Verwunderung ergreifen, aber auch Anbetung und Dank? Sicherlich, angesichts des Zustandes dieser Welt verstehen wir nicht, dass Gott diese Welt dennoch liebt. Aber es ist so! Und darum haben wir auch keinen Grund, der Welt unsere Liebe, unser Engagement, unser Mitleid und unsere Sympathie aufzukündigen, ihr den Rücken zuzukehren. Sondern weil Gott in der Geburt seines Sohnes an Weihnachten sich in dieser unwahrscheinlichen Weise mit der Welt identifiziert hat, sind auch wir dazu eingeladen. Es ist nicht die Welt! Es ist unsere Welt! Vergessen wir nicht, was Johannes, der Lieblingsjünger, vor der Krippe bezeugt: Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab. Darum hat unser liebes deutsches Weihnachtslied schon recht, wenn wir singen: Welt ging verloren, Christ ist geboren. Freue, freue dich, du Christenheit!. Amen.
+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln
Predigt als Video
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