25. Dezember 2012 in Spirituelles
Die Predigt von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner beim Weihnachtsfest im Hohen Dom zu Köln am 25. Dezember 2012 VIDEO
Köln (kath.net)
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
1. Am Weihnachtsfest haben viele Menschen den Eindruck, dass unsere Welt eine freundlichere geworden ist, dass das Zusammenleben mit den Menschen einfach schöner und die Lebensatmosphäre mit vielen guten und positiven Impulsen gefüllt ist. Das ist auch genau richtig, denn der Anlass zu Weihnachten ist, dass wir das Fest der Menschwerdung Gottes feiern, indem wirklich der Himmel die Erde berührt hat. Gott tritt in Bethlehem als Mensch in unsere Geschichte ein. Die Geschichte der Welt wird ab Weihnachten zur Geschichte Gottes. Das Schicksal des Menschen wird zum Schicksal Gottes. Nun aber kann und soll auch die Geschichte der Welt zur Geschichte Gottes werden, und die Lebensgeschichte des Menschen möchte zur weihnachtlichen Gabe an Gott werden. Es ist unwahrscheinlich aber wahr, wenn wir sagen, dass Gott sich Weihnachten in unsere Welt inkulturiert hat, damit der Mensch von der Kultur Gottes geprägt und bestimmt wird. Das ist unglaublich!
Im Tagesgebet der heiligen Messe des heutigen Festtages haben wir gebetet: Gott, du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer wiederhergestellt. Glauben wir das? Dann müsste schon diese Tatsache ausreichen, um ein glückliches, gesegnetes Weihnachten feiern zu können.
2. Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (Joh 1,14), so formuliert es das Johannesevangelium, das wir gerade gehört haben. Was heißt denn das: Er hat unter uns gewohnt? Das heißt doch ganz besonders zunächst: Er hat in uns selbst gewohnt, und wir sind berufen, im Wort, im menschgeworde-nen Wort Gottes d.h. in der neuen Wirklichkeit Gottes zu sein und zu leben. Der Apostel Paulus beschreibt diese weihnachtliche Wirklichkeit, indem auf dem Areopag in Athen verkündet: In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir (Apg 17,28). Und im Epheserbrief formuliert er, was das dann in der Praxis bedeutet: Ihr seid jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Got-tes (Eph 2,19). Das ist ein Weihnachtsgeschenk, über das man nur staunen und für das man nur danken kann: Du bist ein Mitbürger der Heiligen, du bist ein Hausgenosse Gottes.
Es ist schon verständlich, dass der hl. Papst Leo der Große in einer Weihnachtspredigt fassungslos ausruft: Christ, erkenne deine Würde!. Das ist das, was die ersten Christen so fasziniert hat, und womit sie gegen den absoluten Trend der damaligen Zeit erhobenen Hauptes einen politisch unkorrekten Lebensstil führten.
Deshalb schleppte man sie letztlich vor die Gerichte. Vor die Stadthalter und Richter gezerrt, wurde nach ihren Personalien gefragt. Ihre stereotype Antwort lautete selbstbewusst: Ich bin ein Christ!. Deshalb ver-kauften sie sich nicht unter ihrem eigenen Wert als Christen. Die Wirklichkeit, Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes zu sein, verlieh ihnen ein unglaubliches Selbstbewusstsein und Siegesbewusstsein.
Bethlehem hat die Hausgemeinschaft Gottes und der Heiligen in unsere Welt gebracht. Und in der Kirche ist diese Verheißung zur Realität geworden: Die Kirche ist der Leib Christi. In den Sakramenten wird er für uns leibhaftig berührbar, sodass Christusgemeinschaft und Gottesfamilie nicht Utopien sind, sondern schlichte Realität.
3. Unsere weihnachtliche Berufung ist es, in unseren Familien, Nachbarschaften, Gemeinschaften, Ar-beitsteams daraus einen neuen Stil zu erwecken. Die Inkulturation Gottes in Bethlehem setzt sich dann fort in unserer Lebenskultur in dieser Zeit und an dem Ort, wo wir leben. Darum ist es unverzichtbar, dass wir Weihnachten das ganze Kirchenjahr über mit seiner liturgischen Darstellung des ganzen Christuslebens von der Geburt bis zur Auferstehung im Gottesdienst der Kirche feiern. In der theologischen Fachsprache nennt man den Gottesdienst Kultus. Und dieser Kultus setzt sich dann fort in der Lebenskultur der Menschen, die geprägt sind von dieser neuen Wirklichkeit: Ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes.
4. Darin liegt ja die weihnachtliche Konsequenz, viele unserer Mitmenschen, unsere Verwandten, Nach-barn und Freunde in diese neue Hausgemeinschaft Gottes einzuladen. Sie wird damals in Jerusalem von vier Merkmalen geprägt. Die Apostelgeschichte schreibt: Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten (Apg 2,42). Dann fügt die Schrift hinzu: Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten (Apg 2,47). Darüber steht nicht: Es war einmal, sondern Es ist. Bei der letzten Bischofssynode in Rom bekannte der Erzbischof von Hong Kong, dass die Kirche dort in diesem Jahr 50.000 Taufen hatte, weil diese urkirchliche weihnachtliche Lebenskultur vorhanden ist: Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten. Die armen Hirten von Bethlehem traten in dieses Haus Gottes ein, als sie die Krippe von Bethlehem betraten, und die Heiligen Drei Könige sind die Nächsten, die diesen Schritt in das Haus Gottes gehen. Und nun sind wir dran.
Bethlehem ist im Grunde genommen die erste Hauskirche mit ihren vier Prägemalen. In ihr sind alle Mit-brüder der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Die Reaktion bei den Hirten war die Freude. Das kann auch gar nicht anders sein. Mit der Menschwerdung Gottes hat das Evangelium begonnen. Und das ist eine Bot-schaft der Freude. Weihnachten lässt uns Gott in sein eigenes Herz schauen. Er zeigt sich uns als einer, der sich so klein macht, dass er in eine kleine Krippe passt, in einen Viehstall. Das heißt, dass er in alle Situatio-nen unseres Lebens hineinpasst. Darum gibt es keine christuslose Situation: Der Herr ist immer dabei. Er hän-digt sich uns buchstäblich aus, weil er uns sein Vertrauen schenkt, sodass wir nun auch wissen, was wir mit dieser kostbaren Gabe, nämlich mit ihm selbst, anzufangen haben.
Unser Weihnachtsfest mit seinen Geschenken ist eine ganz natürliche Reaktion auf das, was uns durch Gott geschenkt worden ist. Die Reaktion bei den Hirten war die Freude. Die Reaktion bei den Heiligen Drei Königen ist die Anbetung und die Hochherzigkeit, indem sie das Kind reich beschenken. Der Mensch ist nie größer, als wenn er in den Raum der Inkulturation Gottes tritt, das heißt, indem er auf die Knie geht wie die Heiligen Drei Könige. Er begibt sich damit auf das Niveau Gottes. Das Kind in der Krippe ist sich später nicht zu schade, vor den Aposteln niederzuknien, um ihnen die Füße zu waschen. Das ist die Kultur Gottes: Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. (Mt 20,28).
Den beiden Gruppen, den Hirten mit ihrer Freude und den Königen in der Anbetung und der Hochherzig-keit, ist eines gemeinsam, dass sie den Herrn suchten und ihn deshalb auch fanden. Das Lebensprogramm eines Christen könnte sein, was auch der hl. Benedikt seinen Mönchen in die Regel geschrieben hat: Deum quaerere Gott suchen, und wer sucht, der findet auch, und wer anklopft, dem wird aufgetan.
Die Suche nach Gott ist von Anfang an - ob bewusst oder unbewusst - die Triebfeder für das geistige Leben des Men-schen. Das lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Er durchforscht und durchschreitet die ganze Welt. Er sucht das Geheimnis des Lebens. Das ist heute nicht anders als vor 1.000 und 2.000 Jahren, weil es einfach zum Men-schen gehört. Das gehört zur weihnachtlichen Kultur, die uns bei der Menschwerdung Gottes umfangen hat.
Die hl. Edith Stein sagt Ähnliches, indem sie schreibt: Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht. Und fügen wir noch das bekannte Zeugnis des hl. Augustinus hinzu: Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Gott. Das ist die menschliche Wirklichkeit. Alle Großen und Kleinen in Gottes Reich sind deswegen zum Ziel gekommen, weil ihre Ursehnsucht sie auf die Beine brachte und sie suchten, bis sie ihn gefunden hatten. Und Gott lässt sich finden.
Das ist die Frohe Botschaft des Hohen Weihnachtsfestes. Weihnachtliche Kultur bedeutet, in den neuen Daseins- und Lebensstil einzutreten, nämlich Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes zu sein. Wir haben jetzt ein Dach über dem Kopf. Und das ist ja Gott selbst! Wir haben einen festen Boden unter den Füßen, der uns trägt, auch wenn die Erde wankt. Und das ist Gott selbst! Wir haben ein Ziel vor Augen, selbst wenn alle Lichter ausgehen. Und das ist der lebendige Gott! Seit Weihnachten sind wir nicht mehr obdachlos, ratlos und orientierungslos. Im Haus von Bethlehem werden wir immer erwartet. Die Tür steht immer offen für uns, der Herr mit den ausgebreiteten Armen und dem geöffneten Herzen wartet! Gott selbst hat sich Weihnachten in unsere Welt inkulturiert. Wir sind eingeladen und begnadigt, Mitbürger und Hausgenossen der Kultur Gottes zu sein. Dazu können wir uns nur beglückwünschen! Amen.
+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln
Predigt als Video
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