11. Jänner 2013 in Interview
"Und lasst euch in Fragen von Ehe und Familie von der immer stärker werdenden verbal-aggressiven Homo-Lobby nicht unter Druck setzen!" - kath.net-Interview mit Gernot Facius über das spannungsreiche Verhältnis von Medien und Kirche - Von Roland Noé
Linz (kath.net/rn) Als der Journalist Gernot Facius Anfang 1960 mit seinem Berufsweg anfing, fand er die Berichterstattung über Kirchliches in Regionalzeitungen nicht unkritisch, aber in der Regel fair. Doch da habe sich inzwischen Grundlegendes geändert. Der Siebzigjährige, der allein über dreieinhalb Jahrzehnte bei der Welt arbeitete, u.a. als Nachrichtenchef und stellvertretender Chefredakteur, beleuchtet im kath.net-Interview die Veränderungen im spannungsreichen Verhältnis zwischen Kirche und Medien.
kath.net: Sie beobachten seit einigen Jahrzehnten die katholische Kirche aus der Sicht der Medien. Was hat sich hier die letzten Jahre verändert?
Gernot Facius: Grundlegendes. Ich habe meinen Berufsweg 1960, also noch in vorkonzilarer Zeit, beim (katholischen) Fränkischen Volksblatt in Würzburg begonnen. Damals gab es in der alten Bundesrepublik gute Regionalzeitungen, die Kirche als eine prägende gesellschaftlich-relevante Kraft betrachteten. Für viele war die regelmäßige Berichterstattung über Kirchliches eine Selbstverständlichkeit, teilweise auf besonderen Seiten. Die Kommentierung war nicht unkritisch, aber in der Regel fair. Und einige Blätter gaben ihre christliche Grundierung im Titelkopf zu erkennen. Davon lässt sich nur noch träumen.
Heute, sieht man mal von einigen Feuilletons ab, ist Kirche eher ein exotisches Thema. Es liefert Schlagzeilen, wenn sich mit ihm Skandale und gelegentlich Obskures verbinden lassen. Der Boulevard ist nicht auf die seichten Blätter mit den Großbuchstaben im Titel beschränkt, er ist überall. Das grassierende religiöse Analphabetentum, das mit der deutschen Vereinigung noch mal einen Schub bekommen hat, verändert die Wahrnehmung von Kirche in der Öffentlichkeit, zumal in der schnellen digitalen Welt. Wer einen Blick auf die Leserkommentare zu religiösen Themen in den Online-Ausgaben vor allem Berliner Zeitungen wirft, wird staunen, welches aggressive antikirchliche Potential sich da aufbaut.
kath.net: Frage: Was ist der Tipp an katholische Medien, damit diese nicht verstaubt und langweilig rüberkommen?
Facius: Ihre Eigner oder Herausgeber müssen die Eigengesetzlichkeit von Medien beachten! Die meist kirchlichen Herausgeber und Verleger müssen den Redaktionen Beinfreiheit erlauben. Diese müssen Fragen stellen dürfen. Jegliche publizistische Arbeit beginnt mit Fragen (Zweifel eingeschlossen), nicht mit fertigen Antworten, auch nicht aus dem Katechismus.
Nur so wird es möglich, das Profil zu schärfen, unverwechselbar zu sein.
Ich vergleiche den Niedergang der katholischen Publizistik gern mit dem Ruin des SPD-Medienimperiums. Im letzteren Fall meinten Funktionäre, Redaktionen an der kurzen Leine führen zu müssen, auf kirchlicher Ebene waren es Bischöfe und Domkapitulare. Untersuchungen haben ergeben, dass nur jeder 35. Katholik eine (regionale) Kirchenzeitung zur Hand nimmt. Das spricht doch Bände.
kath.net: Glauben Sie, dass es mittelfristig überhaupt noch katholische Medien in der Vielfalt wie jetzt geben wird oder geht der Trend nicht dahin, dass teure kirchliche Printmedien, die kaum mehr Leser haben und oft mit vielen Kirchensteuergeldern gestützt werden müssen, aufgegeben werden müssen? Liegt die Zukunft nicht eindeutig im Internet?
Facius: Vielfalt? Wo gibt es sie noch? Erst dieser Tage wurde die Einstellung des traditionsreichen Essener Ruhrwort bekannt. Es wird wohl mittelfristig noch mehr Kooperationen und Redaktionsgemeinschaften geben, um die Subventionen in Grenzen zu halten. Ob die Zukunft tatsächlich eindeutig im Internet liegt, diese Frage verlangt nach einer differenzierten Antwort.
In der Vergangenheit sind alle, ich sage mal integrative, unterschiedliche Meinungen abbildende katholische Printprodukte, hießen sie Publik oder Rheinischer Merkur, gescheitert. Träume von einer Einheitskirchenzeitung sind ausgeträumt.
Ein solches Schicksal dürfte auch vergleichbaren Versuchen im Internet beschieden sein. Die unterschiedlichen Frömmigkeitsformen und Katholizismen suchen sich auch in der digitalen Welt ihren eigenen Raum. Vielfalt ist angesagt. Die katholische Kirche war ja nie uniform.
kath.net: In den medial wahrgenommenen Debatten in der katholischen Kirche ging es in den vergangenen Jahren vor allem um folgende Aufreger: Missbrauchsfälle, Piusbruderschaft und Kirchensteuer. Warum sind für Medien solche Themen viel interessanter als das eigentliche Kernthema der Kirche wie z.B die Frage, wie ich in den Himmel komme?
Facius: Medien sind keine verlängerte Kanzel, darüber sollten wir uns einig sein. Sie haben zu informieren, komplizierte Sachverhalte zu erklären und Vorgänge sauber zu gewichten. Dass zum Beispiel über die Missbrauchsfälle so breit berichtet wurde, ist eine Selbstverständlichkeit, sie gehört zur kirchlichen Hygiene. Ähnliches gilt für die Debatten über die Piusbrüder und die Kirchensteuer.
Der Punkt, der zu Recht Anlass zur Kritik gibt, ist freilich ein anderer: Die Fokussierung auf das immer Gleiche, den Skandal, bei Ausblendung differenzierter Fakten, liefert einem Klischeedenken Vorschub, erzeugt hier und da den unangenehmen Eindruck von Agitation und Propaganda.
Es ist nun mal nicht zu leugnen: In ihrer an Konflikten orientierten Realität haben Ereignisse um Religion und Kirche dann einen Platz, wenn sie nach den in den Redaktionen vorherrschenden Welt- und Wertvorstellungen von besonderer Relevanz sind und Betroffenheit erzeugen - und Auflage machen. Der Skandal wird zum Erfolgsfaktor. Es wird strategisch kalkuliert, wie lange sich ein heißes Thema am Laufen halten lässt. Und weniger Tatsachen als vielmehr Meinungen über Tatsachen dominieren. Das führt zu thematischen Disproportionen und Verzerrungen.
Ein Beispiel aus diesen Tagen: Die Deutsche Bischofskonferenz beendet die Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Leiter eines von ihr in Auftrag gegebenen Missbrauchs-Forschungsprojekts und sucht für das Vorhaben einen neuen Leiter. Die Aufmacher in vielen, auch seriösen Gazetten aber lauten: Kirche stoppt Affären-Aufklärung. So kann man auch mit Fakten lügen.
kath.net: In der katholischen Kirche Deutschlands wird seit einiger Zeit ein Dialogprozess geführt. Nicht wenige Katholiken insbesondere aus dem konservativen und romtreuen Bereich können das Wort Dialog nicht mehr hören. Auch der Papst gilt nicht unbedingt als Freund dieses Prozesses. Was halten Sie davon?
Facius: Wer wird denn leugnen, dass die gravierende Veränderung des kirchlichen Lebens, hervorgerufen durch den Priestermangel und die Bildung von Mammut-Seelsorgeeinheiten, zur Sprache kommen muss? Die Kirche wandert aus der Gemeinde aus, sie entfernt sich täglich mehr von den Menschen. Darüber miteinander zu dialogisieren sollte selbstverständlich sein.
Aber ebenso selbstverständlich ist, dass nicht nur Strukturfragen aufs Tapet kommen, es muss auch die Gottesfrage, das Verdunsten des Glaubens thematisiert werden. Die kirchliche Hierarchie sollte sich davor hüten, den Dialog abzuwerten.
kath.net: Sie gehen nach 36 Jahren und drei Monaten bei der WELT in Pension. Was möchten Sie katholischen Journalisten als Ratschlag für die Zukunft mitgeben?
Facius: Widersteht der Versuchung zum Rudeljournalismus, recherchiert penibel, lasst das gesamte kirchliche Spektrum zu Wort kommen! Und lasst euch in Fragen von Ehe und Familie von der immer stärker werdenden verbal-aggressiven Homo-Lobby nicht unter Druck setzen!
kath.net: Herzlichen Dank für das Interview
Gernot Facius (70) arbeitete 36 Jahre und drei Monate für die WELT, von 1976 bis Ende 2007 u.a. als Nachrichtenchef und stellvertretender Chefredakteur, und bis Ende 2012 als fester Autor. Er war neun Jahre Mitglied der Jury des katholischen Journalistenpreises. Von der Konferenz Evangelikaler Publizisten wurde der Katholik mit dem Goldenen Kompass für vorbildliche Kirchenberichterstattung ausgezeichnet.
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