Taubblind, Familienvater, Diakon: 'Ich war schockiert!'

28. Jänner 2013 in Interview


Peter Hepp ist taubblind. Der ständige Diakon, Ehemann und Vater zweier Söhne gibt im kath.net-Interview Auskunft über sein Leben, seine Hoffnung und seine Gedanken zur Euthanasierung zweier Belgier mit derselben Behinderung. Von Petra Lorleberg


Rottweil (kath.net/pl) „Ich konnte es kaum fassen, dass diese Euthanasie aufgrund ‚ihres psychischen Leids‘ durchgeführt worden ist“, schreibt Diakon Peter Hepp (Foto) im kath.net-Interview. „Das Usher-Syndrom ist keine tödliche Krankheit und dürfte von daher kein Grund sein für gesetzlich erlaubte Sterbehilfe“, erläuterte er. Der taubblinde Ehemann und Vater zweier Söhne bezieht sich auf die Nachricht, dass vor kurzem in Belgien zwei 45-jährige Zwillingsbrüder euthanasiert wurden, weil sie unter dem Usher-Syndrom litten.

Auch Hepp lebt mit dem Usher-Sydrom, er wurde taub geboren und ist im Laufe seiner Erwachsenenzeit nach und nach erblindet. Hepp wurde im Jahr 2003 vom Rottenburger Bischof Gebhard Fürst zum ständigen Diakon geweiht und arbeitet in der Diözese Rottenburg-Stuttgart als Seelsorger für Menschen mit Hörsehbehinderung/Taubblindheit. In kath.net-Interview gibt er einen Einblick in das Leben mit dieser Behinderung.

kath.net: Herr Diakon Hepp, in Belgien haben sich die zwei taubblinden Zwillingsbrüder Marc und Eddy V. wegen ihrer Behinderung euthanasieren lassen. Diese Nachricht hat starke Betroffenheit ausgelöst, auch darüber, dass Ärzte eines Universitätsklinikums diesem Wunsch tatsächlich nachgaben und den beiden 45-Jährigen die tödliche Injektion spritzten. Wie stehen Sie vor dem Hintergrund Ihrer ganz persönlichen Erfahrung dazu?

Diakon Peter Hepp: Meine erste Reaktion war, dass ich das zunächst nicht glauben konnte! Das Usher-Syndrom ist keine tödliche Krankheit und dürfte von daher kein Grund sein für gesetzlich erlaubte Sterbehilfe.

Aber als ich weiter las, war ich dann schockiert und konnte kaum fassen, dass diese Euthanasie aufgrund „ihres psychischen Leids“ durchgeführt worden ist.

Und das ausgerechnet in Belgien! Die dortige professionelle Taubblindenarbeit gehört zu den besten der Welt. Vor drei Jahren, im Sommer 2010, fand unter meiner Leitung eine europäische Taubblindenfreizeit statt. Von den daran teilnehmenden 15 Nationen war Belgien die drittgrößte Gruppe (Diese Zwillingsbrüder waren nicht dabei).

Wie ist es also trotz bereits vorhandener hoher professioneller Taubblindenhilfe zu dieser wirklich nicht notwendigen, nicht versöhnenden, nicht erlösenden, sondern nur unheilverursachenden Sterbehilfe gekommen?

Diesen Fall betrachte ich nicht nur für alle Menschen guten Willens, sondern auch für mich höchstpersönlich als ein ernstzunehmendes Warnsignal.

kath.net: In Ihrem Buch: „Die Welt in meinen Händen. Eine Leben ohne Hören und Sehen“ beschreiben Sie Ihren Lebensweg: Sie sind von Geburt an gehörlos und infolge des Usher-Syndroms mit der Zeit zunehmend erblindet. Kennen Sie auch selbst im Zusammenhang mit Ihrer Behinderung tiefe Verzweiflung und Todessehnsucht?

Hepp: Ja, ich hatte solche negative Gefühle und schwere, sogar lebensgefährliche Krisen.

Am schwierigsten zu bewältigen ist dieses jahrzehntelange schleichende Verlieren der Hör- und Sehkraft bei gleichzeitiger Reifung und Kräftigung des menschlichen Körpers im jungen und besten Erwachsenenalter.

Mit diesem Widerspruch müssen wir alle Usher-Syndrom-Betroffenen und auch alle unsere Mitmenschen klarzukommen versuchen.

kath.net: Wie können Sie diese Gefühle überwinden? Was oder wer gibt Ihnen den Mut zum Leben?

Hepp: Zunächst einmal muss eines klar sein, nämlich dass jeder Mensch ohne Wenn und Aber ein Gemeinwesen bleibt. Das bedeutet also, dass kein Mensch wortwörtlich allein und isoliert sein Schicksal bewältigen, sein Leid ertragen, seine Krisen überwinden kann. Nur in echter Liebesgemeinschaft kann das alles gut gelingen.

So ist es bei mir. Nur dank echter Treue und Liebe, die einige Menschen mir gewähren, gelang und gelingt mir, trotz meiner Taubblindheit normal zu leben.

Man spricht von Lebenshilfe und Lebensstiftung. Ich füge noch eines hinzu und zwar: Lebensstütze.

Wie man auf sehr gefährlichen Bergpfaden einen Stock benötigt, um nicht tödlich abzustürzen, so benötige auch ich auf meinen gefährlichen Lebenspfaden eine Stütze, um nicht von der Menschlichkeit und Christlichkeit abzustürzen in die Tiefe entmenschlichender und widergöttlicher Lebensfinsternis.

Meine wichtigste Lebensstütze ist Jesus Christus, den ich in meinen Nächsten, in den kirchlichen Sakramenten und in der Schöpfung Gottes wahrzunehmen lerne.

kath.net: Herr Diakon Hepp, Leben ohne Hören und Sehen, ist das ein Weg der Einsamkeit?

Hepp: Na ja…, also, die spontane Antwort lautet: Ja!

Aber, wenn man sich differenziert und sachlich damit befasst, dann lautet die Antwort: Nein, nicht unbedingt!

Aus meiner Sicht gibt es vier Formen von Behinderungen bzw. Taubblindheit: die physische Taubblindheit, die emotionale Taubblindheit, die rationale Taubblindheit und die personale Taubblindheit.

Davon ist die personale, also seelische, Taubblindheit die schlimmste Form, die den Menschen tatsächlich zur echten finsteren Einsamkeit führt. Davor möge Gott uns bewahren!

kath.net: Wie nehmen Sie Kontakt zur Außenwelt auf? Was hilft Ihnen, Ihr Leben möglichst autonom zu gestalten?

Hepp: Nur mit Hilfe sogenannter „professioneller Taubblindenassistenz“ (das ist eine neue Art von Dienstleistung. Eine Person, die mich begleitet, den Kontakt zur Umwelt herstellt und die Kommunikation sicherstellt oder überbrückt) erlange ich Barrierefreiheit und somit auch echte Bewegungsfreiheit.

Allerdings ist die Finanzierung dieser Dienstleistung noch nicht geregelt. Ebenso ermöglichen modernste elektronische Hilfen Zugänge im Internet und somit auch barrierefreie Korrespondenz zwischen uns Taubblinden untereinander und zwischen mir und den nicht-taubblinden Menschen.

Autonome Lebensgestaltung? Eigentlich ist mein Leben so erfüllt, so dass ich mich gar nicht „im Loch“ autonomer Lebensgestaltung befinde oder mich auch gar nicht total „fremdbestimmt“ fühle.

Wenn ich mal frei habe und das Wetter dafür spricht, gehe ich mit Freude in den Garten und pflege dort Gemüse, Obst und Blumen. Abwechselnd mal in meinem eigenen Sinn und mal im gemeinsamen Sinn mit meiner Frau.

Hier erlaube ich mir zu betonen, dass nicht nur ich, sondern auch andere Taubblinde ihr Leben trotz Einschränkungen, Barrieren, Benachteiligungen in ihrer vollen Zufriedenheit gestalten und führen.

kath.net: Sie sind katholischer Diakon und arbeiten heute als Seelsorger für Taubblinde Menschen. Was nehmen Sie wahr, was sind die Probleme, mit denen diese Menschen zu kämpfen haben? Was können Sie ihnen als Seelsorger geben?

Hepp: Von häufigsten und hartnäckigsten nehme ich nur drei Aspekte heraus: Trauer wegen vielfältiger Brüche, Angst wegen vielfältiger Schutzlosigkeit, Scham wegen vielfältiger Bedürftigkeit.

Der rote Faden als Zusammenfassung meiner seelsorglicher Arbeit lautet: Bekämpfe die Taubblindheit nicht! Versöhne Dich mit Deiner Behinderung! Die Taubblindheit nicht als Dein Feind, sondern als lehrende Herausforderung zu größerer Liebe zum Leben zu begreifen versuchen.

Eine ausführlichere Beschreibung zur Seelsorge bei USHER-Syndrom steht als Beitrag in einem vor kurzem neu erschienen Fachbuch „Das Usher-Syndrom“.

Eins bleibt aber zu betonen: Trotz integrativer und inklusiver pastoraler Angebote bzw. Dienstleistungen bleibt eine spezielle Seelsorge unverzichtbar!

kath.net: Vermutlich dürfte Ihre Behinderung für niemanden so normal sein wie für Ihre Kinder. Möchten Sie uns aus dem Alltag eines taubblinden Familienvaters erzählen?

Hepp: Ja tatsächlich, die Einstellung bzw. Haltung meiner Kinder gegenüber meiner Taubblindheit ist anders als üblich. Sie leiden zwar, dass ich sie nicht höre und sehen kann, aber ihre Liebesfreude „entkräftigt“ dieses Leid. Sie lieben Papa, der taubblind ist, nicht den Taubblinden, der ihr Vater ist.

Aktueller Alltag mit meinen Söhnen (6 und 8 Jahre): Wir spielen gerne Ringen. Die beiden lieben dieses „männliche Kräftemessen“.

Der Ältere lernt Schlagzeug, der jüngere Klavier. Ich bin bei ihren musikalischen Übungen anwesend, obwohl ich nicht beurteilen kann, ob Fehler vorliegen oder nicht. Hauptsache ist: Sie wissen, dass ich ihre Musik spüren kann.

kath.net: Herr Diakon Hepp, noch einmal eine persönliche Frage: Wann erleben Sie Zufriedenheit mit Ihrem Lebensalltag und was sind für Sie Momente großen Glücks?

Hepp: Schwierige Frage… Eher empfinde ich derzeitig eine ganzheitliche Wohlbefindlichkeit. Also, ich fühle, dass Berufung, Behinderung, Arbeit, Familie, Heimat, Freizeit ineinander harmonisch einhergehen. Natürlich sind Fehler, Mängel, Störungen und auch Ärgernisse mit dabei.

Irgendwie lebe ich aber im innerlichen Frieden inmitten des stürmischen Kampfes zwischen Leben und Tod, Licht und Finsternis, Gnade und Schuld, Liebe und Hass…

kath.net: Was hätten Sie den belgischen Zwillingsbrüdern gewünscht? Was raten Sie selbst Menschen, die sich an Sie wenden und Suizidgedanken formulieren?

Hepp: Mein Gefühl sagt mir, dass mit diesen Brüdern irgendetwas ganz anders ist als bei der üblichen Situation infolge der Taubblindheit. Natürlich hätte ich ihnen gewünscht, diesen tödlichen Schritt nicht zu tun. Mehr kann ich nicht sagen, weil mir die Klarheit über deren Situation fehlt.

Im Allgemeinen verhalten sich taubblinde Menschen mit Suizidwunsch nicht anders als andere. Deswegen sind besondere Formulierungen nicht nötig.

Nur klare Sprache muss sein. Wenn jemand zu mir sagt: Ich mache Schluss mit meinem Leben, mein Leben ist sinnlos!, dann sage ich nicht: Aber ich fände es sehr schade. Kannst du begründen, warum du behauptest, dass dein Leben sinnlos sei…, sondern: Aber warum? Jedes Leben, also auch dein Leben ist sinnvoll! Nur der Hass auf das Leben ist sinnlos!

kathpedia: Diakon

Kurzvideo: Ab der 18. sec. sieht man den taubblinden Diakon Peter Hepp


Foto Peter Hepp: © Peter Hepp



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