Pro und Kontra Hirntodkonzept

5. Februar 2013 in Deutschland


Fuldaer Bischof Algermissen im Gespräch mit Ärzten - Paolo Bavastro, Facharzt in Stuttgart: Biologisch könne ein hirntoter Mensch nicht als eine Leiche angesehen werden, da es Beispiele für hirntote Frauen gebe, die ein Kind zur Welt gebracht hätten


Fulda (kath.net/bpf) In lebhafter Atmosphäre fand jüngst im Fuldaer Bonifatiushaus ein Akademieabend über die viel diskutierte Frage statt, ob der Hirntod eines Menschen definitiv als dessen Tod anzusehen sei. Der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen hatte über 70 Ärztinnen und Ärzte in seinem Bildungshaus zu Gast und zeigte sich mit der offenen, ehrlichen Aussprache sehr zufrieden. „Wir brauchen den Mut, die Menschen in diese schwierige Frage mit hineinzunehmen“, unterstrich der Fuldaer Oberhirte. Erst dann könne sich jeder frei für oder gegen eine Organspende entscheiden. Angesichts der im November eingeführten Neuregelung der Organspende mit einem Gesetz, nach dem die Krankenkassen alle fünf Jahre die Einstellung der Bürger zur Organspende abfragen sollten, seien der niedrige Kenntnisstand und das Nicht-wissen-Wollen vieler Menschen bedenklich und fahrlässig. Zwei renommierte Mediziner, Prof. Dr. Andreas Ferbert, Klinikdirektor der Klinik für Neurologie im Klinikum Kassel, und Dr. Paolo Bavastro, Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Betriebsmedizin in Stuttgart, sowie der bekannte Moraltheologe und Sozialethiker Prof. Dr. Peter Schallenberg von der Theologischen Fakultät Paderborn stellten den Forschungsstand und die Problematik in Kurzreferaten vor, woran sich eine kontroverse Diskussion mit den Ärzten darüber anschloss, ob der Hirntod eines Menschen wirklich mit seinem Tod identisch sei.

Prof. Ferbert machte aus neurologischer Sicht deutlich, dass die Unterscheidung zwischen Hirn- und Herztod erst durch die moderne Intensivmedizin bedeutsam geworden sei. Beim Hirntodkonzept, wonach das unumkehrbare Erlöschen des Gesamthirns Kriterium für den Tod eines Menschen sei, handle es sich um eine medizinische Übereinkunft, die sich naturwissenschaftlich nicht beweisen lasse. Die Feststellung eines Hirntods erfolge mit Hilfe verschiedener Tests. „Das Hirntodkonzept setzt einen gesellschaftlichen und nicht bloß einen ärztlichen Konsens voraus“, gab er zu bedenken. Dr. Bavastro argumentierte von seiner langjährigen intensivmedizinischen Erfahrung her, dass ein Hirntoter ein tief bewusstloser Mensch sei, der künstlich beatmet werde und dessen körperliche Funktionen noch vorhanden seien. Biologisch könne ein solcher Mensch nicht als eine Leiche angesehen werden, da es Beispiele für hirntote Frauen gebe, die ein Kind zur Welt gebracht hätten. „Meiner Ansicht nach handelt es sich um schwerstkranke Sterbende“, so der Referent. Das Hirntodkriterium werde angewandt, damit Ärzte bei einer Organentnahme keine Tötung begingen. Bavastro forderte eine differenzierte Aufklärung über Hirntod und Transplantation, die die Argumente dafür und dagegen deutlich zeige.

Nach Auffassung von Moraltheologe Prof. Schallenberg identifiziere das Hirntodkonzept den Hirntod nicht mit dem Tod des Menschen, sondern deute den Zusammenbruch aller Gehirnfunktionen als zweifelsfreies Anzeichen für den bereits erfolgten Eintritt des Todes. Wenn es sich um einen unumkehrbaren Zustand akuten Sterbens handle, könne der Hirntod als Voraussetzung für eine Zustimmungslösung zur Organentnahme angesehen werden. Das Christentum gehe von einer Ewigkeit der Person aus, und so ergebe sich auch die Frage, ob ein Mensch, wenn er keine Empfindung im Diesseits mehr habe, dann bereits im Jenseits sei. „Können das die Mediziner feststellen?“, hinterfragte Schallenberg.

In der anschließenden Diskussion wurde einerseits zugunsten des Hirntodkriteriums von einem „abgestuften Absterbeprozess“ und von der Notwendigkeit eines würdigen Umgangs mit dem Organspender und seinen Angehörigen gesprochen, andererseits aber auch an eine umfassende und ehrliche Aufklärung über das Hirntodkriterium appelliert. Auch war die Rede von einem Opfer, das der Organspender aus Nächstenliebe zugunsten eines anderen Menschen bringe. Bischof Algermissen hatte zu Beginn des Abends betont: „Wenn wir ehrlich wahrnehmen, dass Organe Sterbenden bei Terminaldiagnose Hirntod entnommen werden, nicht erst nach Eintritt des Todes, für den der Hirntod als sicheres Zeichen nicht mehr taugt, dann zeigt sich umso deutlicher, was Organspende eigentlich ist: ein Geschenk jenseits aller Selbstverständlichkeit, eine ‚hochherzige Gabe’ (Papst Johannes Paul II.), die man niemandem abverlangen, höchstens bewundern kann.“ Der Einbruch bei der Bereitschaft zur Organspende sei indes erst durch zweifelhafte bis kriminelle Vergabepraktiken gekommen, so der Bischof. Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer darin, dass der Grenzbereich „Hirntod“ erst durch die moderne Medizin geschaffen wurde und gesicherte Kriterien für eine freie Entscheidung zur oder gegen die Organspende benötigt.

Weiterführende Links:
Theologieprofessor Josef Schumacher im Interview:
Organspende: Hat ein Toter lebendige Organe?

Dr. med. Regina Breul, Silvia Matthies: Tot oder doch lebendig? Unzensierte Dokumentation über die Organspendeproblematik




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