6. Februar 2013 in Deutschland
Luther-Experte Prof. Heinz Schilling, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates für die Lutherdekade: EKD an Forschungsergebnissen denkbar wenig interessiert Kritik an Lutherbotschafterin Margot Käßmann - Luther war alles andere als tolerant
Berlin (kath.net/idea) Scharfe Kritik an den Vorbereitungen zum 500-jährigen Reformationsjubiläum 2017 hat der Historiker Prof. Heinz Schilling (Berlin) geübt. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sei an den wissenschaftlichen Ergebnissen der Reformationsforschung denkbar wenig interessiert, sagte er in einem Interview mit der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Vertreter der EKD machten sich mit ihren Stellungnahmen zur Reformationszeit unter Sachkennern lächerlich. Man vergebe die Chance, die evangelische Position seriös in die öffentliche Diskussion einzubringen. Schilling: Ich habe den Eindruck, dass die EKD schon glücklich ist, wenn im Jahr 2017 die Elbwiesen vor Wittenberg mit Tausenden von Menschen bevölkert sind und ein großes Event stattfindet. Für mich wäre ein Reformationsjubiläum aber nur dann erfolgreich, wenn man Luther aus seiner Zeit heraus für unsere Zeit neu interpretiert. Sonst backen wir uns nur den Luther, den wir gerade haben wollen. Schilling ist Autor der 2012 im C. H. Beck Verlag (München) erschienenen Biographie Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Zudem gehört er dem Wissenschaftlichen Beirat für die Lutherdekade an.
Kritik an EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum
Schilling bezeichnete es als problematisch, gegenwärtige Interessen aus Luthers Reformprogramm abzuleiten. Dies gelte etwa für die EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum, Margot Käßmann (Berlin). Sie hatte geäußert, an Luther sei zu feiern, dass es heute Bischöfinnen gebe. Dazu Schilling: Die Ordination von Frauen hatte Luther bei der Reformation ganz sicher nicht vor Augen. Dies gelte auch für das EKD-Reformprogramm Kirche der Freiheit. Luther habe ein ganz anderes Freiheitsverständnis vertreten als die Christen heute.
Auch beim Jahresthema 2013 Reformation und Toleranz der Lutherdekade könne sich die Kirche mit ihrem heutigen Toleranzverständnis nicht auf Luther berufen. Luther sei alles andere als tolerant gewesen, so Schilling. Religions- und Meinungsfreiheit hätten sich durchgesetzt, ohne dass Luther dies zum Ziel gehabt hätte. Schilling kritisierte, dass die EKD ein vom Wissenschaftlichen Beirat für die Lutherdekade verfasstes Papier zum Toleranz-Verständnis des Reformators nicht veröffentlichte. Schilling: Stattdessen wurde in der Broschüre Schatten der Reformation. Der lange Weg zur Toleranz ein Toleranzpapier in zigtausend Exemplaren verteilt, das in keiner Weise den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Geschichte der Toleranz und der Rolle der Reformatoren darin gerecht wird.
EKD weist Kritik zurück
Verwundert über die Kritik äußerte sich der Vizepräsident im EKD-Kirchenamt, Thies Gundlach (Hannover), in einer Stellungnahme. Man habe ein hohes Interesse an der wissenschaftlich exakten Aufarbeitung der Geschichte der Reformation und speziell der Person Martin Luthers.
Aber es sei ebenfalls wichtig, die Erzählungen vom Reformationsjubiläum so zu aktualisieren, dass sie auf der Basis der wissenschaftlichen Einsichten in ihrer Relevanz für Gegenwart und Zukunft deutlich werden könnten. Die EKD habe 2012 eine Kommission unter Leitung des Berliner Kirchenhistorikers Prof. Christoph Markschies berufen, um die wesentlichen Aussagen der Reformation auf der Grundlage der historischen Ereignisse zu erforschen. Allerdings sei das Reformationsjubiläum nicht nur ein historisch relevantes Ereignis: Es geht genauso darum, die heutige geistige und kulturelle Relevanz der Reformation darzulegen und das Reformationsjubiläum so zu gestalten, dass sowohl Verständnis für die Bedeutung der damaligen Ereignisse entwickelt werden kann, als auch die 500-jährige Wirkungsgeschichte und die aktuelle Bedeutung reformatorischen Denkens in den Blick kommt. Dazu müssten auch erlebnisstarke Veranstaltungen geplant werden, die gerade Ungeübte und Neugierige ansprechen.
EKD schätzt Arbeit von Käßmann sehr
Gundlach weist auch die Kritik an Luther-Botschafterin Käßmann zurück. Ihr Arbeit werde von der EKD sehr geschätzt. Niemand vertrete in der EKD die These, Luther habe die Frauenordination erfunden. Gundlach: Aber es ist doch evident, dass sich die Frauenordination erstmals in reformatorischen Kirchen hat durchsetzen können und dass dies mit der Annahme und lebendigen Fortentwicklung grundlegender theologischer Erkenntnisse der Reformation zu tun hat. Gundlach zufolge lädt die EKD die Wissenschaft herzlich ein, ihre unverzichtbare Kompetenzen im wissenschaftlichen Beirat zur Vorbereitung des Reformationsjubiläum 2017 einzubringen. Die von Schilling genannten Thesen zur Toleranz von dem Politik und Kirche gemeinsam verantworteten Kuratorium 2017 seien lediglich zur sprachlichen Überarbeitung zurückgegeben worden
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