‚Auch wenn ich mich zurückziehe, bin ich immer bei euch’

14. Februar 2013 in Aktuelles


Benedikt XVI. an den Klerus des Bistums Rom: Konzilsgeschichte live. Liturgie, Schrift, Welt. 'Wir sind Kirche!' Das virtuelle „Konzil der Journalisten“ und der Konzilsgeist. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Wie es der Tradition entspricht, hat Papst Benedikt XVI. zu Beginn der Fastenzeit den Klerus seines Bistums empfangen. Rund 5.000 Bischöfe, Priester und Diakone waren zwei Wochen vor der Abdankung des Papstes am 28. Februar in der Audienzaula „Paolo VI“ zusammengekommen, um ihren Bischof zum letzten Mal zu hören. War in den vergangenen Jahren gewünscht worden, dass der Papst für seinen Klerus eine „lectio divina“ als Einstimmung auf die Fastenzeit hält, so war er für dieses Treffen im Jahr des Glaubens bereits vor Wochen gebeten worden, über das II. Vatikanische Konzil zu sprechen. Als einer der letzten lebenden Konzilsteilnehmer hatte Benedikt XVI. gerne zugesagt.

Konzilsgeschichte live. Benedikt XVI. sprach gut eine Stunde in freier Rede – druckreif, muss man wieder sagen. Die hellen offenen Augen fixierten einen Punkt in der Ferne, so dass man spürte, dass da einer nicht nur Geschichten erzählt, sondern in den großen und konkreten Atem der Geschichte gleichsam eintaucht – und so selber Geschichte schreibt, an einem bis dahin „normalen“ Vormittag des 14. Februars, an dem andere aus irgendwelchen Gründen den Valentinstag begehen. Aber: „normal“ ist in diesen Tagen in Rom nichts mehr. Vor allem wenn man vor einem Papst steht, der seinen Amtsverzicht aufgrund mangelnder Kräfte angekündigt hat, während er so spricht und wirkt, wie dies dem schwer fallen würde, der die Hälfte seiner Jahre zählt.

Nahe wolle er bleiben, den Priestern nahe und im Gebet verbunden, „auch wenn ich für die Welt verborgen bin“. Sie begrüßten ihn bei seinem Eintritt in die Aula Nervi mit großem Applaus, während sich auf vielen Gesichtern die Tränen ihren Weg suchten: Tränen der Trauer, des Schmerzes ob des Verlusts nicht nur eines Papstes, sondern des „Pfarrers der Welt“, der sich dieser in seiner Milde, mit seinem Drängen hin zu Gott ausgesetzt hatte und für viele – vor allem der jüngeren – Priester zum leuchtenden Vorbild geworden war, zum wahren Vater, dessen Wort vor Gott brachte und besonders in der Last des Dienstes Stütze und Hilfe war.

Vom Konzil – wie es war, was da war, was dann gekommen ist – wollten die Priester was wissen. Und natürlich blieb die Überraschung nicht aus. Zum Schluss gab Benedikt XVI. seine Version eines Aspekts der Nachkonzilszeit, des aufkommenden „Konzilsgeistes“ und einer seiner Ursachen. Aber der Reihe nach.

Benedikt XVI. hob an mit seinen Erinnerungen an die Jahre des Konzil, wie er als junger Theologe im Dienst des Kölner Kardinals Josef Frings nach Rom kam, welche Stimmungen vorgefunden wurden, welche Erwartungen gerade auch im Unterschied der Nationen, der erstmals so sichtbaren Vielfalt der einen Kirche gegeben waren. Auch mit einer Anekdote konnte er seine Zuhörer erheitern und erzählte, wie er bereits 1961 einen Vortrag für Kardinal Frings verfasst habe und dieser dann von Papst Johannes XXIII. vorgeladen worden sei. Frings habe damals befürchtet, seinen Titel entzogen zu bekommen. Statt dessen habe ihm der Papst zu dem gelungenen Aufsatz gratuliert.

Der ehemalige Konzilstheologe berichtete dann von den großen Erwartungen seitens der Teilnehmer an der größten Versammlung der Kirchengeschichte – Erwartungen, die auf die Unsicherheit gestoßen seien, was man jetzt eigentlich tun solle und wie dies zustande gebracht werden könne, trotz aller Freude und Begeisterung. Der französische, deutsche, belgische und holländische Episkopat – die sogenannte rheinische Allianz – hätten die klarsten Intentionen gehabt: „Und während des ersten Abschnitts des Konzils waren sie es, die den Weg wiesen. Bald aber erweiterte sich die Aktivität und immer mehr hatten alle an der ‚Kreativität des Konzils“ ihren Anteil“.

Dann erläuterte Benedikt XVI. die Struktur dieser Kirchenversammlung ausgehend von den in den Dokumenten konzentrierten Themenbereichen: Liturgie, die Kirche, die Offenbarung, die Welt und in dieser: die Religionsfreiheit und das Verhältnis zu den anderen Religionen als Aspekt des Verhältnisses der Kirche zur Welt.

Dass die Liturgie im Zentrum der ersten Erwägungen der Konzilsväter gestanden ist, was in der Konstitution „Sacrosanctum Concilium“ seinen Niederschlag gefunden hat, macht für Benedikt XVI. deutlich, dass das Konzil den absoluten Primat Gottes betonen wollte, mit der Anbetung als der obersten Regel. Aus Gott heraus hin zu Gott sollte sich alles vollziehen. Aus diesem Grund sei die Erneuerung der Liturgie ein erstes Anliegen gewesen: weg von einer liturgischen Abständigkeit von „Volk“ und „Priester“ hin zu einer wahren aktiven Teilnahme – eine Entwicklung, die der Papst anhand der liturgischen Erneuerungen in der unmittelbaren Vorkonzilszeit erläuterte. Der Sonntag sollte der erste Tag sein, der Tag der Schöpfung, und als solcher betont werden: „Deshalb tut es mir leid, dass er heute zum Wochenende geworden ist“. Das Konzil wollte das Ostergeheimnis als Mittelpunkt des Christseins hervorheben. So sei der Sonntag „der erste Tag – Fest der Schöpfung – und Begegnung mit dem Auferstandenen, der die Schöpfung erneuert“.

Weiteres Anliegen des Konzils war die „Verstehbarkeit der Liturgie“. Dieses Prinzip sei leider auch falsch verstanden worden: „Verstehbarkeit heißt nicht Banalität“, da die großen Texte der Liturgie nicht leicht verstehbar seien. Sie bedürften der ständigen Bildung des Christen, „damit er wächst und immer mehr in die Tiefe des Geheimnisses eintritt und so verstehen kann“. Nur die ständige Bildung des Herzens und des Geistes könne wahre Verstehbarkeit und aktive Teilnahme schaffen. Letztere „ist mehr als eine äußere Tätigkeit. Sie ist ein Eintreten der Person, meines Seins in die Gemeinschaft der Kirche und so in die Gemeinschaft mit Christus“.

Beim zweiten Thema ging es dann um die Kirche. Absicht des Konzils sei es gewesen, eine vollständige Ekklesiologie zu erlangen. Der Papst erinnerte an die Enzyklika Pius’ XII. „Mystici corporis“ und betonte, dass die Kirche nicht als Organisation gefasst werden sollte, sondern als Organismus, der in die Seele der Menschen eintritt. Romano Guardini zitierend betonte Benedikt XVI., dass die Kirche in den Seelen neu beginnen müsse. Hierin liegt für den Papst auch der Sinn des Wortes von „Wir sind Kirche“.

Ein Aspekt dieser Ekklesiologie sei die Kollegialiät, ein Begriff, der auch in überzogener Weise diskutiert worden sei. Die Bischöfe stünden in der Kontinuität der Zwölf und setzten so als Kollegium den Leib der Zwölf fort. Dabei gehe es nicht um „Macht“, sondern um „die gegenseitige Ergänzung der Faktoren und der Vollständigkeit des Leibs der Kirche“. So machte der Papst die vertikale Dimension der Kollegialität gegenüber einer rein horizontalen Dimension deutlich.

„Volk Gottes“ und „communio“: zwei Begriffe, die für den Papst zusammengehören. Volk Gottes „schließt die Kontinuität der Testamente, die Kontinuität der Geschichte Gottes mit der Welt und mit den Menschen ein, vor allem aber den christologischen Aspekt“. So habe das Konzil beschlossen, eine trinitarische Konstruktion der Ekklesiologie zu schaffen: Volk Gottes, des Vaters – Leib Christi – Tempel des Heiligen Geistes.

Weiteres Thema sei das der Offenbarung, des Wortes Gottes und der Heiligen Schrift gewesen. Der Papst unterstrich, dass die Schrift des lebendigen Subjekts der Kirche bedürfe, da sie ansonsten nur ein Buch sei. Die Schrift „braucht das vom Heiligen Geist erleuchtete Subjekt Kirche“, woraus sich der Sinn von Tradition ergebe. Nur in der Kirche könne die Schrift gut interpretiert werden.

Dann ging Benedikt XVI. auf den Ökumenismus und die „Welt“ als Gegenstand der Erwägungen des Konzils ein und erläuterte die Stellung der Religionsfreiheit sowie die Notwendigkeit, sich mit den anderen Religionen auseinanderzusetzen, angesichts des sich einzig geoffenbart habenden Gottes.

Abschließend bot der Papst seine Erläuterung zum Entstehen des „Konzilsgeistes“. Benedikt XVI. stellte fest, dass es neben dem eigentlichen Konzil das „Konzil der Medien“ gegeben habe, das alles sofort hinaus zu den Menschen gebracht habe. Dieses „Konzil der Journalisten“ habe jedoch „außerhalb des Glaubens“ stattgefunden und alle Themen auf rein politische Aspekte reduziert. So sei das „Konzil der Medien“ mit seiner Absicht der Entsakralisierung zu den Menschen gelangt und einer der eigentlichen Verantwortlichen für die Misere der Nachkonzilszeit.

Doch: „Fünfzig Jahre später sehen wir, wie dieses virtuelle Konzil zerbricht und das wahre Konzil hervortritt“.


Die Begegnung in voller Länge:




© 2013 www.kath.net