22. Februar 2013 in Interview
Doris Maria Gruber, Professorin für Gynäkologie, gibt im kath.net-Interview Fachauskunft über den derzeitigen Wissensstand über die Wirkweise der beiden Wirkstoffe, die als Pille Danach eingesetzt werden. Von Victoria Fender
Wien (kath.net/cf) Bei der Pille danach kann man eine Nidationshemmung nicht zu 100% ausschließen. Darauf weist Univ.-Prof. Dr. Doris Maria Gruber (Foto), Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe. Die Professorin des AKH Wien erläutert im kath.net-Interview weiter: Wenn man das Präparat nach der Ovulation einsetzt, dann ist die Datenlage etwas unklar, da man in vivo nicht genau recherchieren kann und die Studienergebnisse teilweise divergent sind.
kath.net: In Deutschland tobt seit einigen Wochen, nach einem mutmaßlichen Vergewaltigungsfall in Köln, eine Debatte um die "Pille danach". Gibt es nach dem jetzigen Stand der Forschung einen Wirkstoff, der mit einer von der Gemeinschaft der Wissenschaftler akzeptierten Sicherheit von 100 Prozent eine Nidationshemmung durch das als "Pille danach" bekannte Präparat ausschließt?
Univ.-Prof. Doris Maria Gruber: Bei der Pille danach kann man eine Nidationshemmung nicht zu 100% ausschließen, da es zwei verschiedene Wirkstoffe gibt, die zum Einsatz kommen: Der eine ist Levonorgestrel und der andere Ulipristalacetat. Bei Levonorgestrel geht man davon aus, dass es unproblematisch ist, was die Nidation anbelangt. Das heißt, wenn es frühzeitig eingesetzt und verabreicht wird, nämlich präovulatorisch, dann sollte es keinen abtreibenden Effekt haben, weil die Ovulation grundsätzlich verhindert wird.
Wenn man das Präparat aber nach der Ovulation einsetzt, dann ist die Datenlage etwas unklar, da man in vivo nicht genau recherchieren kann und die Studienergebnisse teilweise divergent sind.
Aber wenn man sicher sein will, keine Befruchtung zu riskieren, dann darf man nicht die Pille danach nehmen, sondern ein kombiniertes hormonelles Kontrazeptivum (die Pille).
kath.net: Wie beurteilen Sie die Erklärung des Bundesverbandes der Frauenärzte (BFV) und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) am 24. Januar, die Pille danach sei ein Verhütungs- und kein Abtreibungsmittel?
Gruber: Ich glaube, dass man zwischen den beiden Substanzen, nämlich Levonorgestrel und Ulipristalacetat, differenzieren muss. Rechtzeitig präovulatorisch sollte in beiden Fällen keine Konzeption stattfinden und somit stellt sich die Frage nach Beendigung einer Frühschwangerschaft nicht.
kath.net: Also kommt es darauf an, welche Art von Pille danach man einnimmt?
Gruber: Levonorgestrel und da sprechen viele Daten dafür ist eine relativ unproblematische Substanz und eine Fertilisation sollte in dieser Dosierung nicht begünstigt werden. Wenn aber eine Fertilisation stattgefunden hat, dann kommt es zu keiner Abtreibung, weil Gestagene (und Levonorgestrel ist ein Gestagen) auch im umgekehrten Sinn sehr erfolgreich eingesetzt werden, nämlich, um Schwangerschaften zu etablieren und zu erhalten. Diese Substanz hat scheinbar ein duales Wirkprinzip und wenn man die Ovulation rechtzeitig verhindert oder unterdrückt, dann wirkt sie sicher. Wenn Levonorgestrel postovulatorisch eingesetzt wird, dann kann man nicht mehr sagen, ob eine Befruchtung stattfindet. Das Beste wäre natürlich, jede Frau wüsste, welchen Zyklustag sie gerade hat, aber das ist leider in nicht allen Fällen immer bekannt.
Die Situation ist bei Ulipristalacetat etwas anders, da es pharmakologisch auch eine andere Substanz ist und einen anderen Wirkungsmechanismus hat. Ulipristalacetat ( EllaOne®) ist ein Progesteron-Rezeptor Modulator und hat dadurch die Eigenschaft über den Zeitraum von 72 Stunden (post Geschlechtsverkehr) hinaus zu wirken.
Außerdem ist sich die Wissenschaft da noch nicht ganz klar, wie letztendlich die Wirkung im Uterus wirklich ist. Fest steht auch, dass Levonorgestrel (das ist Vikela® und Postinor® bei uns in Österreich, in Deutschland PiDaNa®) auch einen Effekt auf die Tubenmotilität und auf die Schleimhaut in der Gebärmutter hat. Das heißt, wenn die nicht bereit ist, eine Nidation zuzulassen, dann findet auch keine Nidation statt.
kath.net: Welche negativen Auswirkungen kann die Pille danach haben?
Gruber: Die Pille danach hat meistens zur Folge, dass Zyklusstörungen auftreten.
Zunächst im gegenwärtigen Zyklus und dann möglicherweise auch im nächsten Zyklus. Die Blutungsstörung hält nicht lange an, reguliert sich relativ rasch und unproblematisch, aber der erste Zyklus ist noch überschattet von dem Event.
Die Frauen verspüren manchmal Übelkeit und sind einfach irritiert, wobei ich glaube, aber das ist eine subjektive Meinung dass auch die psychische Belastung eine gewisse Rolle spielt und nicht so sehr die Substanz das Problem darstellt.
Es wird von vielen jungen Frauen (Frauen zwischen 21 und 29 Jahren haben die meiste Erfahrung) und es sind meistens die jüngeren, die damit konfrontiert sind als Schock empfunden, dass sie die Pille danach brauchen.
kath.net: Welche gesundheitlichen Risiken sind mit der Pille danach verbunden? Treten bei den betroffenen Frauen gefährliche Blutungen auf? Gab es auch schon Todesfälle? Gibt es Untersuchungen über die Langzeitfolgen dieses Hormoneingriffs, beispielsweise für die Fertilität dieser Frauen?
Gruber: Gefährliche Blutungen treten selten auf, es sind - wenn - dann verlängerte Blutungen und Zwischenblutungen, die lästig sind.
Aber wirklich medizinisch relevante Blutungen, so dass dann eine Kürettage notwendig ist oder ein stationärer Aufenthalt, das ist eine ganz seltene Ausnahme. Sollten starke Blutungen auftreten, muss auch an das Vorliegen einer Eileiterschwangerschaft gedacht werden und bedingt dann natürlich eine sorgfältige Klärung. Todesfälle nach PD sind mir bis dato nicht bekannt.
kath.net: Und welche sind im Unterschied dazu die Risiken der normalen Pille?
Gruber: Die Nebenwirkungsliste auf den Beipackzetteln ist bekanntlich lang und kann dort jederzeit nachgelesen werden.
Problematisch finde ich, und das ist selten nachzulesen, die gesundheitlichen Defizite, die durch die frühzeitige Applikation der Pille entstehen können.
Ich definiere das oft so, dass die Pubertät ein epigenetisches Fenster ist, wo viel mit dem Körper der Frau passiert, wo viele Regelkreise etabliert und geschlossen werden, Neuvernetzungen sowohl im Gehirn, als auch vor Ort im Ovar und in der Gebärmutter, stattfinden. Dieses Vernetzen der einzelnen Regelkreise sollte ungestört ablaufen können. Das dauert einmal länger, einmal kürzer, ist mit mehr oder weniger Problemen verbunden und kann auch in Zyklusstörungen, Hautveränderungen (Pubertätsakne), psychischen Irritationen, Gewichtsschwankungen, usw. resultieren.
Aber wenn man diese Zeit in Ruhe übersteht, einfach durchmacht und aussitzt, dann hat man und das ist meistens so kaum in den nächsten Jahren hormonelle Probleme zu erwarten.
Wenn man aber in solch einer vulnerablen Zeit mit verschiedenen Mitteln in diesen Regelkreis eingreift und da gehören auch Psychopharmaka und natürlich die Pille dazu und sich diese Regelkreise nicht etablieren können, dann hat das oft Probleme zur Folge.
Das sind Veränderungen, die nicht unmittelbar, zu Beginn der Pilleneinnahme (vielfach schon mit 14 oder 15 Jahren) auftreten können. Mit dem Beginn der Pilleneinnahme ist mit einem Schlag alles geregelt. Der Zyklus ist regelmäßig, die Haut aknefrei und ohne Pickel und die junge Frau fühlt sich im Grunde wohl.
Die Probleme, die ich meine, treten dann 10 bis 15 Jahre später auf. Denn mit dem Beginn der Pilleneinnahme wird der Eierstock in jener Entwicklungsphase, in der er gerade ist, meist mitten in der Pubertät, mehr oder weniger gefreezed, also eingefroren. Es wird quasi eine Momentaufnahme gemacht, in der der Eierstock verbleibt und die Etablierung der Regelkreise wird gestoppt.
Setzt die Frau nun die Pille mit 25 Jahren wieder ab, taut der Eierstock bildlich gesprochen wieder auf und die Entwicklung setzt dort fort, wo sie mit 14, 15 Jahren stehen geblieben ist.
kath.net: Wie sehen Sie die Langzeitfolgen der kombinierten hormonellen Kontrazeptiva (Verhütungspille, die Pille) ?
Gruber: Man darf die Pille nicht verteufeln, die Pille ist ein geniales Produkt und hat unsere gegenwärtige Gesellschaft nachhaltig beeinflusst.
Ich versuche immer darauf hinzuweisen, hormonelle Kontrazeptiva zur richtigen Zeit und im richtigen Entwicklungsstadium der Frau einzusetzen.
Nicht zu früh und nicht zu lange. Grenzen sind individuell zu sehen. Wenn die Menarche mit 12 oder 13 Jahren stattgefunden hat und sich ein regelmäßiger Zyklus in den nächsten drei bis vier Jahren einstellt, dann kann man davon ausgehen, dass ein Eingriff mit der Pille in den Hormonhaushalt der Frau mehr oder weniger unproblematisch ist.
Wenn das Mädchen zwischen dem 12. bis 14. Lebensjahr die erste Regel bekommen hat, dann blutet und dann wieder nicht, wenn das dann so abwechselnd ist und sich über Jahre so hindurch zieht, sollte man vorsichtig sein.
Natürlich ist es leicht, mit der Pille eine Zyklusstabilität innerhalb kürzester Zeit zu erreichen, aber das ist dann nur reine Zykluskosmetik und sicher keine Therapie. Die Anwenderin ist in solchen Fällen natürlich zufrieden und glücklich, der Arzt ist es auch und alle freuen sich, dass sie regelmäßig blutet. Aber was im hormonellen Hintergrund abläuft, ist oftmals nicht so in Ordnung.
Wenn der Zyklus regelmäßig ist und das über einen Zeitraum von drei, vier, fünf Jahren, und die Frau auch Bescheid weiß über ihr eigenes zyklisches Geschehen, wie der Eierstock und die Gebärmutter arbeiten, dann ist das ist ein riesiger Vorteil.
Es gibt viele junge Frauen, die beginnen mit 14, 15 Jahren mit der Pille, setzen sie dann nach 10 Jahren ab und kennen sich überhaupt nicht aus was ihren natürlichen Menstruationszyklus anbelangt. Sie wissen nicht einmal, wie sich eine natürliche Regelblutung anfühlt, denn sie haben noch nie eine Regel gehabt ohne Pille.
kath.net: Kommt es oft vor, dass eine Frau dann unfruchtbar ist?
Gruber: Sie ist nicht per se unfruchtbar. Irgendwann kommt der Kreislauf wahrscheinlich wieder ins Laufen, nur sind dann oftmals viele Interventionen notwendig, und das strapaziert sowohl die vormalige Anwenderin und jetzige Patientin, als auch natürlich die behandelnde Ärzteschaft.
Somit herrscht dann große Besorgnis.
Unfruchtbarkeit selbst hat es seltener zur Folge, aber andere Probleme, wie z.B. das völlige Ausbleiben der Regel, Zystenbildungen oder starke Menstruationsunregelmäßigkeiten, es gibt Störungen im Glukosestoffwechsel (Gewichtsprobleme), Irritationen der Schilddrüse oder polyzystische Veränderungen an den Eierstöcken.
kath.net: Eine allgemeinere Frage: Wie oft ist es der Fall, dass eine Frau aus Nachlässigkeit keine entsprechenden Vorkehrungen (welcher Art auch immer) gegen eine Schwangerschaft getroffen hat und sich auf die ja inzwischen durchaus leicht zugängliche Abtreibung verlässt?
Gruber: Die meisten Frauen betreiben zum Glück eine bewusste Familienplanung. Natürlich gibt es immer wieder Frauen, die nicht verhüten und dann gerade in dem Moment eine Empfängnis stattfindet. Dann ist die Verzweiflung verständlicherweise sehr groß und der Ratsuchenden muss mit viel Sorgfalt und Einfühlungsvermögen in ihrer individuellen Situation geholfen
kath.net: Das heißt, es kommt nicht oft vor, dass sich Frauen denken: Ich brauche nicht zu verhüten, da ich notfalls sowieso abtreiben kann?
Gruber: Der Trend ist wirklich ganz selten zu bemerken, dass die Möglichkeit zur Abtreibung als Geburtenregelungsmethode verwendet wird. Das ist die rare Ausnahme und zum Glück sehe ich das praktisch nie.
kath.net: Wie lange braucht es im Durchschnitt, nach Absetzen der Pille, um schwanger zu werden?
Gruber: Grundsätzlich ist es so, dass die Frau durch die Pille nicht unfruchtbar wird, sondern es setzt der Fertilitätszustand wieder ein, der auch vor der Pille da war. Wenn die Frau vorher schon fruchtbar war, wird sie es nachher auch sein.
Oft dauert es drei bis sechs Monate, bis ein regelmäßiger Zyklus eintritt. Es gibt auch Frauen, die setzen die Pille ab und alles ist wie gehabt und die Regel kommt punktgenau.
Hinweis
Zu diesen Fragen ist aus der Sicht der katholischen Morallehre darauf hinzuweisen: die künstliche Empfängnisregelung, also die reguläre Empfängnisverhütung durch künstliche Methoden im Rahmen einer Ehe, ist für Katholiken nicht verantwortbar. Die Pille, wie sie oben von Frau Prof. Gruber unter medizinischen Aspekten diskutiert wird, kann von Katholiken also nicht benutzt werden.
Vergleiche die Enzyklika Humane vitae von Papst Paul VI., bekräftigt u.a. durch den Katechismus der Katholischen Kirche (KKK: 2399): Die Empfängnisregelung stellt einen der Aspekte verantwortlicher Elternschaft dar. Auch wenn die Absicht der beiden Gatten gut ist, sind sie doch nicht berechtigt, sich sittlich unzulässiger Mittel zu bedienen (z. B. direkte Sterilisation oder Verhütungsmittel).
Foto Doris Maria Gruber: © frauenaerztin-gruber.at
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