Der Papst, wilde Gerüchte und ein Geheimdokument

23. Februar 2013 in Aktuelles


Italienischen Medien zufolge tritt der Papst wegen eines homosexuellen Netzwerks im Vatikan zurück. Auch von Erpressung ist die Rede. Welche Rolle spielt das Geheimdossier dreier Kardinäle? Von Paul Badde (Die Welt)


Vatikan (kath.net/Die Welt) Papst Benedikt XVI. ist einem Bericht der römischen "La Repubblica" zufolge wegen des Ausmaßes der Vatileaks-Affäre um gestohlene Dokumente, Sex und Korruption im Vatikan zurückgetreten. Das Dossier der damaligen Untersuchungskommission, von der die "Welt" im Juli berichtete, dass der Papst sie zur rückhaltlosen Aufklärung einberufen habe, entwickelt sich somit zu einem Schlüsseldokument vor dem nächsten Konklave. Dem Dossier muss zudem eine Schlüsselrolle für den Entscheidungsprozess der spektakulären Entscheidung Benedikt XVI. beigemessen werden, von seinem Amt am 28. Februar zurückzutreten. Hier sah er wohl Aufgaben auf sich zukommen, für die seine Kräfte nicht mehr reichten.

Entscheidend für die Qualität des Dossiers war der päpstliche Auftrag an die Kardinäle Julián Herranz (82) aus Spanien, Jozef Tomko (89) aus der Slowakei und den Süditaliener Salvatore De Giorgi (82), im Notfall jedermann im Vatikan befragen zu können. Das ist deshalb bedeutsam, weil Kardinäle etwa nur Kardinälen zu Rede und Antwort verpflichtet sind. Dieser Aufgabe jedenfalls, der rückhaltlosen Aufklärung, haben sich die vom Papst beauftragten Kardinäle in großer Gelassenheit und aller Gründlichkeit vom Frühjahr bis in den Winter hinein gewidmet.

Der Investigativ-Journalist Gianluigi Nuzzi hatte die so genannte "Dokumentenflucht" aus dem Vatikan im April in seinem Buch "Seine Heiligkeit" spektakulär vermarktet. Seine Zuträger waren deshalb ebenso in das Fahndungs- und Befragungsraster der drei Kardinäle geraten wie der später als Dieb überführte Kammerdiener Paolo Gabriele und hohe und höchste Würdenträger.

Inhaltlich bekannt ist von dem 300 Seiten starken Gesamtergebnis der Untersuchungen dennoch so gut wie nichts. Die Endfassung wurde Benedikt am 17. Dezember übergeben. Die drei Kardinäle schweigen eisern dazu. Von einigen Details des Verfahrens können nur einige von denen plaudern und reden, die von den Kardinälen befragt wurden.

Papst wurde schon seit Monaten unterrichtet

Der Papst jedoch wurde über den Gang der Ermittlungen schon seit Monaten unterrichtet. Hierbei fiel viel Licht in Zusammenhänge, die weit über die Hintergründe des reinen Aktendiebstahls hinaus reichten. Deshalb ist Benedikt XVI. am Schluss mit einem Panorama der Zustände der Kurie und des Vatikans innerhalb und außerhalb der Mauern konfrontiert worden, dessen Schonungslosigkeit beispiellos in der jüngeren Kirchengeschichte sein dürfte.

Schon im Frühjahr hatten die Kardinäle dem Inhaber der Schlüssel Petri geraten, seiner langjährigen Haushälterin Ingrid Stampa aus Kardinalszeiten den Schlüssel zu entziehen, der ihr immer noch gestattete, mit dem Aufzug unmittelbar und ohne jede Legitimation in das "appartamento" des Papstes zu fahren. Und nun haben die Zeitschrift "Panorama" und die Tageszeitung "La Repubblica" – ohne Angabe von Quellen – trotz aller Verschwiegenheit einige weitere Details aus dem Bericht veröffentlicht, nach denen es in dem Komplex, der weit über die Vatileaks-Affäre hinausreicht, auch um homosexuelle Beziehungen und Erpressbarkeit und Verletzungen des sechsten und siebten der zehn Gebote gehe.

An diesem Tag, dem 17. Dezember, habe der Papst auch seine lange erwogene Rücktrittsentscheidung gefällt, heißt es dazu. Das lässt sich allerdings bequem dementieren, wenn wir den Aussagen Georg Ratzingers trauen wollen, der letzte Woche der "Welt" noch sagte, dass sein Bruder diese Entscheidung schon "vor etlichen Monaten" gefällt habe.

Schwule Netzwerke auch im Vatikan

Das sechste Gebot heißt nun: "Du sollst nicht die Ehe brechen" und wird von der katholischen Kirche auch als Ablehnung gleichgeschlechtlicher Liebe interpretiert. Das siebte lautet: "Du sollst nicht stehlen." Stoff genug also für alle möglichen Spekulationen. Dass im Vatikan wie überall, wo Menschen sind, gegen alle zehn Gebote verstoßen wird, ist nicht neu. Und auch nicht, dass kaum ein Begriffspaar so Schlagzeilenkompatibel ist wie die Kombination "Sex" und "Vatikan".

Die neuen Erkenntnisse und Enthüllungen bestehen deshalb in der Substanz aus Kombinationen von bereits Bekanntem oder Vermutetem, was vielleicht sonst noch möglich sein könnte. Einiges davon klingt nach ordinärem Tratsch. Anderes stammt aus vergangenen Fällen, die nie wirklich ganz aufgeklärt wurden. Dass es, wie überall sonst, auch im Vatikan schwule Netzwerke gibt, ist keinem neu, der den Zwergstaat einige Jahre beobachten durfte.

Gabriele Amorth, der prominenteste Exorzist Roms, sprach dazu schon vor Jahren gegenüber der "Welt" ganz offen von "satanischen Sekten", die auf den Papst zielten und hinter den Mauern des Vatikans ihre Fäden spinnen würden. Dass solche Machenschaften das Hauptthema des in rot gebundenen Dossiers sein könnten, bleibt dennoch unwahrscheinlich.

Kollateraler Abfall der Vatileaks-Affäre

Als kollateraler Abfall der Aufdeckung der Vatileaks-Affäre wurden vor allem diverse innere Spannungen der Kurie, Spaltungen und leise Machtkämpfe in der Hierarchie aufgedeckt. Bemerkenswert scheint aber doch, dass offensichtlich ein erschütternder Prozess der Selbstreinigung den Rücktritt des Papstes aus Deutschland zu begleiten scheint.

Deutlich wie kaum einer sonst hat sich der Papst selbst zu dem ganzen Komplex schon am 11. Oktober geäußert, als er abends in freier Rede an seinem Fensterplatz an den Beginn des II. Vatikanischen Konzils 50 Jahre zuvor und an die großen frohen Hoffnungen von damals erinnerte und sagte: "Auch heute haben wir Freude in unserem Herzen, aber ich würde sagen, eine vielleicht nüchternere Freude, eine demütige Freude. In diesen 50 Jahren haben wir gelernt und erfahren, dass die Erbsünde existiert und immer wieder in persönlichen Sünden zum Ausdruck kommt, die auch zu Strukturen der Sünde werden können. Wir haben gesehen, dass auf dem Acker des Herrn immer auch Unkraut ist. Wir haben gesehen, dass sich im Netz des Petrus auch schlechte Fische befinden. Wir haben gesehen, das die menschliche Schwäche auch in der Kirche vorhanden ist, dass das Schiff der Kirche auch im Gegenwind fährt, in Stürmen, die das Schiff bedrohen, und zuweilen haben wir gedacht: ´Der Herr schläft und hat uns vergessen.´"

Ähnlich eindringlich klang er bei seiner letzten Predigt im Petersdom am Aschermittwoch, als er mit dem Psalmisten rief: "Überlass dein Erbe nicht der Schande, o Herr, damit die Völker nicht über uns spotten!" – um danach öffentlich ein letztes Mal darüber nachzudenken, wodurch das "Gesicht der Kirche bisweilen verunstaltet wird."

Alle Kardinäle sollen informiert werden

Er denke dabei besonders an die "Vergehen gegen die Einheit und an die Spaltungen im Leib der Kirche" und an ungenannte "Individualismen und Rivalitäten". Es kann nicht sein, dass der schwach gewordene Papst dabei nicht auch an die Aufklärung dachte, die ihm durch die Arbeit der drei alten Kardinäle zuteil geworden ist – vor denen ihm offensichtlich auch gewahr wurde, dass ihn die Kräfte schon verlassen hatten, um deren Empfehlungen auf die rechte Weise umzusetzen.

Der Amtsverzicht Benedikt XVI. habe "nichts" mit den Vatileaks zu tun, heißt es hingegen im "Osservatore Romano", und dieser Behauptung ist ohne weiteres zu trauen. Die Last war viel größer, die auf seinem Herzen und seinen Schultern drückte. Unter diesem Gewicht wurde dem Papst als dem "Felsen", auf dem nach katholischer Anschauung die Kirche ruht, auch gewahr, dass er zu zerbröseln begann.

Nach einem Bericht der Turiner "La Stampa" hat er aber nun noch entschieden und verfügt, dass die drei Kardinäle ihre Erkenntnisse einen Tag nach seinem Amtsverzicht und Abflug nach Castel Gandolfo allen dann in Rom anwesenden Kardinälen mitteilen sollen. Bevor das Konklave beginnt, werden alle Teilnehmer im Detail über ihre Erkenntnisse unterrichtet sein. Bis dahin dreht der 89-jährige Kardinal Jozef Tomko weiter jeden Abend auf dem Petersplatz mit altersschwerem Schritt allein seine Runde, grüßt jeden freundlich und betet den Rosenkranz.

Foto Vatikanische Baustellen: © kath.net/Petra Lorleberg


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